Protokoll der Sitzung vom 10.04.2003

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Haben Sie ein Problem da- mit?)

- Nein, eben nicht. Sie? - Gut. Ich wollte nur sagen: Es ist vermutlich sehr gruppendynamisch und „rund am Tisch“. - Wenn Sie diese Gespräche führen, dann sagen Sie doch auch einmal, wie wir mit der Herausforderung fertig werden, die Ausgaben an die Mittel anzupassen, die wir zur Verfügung haben. Das macht jede Hausfrau, das macht jeder Hausvater, und das müssen auch wir als Landesregierung machen. Sie als Parlament bitten wir dabei um Unterstützung.

(Zurufe von der PDS)

Die finanziellen Rahmenbedingungen des Landes und der Kommunen werden sich also in Zukunft nicht verbessern. Wir müssen uns, wenn wir in längerfristigen Dimensionen denken, darüber im Klaren sein, dass es hinsichtlich der Solidarpaktmittel zu einer Degression kommen wird und dass diese Mittel im Jahre 2019 auslaufen werden.

Daher bitte ich Sie, dem Vorschlag der Landesregierung zu folgen und den Gesetzentwurf an den Ausschuss für Inneres zu überweisen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke sehr. - Nunmehr geht das Wort an die PDS. Das Wort hat der Abgeordnete Domres.

Herr Präsident, wir haben uns geeinigt. Ich danke meinem Kollegen Domres, dass ich die vom ihm vorbereitete Rede mit vortragen darf.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit markigen Sätzen wurde das nun dem Landtag vorgelegte Gesetz zur Entlastung der Kommunen angekündigt. Aus der CDU-Fraktion war zu hören:

„Wir müssen dafür sorgen, dass die Gemeinden von pflichtigen Aufgaben entlastet werden. Gemeinden und Land müssen sich auf ihre ureigenen Kernaufgaben und die Zukunftsvorsorge konzentrieren.“

Mit dem Entlastungsgesetz wollte die Koalition die Pflichtaufgaben der Kommunen verringern und den Kommunen mehr Handlungsspielräume geben. Der Landtag und die Kommunen sollten das Entlastungsgesetz als Chance sehen, Aufgaben zu reduzieren, Verwaltung abzubauen und damit Bürokratie zu verringern. Weiterhin sollten die Kürzungen für die Kommunen von mehr als 140 Millionen Euro innerhalb des schon beschlossenen Gemeindefinanzierungsgesetzes kompensiert, den Kommunen also finanzielle Entlastung gebracht werden.

Ich frage mich, wann Sie dieses Gesetz mit diesen Zielen einbringen. Das jetzt vorgelegte entspricht dem mit Sicherheit nicht; denn alle Ziele werden nicht einmal ansatzweise erreicht bzw. deutlich verfehlt. Der Gesetzentwurf verspricht weitaus mehr, als er hält. Ich kann die 140 Millionen Euro Einsparungen nicht erkennen, noch viel weniger angesichts der Forderung der kommunalen Spitzenverbände, dass die Entlastungen im Gleichklang mit den Kürzungen wirksam werden sollen.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Im Wesentlichen sollen die Einsparungen durch Änderungen des Kita-Gesetzes, des Schulgesetzes und des Weiterbildungsgesetzes möglich gemacht werden. All diese Änderungen sind mit einem realen Leistungsabbau verbunden, den die Betroffenen zu spüren bekommen werden und für den die Kommunen geradestehen müssen.

Sie wissen doch selbst, dass man weder pädagogische noch soziale Fachfragen im Rahmen von Haushaltsstrukturdebatten ernsthaft klären kann. Wenn es dann in der Begründung zum Gesetzentwurf heißt, dass keine Kommune gehindert sei, über das vorgeschriebene, jetzt aber deutlich reduzierte Niveau hinauszugehen, wird die Verantwortung für die Verschlechterung auf die kommunale Ebene abgeschoben. Diesen Grundzug des Gesetzentwurfs, der im Übrigen in sich unlogisch ist, halte ich

für eine Frechheit gegenüber den Kommunen. Er ist an Zynismus kaum zu überbieten.

(Beifall bei der PDS)

Das vorgelegte Gesetz jedenfalls entspricht nicht Ihren Ankündigungen und verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet es sowieso. Ich stelle fest, dass an kaum einer Stelle in diesem Gesetz der von der Koalition angekündigte spürbare Beitrag zur Entlastung der Kommunen durch den Abbau von Normen, Standards und unnötigen Verwaltungsvorschriften zu finden ist, und ich frage mich, an welcher Stelle die kommunale Selbstverwaltung gestärkt wird. Was wollen Sie zum Beispiel real mit dem Verzicht auf die Unterschrift der Vorsitzenden der Gemeindevertretung unter Satzungen und ordnungsrechtliche Vorschriften einsparen, ebenso mit den Veränderungen bei der ausschließlichen Kompetenz der Vertretung gemäß § 35 Abs. 2 der Gemeindeordnung?

