Protokoll der Sitzung vom 05.03.2003

Die Empfehlungen - das unterschlagen Sie von SPD und CDU immer - sahen eine Reform vor, die auch den kleinen Gemeinden eine Chance zum Erhalt ihrer Selbstständigkeit geben sollte. Dafür sollte das Amtsmodell qualitativ weiterentwickelt werden.

Was hat die Enquetekommission zu dieser Auffassung geführt? - Es war das Land Brandenburg in seiner Besonderheit als Flächenland. Die spezifischen gemeindlichen Identitäten, das zu schützende Selbstverständnis der kleineren, weit verstreuten Dörfer in großen Teilen unseres Landes, das besondere brandenburgische Verständnis für Heimat und Lebensmittelpunkt - all das ist es doch, was sich in dem Begriff Flächenstaat ausdrückt. Diese spezifisch brandenburgischen Besonderheiten weitgehend zu bewahren sollte auch heute noch unser Auftrag sein.

Die damalige Zielstellung der Enquetekommission entsprach nämlich gleichzeitig den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Darin unterschied sie sich vorbildlich von jenem Leitbild, das den heutigen Gesetzentwürfen zugrunde liegt, nämlich Gemeinden flächendeckend zwangsweise zusammenzuschließen. Das Landesverfassungsgericht Brandenburg hat in der QuappendorfEntscheidung deutlich herausgearbeitet, worin der Schutzbereich kommunaler Selbstverwaltung besteht:

„Die kommunale Selbstverwaltung hat nicht nur die Daseinsvorsorge der Bürger im Blick, sondern dient auch dazu, die Bürger zu integrieren, den Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl (- Heimat -) zu vermitteln und damit die Grundlagen der Demokratie zu stärken.“

Im Jahre 1999 war der Landtag also auf dem Weg, die Vorgaben des Landesverfassungsgerichts zu erfüllen. Lassen Sie uns auf diesen Weg zurückkehren und hören Sie bitte damit auf, Prof. Schumann, unseren Vertreter in der Enquetekommission, immer wieder zum Kronzeugen Ihrer Reform zu machen!

(Vereinzelt Beifall bei PDS)

Das ist ungehörig und das ist falsch.

Die nun vorliegende flächendeckende Gemeindegebietsreform ist mit Blick auf die Verhältnisse im Land Brandenburg unangemessen. Die Leitlinien der Landesregierung vom Juli 2000 sowie das in den Gesetzentwürfen enthaltene Leitbild des Gesetzgebers und auch die konkreten Neugliederungsvorschläge sind nicht geeignet, dem verfassungsrechtlich gebotenen Reformziel zu entsprechen. Schließlich bezwecken die Gesetzentwürfe doch nur eine radikale Reduzierung der Anzahl kleiner Gemeinden und geben den amtsfreien Gemeinden einen eindeutigen Vorrang vor dem Modell des Amtes. Sie wollen zwei Drittel aller Gemeinden und zwei Drittel aller Ämter abschaffen.

Vielleicht bewirken Sie damit sogar eine finanzielle Stärkung der neuen Kommunen in einem geringen Maß. In jedem Fall aber verlieren wir bürgerschaftliches Engagement, Bereitschaft zur Ausübung von Ehrenämtern und bewirken einen massiven Verlust örtlicher Identität. Bevor Herr Schönbohm Minister wurde, teilte er diese Auffassung wohl auch. Vor Bürgermeistern sagte er 1999, dass wir nicht zu viel, sondern zu wenig Ehrenamt haben.

„Wenn wir eine Wurzel abschneiden, dann verdörren wir noch mehr. Unser Land lebt von dem Engagement der Bürger.“

Das sagten Sie damals. - Weshalb dann diese Reform, Herr Schönbohm?

Effizient ist eine Gemeinde doch, wenn sie sich bei guter Finanzsituation auf ein hohes Maß an bürgerschaftlicher Mitwirkung stützen kann und eine bürgernahe Verwaltung bietet. Anders betrachtet: Eine bürgerferne Verwaltung, der bei der Erfüllung ihrer Aufgaben kaum noch ehrenamtliches Engagement zur Seite gestellt ist, ist selbst bei bester Finanzausstattung immer ineffektiv; denn sie geht an den Grundprinzipien kommunaler Selbstverwaltung vorbei.

