Protokoll der Sitzung vom 09.04.2003

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Fechner. - Wünscht die Landesregierung das Wort? - Bitte schön, Herr Minister Reiche.

Frei nach dem Motto Kästners „Tue Gutes und sprich darüber“ will ich gern die Chance nutzen, Ihnen noch einmal die Situation des Schulressourcenkonzepts zu verdeutlichen.

(Vereinzelt Unmut bei der CDU)

Diese Chance sollte man einfach ergreifen.

Liebe Frau Große, der Antrag ist mehrfach intensiv diskutiert worden und die Frage ist nicht nach dem Wie zu stellen, sondern danach, wofür wir die sinkenden Schülerzahlen nutzen wollen. Nun haben Sie eben einige Angebote unterbreitet, wobei mir das ein bisschen vorkommt wie bei den Ostfriesen, die 30 Meter breite Busse mit nur einem Meter Tiefe haben, weil alle in der ersten Reihe sitzen wollen.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Man kann Prioritätensetzung nicht so betreiben, wie Sie es vorgeschlagen haben. Noch dazu können Sie nicht versuchen, aus der Opposition in Brandenburg heraus das zu erreichen, was Sie in den Regierungen von Mecklenburg-Vorpommern und Berlin aus mir nachvollziehbaren Gründen auch nicht erreichen.

Insofern: Unser Schulressourcenkonzept, das wir in der Landesregierung beschlossen haben - diesbezüglich war Ihre Aussage nicht zutreffend, Frau Große -, ist für die Landesregierung verbindlich. Die Landesregierung hat sich mit diesem Beschluss selbst gebunden. Wenn der Landtag als Haushaltsgesetzgeber das Gleiche tun will, kann er dies gern tun; wir werden ihm da nicht in die Parade fahren. Nur war es bisher - zumindest in den zwölf Jahren, in denen ich im Parlament bin - immer so, dass der Landtag eher noch etwas auf die Beschlüsse der Landesregierung draufgelegt hat, also nie ernsthaft die Sorge bestehen musste, dass der Landtag Vorschläge der Landesregierung erheblich kürzt. Von daher, glaube ich, reicht es völlig, wenn sich die Landesregierung bindet.

Das Schulressourcenkonzept wird eine Verbesserung der Schüler-Lehrer-Relation in den nächsten Jahren mit sich bringen. Wir haben auch Vorschläge unterbreitet, wofür wir sie nutzen wollen, zum Beispiel für die Einrichtung von flexiblen Eingangsstufen, für die Verbesserung der Schüler-Lehrer-Relation, in vielen Schulen für den Erhalt von Schulstandorten im ländlichen Raum, dadurch, dass wir an 10 bis 15 Standorten auch die zwei mal 15 Schüler zulassen wollen, für die Verbesserung der Abminderungsstundenpools in den Schulen, um auf diese Weise die Selbstständigkeit von Schulen zu erhöhen, und anderes mehr.

Wir können im Ausschuss gern darüber diskutieren, welche Prioritätensetzung der Landtag bzw. der Ausschuss uns statt der bisher vorgeschlagenen vorgibt. Ich bin gern bereit, ein solches Konzept umzusetzen. Jedoch statt der Verbesserung im Vergleich zur bundesdurchschnittlichen Schüler-Lehrer-Relation von 18 Schülern pro Lehrer - wir liegen jetzt schon unter 16,

werden unter 15 kommen - eine weitere um einen Schüler pro Lehrer zu verlangen wird nicht möglich sein.

Wir können über das von mir Vorgeschlagene hinaus noch einiges erreichen. Dazu müssen wir aber in diesem und im nächsten Schuljahr konsequent sein, was die Schulentwicklungsplanung betrifft. Wir werden gleich einen Antrag von Ihnen diskutieren, anhand dessen Sie uns die ganze Ernsthaftigkeit der Schulentwicklungsplanung demonstrieren. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke Ihnen, Herr Minister Reiche. - Wir sind damit am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt angelangt und ich kann feststellen, dass Sie den Zwischenbericht des Ausschusses für Bildung, Jugend und Sport, der Ihnen in Drucksache 3/5602 vorliegt, zur Kenntnis genommen haben.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 13 und rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

