Protokoll der Sitzung vom 12.05.2004

(Beifall bei der PDS)

die ehrenamtlich Tätige begleitet, fachlich stärkt und unterstützt.

Verlässliche personelle Ressourcen haben Sie mit den von Ihnen beschlossenen Haushalten - außer beim 610-Stellen-Programm - nicht befördert.

Befragt nach ihren Erfahrungen und Erkenntnissen, haben eine Familien- und Erziehungsberatungsstelle der Diakonie, der Arbeitskreis „Keine Gewalt gegen Frauen und Kinder“, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Brandenburg, der Verband allein erziehender Mütter und Väter und der verantwortliche Mitarbeiter des Jugendamtes für den Kinder- und Jugendschutz berichtet, dass sich alle wünschen, dass die Familie das soziale Feld ist, in dem Bedürfnisse nach Sicherheit, Geborgenheit und Kontakt befriedigt werden, Erziehung stattfindet, Versorgungsleistungen erbracht werden.

Tatsache ist aber, dass die Zahl der Multiproblemfamilien zunimmt. Ein Wertewandel in Richtung einer gewaltfreien Erziehung darf zumindest bezweifelt werden. Die praktischen Erfahrungen in der Frauen- und Kinderschutzeinrichtung zeigen eine andere Tendenz auf. Vermehrt werden sehr junge Frauen in die Einrichtung aufgenommen, die weder eine klare Struktur ihres Tagesablaufs haben, noch in der Lage sind, eine Ausbildung aufzunehmen oder sie zu beenden, die keiner regelmäßigen Tätigkeit nachgehen. Häufig haben sie bereits mehrere Kinder, mit denen sie überfordert sind. Sie können sich kaum um sich selbst kümmern, geschweige denn um ihre Kinder.

Die Ursache für die Gewaltanwendung gegenüber Kindern sowie die Vernachlässigung von Kindern können sehr vielfältig und komplex sein, was eine ursachenorientierte Prävention zweifellos erschwert. Eine Rolle spielen Einelternfamilien, Doppelbelastung durch Beruf und Haushalt, Arbeitslosigkeit, Beruf mit geringem Einkommen, Abhängigkeit von Sozialhilfe, unzureichende Schulbildung, die eine schulische Unterstützung der Kinder ausschließt. Gleichzeitig können psychische und physische Belastungsfaktoren auftreten, Suchtprobleme eingeschlossen.

Frau Abgeordnete, bitte kommen Sie zum Schluss!

Es ist eine Illusion anzunehmen, dass die Jugendhilfe als Reparaturbetrieb für die Auswirkungen struktureller Defizite geeignet ist. Die Umsetzung des Antrages kann allenfalls dazu beitragen, die Rahmenbedingungen für eine bessere Vernetzung sozialer, erzieherischer und bildender Ressourcen mit einem sozial-räumlichen und familienorientierten Ansatz und eine größere Fachlichkeit und Kompetenz und das Wissen um konkrete Ansprechpartner zu fördern. Mögen der neue Landtag und die neue Landesregierung nicht nur die Symptome, sondern auch die Ursachen, die Gewalt hervorbringen, behandeln. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Redepenning.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn meiner Rede möchte ich eine Unterstellung etwas zurückweisen.

(Klein [SPD]: Nicht nur etwas, sondern scharf!)

Ich kann zwar nicht für alle anderen Fraktionen sprechen, aber ich kann für meine Fraktion sprechen und sagen, dass unsere Kollegen das Problem wohl kennen. Wir haben nicht nur in unserer Fraktion und in unserer Fraktionsklausur darüber gesprochen, sondern wir haben auch Verbände zu uns eingeladen. Das hat nicht nur die PDS gemacht. Ich halte das für eine Unterstellung.

(Klein [SPD]: Genau!)

Ich begrüße hier von ganzem Herzen, dass die Regierungskoalition heute einen Antrag in den Landtag einbringt, der die Stärkung des Kinderschutzes gegen Gewalt zum Schwerpunkt hat - egal, wie es vor fünf Jahren oder vor wer weiß wie viel Jahren gewesen sein mag. - Wahrscheinlich wird es bei Ihnen nie der richtige Zeitpunkt sein.

(Klein [SPD]: Ja!)