Indem Sie durch eine Änderung des § 23 Abs. 2 die Einwohnergrenze für hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte von 10 000 auf 30 000 erhöhen, weisen Sie die Kommunen auf die Verzichtbarkeit dieser Funktion hin. Wollen Sie damit signalisieren, dass die Gleichstellungsproblematik an Bedeutung verloren hat? Deshalb ist es auch scheinheilig, wenn Sie auf die Möglichkeit verweisen, dass Kommunen, die unter der neuen Einwohnergrenze liegen, weiter hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte bestellen können, wenn sie es für erforderlich halten. So etwas werden sich dann nur noch reiche Gemeinden leisten können. Aber die gibt es bei uns bekanntlich nicht.

Dies ist also ein mehr als zweifelhafter Vorschlag; denn Sie stellen damit die in § 23 der Gemeindeordnung genannten Beauftragten generell infrage. Bereits bisher war es den Kommunen möglich, weniger Beigeordnete zu wählen, als in der Gemeinde- und Landkreisordnung genannt werden. Insofern ist diese Reduzierung eine nur vorgetäuschte Einsparung.

In den vergangenen Tagen hatte unter anderen mein Kollege Domres einige Gespräche mit Bürgermeistern, Amtsdirektoren und Kämmerern gerade zu diesem Gesetz. Bei all diesen Gesprächen wurde ihm eine große Enttäuschung deutlich: Das ist kein Handlungsrahmen für die Kommunen, solch einen Unsinn sollte man lassen, Personaleinsparungen sind nicht mehr möglich, mit diesem Gesetz werden die Gemeindevertreter weiter demoralisiert, waren nur einige Äußerungen. Das sollten Sie bitte zur Kenntnis nehmen, Herr Innenminister.

Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zur Aufhebung der Kommunalaufwandsentschädigungsverordnung. Wenn ich daran denke, welche Welle die CDU immer wieder mit dieser Verordnung gemacht hat und mit welchem Pathos die leichten Erhöhungen der Aufwandsentschädigungen 2001 verkündet worden sind, dann kann ich diese Aufhebung nur als Herabwürdigung der Kommunalvertreter werten. Die ohnehin nicht üppigen Aufwandsentschädigungen zum Einsparpotenzial zu erklären ist Ausdruck dafür, welche Bedeutung man dem kommunalen ehrenamtlichen Mandat tatsächlich beimisst. Veralbert fühlen müssen sich wahrscheinlich vor allem die künftig zu wählenden Ortsbeiräte und Ortsbürgermeister.

Im Übrigen möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass die Entschädigungsverordnung ohnehin nur Obergrenzen fixiert

hat und die Aufsichtsbehörden immer wieder betont haben, dass die Kommunen unterhalb dieser Festlegung bleiben können. Jetzt müssen sie sogar damit rechnen, dass die entgegengesetzte Wirkung eintritt. Also, was soll das?

Zurück zu Artikel 1, dem Kitagesetz in Ihrem „Landesverantwortungsabwälzungsgesetz“ und Ihrer Milchmädchenrechnung, wonach Sie von der Koalition auf der einen Seite den Kommunen finanziell etwas nehmen und ihnen auf der anderen Seite angeblich als Entlastungsmöglichkeit von gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben und Standards etwas zurückgeben. Ja, das ist eine Milchmädchenrechnung. Das ist bezüglich der Mehrzahl der im Gesetzentwurf genannten pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben mit sozial staatlichem Bezug sogar perfide.

Ministerin Ziegler führte gestern sinngemäß aus, dass mit gezielten Entlastungen von zwingenden Rechtsvorschriften vor Ort mehr Ermessensspielräume eröffnet würden, was wichtig sei, da den Menschen zu viel eigene Verantwortung abgenommen werde und sie dirigiert würden.

Weshalb erreicht man aber allein mit der Umwandlung einer pflichtigen Selbstverwaltungsaufgabe in eine freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe oder einer Standardreduzierung auf Landesebene nicht automatisch die Einsparung, die notwendig ist, um die vom Land bereits weniger zur Verfügung gestellten Mittel vor Ort auszugleichen?

An der Änderung des Kitagesetzes des Jahres 2000, der ersten Reduzierung des Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung, lässt sich aus Sicht der Kommunen gut darstellen, dass die gekürzten Landesmittel eben nicht einfach vor Ort in gleicher Höhe eingespart werden konnten. Es traf erstens glücklicherweise nicht zu, dass nun in dem Maße weniger Betreuungsansprüche zu realisieren waren, als die Landesregierung es vorgab.

