Protokoll der Sitzung vom 06.11.2003

Folgendes will ich noch sagen: Es gibt durchaus Länder, die eine andere Situation oder eine andere Kultur - oder wie man dies bezeichnen will - haben, beispielsweise Sachsen-Anhalt. Dort verabschiedet das Parlament mit den Unterschriften aller Fraktionsvorsitzenden - von CDU, FDP, PDS...

(Fritsch [SPD]: DVU!)

- Herr Fritsch, in Sachsen-Anhalt sind es demokratische Parteien, die diesen Antrag unterzeichnen.

So etwas könnten Sie auch in Brandenburg tun. Hier werden aber offensichtlich nach wie vor parteiegoistische oder parteiengstirnige Positionen vertreten, die ich im Übrigen, um den Vorwurf von vornherein auszuräumen, aus der Geschichte kenne. Ich möchte jedoch hinzufügen: Sie müssen ja nicht alles nachmachen, was geschichtlich schon einmal gescheitert ist. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke Herrn Abgeordneten Vietze und gebe der Fraktion der SPD das Wort. Herr Abgeordneter Fritsch, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während dieser Plenartag langsam zur Neige geht, beginnt die Föderalismusdiskussion in Deutschland trotz einigen Vorlaufs erst so richtig, habe ich den Eindruck. Wir bewegen uns auf einer anderen Ebene als beim vorigen Tagesordnungspunkt, bei dem ich deutlich das Bedürfnis von Herrn Vietze spüren konnte, die Bevölkerung auch einmal mit einem Fördermittelbescheid zu erschrecken. Nein, es geht jetzt um ein anderes Verhältnis, nämlich das zwischen den Bundesländern, dem Bund und der EU.

Ich darf daran erinnern, dass zumindest einer der Ausgangspunkte für die Debatte, die dazu in Deutschland geführt wurde, die Auffassung der Landtagspräsidenten war, sie und ihre Abgeordneten hätten zu wenig Einflussmöglichkeiten in ihren Ländern gegenüber der jeweiligen Landesregierung bzw. auf der Bundesebene gegenüber dem Bundestag.

Diese Besorgnis klang in Herrn Vietzes Ausführungen ebenfalls an und es ist wohl auch etwas daran. Die Koalitionsfraktionen sind ja in der glücklichen Lage, die Landesregierung stützen zu dürfen, weshalb wir uns, wenn wir Kritik anzubringen haben, auch etwas zurückhalten müssen. Wir brauchen andere Ebenen der Diskussion, wenn wir etwas durchsetzen wollen. Dafür haben wir unsere Arbeitskreise. Zuweilen funktioniert das auch ganz gut.

Die Opposition hat natürlich andere Instrumente. Sie kann in aller Öffentlichkeit alles, was ihr nicht passt, lautstark anprangern.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Dazu sind wir da!)

Das tut sie dann auch. Manchmal ist es sogar konstruktiv, Herr Vietze, wie ich durchaus einräumen will.

(Vietze [PDS]: Immer!)

Sie kennen die Spielregeln in diesem Hause. Manchmal sind die Ideen der Opposition so gut, dass wir sie in einen Entschließungsantrag gießen und dann mit der Mehrheit der Koalition beschließen.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS - Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Das ist uns schon aufgefallen!)

Wir haben am 30. Mai 2002 - dies wurde bereits erwähnt - einen Beschluss gefasst, der darauf zielte, dass wir uns in Kenntnis des damals vorliegenden Entwurfs der Lübecker Erklärung aktiv an der Debatte um den Föderalismus beteiligen wollen. Ich darf Absatz 1 der Erklärung zitieren:

„Die deutschen Landesparlamente sind der Auffassung, dass die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für den Föderalismus in Deutschland nichts von ihrer zukunftsweisenden Bedeutung eingebüßt hat. Sie setzen sich für eine Stärkung des Föderalismus ein, weil er sich als politisches Modell bewährt hat.“

