Protokoll der Sitzung vom 11.12.2003

Wir müssen unsere Aufmerksamkeit aber auch nach innen richten; denn gerade für kleinere Unternehmen sind Rahmenbedingungen zu schaffen, die europaweit konkurrenzfähig sind. Auch das verbindet sich mit der Erweiterung der Europäischen Union. Das betrifft die Steuersätze, die Vereinfachung des Steuersystems, die Senkung von Lohnnebenkosten und den Abbau von Bürokratie. Die entsprechenden Reformen auf Bundesebene erfordern deshalb eine intensive positive Begleitung durch die Landesregierung. Wir werden unsere Interessen auch als kleines Land zu wahren wissen.

Ich unterstütze den von der Koalition im Deutschen Bundestag und der Bundesregierung eingeschlagenen Weg, durch weit reichende steuer- und arbeitsmarktpolitische Reformen den Wachstumskräften in Deutschland endlich wieder zum Durchbruch zu verhelfen. Das bauchen wir als Lebenselexier.

(Beifall bei SPD und CDU)

Wir wissen auch, dass dieser Weg mit dem laufenden Vermittlungsverfahren - bei dem wir hoffen, bis spätestens zu den Weihnachtstagen zu einem Durchbruch und zu einem Erfolg zu

kommen - noch längst nicht zu Ende ist. Ziel muss insbesondere bleiben, in der Steuerpolitik ein Steuersystem zu initiieren, das jeden Steuerzahler in die Lage versetzt, auch zu begreifen, was er an Steuern zahlen muss, wohin er zahlen muss und warum er zahlen muss.

Ich gehe davon aus, dass sich die eingeleiteten Maßnahmen in absehbarer Zeit positiv auf die Lebensumstände der Bevölkerung auswirken.

(Zurufe von der PDS)

Aus der Sicht des Landes Brandenburg muss ich gleichwohl deutlich machen, dass einzelne Elemente der Gewerbesteuerreform und die Auswirkungen von Hartz IV bisher eine Schieflage zulasten der neuen Länder entstehen lassen. Darüber reden wir in diesen Stunden und Tagen intensiv und wir können diesen Vorhaben nur dann zustimmen, wenn die Schieflage für die neuen Länder insbesondere bei Hartz IV austariert wird, und zwar deutlich und nachvollziehbar.

(Beifall bei SPD und CDU)

Die Fortsetzung des Aufbaus Ost ist das alles überragende Ziel. Natürlich ruhen die Augen dabei insbesondere auch auf einem Land wie Brandenburg. Das hängt allein schon mit der Berlinnähe zusammen.

Brandenburg muss sein Profil schärfen. Wir sind das Land der kleinen modernen Unternehmen, die wachsen wollen und die wachsen können. Wir haben mit rund 10,6 % die höchste Selbstständigenquote in Ostdeutschland. In Brandenburg liegen die Gewerbeanmeldungen dauerhaft über den Abmeldungen.

Wir wissen, dass die Hauptstadtregion noch mehr als die anderen Länder unter konjunkturellen Schwächen leidet. Wir wissen aber auch - das wird auch bescheinigt -, dass die mittelund langfristigen Aussichten gut sind. Keine ostdeutsche Region hat wie wir in der Mitte eine Metropole mit dreieinhalb Millionen Einwohnern, sprich: Kunden, Verbrauchern und Arbeitnehmern.

(Zurufe von der PDS)

Brandenburg wird es angesichts der schlechten Lage auf dem Arbeitsmarkt, angesichts der unbefriedigenden Wirtschaftslage und der angespannten Finanzen nicht leicht haben. Die Situation ist sehr ernst. Wir alle müssen jetzt beweisen, dass unser Land eine Zukunft hat. Wir müssen besser werden. Wir alle müssen für unser Land die Kräfte anspannen und anpacken. Wenn wir dies tun, werden wir es auch schaffen. - Ich danke Ihnen.