Zweitens standen nicht immer freie Träger beliebig für Übertragungen von Einrichtungen zur Verfügung, was auch für Tagespflegestellen galt.

Drittens brachte das ausgeübte Wunsch- und Wahlrecht der Eltern zugunsten einer Betreuung außerhalb der Wohnortgemeinde bei gleichzeitiger Vorhaltungspflicht von Plätzen zusätzliche Kosten mit sich. Auch deshalb wandten sich zwei Kommunen an das Verfassungsgericht und griffen erfolgreich jene Regelungen im Kitagesetz an, die den Gemeinden die Leistungsverpflichtung für die Erfüllung des Rechtsanspruchs anstelle der Kreise aufbürdeten.

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, komme ich an einen Punkt, wo ich diesem Gesetzentwurf und seinen Verfassern bezüglich des Artikels 1, nämlich der Änderung des Kita-Gesetzes, nur noch dreisten Anachronismus vorwerfen kann.

(Homeyer [CDU]: Oh, oh!)

Nicht nur, Herr Homeyer, dass soziale, pädagogische oder Vernunftgründe gegen eine weitere Verschlechterung der Kinderbetreuung sprechen, weil Kitas nicht in Aufbewahrungsstellen verwandelt werden dürfen, weil es neben der Familie auch eine staatliche Verantwortung und einen Erziehungsauftrag gibt, weil Kinder von arbeitslosen Eltern nicht noch mehr ausgegrenzt werden dürfen und weil es kein Erfolg ist, für den man sich

feiern lassen könnte, dass in Brandenburg jetzt nur noch der Rechtsanpruch nach § 24 Satz 1 KJHG,

(Beifall bei der PDS)

also nach Bundesrecht, gewahrt wird und Sie endgültig Artikel 27 Abs. 7 unserer Verfassung entwerten.

(Zuruf von der PDS)

Das Problem ist vermutlich, dass in diesem Landtag zu wenig junge Väter und Mütter sitzen, die selbst Kinder in Einrichtungen betreuen lassen.

(Beifall bei der PDS)

Nein, Sie missachten auch unser Verfassungsgericht, das am 20. März 2003 entschieden hat, dass es verfassungswidrig ist, die Gemeinden zu Leistungsverpflichteten im Kita-Gesetz zu bestimmen mit der Konsequenz, dass das Gesetz spätestens bis zum 31.12.2003 zu überarbeiten ist. Trotzdem werden mit diesem Gesetzentwurf wieder die Gemeinden ausdrücklich zum Adressaten der veränderten Erfüllung des Rechtsanspruchs gemacht, für den sie von Verfassungs wegen nicht verantwortlich sind.

Wieder sollen die Gemeinden entscheiden, ob und und welcher Form und inwieweit sie Angebote für Kinder ohne Rechtsanspruch machen wollen und im Zweifel die Mehrkosten dafür tragen, obwohl diese Anknüpfung an die Leistungsverpflichtung bei der Überarbeitung des Kita-Gesetzes in den nächsten Wochen fallen muss, wenn Sie sich beeilen.

Es sollen Regelungen beschlossen werden, die die Gemeinden in Anspruch nimmt, die nach der eindeutigen Verfassungslage nicht mehr in Anspruch genommen werden können. Das ist höchst bedenklich.

Inhaltlich bedenklich ist auch die Änderung des Schulgesetzes hinsichtlich der Schülerbeförderung, die von uns als PDS abgelehnt wird.

(Beifall bei der PDS)

Es wird angesichts der heute knappen Redezeit in den Ausschussberatungen darauf zurückzukommen sein.

Abschließend möchte ich kurz auf die kommunalverfassungsrechtlichen Änderungsvorschläge eingehen. Herr Domres hatte in dem mir übergebenen Material schon Ansätze fixiert. Einzelne Änderungen könnten durchaus diskussionswürdig sein. Aber die Grundtendenz im Entwurf, die Rechte der kommunalen Volksvertretungen zugunsten einer einseitigen Stärkung der Stellung des kommunalen Hauptverwaltungsbeamten zu beschneiden, findet unsere Kritik.

Besonders ärgert mich jedoch das Stückwerk im Recht der wirtschaftlichen Tätigkeit der Kommunen. Das Innenministerium bekommt es seit Jahren nicht hin, einen Gesetzentwurf zur Novellierung des Kommunalwirtschaftsrechts in den Landtag einzubringen, und strickt nun fleißig an einem Flickenteppich weiter mit.

(Beifall bei der PDS)

Das ist kein großer Wurf.

Der Überweisung stimmen wir als PDS-Fraktion zu, obwohl wir bereits jetzt ankündigen, dass dieser Gesetzentwurf in weiten Teilen von uns abgelehnt werden muss. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)