Natürlich wird angesichts der Fälle wie dem des kleinen Pascal klar, dass nichts unversucht bleiben darf, den Schutz von Kindern gegen Gewalt von allen Seiten zu verbessern. Das heißt aber nicht, dass der Schwerpunkt des Schutzes auf Sanktionen liegen darf, sondern dass sie nur ein Mittel zur Verhinderung weiterer Straftaten für die Täter sein können. Der Schwerpunkt liegt eindeutig in der Erweiterung, Verbesserung und Koordinierung von Netzwerken - Netzwerke, die auch zwischen allen Ministerien des Landes funktionieren müssen; auch wenn es sich hier etwas komisch anhört, gehört der Kinderschutz eigentlich in alle Ressorts der Landesregierung -, Netzwerke zum Wächteramt, also den Jugendämtern und Jugendhilfeeinrichtungen, Schulen und Kindertagesstätten genauso wie Netzwerke der Gesellschaft als Ganzes.

Frau Abgeordnete Redepenning, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Ja, bitte.

Auch ich unterstütze das Anliegen von Netzwerken, Frau Abgeordnete Redepenning. Ist Ihnen aber bekannt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Jugendämtern zum Teil keine Chance haben, in der regulären Arbeitszeit den Fällen nachzugehen, die Ihnen bekannt sind, weil ihnen die Fachleistungsstunden fehlen? In den professionellen Strukturen müsste zunächst die Grundversorgung gesichert werden. Was machen Sie dafür?

Die Strukturen in den Jugendämtern, die Sie hier eben beschrieben haben, sind mir in der Form nicht bekannt. Wenn es eine Vernachlässigung gäbe, wäre es sträflich und es müsste sofort darauf reagiert werden. Mir ist das nicht bekannt.

(Zurufe von der PDS)

Es müssen niederschwellige Angebote zur Fortbildung, Weiterbildung oder für Problemfälle für jeden Menschen, der Familie hat oder der Familie in der Nachbarschaft erlebt, vorhanden sein. Nur so können wir das höchste Gut, dass wir in einer vergreisenden Gesellschaft haben, schützen, bewahren und natürlich auch fördern.

Einen Gesamtplan zur Stärkung und Weiterentwicklung der Fortbildung, Praxisbildung und auch der Supervision wird es nicht zum Nulltarif geben, aber er wird das Land sicherlich vor erheblichen Folgekosten bewahren.

Es geht auch nicht darum, die fachliche Qualität der Arbeit der Jugendämter zu verbessern, sondern es wird zusätzlich eine Stärkung des Netzwerkes zwischen allen Bereichen geben; denn hier lag bisher der eigentliche Mangel aufgrund von Vorbehalten oder nicht ernsthaft begründeter Fälle, die nicht übergreifend bearbeitet werden konnten.

(Unruhe)

- Ich bitte Sie darum, etwas leiser zu sein.

Die Offenheit füreinander, dass heißt der Jugendämter für die Polizei, für die Jugendrichter, für die Schule, aber auch für die Nachbarschaft und vor allem für die Familie, ist das wichtigste Ziel, das es zu erreichen gilt. Es muss miteinander kommuniziert werden. Schulung und Fortbildung für Jugendämter wie auch für Familien, die begonnen haben und stattfinden, können mit einer gewissen Sensibilität noch erweitert werden. Fußfesseln und verschärfter Jugendknast helfen hier überhaupt nicht.

Die Gratwanderung der Jugendhilfe ist oft schwierig. Aber wir haben mit dem Antrag eine Chance, die Kompetenz der Jugendämter zu erweitern und damit gleichzeitig den Schutz für unsere Kinder zu gewähren.

Eines möchte ich zum Schluss noch sagen: Ich bitte darum, dass Sie dem Antrag zustimmen. Egal, wie man Familien definiert, ist die Familie immer noch der Kern einer Gesellschaft und das Fenster. Auch dort wird die Gesellschaft sehen, auf welchem Platz sie steht.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das Wort erhält die DVU-Fraktion, für die die Abgeordnete Fechner spricht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich richtig gefreut, als ich die Überschrift zu diesem Antrag las: Stärkung des Kinderschutzes gegen Gewalt. Das klingt doch gut. Endlich kümmert sich dieser Landtag um die schrecklichen Sexualstraftaten und Sexualmorde an Kindern. Endlich wird die Gewalt in den Schulen zum Thema, in denen Schüler von ihren Mitschülern Schutzgeld erpressen und sie berauben oder aus purer Lust an Gewalt zusammenschlagen und misshandeln. Neuerdings zeichnen Schülergruppen die Folterungen ihrer Mitschüler sogar auf Video auf.