In Vorbereitung der Sitzung in Lübeck hat der Landtag Brandenburg am 6. März 2003 eine Entschließung angenommen ich meine, die Beschlussfassung ist nahezu einstimmig er

folgt -, die das Problem viel drastischer beschreibt. Es heißt dort:

„Der Landtag Brandenburg teilt die Auffassung, dass die im Grundgesetz angelegte ausgewogene Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen praktisch nicht mehr existiert.“

Der ursprüngliche Gedanke des Föderalismus hat etwas mit dem Subsidiaritätsprinzip zu tun: Jede Aufgabe soll möglichst dort erledigt werden, wo sie anfällt. Wenn Aufgaben anfallen, die die Länder angehen, sollen die Länder auch die Zuständigkeit haben. Das ist vernünftig und spiegelt sich in den Verabredungen zwischen Bund und Ländern wider, wenn es um Finanzierungsfragen und Gesetzgebungskompetenzen geht.

In vielen Jahren bundesdeutscher Praxis hat sich dieses Gleichgewicht aber eindeutig verschoben. Der Anteil, den die Landesparlamente bzw. die Landesregierungen noch eigenständig regeln können, ist immer kleiner geworden. Das hat sicherlich damit zu tun, dass die Bundesebene ein nicht enden wollendes Bedürfnis entwickelt hat, überall mitzusteuern und mitzuregeln. Das hat zwar in gewisser Weise Sinn; denn die Bundesregierung hat den Auftrag des Grundgesetzes, für die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen in Deutschland zu sorgen. Auf der anderen Seite führt dies dazu, dass die Selbstständigkeit der Entscheidungsmöglichkeiten in den Ländern unterwandert, wenn nicht sogar ausgehöhlt wird.

Die Debatte hat eine sehr große Bandbreite. Ich will das nur kurz umreißen und stelle die Behauptung in den Raum: Die Diskussion reicht von Forderungen nach absoluter Kleinstaaterei auf der einen Seite bis hin zu Forderungen nach einem Zentralstaat in Deutschland auf der anderen Seite. Beides kann nicht richtig sein. Wenn wir das Verhältnis von Kommunen, Städten und Kreisen zu den Ländern, zum Bund und zur EU im Auge haben, müssen wir andere Lösungen anstreben, als wenn wir das Verhältnis zwischen Parlamenten und Regierungen betrachten. Zu Letzterem habe ich schon ein paar Worte gesagt; ich will das nicht vertiefen.

Das Verhältnis in der Vertikalen ist davon gekennzeichnet, dass immer mehr Befugnisse auf die Ebene der Europäischen Union übertragen werden und immer weniger Regelungskompetenz bei uns verbleibt. Deshalb gilt es, klare Verabredungen zu treffen, wer wofür zuständig ist und wer was finanziert. Ich erinnere an die Sorge der Institute der Blauen Liste, dass sie ihre Arbeit einstellen müssen, wenn sich der Bund aus der Finanzierung zurückzieht.

Ich hege eine Hoffnung und bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht enttäuscht wird: Unsere Vertreter in der Kommission werden uns über den Fortgang der Dinge regelmäßig informieren und das mitnehmen, was wir ihnen mit auf den Weg geben. Danke sehr.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter Fritsch, und gebe der Fraktion der DVU, Herrn Abgeordneten Schuldt, das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Land Brandenburg hat nur dann eine Chance, wenn es im Konzert der Länder gleichberechtigt seine Interessen auf Verfassungsebene vertreten kann. Umso bedauerlicher ist es, dass am 17. bzw. 18. Oktober dieses Jahres Bundestag und Bundesrat die Einsetzung einer gemeinsamen Föderalismuskommission beschlossen haben, in der die Landtage nicht gleichberechtigt eigenständige Positionen der Landesparlamente einbringen und zur Abstimmung stellen können.

