Protokoll der Sitzung vom 25.06.2003

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Frage der Daseinsvorsorge und deren Umfang wird auch im Land Brandenburg immer intensiver diskutiert. Diese Diskussion beschränkt sich auf die rein fiskalischen Zwänge. Der Diskussionsansatz muss jedoch wesentlich breiter sein.

Es geht auch um die Frage, welche Dienstleistungen von privaten Anbietern erbracht werden sollen und welche Dienstleistungen durch die öffentliche Hand gewährleistet werden müssen. Es ist eine Tatsache, dass infolge der Finanzknappheit Leistungsabbau, Leistungseinschränkungen, die Schließung von öffentlichen Einrichtungen und reduzierte Angebote für die Bürgerinnen und Bürger auf der Tagesordnung stehen. Erst in der vergangenen Sitzung des Landtages musste der Innenminister eine Frage nach der Gefährdung der öffentlichen Daseinsvorsorge aufgrund der angespannten kommunalen Finanzsituation beantworten. Nach seiner Meinung ist sie nicht gefährdet. Die kommunale Finanzsituation lässt aber Schlimmes befürchten.

Die Sorge um die Zukunft und die Substanz der kommunalen Selbstverwaltung und der Daseinvorsorge kann einen schon umtreiben. Es drängt sich die Frage auf, was in 10 oder 15 Jahren sein wird. Das zeigt, wie wichtig es ist, die Diskussion über die Fragen der Daseinsvorsorge nicht nur in einem Bundesland oder in der Bundesrepublik, sondern auch auf europäischer Ebene zu führen.

Mit der Vorlage des Grünbuchs hat die EU-Kommission eine entscheidende Etappe im europäischen Gesetzgebungsprozess für die zukünftige Gestaltung der Daseinsvorsorge eingeleitet. Die Feststellung, dass Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zunehmend wichtiger werden, ist der Ausgangspunkt für

diese Debatte. Die 30 Fragen zur Art der Subsidiarität, zum Rechtsrahmen, zur Festlegung von Gemeinwohlverpflichtungen, zur Finanzierung, zur Evaluierung sowie zur Entwicklungszusammenarbeit spiegeln die Vielfalt der angesprochenen Themen wider. Sie machen aber auch deutlich, wie groß das Regulierungsbedürfnis der Kommission ist. Ich bin mir nicht sicher, ob ein Regulierungsbedarf in den Mitgliedstaaten und Regionen wirklich in dem Umfang, wie es das Grünbuch umschreibt, besteht.

Meine Damen und Herren, das Prinzip der Subsidiarität sollte nicht ausgehöhlt werden. Die Entscheidungen sollten möglichst bürgernah getroffen werden, wobei stets zu prüfen ist, ob angesichts der nationalen, der regionalen und der lokalen Handlungsmöglichkeiten ein gemeinschaftliches Vorgehen wirklich gerechtfertigt ist.

(Beifall bei der PDS)

Die Aufrechterhaltung und die Weiterentwicklung der kommunalen Selbstverwaltung hängen neben innerstaatlichen Rahmenbedingungen im Wesentlichen davon ab, wie in Zukunft auf europäischer Ebene die kommunale Daseinsvorsorge ausgestaltet wird. Dazu ist ein Blick auf die Vielfalt der Bedingungen in den einzelnen Ländern der Europäischen Union notwendig.

Ich erwarte von der Landesregierung, dass sie sich in ihrer Stellungnahme für den Erhalt der kommunalen Selbstverwaltung einsetzt. Die Problematik der Anwendung des EGBinnenmarkts und des Wettbewerbsrechts auf Leistungen der Daseinsvorsorge ist aus der Sicht der Bundesländer und der Kommunen von grundlegender Bedeutung. In der Bundesrepublik sind vor allem die Länder bzw. die Kommunen dafür zuständig, die Aufgaben, die Leistungen der Daseinsvorsorge und die Art und Weise ihrer Erfüllung zu bestimmen. Die Binnenmarkt- und Wettbewerbsregeln müssen in den Bereichen geändert werden, in denen man die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse verteidigen und fördern will. Beispiele aus anderen Ländern, aber auch aus unserem Land belegen, dass der Markt eben nicht alles regelt und die Marktmechanismen in manchen Bereichen der Daseinsvorsorge eben nicht immer die Interessen der Bürgerinnen und Bürger erfassen.