Auch deshalb lehnen wir die Gesetzentwürfe ab und unterstützen den Antrag mehrerer Abgeordneter zu Cottbus und Neuhausen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke dem Abgeordneten Sarrach und gebe für die Fraktion der SPD dem Abgeordneten Dr. Kallenbach das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu den Säulen eines demokratisch verfassten Gemeinwesens gehört die politische Auseinandersetzung zwischen Bürgern und ihren gewählten Abgeordneten. Sie kann sachlich, aber auch leiden

schaftlich sein, sollte aber immer argumentativ, respektvoll und in gegenseitiger Toleranz geführt werden.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Bei der emotionsgeladenen und konfliktreichen Diskussion um die Eingemeindung der Gemeinden Kiekebusch, Groß Gaglow und Gallinchen in die kreisfreie Stadt Cottbus bestand allerdings schon früh der Eindruck, dass sachliche Argumente kaum noch Gehör fanden und Respekt und Toleranz auf der Strecke zu bleiben drohten.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Enkelmann [PDS])

Wie in der gesamten Auseinandersetzung um die Gemeindegebietsreform war auch hier immer wieder von schweren Erschütterungen des Demokratieverständnisses der betroffenen Bürgerinnen und Bürger die Rede. Die Einwohner der betroffenen Gemeinden haben ihre Meinung deutlich zum Ausdruck gebracht; sie haben ihre demokratischen Rechte in Anspruch genommen, dafür oder dagegen zu stimmen; sie sind fordernd auf die Straße gegangen. Mit Voltaire möchte ich sagen: Ich bin nicht einverstanden mit dem, was sie sagen, aber ich würde bis zum Äußersten dafür kämpfen, dass sie es dürfen.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und CDU)

Es muss in einer Demokratie möglich sein, am Eigenwohl orientierte Positionen zu vertreten und sie argumentativ zu begründen. Das kann und darf die Pflicht des Gesetzgebers, zukunftsorientierte Modelle der Neugliederung zu finden, wie sie in den Leitlinien zum Ausdruck kommen, aber nicht blockieren. Wer das akzeptiert, wird anerkennen, dass die Eingemeindungen in Cottbus genau diesem Anspruch auf Leitlinienkonformität entsprechen.

Das Gleiche gilt zwar auch für die Bildung einer amtsfreien Gemeinde Neuhausen/Spree unter Einschluss von Groß Gaglow, Kiekebusch und Gallinchen. Zwischen diesen drei Gemeinden und der Stadt Cottbus bestehen jedoch starke naturräumliche, bauliche, infrastrukturelle, kulturelle und verkehrliche Verflechtungen, die folgerichtig bei einem Anschluss an Cottbus zur Stärkung des Oberzentrums führen werden.

(Zuruf von der PDS: Das bestreiten die Bürger!)

In jedem einzelnen Fall der Gemeindegebietsreform geht es um Prioritäten. Bei jeder Entscheidung müssen alle Faktoren berücksichtigt werden. Das potenzielle Risiko einer ökonomischen Schwächung der zu bildenden amtsfreien Gemeinde Neuhausen/Spree und damit des Spree-Neiße-Kreises hat die Entscheidung pro Cottbus nicht einfach gemacht. Gegenwärtig ist die Beschlussfassung der Eingemeindung von Kiekebusch, Groß Gaglow und Gallinchen in Cottbus bei allen zu berücksichtigenden Faktoren jedoch die einzig richtige und zukunftsorientierte Entscheidung.

Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke dem Abgeordneten Kallenbach. - Ich gebe jetzt das Wort an die Fraktion der DVU, an den Abgeordneten Claus.

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Nach dem Zweiten Gesetzentwurf der Landesregierung sollen die Gemeinden Groß Gaglow, Gallinchen und Kiekebusch in die Stadt Cottbus eingegliedert werden. Um das Ergebnis meiner Ausführungen gleich vorwegzunehmen: Die DVU-Fraktion lehnt diesen Gesetzentwurf ab. Wir haben hierzu bereits einen eigenen Antrag im Ausschuss für Inneres vorgelegt, der inhaltlich dem hier im Plenum zur Abstimmung gestellten Änderungsantrag entspricht. Dieser sieht vor, aus dem bisherigen Amt Neuhausen/Spree unter Einschluss der drei Gemeinden Groß Gaglow, Gallinchen und Kiekebusch die amtsfreie Gemeinde Neuhausen/Spree zu bilden. Das entspricht im Übrigen auch dem Bürgerwillen.

Ich möchte die Gelegenheit hier nutzen und zunächst einige Vorbemerkungen zur so genannten Stadt-Umland-Problematik machen. Davon hängt die Entscheidung über die Neugliederung unmittelbar ab.

Nach den eigenen Leitlinien der Landesregierung soll die Eingliederung von Umlandgemeinden in Zentralorte der Städte erfolgen, wenn erstens eine enge bauliche Verflechtung besteht oder in absehbarer Zeit zu erwarten ist, wenn zweitens die Entwicklung einer Stadt die Erweiterung ihres Gebietes erfordert, wenn drittens die gemeinsame Erledigung einer Mehrzahl von Verwaltungsaufgaben erforderlich ist oder wenn viertens ansonsten eine dauerhafte Leistungsfähigkeit nicht gesichert werden kann und ein Zusammenschluss unter Umlandgemeinden nicht sinnvoll ist. Diese vier Punkte dürfen aber nicht der Beliebigkeit Tür und Tor öffnen. Sie bedürfen nach Auffassung der DVU-Fraktion der Ergänzung.