Nach Auffassung meiner Fraktion ist es an der Zeit, den Föderalismuskonvent als Chance zu nutzen, in Deutschland den Föderalismus endlich in die Tat umzusetzen und auch Europa ein föderalistisches Gesicht zu geben. Föderalismus bedeutet eben nicht, möglichst viele Länderkompetenzen aus der Hand zu geben oder gar nach Brüssel zu transferieren, sondern konkret Probleme im Sinne der Subsidiarität dort zu lösen, wo sie entstehen, nämlich auf nationaler und regionaler bis hinunter auf die kommunale Ebene.

Die von der PDS-Fraktion in ihrem Antrag abgedruckten Punkte sind inhaltliche Bekenntnisse, die letztlich aber nicht sehr greifbar sind. Wir als DVU-Fraktion wollen mehr als bloße Lippenbekenntnisse. Wir wollen klare Konzepte zur Entflechtung eines unsinnigen Kompetenzknäuels, das für die greifbare Strukturkrise in Deutschland mit ursächlich ist.

Bereits in meiner Rede im Februar dieses Jahres zur Drucksache 3/5569 wies ich mit Nachdruck auf die Zuständigkeit und die Selbstentscheidungskompetenzen hin, bei denen vieles im Argen liegt, konkret: bei der Steuer- und Finanzpolitik, bei der Sozialpolitik und bei der Bildungspolitik. Gerade der große politische Bedeutungsverlust, den die Länderparlamente in den letzten Jahrzehnten erlitten haben, hat zu dem allgemeinen Bewusstsein geführt, dass wir jetzt gemeinsam handeln müssen, um das Bundesstaatsprinzip in Deutschland und den Föderalismus in Europa generell auf solide Beine zu stellen und damit regionale Identität und bürgernahe Verwaltung neu zu schaffen oder zu verbessern. Es müssen Taten folgen, insbesondere vor dem Hintergrund der einschneidenden Veränderungen, die die aktuelle Krise der Bundesrepublik und die Reformen der EU im Zeichen der Osterweiterung mit sich bringen werden.

Zu den Details der Krise in der Steuergesetzgebung im Rahmen der Artikel 91 a und 105 Grundgesetz, das heißt im Bereich der Mischfinanzierung und der Gemeindeausgaben, habe ich sowohl im Plenum als auch im Hauptausschuss wiederholt gesprochen. Eine klare Positionierung der Landesregierung in dieser Richtung in der Föderalismuskommission ist selbstverständlich vonnöten.

Die PDS jedenfalls ist, gemessen an der Bedeutung dieser Aufgabe, kein kompetenter und glaubwürdiger Ansprechpartner. Deshalb können wir nicht vertreten, dass die Landesregierung bei ihrem Agieren in der Föderalismuskommission an einem Positionspapier der PDS orientiert ist. Das werden sich die Vertreter der Landesregierung im Föderalismuskonvent sonst vorhalten müssen und wäre dem Ansehen des Landes nun wirklich abträglich.

Wegen der inhaltlichen Ungenauigkeiten ist der Antrag der PDS-Fraktion auch kein klarer Fahrplan für eine konstruktive

Mitarbeit der Vertreter des Landes in der Föderalismuskommission. Deshalb werden wir den Antrag ablehnen. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Herrn Abgeordneten Schuldt und gebe das Wort an die Fraktion der CDU, Herrn Abgeordneten Homeyer.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst die Gelegenheit nutzen, mich dafür zu entschuldigen, dass der soeben verteilte Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen für unsere Verhältnisse spät verteilt worden ist.

(Vietze [PDS]: Nicht zu spät!)

Es zeichnet uns alle aus, dass wir Menschen sind und deshalb Fehler machen. Ich bitte, das so zu werten, und hoffe, dass der Inhalt unseres Entschließungsantrags in seiner Klarheit und Durchsetzungsfähigkeit der Opposition in diesem hohen Hause doch noch rechtzeitig zu ihrem politischen Agieren vorgelegt worden ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich mit dem Positiven beginnen, nämlich der Feststellung, wie erfreulich es ist, dass sich über Länder- und Parteigrenzen hinweg die Einsicht durchgesetzt hat, dass das föderale Gleichgewicht neu justiert werden muss. Das war über Generationen nicht immer so. Insofern ist das schon Erreichte positiv zu bewerten; es geht in die richtige Richtung.

