Protokoll der Sitzung vom 16.06.2004

- Ich finde das gar nicht lächerlich, Herr Kollege Klein.

(Beifall bei der PDS - Zuruf des Abgeordneten Klein [SPD])

Die einzige Antwort, die wir immer wieder von Bundes- und Landesregierung hören, ist: Zu diesem Reformkurs gibt es keine Alternative. - Das, meine Damen und Herren, ist falsch. Was für ein Leben muten Sie den sozial Schwachen in diesem Land eigentlich zu? In Brandenburg gibt es derzeit etwa 150 000 Arbeitslosenhilfeempfängerinnen und -empfänger. Der größte Teil von ihnen muss ab Januar mit 331 Euro zurechtkommen. Wegen der deutlich verschärften Anrechnungsregelung, zum Beispiel in Bezug auf Ersparnisse und Vermögen und eben auch auf Einkommen des Partners, werden voraussichtlich etwa 40 000 Betroffene keine Leistungen mehr erhalten. Diese Auswirkungen verschweigt die Landesregierung. Dafür beteiligt sie sich immer mehr an der heftigen Debatte, wer denn nun künftig für die Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II zuständig sein soll und ob die nötige Software rechtzeitig bereitgestellt werden kann. Das heißt, Sie machen die Umsetzung Ihrer falschen Entscheidung von der rechtzeitigen Programmierung der Software abhängig. Sie schalten auf Autopilot und umkreisen Brandenburg in großer Höhe.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Von den Alltagsproblemen der Menschen hier haben Sie sich längst abgekoppelt. So nehmen Sie Ihre Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes nicht wahr.

Sie feiern jetzt als Erfolg, was bei Lichte gesehen ein Pyrrhussieg ist. Die scheinbare Einigung des Bundeswirtschaftsministers mit den kommunalen Spitzenverbänden über den Ausgleich der zusätzlichen Belastungen für die Kommunen durch den Bund verkennt, dass bei der vorgeschlagenen Regelung über eine Revisionsklausel die Kommunen in Vorleistung zu gehen haben. Ein Abgleich tatsächlicher Kosten mit den vom Bund bereitgestellten Mitteln soll quasi im Nachgang, das heißt zu einem späteren Zeitpunkt, erfolgen - und das angesichts der finanziellen Notlage vieler Kommunen in diesem Land.

Dass das Land mit der Übertragung der Unterkunftskosten an die Kommunen weniger Ausgaben hat, ist inzwischen kein Geheimnis mehr. Was aussteht, ist eine eindeutige, verbindliche Erklärung der Landesregierung, dass diese Einsparungen an die Kommunen eins zu eins weitergereicht werden.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Herr Minister Baaske, Sie haben heute die Gelegenheit, in dieser Aktuellen Stunde diese Erklärung abzugeben.

Sie lassen also nicht nur die Arbeitslosenhilfeempfänger, sondern auch die Kommunen im Regen stehen.

Immer offenkundiger wird: Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe löst die wirklichen Probleme in diesem Land nicht. In diesem Gesetz gibt es keinerlei Vorstellungen über die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen. Mit diesem Gesetz wird nicht ein einziger Arbeitsplatz geschaffen. Stattdessen werden durch Leistungskürzungen die Schwächsten auf dem Arbeitsmarkt, nämlich die Langzeitarbeitlosen, für eine schlechte Arbeitsmarktpolitik der Regierung bestraft.

Völlig ausgeblendet blieben in der bisherigen Debatte die spezifischen Probleme der neuen Bundesländer, nämlich eine wesentlich höhere Arbeitslosenquote und ein wesentlich höherer Anteil an Langzeitarbeitslosen. Ihre Aufgabe als ostdeutsche

Landesregierung wäre es gewesen, im Bundesrat mit Nachdruck auf genau diese Probleme aufmerksam zu machen. Dazu waren Sie nicht fähig.

(Beifall bei der PDS)

Genau zu diesem Zeitpunkt hätten Sie Nachbesserungen einfordern müssen. Sie aber haben das Gesetz anstandslos durchgewunken.

Herr Baaske, ob dieses Gesetz notwendig gewesen wäre, um Empfänger von Sozialhilfe in die Arbeitsvermittlung zu integrieren, ist noch die Frage. Sie wissen doch ganz genau, dass es gerade Langzeitarbeitslose bedeutend schwerer haben, wenn es um die Suche nach einer Arbeitsstelle geht. Das heißt, die Suche wird durch dieses Gesetz nicht vereinfacht.

Sie haben in einer gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse für Arbeit aus Brandenburg und Berlin erklärt, Sie könnten es keinesfalls mittragen, dass zum 1. Januar nur die neue Leistung bezahlt wird - also 331 Euro -, aber kein einziges Instrument aus dem Sozialgesetzbuch III angewandt werden kann bzw. keine bessere Vermittlung erfolgt. Doch über den künftigen Umfang der Beschäftigungsmaßnahmen und die dafür von den Arbeitsagenturen bereitgestellten Haushaltsmittel gibt es nach wie vor keine Klarheit. Sicher ist nur, dass bisherige Beschäftigungsförderungen wie „Arbeit statt Sozialhilfe“ ersatzlos gestrichen werden.

Was nun, Herr Minister? War das alles nur Spiegelfechterei? Bleibt es bei den folgenlosen Ankündigungen?

Ein Papier der SPD-Bundestagsfraktion vom April bringt es auf den Punkt, worum es der Bundesregierung in Wahrheit geht: um die Sanierung des Haushalts durch Einsparung von 5,9 Milliarden Euro bei der Arbeitslosenhilfe. Dafür also opfern Sie, meine Damen und Herren der SPD, die letzten Reste Ihrer sozialen Traditionen.