(Anhaltender Beifall bei SPD und CDU)

Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktionen haben vereinbart, sich mit den Debattenbeiträgen auf 30 Minuten zu beschränken. Die fraktionslose Abgeordnete Dr. Schröder bekommt 5 Minuten Redezeit. Die Dauer der Regierungserklärung betrug zwar 40 Minuten, aber wenn man sich nach Geschäftsordnung auf gleiche Zeiten für die Debatten einigt, dann ist das mit 30 Minuten in Ordnung. - Das Wort geht an die PDS-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Christoffers.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen. Sie nahmen alle Fraktionen dieses Hauses in Mithaftung für die Einhaltung einer Haushaltsdisziplin. Ich verwahre mich dagegen, dass Sie die PDS-Fraktion für eine gescheiterte Finanzpolitik in Mithaftung nehmen.

(Beifall bei der PDS)

Ein Zweites, Herr Ministerpräsident, zu den Zahlen über Neuansiedlungen und Arbeitsplätze, die geschaffen worden seien. Ich hoffe, Sie haben bemerkt, dass die Gesamtsumme daraus nicht einmal das aufwiegt, was durch das Scheitern der Chipfabrik in den Sand gesetzt wurde.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zukunft braucht nicht nur Herkunft, sondern in erster Linie Perspektive, eine Perspektive, die sich an den Realitäten des Landes orientiert und dessen Potenzen erschließt. Herr Ministerpräsident, ich bin sehr dafür, die strukturpolitische Situation des Landes offen und ehrlich zu debattieren. Aber Ihrer Regierungserklärung entnehme ich, dass die Landesregierung Zweifel daran hat, dass ihre eigene Politik immer ehrlich und offen gewesen ist, da Sie diesen Grundsatz als eine Bedingung des Neuanfangs definiert haben.

Ich habe wirklich keine Lust auf eine Inflation von Untersuchungsausschüssen. Aber wenn die Landesregierung in der nächsten Sitzung des Finanzausschusses nicht offen legt, inwieweit sie die Grundsätze einer Risikobewertung zur Anlage von Geld bei öffentlichen Unternehmen - ich spreche von der MEAB ausgeschlossen hat, Geld nicht in den hochspekulativen Bereich der Aktienanlage zu investieren, dann, glaube ich, ist der nächste Skandal, den Sie zu verantworten haben, hier in diesem Haus offensichtlich. Dann sollte man auch kein Instrument der parlamentarischen Kontrolle ausschließen.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Ich habe keine Lust darauf, dass sich aus MEAB ein Finanzdienstleister mit angehängter Entsorgungsabteilung entwickelt. Dafür werden Gebühren und Beiträge nicht erhoben.

Herr Ministerpräsident, Sie sprachen von einer Verschärfung der Risikobewertung. Vielleicht wäre es gut, erst einmal die Hausaufgaben auf diesem Gebiet zu machen, bevor man über eine Verschärfung der Risikobewertung redet.

(Beifall bei der PDS)

Gestern erklärte der Staatssekretär im Finanzministerium im RBB, dass ein Verlust durch ein Aktiengeschäft dadurch kompensiert werde, dass über eine andere Aktienanlage das Geld wieder hereinkomme. Auch wenn hier nicht der Ort für einen Crashkurs zum Thema Wertpapierhandel ist, möchte ich Ihnen dazu Folgendes sagen: Wenn eine öffentliche Gesellschaft ihre gesetzlichen Verpflichtungen möglicherweise nicht mehr erfüllen kann, weil gerade die Finanzdienstleistungen, die möglicherweise mittlerweile als Hauptoption gelten, das Geld nicht erbringen, dann ist eine Situation eingetreten, die mit einem verantwortungsvollen Umgang mit öffentlichem Eigentum, Vermögen und mit den Gebühren der Beitragszahler nichts mehr zu tun hat.

Wie ist unsere Situation? Seit Ende der 90er Jahre wird die

Kluft zwischen Ost und West wieder größer. Der Verteilungskampf der Länder im Rahmen des Länderfinanzausgleichs wird aufgrund der angespannten wirtschaftlichen und sozialen Situation intensiviert.

Es ist Zeit zu sagen, dass wir im Land Brandenburg eine Konsolidierungsphase von ca. 15 Jahren benötigen werden. Diese Entwicklungsetappe muss verbunden sein mit einer radikalen Reform der öffentlichen Förderung, mit der Bewältigung der Chancen und Risiken der EU-Osterweiterung sowie einer Intensivierung der Beziehungen zu Berlin. Dabei wird der Rückgriff auf klassische Instrumente zur Bewältigung von Konjunkturkrisen keine Wirkung zeigen.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Das Land Brandenburg hat eine der höchsten Selbstständigkeitsquoten. Das spricht für den Unternehmergeist der Brandenburger, ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Die meisten dieser Unternehmen sind aufgrund der Nachfragesituation in einer wirtschaftlich prekären Lage. Das gilt für Neugründungen genauso wie für bestehende Unternehmen.