Erhalt von Schulen im ländlichen Raum

Antrag der Fraktion der PDS

Drucksache 3/5530

Ich eröffne diesen Tagesordnungspunkt mit dem Beitrag der Fraktion der PDS. Frau Abgeordnete Große, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich möchte meine Ausführungen mit Zitaten aus dem Schulentwicklungsplan des Landkreises Prignitz beginnen. Dies ist exemplarisch gemeint und trifft in der Grundaussage auf alle Kreise im äußeren Entwicklungsraum in ähnlicher Weise zu.

Der Entwurf wurde zunächst vom Landkreis als Träger der pflichtigen Selbstverwaltungsaufgabe wieder zurückgezogen, weil der Mut fehlte, die verheerenden Wahrheiten zu verkünden. Durch das MBJS zu standortscharfen Entscheidungen aufgefordert, ist dann ein überarbeiteter Entwurf eingebracht worden. Im Teil 6.3.4. - Voraussichtliche Entwicklung der Sekundarstufe I, Schulen im ländlichen Raum - liest man nun Folgendes:

„Die Gesamtschule Lenzen ist zum Schuljahresende 2003/04 zu schließen. Die Gesamtschule Bad Wilsnack ist zum Schuljahresende 2004/05 zu schließen. Die Gesamtschule Kunow ist zum Schuljahresende 2004/05 zu schließen. Die Gesamtschule Karstädt ist zum Schuljahresende 2005/06 zu schließen. Die Gesamtschule Glöwen ist zum Schuljahresende 2006/07 zu schließen. Die Realschule Berge ist zum Schuljahresende 2006/07 zu schließen. Die Gesamtschule Meyenburg ist zum Schuljahresende 2005/06 zu schließen. Die Gesamtschule Putlitz ist zum Schuljahresende 2005/06 zu schließen.“

Die gruselige Liste betrifft ab 2006 alle weiterführenden Schulen im ländlichen Raum des Kreises Prignitz. Ab 2006 wird es demnach nur noch in den Städten Perleberg, Pritzwalk und Wittenberge weiterführende Schulen geben.

In einer wiederum überarbeiteten Vorlage werden die Standorte Meyenburg und Bad Wilsnack zumindest als möglicherweise zu erhaltende definiert.

Inzwischen haben die Realitäten den Schulentwicklungsplan eingeholt. So wird immer dann, wenn Eltern und Schüler verunsichert sind, eine nicht mehr steuerbare Eigendynamik zu unerwarteten Veränderungen im Wahlverhalten der Schüler und Eltern führen. Es ist nun also die Gesamtschule Putlitz, die schon in diesem Schuljahr, in dem noch laufenden Ü-7-Verfahren nur neun Erstwünsche zu verzeichnen hat. Lenzen und Kunow haben erwartungsgemäß keine 40 Schüler zusammenbekommen. Alle anderen zur Schließung anstehenden Schulen können sich durch die Zuweisungsentscheidungen des staatlichen Schulamtes wahrscheinlich noch für ein Jahr retten. Aber was dann?

Wir gehen davon aus, dass von den gefährdeten Standorten bei Annahme unseres Antrages mindestens zwei Schulen erhalten werden könnten, eine im Norden und eine im Süden des Kreises. Dies entspricht auch der Forderung der Teilnehmer der bildungspolitischen Konferenz, die Ihnen, Herr Präsident, im Beisein von Minister Reiche im März vom Landrat, Herrn Lange, übergeben wurde. Wäre man auf unsere früheren Forderungen eingegangen, gäbe es auch in Ausnahmefällen einzügige Standorte oder Kooperationen zwischen verschiedenen Standorten, womit sich wiederum Schulen erhalten ließen. Dies war aber politisch nicht gewollt. Die Spätfolgen dieser aus unserer Sicht falschen Entscheidung werden in den Landkreisen des äußeren Entwicklungsraumes deutlich zu spüren sein.