Bedauerlicherweise jedoch sind in der Föderalismuskommission die Länder lediglich über den Bundesrat und nicht unmittelbar durch die Landesparlamente vertreten. Dabei gilt es doch vorrangig, die Rolle auch dieser Parlamente zu stärken. Gerade die Möglichkeit zu regional unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen zu eröffnen ist ein Hauptziel der Kommission. In der Wahrnehmung dieser Möglichkeit schränkt uns gerade die Rahmengesetzgebung des Bundes derzeit erheblich ein. Insofern pflichte ich dem Kollegen Vietze bei.

Ziel der Föderalismuskommission ist es, die Sicherung der Handlungsfähigkeit von Bund und Ländern zu ermöglichen, die Rolle der Landtage in der Gesetzgebung zu stärken, die Zahl der zustimmungsbedürftigen Gesetze zu reduzieren und mehr Raum für Subsidiarität zu eröffnen. Wir brauchen Öffnungs- und Experimentierklauseln sowie Wettbewerbsföderalismus.

Ich habe bereits ausgeführt, dass ich - ich schließe hier meine Fraktion ausdrücklich ein - mit der Zusammensetzung der Kommission nicht glücklich bin. Ich glaube aber auch, wir sollten jetzt das Beste daraus machen und mit der fixierten Zusammensetzung leben. Dies geht - das will ich nicht verhehlen - durchaus auch mit einem Antrag, wie ihn die PDS vorgelegt hat, nämlich mit einer Positionsbestimmung des Brandenburger Landtags. Dies könnte - wie die PDS in ihrer Begründung schreibt - eine Anregung für das Agieren des Vertreters der Landesregierung, nämlich unseres Ministerpräsidenten, sein.

Ich denke jedoch, Herr Vietze, wir sollten die Möglichkeit des regelmäßigen Einflussnehmens nicht aus der Hand geben. Deshalb haben die Koalitionsfraktionen den vorliegenden Entschließungsantrag gefasst, der die regelmäßige Berichterstattung über den Fortgang der Beratungen der gemeinsamen Föderalismuskommission beinhaltet und auch die Möglichkeit eröffnet, dem Vertreter des Landes Brandenburg in dieser Kommission die Meinung dieses Parlaments regelmäßig mit auf den Weg zu geben. Ich glaube, dass dies der bessere Weg ist und die kontinuierliche Einflussnahme auf den Fortgang der Arbeit der Föderalismuskommission sichert.

In diesem Sinne lehnen wir Ihren Antrag ab und hoffen auf Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke dem Abgeordneten Homeyer und gebe der Landesregierung das Wort. Herr Ministerpräsident Platzeck.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe allen Reden hier zumindest Einigkeit dahin gehend entnehmen können, dass es sinnvoll und gut ist, dass die Kommission zur Neuordnung der bundesstaatlichen Fragen morgen ihre Arbeit endlich aufnimmt. Hier stehen Probleme auf der Tagesordnung, die überfällig sind, was die Regelungen angeht. Hier sind in den vergangenen Jahrzehnten Entwicklungen hingenommen worden, die der bundesstaatlichen Ordnung nicht zuträglich sind.

Ich will allerdings gleich auch sagen - ohne hier einen Punkt zu machen -, dass das, um mit Fontane zu sprechen, „ein weites Feld“ ist, auch was insbesondere Interessen ostdeutscher Länder angeht. Vorhin fielen schon die Stichworte - ich glaube, vom Fraktionsvorsitzenden Fritsch - mit den Themen Hochschulbau oder Forschungsförderung und anderem. Da sind auch nicht gleich gelagerte Interessen aller Bundesländer zu verzeichnen.

Auch bei dem der Kommissionsarbeit mit unterliegenden Thema, doch viel mehr Wettbewerb zwischen allen Bundesländern einzuführen bzw. zuzulassen, müssen wir, meine ich, sehr genau schauen, ob überhaupt schon gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle da sind, wenn man solches will.