In den Gesetzentwürfen werden offenbar Stadt-Umland-Problematik und Stadt-Umland-Beziehungen verwechselt. Von StadtUmland-Problematik kann unseres Erachtens nur dort gesprochen werden, wo sich im Einzelfall Verflechtungen ergeben, die über das typische Maß von Stadt-Umland-Beziehungen deutlich hinausgehen. Alles andere würde bei konsequenter Anwendung dazu führen, dass man halb Brandenburg in Berlin eingliedern müsste.

Zum Zweiten Gesetzentwurf der Landesregierung im Einzelnen. Nach diesem Gesetzentwurf sollen die Gemeinden Groß Gaglow, Gallinchen und Kiekebusch gegen ihren Willen in die Stadt Cottbus eingegliedert werden.

Das Amt Neuhausen/Spree soll amtsfrei werden und würde durch den Verlust der eben genannten drei Gemeinden rund 40 % seiner Einwohner, ca. 50 % seiner Leistungskraft und rund 70 % seiner Arbeitsplätze verlieren. Es hätte nur noch rund 6 500 Einwohner.

Hauptgrund für die DVU-Fraktion ist, dass zwischen der Stadt Cottbus und den drei Gemeinden eine Stadt-Umland-Beziehung, die über das Maß typischer Stadt-Umland-Beziehungen hinausgeht und die Eingliederung notwendig macht, nicht besteht. Es kann hier nicht von einer engeren baulichen Verflechtung gesprochen werden.

(Zuruf des Abgeordneten Petke [CDU])

Dazu reicht es nach Ansicht der DVU nicht aus, dass eine gewisse räumliche Nähe besteht. Die Bebauung muss auch eine

wesentliche einheitliche Struktur aufweisen. Davon kann hier nun wirklich nicht die Rede sein.

Auf dem angrenzenden Gebiet im Süden der Stadt Cottbus befindet sich die größte Plattenbausiedlung Brandenburgs mit rund 20 000 Wohnungen. In den Gemeinden finden wir nahezu ausschließlich Einfamilienhäuser und alte dörfliche Ortskerne.

(Zuruf der Abgeordneten Konzack [SPD])

- Sie waren doch dort.

Zudem sehen wir auch, dass die Gewerbe- und Bevölkerungsentwicklung in den drei Gemeinden einseitig zulasten der Stadt Cottbus geht. Bei den dortigen Gewerbeansiedlungen handelt es sich zumeist um solche Gewerbe, die sich in der Region völlig neu angesiedelt haben. Die Betreiber des dort ansässigen Einkaufszentrums „Lausitzpark Cottbus“ und des Großkinos wurden überdies vor ihrer Ansiedlung auf dem Gemeindegebiet der Stadt Cottbus vergeblich vorstellig. Zudem liegen beide, Einkaufszentrum und Kino, in unmittelbarer Autobahnnähe, sind von überall her erreichbar und haben für die gemeinsame SpreeNeiße-Region gleichermaßen Bedeutung.

Ihre Ansiedlung in Nachbarschaft zur Autobahn ist überdies eine geradezu typische Situation von Stadt-Umland-Beziehungen in der Nähe von größeren Städten. Wollte man schon daraus eine Stadt-Umland-Problematik ableiten, müssten alle südlich an Berlin grenzenden Gemeinden Brandenburgs, in denen sich große Gewerbeparks etabliert haben, nach Berlin eingegliedert werden; denn das ist das gleiche Problem. Das aber will offensichtlich niemand, auch nicht die Landesregierung. Deshalb halten wir den Gesetzentwurf obendrein für inkonsequent. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter Claus. - Ich gebe das Wort an die Fraktion der CDU, Herrn Abgeordneten Petke.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Überall dort, wo die Gemeindereform Gebiete betrifft, die an eine kreisfreie Stadt grenzen, ist das Phänomen zu verzeichnen, dass die Bürgerinnen und Bürger, die Einwohner der betroffenen Gemeinden, in besonderer Weise von der Sorge, in ein weitaus größeres Gebilde eingegliedert zu werden, und von den damit verbundenen Befürchtungen betroffen sind, was die Frage der Identität, die Frage des politischen Mitgestaltens betrifft.

Deswegen haben wir, die Koalitionsfraktionen, uns bereits beim Gemeindereformgesetz Gedanken darüber gemacht, wie wir die Rechte der Ortsteile, wie wir die Rechte der Ortsbürgermeister stärken können, wie wir dort nicht nur Rederecht und Fragerecht einführen, sondern auch tatsächlich die Möglichkeit eröffnen können, Entscheidungsrechte wahrzunehmen.

(Zuruf des Abgeordneten Sarrach [PDS])

Auf diese Möglichkeiten, die bundesweit noch nicht in die Kommunalverfassungen eingeführt worden sind und für die

Brandenburg eindeutig Vorreiter ist, möchte ich am Beginn dieser Debatte ausdrücklich hinweisen.