Weiterführende Schulen als kulturelle Zentren wird es nicht mehr geben. Die Identifikation mit der Schule und dem Ort wird erheblich nachlassen. Die Zusammenarbeit mit den Eltern wird erschwert. Wenn man den anstehenden Paradigmenwechsel bezogen auf die Finanzierung des Schülerverkehrs bedenkt, kommt es schon einer Bestrafung der Eltern, Schüler und des Landkreises, möglicherweise auch des ÖPNV, gleich. Wie soll so Abwanderung aufgehalten werden? Wie wollen wir angesichts dieser sich abzeichnenden Entwicklung dem entgehen, was in der EU-Sprache als schrumpfende Regionen bezeichnet wird? Das Bild trifft die Lage gut, impliziert es doch irgendwie Austrocknen und Verwesen.

Dann gibt es noch etwas: Wir haben auch im ländlichen Raum unsere kleinen finnischen Inseln. Ich denke zum Beispiel an die Gesamtschule mit Grundschulteil in Glöwen. An dieser Schule gehen 100 % der Kinder aus der Grundschule in die weiterführende Gesamtschule, die eine Ganztagsschule mit breitem Integrationsangebot ist. 56 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden dort auf wunderbare Weise integriert. Der Unterricht ist offen, projektorientiert, das Kollegium relativ jung, hoch motiviert. Ein anspruchsvolles Schulprogramm ist über Jahre gewachsen, auch als der Standort noch nicht in Gefahr schien. Die Schule ist in ausgezeichnetem baulichem Zustand und liebevoll modern ausgestaltet. Das alles lässt sich nicht einfach in eine andere Schule verpflanzen. Sicher, die Lehrer sind relativ abgesichert, die pädagogische Philosophie aber würde zerstört werden; denn Glöwen ist kein Grundzen

trum und fiele damit auch nicht unter die neuen Schulen, denen es eventuell ermöglicht würde, auch mit 30 Schülern in zwei Klassen ab 2004/05 bestehen zu bleiben. Genau darum geht es in unserem Antrag.

Von den 184 bedrohten Schulstandorten befinden sich allein 150 im ländlichen Raum. Auch die PDS-Fraktion ist nicht so blauäugig zu glauben, dass mit dem vorliegenden Antrag alle diese Standorte zu erhalten wären. Dennoch meinen wir, dass die Absenkung der Mindestklassenfrequenzen eine Chance für viele Standorte bedeuten könnte. Die Landesregierung lehnt es aus finanziellen Gründen ab und maßt sich an, auch im Namen der Schulträger zu sprechen. Diese aber signalisieren in der Regel sehr deutlich, den Standort erhalten zu wollen. Die Schulträger sind dafür in hohem Maße in Vorleistung gegangen und haben attraktive Standorte errichtet, saniert und gut ausgestattet. Das war gut für die Schüler, die bisher davon profitierten. Wirtschaftlich ist das für die Zukunft gesehen eine Katastrophe.

Herr Seitz kommt in seinem Benchmarkingreport bezüglich der demographischen Wellenbewegung und deren schwierigen Anpassungsprozessen im Bildungsbereich zu folgender interessanter Aussage. Ich zitiere von Seite 109:

„Da man Schulen nicht im Zyklus von 15 Jahren bauen und wieder schließen kann und auch im Lehrerbereich keine Hire-and-Fire-Politik möglich ist, müssen hier langfristige Konzepte erarbeitet werden, die einen Zeithorizont von mindestens 15 und sogar bis 30 Jahren haben, um den nachfolgenden Generationen die Anpassung an diese Bewegung zu erleichtern.“

Weiter unten kommt Herr Seitz dann zu der entscheidenden Schlussfolgerung, durch die auch unser Antrag legitimiert wird:

„Insbesondere in den dünner besiedelten ländlichen Räumen und in der Regel auch in wirtschaftlich sehr schwachen Regionen des Landes werden die Schülerzahlen und damit auch der Bedarf an Schulgebäuden deutlich stärker sinken als in den dichter besiedelten Regionen. Hierbei kann nur in bedingtem Umfang eine Ausdünnung der Schulstrukturen im ländlichen Raum erfolgen, da der Schülertransport nur begrenzt das Fehlen einer örtlichen Schulversorgung kompensieren kann, wenn die Schulwege bestimmte Schwellenwerte nicht übersteigen sollen. Das wird dazu führen, dass die Standards (Klassenstärke) in dünner besiedelten Räumen niedriger angelegt werden müssen als in den dichter besiedelten Regionen.“