Die sozialen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, insbesondere die von den Städten und Regionen verwalteten Dienstleistungen, müssen gegenüber den Wettbewerbsregeln geschützt werden. Staatliche Beihilfen im sozialen Bereich, zur Förderung der Kultur oder zur Erhaltung des kulturellen Erbes müssen von der Anwendung der Wettbewerbsregeln ausgenommen werden.

Spannend ist die Diskussion, in welchem Umfang die öffentliche Hand und insbesondere die Kommunen sich wirtschaftlich betätigen dürfen. Als oberstes Prinzip muss nach meiner Auffassung gelten, dass durch europäische Regelungen keinerlei Zwang ausgeübt werden darf dahin gehend, die in kommunalem Eigentum befindlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu privatisieren.

Die PDS-Fraktion spricht sich für die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen aus, weil angesichts der finanziellen Notlage zum Beispiel Querverbünde eine wichtige Grundlage zur Finanzierung oder zur Aufgabenwahrnehmung in den Kommu

nen sind. Aber auch hierbei hat die Landesregierung Nachholebedarf, was die Überarbeitung der Gemeindeordnung angeht. Es gab mehrfach Zusagen der Landesregierung, die nicht eingehalten worden sind. Die bisherige wirtschaftliche Betätigung der Kommunen sollte grundsätzlich fortgesetzt werden und möglich sein. Deshalb ist die Ablehnung durch die Generaldirektion Binnenmarkt, über generelle Ausnahmen vom europäischen Wettbewerbs- und Vergaberecht für die kommunale Daseinsvorsorge nachzudenken, problematisch.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir wollen den Brandenburger Landtag und die Landesregierung dazu bewegen, sich an dieser Debatte zu beteiligen. Aus diesem Grund hat meine Fraktion diesen Antrag eingebracht, mit dem die Landesregierung aufgefordert wird, zum Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse bis Ende August eine Stellungnahme zu erarbeiten und diese im Ausschuss für Europaangelegenheiten und Entwicklungspolitik zur Diskussion zu stellen.

Wenn Sie es mit der Unterstützung der Kommunen, die schon jetzt zwischen 70 bis 80 % der von der EU erlassenen Verordnungen und Gesetze umsetzen, ernst meinen, dann sollten Sie sich dieser Diskussion stellen und unserem Antrag zustimmen. Ich bitte um Ihre Zustimmung. - Danke sehr.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an den Abgeordneten Lenz. Er spricht für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Europäische Kommission hat im Mai 2003 das Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vorgelegt. Dieser Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge spielt in einem erweiterten Europa eine immer stärkere Rolle. Lebensnotwendige Dienstleistungen im bezahlbaren Rahmen zu erhalten, den freien Wettbewerb nicht zu unterlaufen, dem Verbraucher einen optimalen Schutz zu bieten und bei alledem kommunale Verantwortlichkeiten zu beachten kann ein Problem bei der Erarbeitung und Umsetzung einer europäischen Richtlinie werden.

Deshalb ist es sicherlich richtig, meine Damen und Herren von der PDS-Fraktion, die von der Kommission aufgeworfenen Fragen regional zu diskutieren, Antworten zu suchen und diese dann in eine gemeinsame Stellungnahme von Bund und Ländern einfließen zu lassen. Deutschland sollte in dieser Frage gegenüber der Europäischen Union eine Stellungnahme abgeben.

Meine Damen und Herren, die Politik der Liberalisierung im Bereich der Daseinsvorsorge wird auch von meiner Fraktion grundsätzlich unterstützt. Die Öffnung der Märkte von Telekommunikation und Strom haben gezeigt, dass durch den Wettbewerb wirtschaftliche Vorteile wie Kosten- und Preissenkungen erzielt werden können, ohne dass es zu Nachteilen hinsichtlich der Versorgungssicherheit oder der Leistungsqualität kommen muss.