Teil der Konsolidierungsphase muss also zum einen die Stärkung der Eigenkapitalbasis sein und zum anderen brauchen wir ein politisches Investitionsverständnis, das sich von der Haushaltskameralistik wesentlich unterscheidet.

(Beifall bei der PDS)

Investitionspolitik und Investitionen machen nur dann Sinn, wenn neben der klassischen Investition Lebensqualität in den Regionen gegeben ist. Niemand wird zum Beispiel in eine Region investieren, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zu erreichen ist. Wirtschaftsförderung im klassischen Sinne ist also zu verbinden mit einer Regionalförderung, die harte und weiche Standortfaktoren miteinander koppelt. Wir haben eben nicht nur eine konjunkturelle Krise, sondern wir haben auch eine strukturelle Krise, deren Indikatoren die demographische Entwicklung, das sinkende Wachstum, die fehlende industrielle Wertschöpfung, die hohe Arbeitslosigkeit und die soziale Situation vor allem in berlinfernen Räumen sind.

Herr Ministerpräsident, die Regierungserklärung, die Sie heute abgegeben haben, habe ich so ähnlich in diesem Land schon mehrfach gehört. Auch Ihr Vorgänger, der ehemalige Ministerpräsident Stolpe, hat ähnliche Aussagen getroffen nach dem Motto, dass wir jetzt anfingen etwas zu tun. Ich frage mich im Jahre 13 der deutschen Einheit: Wäre es nicht an der Zeit, nicht nur zu sagen „wir fangen an“, sondern auch darzulegen, wie man anfangen will? - Das habe ich in Ihrer Regierungserklärung vermisst.

(Beifall bei der PDS)

Vor diesem Hintergrund ist das Scheitern der Chipfabrik nicht nur ein politisches und außenpolitisches, sondern auch ein regionales Desaster. Es ist nicht gelungen, eine technologische Hochleistung in ein Produkt zu überführen. Im Übrigen, meine Damen und Herren, ist auch die stille Liquidation noch nicht abgeschlossen. Die Gesellschafter haben nur beschlossen, dass die stille Liquidation verhandelt wird.

(Frau Angela Müller [SPD]: Gar nichts ist beschlossen!)

- „Verhandelt wird“, habe ich gesagt, Frau Kollegin. Eine Insolvenz ist immer noch nicht ausgeschlossen. Ich gehe davon aus, dass wir erst Anfang des nächsten Jahres erfahren werden, wie das endgültig gestaltet werden wird.

Das Scheitern hier macht deutlich, dass eine Reihe grundlegender Argumentationen überprüft werden muss, und zwar erstens die Aussage, dass nur ein starker industrieller Partner Voraussetzung für den Erfolg eines Projekts ist. Die Debatte um EKO macht deutlich, dass ein starker industrieller Partner allein überhaupt noch keine Garantie für eine entsprechende strukturpolitische Entscheidung des Landes darstellt. DaimlerChrysler hat Veränderungen im Konzern vorgenommen. Was sich daraus für MTU im Lande Brandenburg ergibt, werden wir sehen. Wir haben die Debatte um Bombardier, um die Standorte, die Bombardier hier geschlossen hat bzw. tatsächlich weiterentwickeln will, geführt. Es geht hierbei nicht allein um die Tatsache, dass ein industrieller Partner die Markteinführung eines Produkts erleichtert, sondern vor allem auch um die Nebeninteressen eines industriellen Partners, eines Konzerns, und um strukturpolitische Interessen des Landes, die nicht zwangsläufig mit denen eines starken industriellen Partners in Übereinstimmung zu bringen sind. Dem haben wir uns hier zu stellen. Wenn man sich nur auf die Konzernstrategien verlässt, dann wird man die strukturpolitische Situation des Landes möglicherweise nicht verbessern.

(Beifall bei der PDS)

Sachsen wird sehr oft als ein Musterbeispiel genannt. Ich möchte aber daran erinnern, dass das Land Sachsen über die Messe GmbH mit 200 Millionen Euro an der Chipfabrik beteiligt ist.