Endlich kümmert sich dieser Landtag um die Unmengen von Gewalt, die unsere Kinder heutzutage aus dem Fernsehen, aus Filmen und aus Computerspielen überfluten. Endlich werden die soziale Not und die Verwahrlosung zum Thema, die auch in Brandenburg immer weiter um sich greifen und die vielfach innerfamiliäre Gewalt gegen Kinder zur Folge haben.

Doch stattdessen kommen die Regierungsfraktionen mit diesem windelweichen Wischiwaschiantrag, der alle diese Themen ignoriert. Ich bin enttäuscht, verehrte Abgeordnete von SPD und CDU. Beantragen Sie hier allen Ernstes, wie es in Ihrem Antrag heißt: Die Entwicklung des Bewusstseins, dass Gewalt kein Mittel der Erziehung ist, sei erforderlich. - Draußen

werden Kinder von ihren Mitschülern brutal zusammengeschlagen und Sie kommen mit solch einem Windei!

Verhindern Sie lieber mit der Einführung von Schuluniformen den Anreiz für so manche Straftat von Jugendlichen. Setzen Sie die Strafmündigkeit herab, damit Straftäter nicht wegen ihres Alters ungestraft davonkommen.

Immer wieder werden Kinder zu Opfern brutaler Perverser, und Sie wollen einen Gesamtplan zur Stärkung und Weiterentwicklung der Fortbildung für Sozialarbeiter. Sorgen Sie lieber dafür, dass Straftäter konsequent bestraft werden und die Gesellschaft vor gefährlichen Gestörten geschützt wird.

260 000 Brandenburger sind arbeitslos - mit erheblichen Belastungen für die Familien. Immer mehr Kinder leben in Familien, in denen die Eltern keine Zukunftsperspektive mehr für sich und ihre Kinder sehen. In immer mehr Fällen sind Verwahrlosung und auch Gewalt gegen die Kinder die Folge. Verbessern Sie lieber die wirtschaftliche Situation in Brandenburg, damit diese Familien wieder eine Perspektive bekommen.

Ihr Antrag, werte Kollegen der SPD und der CDU, ist ein Hustenbonbon-Antrag.

(Klein [SPD]: Was für ein Antrag?)

- Ein Hustenbonbon-Antrag. Wissen Sie, was das ist, Herr Klein? Wenn Sie stark erkältet sind und Sie nehmen einen Hustenbonbon - welche Wirkung hat das? Keine Wirkung! So ist das auch mit diesem Antrag. Es ist ein Hustenbonbon-Antrag.

(Zwischenruf von der SPD)

Er schadet nichts, er nützt aber auch nichts. Deshalb werden wir ihm zustimmen, obwohl wir uns unter Kinderschutz gegen Gewalt etwas ganz anderes vorstellen. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Damit sind wir bei der Landesregierung. Herr Minister Reiche, bitte.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Gewalt gegen Kinder ist leider immer noch eine viel zu häufige Realität in unserer Gesellschaft, die uns dann immer wieder stark beschäftigt, wenn wir mit so grausamen und erschreckenden Einzelfällen wie dem des kleinen Pascal in Strausberg konfrontiert werden.

Alle Gewalt, beginnend mit der Ohrfeige, ist gesetzlich verboten und zu ächten; denn Gewalt bringt nie weiter, sondern Gewalt unterbricht immer die Kommunikation und deshalb ist sie von uns zu ächten. Daher ist dieser Antrag ein richtiger Schritt, ein wirksamer Schritt in die notwendige Richtung.

Besonders erschütternd war in diesem Fall auch, in welchem Maß öffentliche Instanzen nicht oder zu spät gehandelt haben. Der Gerichtsprozess hat ja auch gezeigt, dass die Verantwor

tung nicht bei einzelnen Instanzen allein zu suchen ist, sondern dass sich alle, das Jugendamt, die Polizei, die Kita, die untersuchenden und behandelnden Ärzte, aber auch Verwandte, Freunde und Bekannte der Mutter, fragen müssen, ob sie nicht eher und energischer hätten einschreiten und damit vielleicht das Martyrium des kleinen Jungen hätten verhindern können.

Oder wenn Sie sich - was ich empfehle - den Dokumentarfilm „Die Kinder sind tot!“, der gerade jetzt veröffentlicht worden ist, über das Martyrium der zwei kleinen Kinder in Frankfurt anschauen, dann werden Sie sehen: Das Jugendamt konnte gar nicht einschreiten, weil das Netzwerk der Menschen ringsherum nicht intakt war, weil niemand diese Entwicklung dort früh genug dem Jugendamt gegenüber zur Anzeige gebracht hat.