Die gemeinschaftsweite Liberalisierung von Leistungen der Da

seinsvorsorge kann nur in solchen Sektoren erfolgen, die aufgrund ihrer Größe oder ihrer strukturellen Vernetzung eine europäische Dimension aufweisen. Ich nenne hierzu nur die Bereiche Telekommunikation, Strom, Gas, Post, Finanzdienstleistungen und den grenzüberschreitenden Luft- und Eisenbahnverkehr. Wo eine europäische Dimension nicht vorhanden ist, muss es den Mitgliedstaaten und den nach deren Recht verantwortlichen Trägern der Daseinsvorsorge vor Ort überlassen bleiben, ob und inwieweit eine Wettbewerbsöffnung mit Blick auf die jeweils definierten Gemeinwohlanforderungen möglich ist. Bei aller von uns eingeforderten aktiven Politik Brüssels zur Daseinsvorsorge insgesamt bleibt die Aufgabe, für die Versorgung aller Bürgerinnen und Bürger mit besten Dienstleistungen Sorge zu tragen, weiterhin bei den nationalen, den regionalen oder den kommunalen Trägern der Daseinsvorsorge.

Sehen wir das vorliegende Grünbuch als ein Konsultationspapier. Darin sind keine unverrückbaren Standpunkte festgelegt, sondern die zu erörternden Fragen formuliert und Probleme diskutiert worden.

Zukünftig sollten alle zuständigen Behörden in der EU den Leistungen der Daseinsvorsorge einen größeren Stellenwert beimessen, um eine bessere Qualität der angemessenen Leistungen, eine größere Effizienz bei deren Durchführung und die Garantie eines Nutzerschutzes zu gewährleisten.

Aus meiner Sicht sollten durch die EU gemeinsame Richtwerte für folgende Aspekte ausgearbeitet werden: Qualität der erbrachten Dienstleistungen, Finanzierung der Dienstleistungstätigkeiten, Transparenz der Erbringung und Finanzierung, Bewertung der Dienstleistungen und Kontrolle seitens der Nutzer.

Achten wir als Landtag Brandenburg darauf, dass der von der Europäischen Union betonte Gestaltungsspielraum der Nationalstaaten, Länder und Kommunen faktisch nicht über das erforderliche Maß hinaus eingeschränkt wird.

Ihrem Antrag, meine Damen und Herren der PDS-Fraktion, könnte ich - da aus meiner Sicht Landesinteressen gewahrt werden müssen - zustimmen. Da die Koalition aber keine einheitliche Position fand, werden wir Ihren Antrag ablehnen. Als Mitglied des Europaausschusses bitte ich die Ministerin, nach der Sommerpause über den Stand der Beratungen der BundLänder-Kommission zu berichten und dem Ausschuss die erarbeitete Stellungnahme vorzulegen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das Wort geht an den Abgeordneten Nonninger. Er spricht für die DVU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als im vorletzten Jahr in Kalifornien immer wieder für längere Zeit der Strom ausfiel, fragte man sich, ob das auch in Europa geschehen könne. Welche Standards sollten für Dienste von allgemeinem Interesse in der EU gelten?

Die EU-Kommission stellt nun in einem Grünbuch die Zukunft

der Daseinsvorsorge zur Debatte und fragt nach gemeinsamen Leitlinien. Die Konsultation endet am 15. September 2003. Sie ist die Grundlage für konkrete Folgemaßnahmen im Herbst. Hierbei geht es darum, bestimmte Mindeststandards festzulegen, um eine qualitativ hochwertige und allgemeine Versorgung der Bevölkerung mit Dienstleistungen sicherzustellen. Dazu sollen die Mitgliedstaaten, aber auch andere Körperschaften - die Bundesländer, Gemeinden usw. - sowie Unternehmen, Vereinigungen, Organisationen etc. Vorschläge und Stellungnahmen bei der Kommission einreichen. Dass Brandenburg dies tun will, ist zu begrüßen. Selbstverständlich sollten die Vorschläge der Landesregierung auch dem Landtag zur Kenntnis gegeben werden.

Worum es aber Ihnen, meine Damen und Herren von der PDSFraktion, geht, machen Sie in der Begründung zu Ihrem Antrag wieder einmal deutlich, nämlich darum, jegliche Privatisierung auf kommunaler Ebene zu verhindern.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Haben Sie zugehört?)