Ich finde es sehr gut, Herr Ministerpräsident, dass Sie hier sagen, der Staat könne nicht die Garantieleistung für wirtschaftlichen Erfolg übernehmen. Aber, Herr Ministerpräsident, Bürgschaftserklärungen sind in Deutschland mittlerweile zu einem normalen Instrument des staatlichen Handelns geworden. Die Debatte über die Bürgschaftserklärung für einen Export nach China oder, was europaweit einmalig ist, für ein Exportgeschäft nach Finnland, macht deutlich, vor welchem Hintergrund wir hier eigentlich agieren. Wenn es hier zu Veränderungen kommen soll, wofür ich bin, dann muss die Debatte darüber vor allem auch auf Bundesebene geführt werden, weil dies tatsächlich eine ordnungspolitisch falsche Rahmensetzung in der Bundesrepublik darstellt.

Die Diskussion über die Frage, ob eine Bürgschaft notwendig ist oder nicht, muss man also führen, dies aber bitte in dem Rahmen, in dem sich Wirtschaftspolitik hier in Deutschland mittlerweile abspielt. Ohne eine Bürgschaft werden Konzernstrategien in Deutschland bekanntlich gar nicht mehr umgesetzt. Insofern ist in diesem Zusammenhang auch zu prüfen, mit welcher ordnungspolitischen Rahmensetzung die Bundesrepublik Deutschland als Ganzes agieren sollte.

Zweitens: Das Problem besteht nicht darin, dass die öffentliche Hand investiert, sondern es ist das öffentliche und politische Management eines Projekts wie der Chipfabrik oder auch eines Flughafenstandorts. Wenn es richtig wäre, dass die öffentliche Hand nicht investieren soll, dann wäre die Konzeption zur Entwicklung von Schönefeld, die Sie hier dargestellt haben, falsch; denn wenn diese Konzeption wirtschaftlich tragfähig

wäre, dann müssten nach dieser Logik Privatinvestoren Schlange stehen. Der eigentliche Skandal besteht doch nicht darin, dass wir zum Standort Schönefeld unterschiedliche Auffassungen haben, sondern der Skandal besteht darin, dass seit zehn Jahren darüber geredet wird, egal, mit welchem Standort. Dafür machen Sie bitte nicht die Bürgerbewegung oder die Opposition verantwortlich.

(Klein [SPD]: Nicht ausschließlich, aber zum Teil ja!)

Die Zuständigkeit für die Entscheidung liegt offensichtlich bei Ihnen und bei der Landesregierung.

(Beifall bei der PDS)

Drittens: Der Stellenwert, den der Aufbau Ost in der politischen Konzeption der Bundesregierung noch hat. Nachdem Gutachter des Bundes die Marktfähigkeit des Projekts bestätigt und das betriebswirtschaftliche Konzept als robust bezeichnet hatten, wurde nicht durch den Bürgschaftsausschuss, sondern wurden durch die politischen Spitzen des Wirtschaftsministeriums Bedingungen definiert, die ordnungspolitisch zum Teil unsinnig waren. Es konnte doch nicht um ein Mehr an öffentlichem Kapital gehen, sondern es ging um die politische Bereitschaft, eine Bürgschaftserklärung abzugeben mit der Auflage, mehr privates Kapital einzubinden. Diese Auflage ist aber nicht erteilt worden. Stattdessen ist die Auflage erteilt worden, noch mehr öffentliches Kapital bereitzustellen. Das ist vor dem Hintergrund einer positiven Entscheidung schlicht und ergreifend widersinnig. Mit der Auflage, mehr privates Kapital einzuwerben, wären wir in einer ganz anderen Situation gewesen. Nicht die Europäische Union bzw. die Auflagen der Europäischen Kommission sind daran schuld, sondern es ist ein politisches Missmanagement, bei dem offensichtlich auch der Aufbau Ost unterschätzt wird.

Inwieweit das Unterschätzen des Aufbaus Ost bzw. Managementfehler des Landes und des Unternehmens für das Scheitern verantwortlich sind, wird der Untersuchungsausschuss zu klären haben. Ich hoffe, dass sich neben dem Untersuchungsausschuss auch andere Institutionen damit beschäftigen werden.