Protokoll der Sitzung vom 05.03.2003

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Vielleicht hatten sie so lange noch Hoffnung!)

Zweifeln sie damit selbst an der Mehrheitsfähigkeit ihres Anliegens? Weitsichtige Initiatoren, die sich der mehrheitlichen Unterstützung ihres Begehrens durch das Volk gewiss sind, hätten eine solche Volksinitiative, gerade auch im Interesse der Unterzeichner, zeitiger auf den Weg gebracht.

Der Antrag zielt also auf eine Unterbrechung des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens, das wir heute mit Erfolg zum Abschluss bringen können und, wie ich meine, auch müssen.

Die Unterbrechung hätte zur Folge, dass die anstehenden Kommunalwahlen nicht in den neuen Gemeindestrukturen erfolgen könnten. Stattdessen müssten die Kommunalwahlen in einer Zeit allgemeiner Unsicherheit über die künftigen Gemeindestrukturen durchgeführt werden.

(Frau Osten [PDS]: Wenn die Gerichte bemüht wären!)

Ich frage deshalb die PDS-Fraktion: Wollen Sie den betroffenen Gemeinden und ihren Bürgern so etwas tatsächlich zumuten?

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich bin gleich am Ende meines Beitrags.

Gerade jetzt sind eindeutige Entscheidungen erforderlich, Frau Kaiser-Nicht. Wir wollen - darüber haben wir uns schon oft unterhalten, auch im Innenausschuss; das wissen Sie doch

(Frau Kaiser-Nicht [PDS]: Sie waren doch nie da! Sie nehmen doch nie an den Ausschusssitzungen teil!)

Klarheit über die künftige Gemeindestruktur schaffen. Eine monatelange Hängepartie wäre in jedem Fall die denkbar schlechteste Lösung.

Der Versuch, mit Ihrem Antrag ein wichtiges Reformvorhaben in letzter Minute zu torpedieren, liegt nicht im Interesse der Mehrzahl der Brandenburger Bürgerinnen und Bürger; das will ich Ihnen deutlich sagen. Wir brauchen jetzt Klarheit.

Ich bitte Sie, den Antrag zurückzuweisen und die Gesetze so zu diskutieren, wie sie vorgelegt worden sind. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei CDU und SPD)

Wir sind am Ende der Rednerliste und ich schließe die Aussprache.

(Der Abgeordnete Vietze [PDS] meldet sich zur Ge- schäftsordnung.)

- Es gibt einen Antrag zur Geschäftsordnung. Bitte sehr, Herr Abgeordneter Vietze.

Herr Präsident, ich möchte mein Recht auf Richtigstellung wahrnehmen. Hier wurde uns unterstellt, wir wollten etwas torpedieren. - Das ist in keiner Weise der Fall, sondern die PDSFraktion hat einen Antrag eingebracht, der darauf abzielt, die Möglichkeiten für eine Volksinitiative zu wahren.

Herr Abgeordneter Vietze, Sie haben hier die Möglichkeit, Angriffe gegen Ihre Person zurückzuweisen. Solche Angriffe hat es hier aber nicht gegeben. Wir befinden uns hier mitten in einer politischen Auseinandersetzung, die jetzt durch Sie eine Erweiterung, die nicht vorgesehen ist, erfährt. Insofern ist das keine persönliche Erklärung, sondern ein Debattenbeitrag und so etwas ist nicht opportun. Tut mir Leid.

(Vietze [PDS]: Herr Präsident, wir wollten dies trotzdem richtig stellen - Beifall bei der PDS)

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der PDS-Fraktion in der Drucksache 3/5565. Wer diesem Antrag folgt, möge die Hand aufheben. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag abgelehnt und ich schließe diesen Teil des 2. Tagesordnungspunktes.

Ich eröffne die Aussprache zum Ersten Gemeindegebietsreformgesetz gemäß Beschlussempfehlung in der Drucksache 3/5550 einschließlich beider Korrekturblätter.

Das Wort geht an die PDS-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Sarrach.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von Wilhelm Busch gibt es einen Ausspruch, der die Schwierigkeit des Gesetzgebungsverfahrens zur Gemeindegebietsreform gleichsam auf den Punkt bringt:

„Das Gute - dieser Satz steht fest - ist stets das Böse, was man lässt.“

Ich bin mir sicher, dass sich unter den Abgeordneten niemand befindet, der dem Land Brandenburg Böses wünscht. Sicher bin ich mir aber auch, dass die Gesetzentwürfe kaum Gutes für das Land bewirken können.

Was haben wir von dieser Reform? Ich kann Ihnen sagen, was wir nicht haben werden, nämlich die Akzeptanz dieser neuen Strukturen und weiterhin Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie.

Ein beschädigtes Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie, hervorgerufen durch deren Entmündigung, ist aber kein düsteres Szenarium aus Sicht der PDS; es wird die nahe Zukunft sein, wenn die Entwürfe Gesetzeskraft erlangen. Das zeigen die Erfahrungen mit Gemeindegebietsreformen in den alten Bundesländern, vor allem wohl in Nordrhein-Westfalen.