Dem können wir nicht zustimmen. Wir lehnen den Antrag der Fraktion der PDS daher ab.

(Beifall bei der DVU - Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Sie haben die falsche Rede erwischt!)

Das Wort geht jetzt an den Abgeordneten Petke von der CDUFraktion.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege Domres, Sie haben viele Fragen aufgeworfen. Es ist auch das Recht des Parlaments und zumal der Oppositionsfraktionen, Fragen aufzuwerfen. Aber wenn Sie davon reden, wie wir in 10 bis 15 Jahren die Zukunft gestalten wollen, frage ich mich natürlich, warum die PDS-Fraktion sonst, zum Beispiel am heutigen Vormittag, bei all den Themen, zu denen das hohe Haus schwierige, aber notwendige Entscheidungen zu treffen hatte, und zwar etwa zur Haushaltskonsolidierung

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Jetzt aber!)

- ich darf an Ihr Verhalten beim Artikelgesetz oder in Sachen Gemeindegebietsreform erinnern -, bei denen wir über die Sicherung der Zukunft unseres Landes für einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren redeten,

(Sarrach [PDS]: Aber wenn die falsch sind!)

mit einem absoluten Nein votiert. Von daher passt die staatstragende Rede, in der Sie sich entsprechende Gedanken machen, nicht zu dem sonstigen Verhalten, insbesondere nicht zu dem Abstimmungsverhalten, das die Fraktion der PDS hierzu an den Tag legte.

(Zuruf von der PDS: Herr Petke, „staatstragend“ ist nie- mals Ihre Idee!)

Es ist zweifelsohne so, dass wir Themen, die auf europäischer Ebene für Deutschland, für die Länder, für die Kommunen

wichtig waren, in Deutschland in der Vergangenheit nicht immer in der notwendigen Aktualität behandelt haben. Ich darf an die Zukunft unserer öffentlich-rechtlichen Sparkassen erinnern. Es ist seit 10, 15 Jahren im Gespräch, dass sich im Rahmen der Harmonisierung des europäischen Binnenmarktes da etwas tut. Man hätte durchaus von Deutschland aus speziell unsere Interessen deutlich machen können.

Es ist kein Geheimnis, dass ein Europa in dieser Dimension - es wird glücklicherweise noch um die osteuropäischen Staaten erweitert - zum Beispiel in den Fragen der Daseinsvorsorge unterschiedliche Herangehensweisen erfordert. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Briten das nicht so sehr unter dem Aspekt der Innen- und der Kommunalpolitik, sondern eher unter dem Aspekt der Wirtschaftspolitik betrachten. Es liegt an der Europäischen Union, hierbei Kompromisse zu finden. Wir sollten - das unterstützt die CDU-Fraktion - unsere Position, die Position des Landes und die Position der Kommunen, geltend machen.

Allerdings ist Ihr Antrag vom Verfahren bzw. von der Zeitleiste her nicht praktikabel. Ich glaube nicht daran, dass, wenn Brandenburg eine eigene Stellungnahme abgibt, diese bei der Europäischen Union in Brüssel das entsprechende Gewicht hat. Ich meine, dass die gemeinsame Kommission von Bund und Ländern eine Stellungnahme für die Länder, die Kommunen und den Bund abgeben sollte und dass diese dann mit dem notwendigen Gewicht, das unser Land einbringen kann, behandelt wird.

Des Weiteren darf ich darauf verweisen, dass morgen die letzte Sitzung des Landtags vor der parlamentarischen Sommerpause stattfindet. Von daher stelle ich mir das von der Zeitleiste her die Abgabefrist 15. September 2003 ist von Ihnen selbst in den Antrag aufgenommen worden - sehr kompliziert vor. Es ist nicht leistbar, bis dahin über die Thesen zu diskutieren.

(Zurufe von der PDS)

Ich hätte mich gefreut, Herr Kollege Domres, wenn Sie das eher thematisiert hätten. Ich halte den Antrag in der Sache für nicht begründet. Ich denke aber, dass wir über das Thema durchaus diskutieren sollten. Dazu werden wir in den verschiedenen Ausschüssen Gelegenheit haben. Den vorliegenden Antrag lehnen wir jedoch aus den genannten Gründen ab. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)