Recht hat er. Sie sollten daher unserem Antrag zustimmen. Noch ist es nicht ganz zu spät. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Große. - Ich gebe das Wort an die Fraktion der SPD, Herrn Abgeordneten Zimmermann. Frau Siebke, Sie bekommen gern das Wort, aber ich muss feststellen, dass die Parlamentarischen Geschäftsführer auch nicht mehr das sind, was sie einmal waren.

Bei mir steht als Redner der Abgeordnete Zimmermann. - Bitte schön, Frau Siebke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will Ihrem Urteil über die Parlamentarischen Geschäftsführer nichts weiter hinzufügen und mich meinem Thema widmen.

(Zuruf von der SPD: Das ist ja noch schlimmer! - Zuruf des Abgeordneten Klein [SPD])

Der Standpunkt der Landesregierung zu dieser Problematik liegt uns seit der Stellungnahme zum Bericht der so genannten Wunder-Kommission vor, die sich mit der Schulentwicklung in den Sekundarstufen I und II im ländlichen Raum befasst hat. Unter anderem kam die Kommission zu der Aussage, dass es sinnvoll sei, im ländlichen Raum bzw. im äußeren Entwicklungsraum, wie man auch sagen kann, bei der Zweizügigkeit weiterführender Schulen zu bleiben und an der Mindestzahl von 20 Schülern festzuhalten. Die Kommission schlug vor, dass man in Grundzentren von dieser Schülerzahl abweichen könnte und Klassen mit 15 Schülern bilden sollte. Dem ist die Landesregierung gefolgt. Wir als SPD-Fraktion teilen diese Ansicht.

Sie wollen darüber hinaus auch anderen Schulen ermöglichen, Klassen mit 15 Schülern zu bilden. Gleichzeitig schreiben Sie aber in Ihrer Begründung, dass infolge der vorgesehenen Maßnahmen an den Grundzentren nicht einmal überall Klassen mit 15 Schülern entstehen werden. Das sehen wir genauso. Es ergibt sich für uns darüber hinaus die Frage, wie uns das bei den Schulen, die außerhalb von Grundzentren liegen, gelingen soll, da deren Einzugsbereich noch geringer ist. Aus meiner Sicht ist das, was von Ihnen gefordert wird, sehr unrealistisch.

(Frau Osten [PDS]: Was ist daran unrealistisch?)

Zum Zweiten: Wenn ich Schulen außerhalb der Grundzentren erhalte, dann kann ich nicht mehr garantieren, dass die Schülerzahlen an den Grundzentren erreicht werden. Wir haben das im Vorfeld sehr genau durchgerechnet und sind zu diesem Ergebnis gekommen.

Ferner meinen wir, dass wir die für die Schule zur Verfügung stehenden Ressourcen - wir hatten im vorigen Tagesordnungspunkt bereits dieses Thema - nutzen wollen, um Schule in so guter Qualität wie möglich zu organisieren. Denn Schule ist in erster Linie für die Schüler da. Dieser Grundsatz gilt vor der Standortsicherung. Ich will eine Schule mit guter Qualität haben, in der die Schüler-Lehrer-Relation stimmt und in der man bestimmte Angebote hat.

(Frau Osten [PDS]: Kennen Sie die Schulen im ländlichen Raum?)

Das ist mir wichtiger, als Schulen an jedem nur irgend möglichen Standort zu schaffen oder zu erhalten. Ich sehe die Problematik, aber ich denke, man muss sich entscheiden, zumal Ihre Rechnung, Schulstandorte mit einer zu geringen Schülerzahl zu

erhalten, nicht aufgehen wird. Sie malen ein optimistisches Bild, das so nicht eintreten kann. - Danke.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Siebke. - Ich gebe das Wort an die Fraktion der DVU, Frau Abgeordnete Fechner.