Prof. Schefold beklagt in seinem Buch „Entwicklungstendenzen der Kommunalverfassungen in Deutschland“:

„Ein nicht außer Acht zu lassender Gesichtspunkt ist, dass die Verringerung der kommunalen Verwaltungseinheiten zu einer erheblichen Verminderung der Zahl der kommunalen Mandatsträger und damit zu einem Verlust an bürgerschaftlich-demokratischer Mitwirkung führte.“

Eine solche Entwicklung wurde auch in der Anhörung vor dem Innenausschuss und durch die zahlreichen mahnenden Stimmen im schriftlichen Anhörungsverfahren bereits zum Referentenentwurf vorausgesagt. Nehmen Sie diese Befürchtungen ernst! Nehmen Sie auch - das mag man nun nicht mehr glauben - die 40 000 Unterschriften für die Volksinitiative gegen Zwangseingemeindungen ernst! Fragen Sie sich, welchen Schaden der Landtag mit dieser Vergewaltigung der kommunalen Selbstständigkeit Hunderter Gemeinden anrichtet! Sie sollten in jedem Fall die großen Risiken dieses Gesetzgebungsverfahrens offen zur Kenntnis nehmen.

Die PDS-Fraktion lehnt daher die vorgelegte Gemeindegebietsreform schönbohmscher Prägung und damit die sechs Gesetzentwürfe ab.

Der vorgeschlagene zwangsweise Zusammenschluss von mehr als 300 brandenburgischen Gemeinden ist nicht der am besten geeignete Weg; es ist ein Weg, der in die Irre führt. Die kommunale Selbstverwaltung wird nicht nachhaltig gestärkt, sondern geschwächt. Mit unverantwortlich hohem Tempo soll von oben der schwerste Eingriff in die kommunalen Selbstverwaltungsrechte Hunderter Gemeinden Brandenburgs erfolgen, nämlich die Beendigung der Selbstständigkeit dieser historisch gewachsenen Gemeinden, die es in Brandenburg doch immer schon gab und für die sich bis 1999, also vor der Landtagswahl, die CDU nicht schämen wollte. Das waren Ihre Worte, Herr Homeyer und Herr Schönbohm.

(Beifall bei der PDS)

Aber, Herr Homeyer und Herr Schönbohm, jetzt ist die CDU der Diedersdorfer Bürgermeisterkonferenz von 1999 gemeinsam mit der SPD der Totengräber unserer kleinen Gemeinden. Wer hätte das gedacht!

(Frau Dettmann [SPD]: Gegen die SPD!)

Die PDS bleibt dabei: Gemeindezusammenschlüsse müssen von den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort akzeptiert sein, will man nicht das Fundament kommunaler Selbstverwaltung zerstören.

(Beifall bei der PDS)

Deshalb muss auf massenhafte zwangsweise Zusammenschlüsse verzichtet und die Freiwilligkeitsphase weitergeführt werden.

Ihr Leitbild der Gemeindegebietsreform ist nicht das unsrige. Ihr Leitbild der Gemeindegebietsreform ist der vollkommene Bruch mit den Reformüberlegungen der Enquetekommission.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS - Schippel [SPD]: Quatsch!)

Herr Klein und Herr Homeyer, was Sie hier gesagt haben, war

mit Verlaub - Unsinn. Eine Gemeindegebietsreform, die Bürgerentscheide negiert und die Volksinitiative gegen Zwangseingemeindungen missachtet, darf nicht fortgeführt werden.

(Beifall bei der PDS)

Deshalb unterbreiten wir als PDS-Fraktion unseren Entschließungsantrag, mit dem die sechs Gesetzentwürfe insgesamt abgelehnt werden.

Die den Gesetzentwürfen zugrunde liegenden Grundannahmen und Prognoseentscheidungen müssen kritisch überdacht werden. Ein ernster Appell hierzu ist unser Entschließungsantrag. Verstehen Sie ihn als eine Möglichkeit, diese Gemeindegebietsreform zu stoppen. Noch kann zu den verständigen Grundsätzen einer auf Freiwilligkeit beruhenden, den Bürgerwillen achtenden Gebietsreform zurückgekehrt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, seien Sie wegen dieser Aufforderung nicht entrüstet. Dies ist ein Appell an eine der wesentlichen Fähigkeiten von uns denkenden Menschen - die Fähigkeit zur besseren Einsicht. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke dem Abgeordneten Sarrach und gebe das Wort an Herrn Abgeordneten Schippel. Er spricht für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Landtag Brandenburg befasst sich heute abschließend mit einer Thematik, die uns alle - Parlamentarier, Medien und Bürger - über einen langen Zeitraum beschäftigt hat, einen Zeitraum, der sich nicht in Wochen oder Monaten, sondern in Jahren bemisst. Dieser Prozess - das wissen wir alle - war äußerst emotionsbeladen. Dies kann bei einer Reform der Gemeindestruktur und der Gemeindegebiete nicht anders sein, sollte aber nicht so weit gehen, Herr Sarrach, dass Sie Abgeordneten unterstellen, sie würden falsch zitieren. Ich war Mitglied der Enquetekommission. Lesen Sie den Bericht! Sie waren zu dieser Zeit nicht dort und hätten sich an den Bericht halten sollen. Damit wären Sie besser gefahren.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU - Widerspruch bei der PDS)