Sie wissen doch genau, dass diese Kürzungen zulasten von Alleinerziehenden gehen. Kinderarmut wird auch in Brandenburg sichtbar ein zunehmendes Problem. Und dann lese ich im Wahlprogramm der SPD folgende Forderung:

„Alles in unserem Land wird auf Familien- und Kinderfreundlichkeit hin durchforstet.“

Das ist der blanke Hohn! Hätten Sie das einmal vor Ihrer Zustimmung zu Hartz IV getan. Vielleicht wäre Ihnen dann aufgefallen, dass dieses Gesetz zutiefst familienfeindlich ist.

(Beifall bei der PDS)

Zwischen dem, was Sie für die Zukunft versprechen, und dem, was Sie jetzt tun, besteht ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht. Doch immer mehr Menschen haben die Nase voll von dieser Politik. Dabei ist es nicht so - wie wir sehr wohl wissen -, dass die Menschen keine Reformen wollen. Was sie nicht wollen, sind Ihre einseitig auf die sozial Schwachen orientierten Reformen.

Die jetzt geforderte Verschiebung der Zusammenlegung von Arbeitlosen- und Sozialhilfe ist nur eine Scheinlösung. Dieses Gesetz ist schlecht und muss vom Tisch.

(Beifall bei der PDS)

Ein anderer Ansatz für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik ist dringend nötig. Statt eines staatlich geförderten Lohndumpings - 331 Euro monatlich sind nichts anderes - braucht dieses Land ein breites Bündnis für Innovation und Beschäftigung. Die PDS hat mit dem Innovationsprojekt Ost machbare Vorschläge auf den Tisch gelegt.

Erstens fordern wir - ich kann Ihnen das gerne einmal zur Verfügung stellen, damit Sie sich damit beschäftigen können - eine verstetigte und verlässliche Arbeitsförderung und zweitens eine Investitionsoffensive der öffentlichen Hand, insbesondere der Kommunen. Die PDS will einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, der mit dem ersten Arbeitsmarkt sozusagen auf Augenhöhe steht. Das heißt nicht „subventionierte Konkurrenz“ zu bestehenden Unternehmen, sondern das heißt gesellschaftlich notwendige Arbeit, die sich nicht oder noch nicht wirtschaftlich rechnet, Arbeit vor allem im ökologischen Bereich, in der Kultur, in der Jugendarbeit oder auf sozialem Gebiet.

Ein Blick nach Mecklenburg-Vorpommern zeigt, was - Ideenreichtum und soziales Engagement vorausgesetzt - auf Landesebene möglich ist. Arbeitsminister Helmut Holter (PDS) hat dort ein innovatives Arbeitsmarkt- und Strukturentwicklungsprogramm erarbeitet, das sich aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und aus Landesmitteln speist. Durch dieses Programm wurden ca. 1 000 Arbeitsplätze geschaffen. Sicher, das löst das Problem der Langzeitarbeitlosigkeit in unserem nördlichen Nachbarland nicht, aber die Koppelung von aktiven Beschäftigungsmaßnahmen an die Regionalförderung könnte auch für Brandenburg ein gangbarer Weg sein.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Für die PDS ist eines klar: Neben den Arbeitslosen sind nach dem derzeitigen Verhandlungsstand auch die Kommunen Verlierer der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Jede kommunale Mehrbelastung führt dazu, dass sich die Spirale rückläufiger Investitionen und Kürzungen von Leistungen der Daseinsfürsorge fortsetzen wird. Das ist gewissermaßen ein „Teufelskreis der Armut“. Auch das wird die Bürgerinnen und Bürger zusätzlich belasten, und zwar durch höhere Gebühren und weniger Leistungen der Kommunen.

Hartz IV ist der falsche Weg. Nicht die Arbeitlosigkeit, sondern die Arbeitslosen werden mit diesem Gesetz bekämpft. Das ist soziale Ungerechtigkeit pur. Das treibt die Spaltung der Gesellschaft weiter voran. Junge Menschen aus sozial benachteiligten Familien werden es noch schwerer haben, eine Perspektive zu finden.

Diese Entwicklung - das ist die traurige Wahrheit - wird auch vor Brandenburg nicht Halt machen. Dafür tragen Sie, meine Damen und Herren von der SPD und der CDU, die Verantwortung. Die Brandenburgerinnen und Brandenburger werden sich daran erinnern. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Dr. Enkelmann. - Ich gebe das Wort an die Fraktion der SPD. Frau Abgeordnete Dr. Schröder, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als die HartzKommission im August 2002 das Konzept zur Modernisierung der Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vorlegte, appellierte sie an die „Profis der Nation“, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit endlich als vorrangige Aufgabe der Gesellschaft zu begreifen, eine Allianz zu schließen und sich dieser Herausforderung gemeinsam zu stellen. Wir haben gerade wieder erlebt, dass es nicht gelingt, eine Kultur des Miteinanders, eine Kultur der Hinwendung zu Neuem im Interesse einer effektiven Arbeitsmarktpolitik zu entwickeln. Insbesondere bei der Umsetzung von Hartz IV stellen die Debatten der letzten Monate zunehmend infrage, ob es sich hierbei überhaupt noch um Arbeitsmarktpolitik oder nur um Haushalts- und Finanzpolitik handelt.

Bei allen berechtigten Diskussionen über Ämterstrukturen und Kommunalhaushalte dürfen wir das erklärte Ziel der Reform nicht außer Acht lassen: mehr Service für Langzeitarbeitslose. Es geht nämlich in jedem Einzelfall um ganz konkrete Lebenssituationen, um persönliche Probleme, um das Schicksal von Menschen. Arbeitslosigkeit stigmatisiert, zermürbt. Es laufen immer die gleichen Prozesse ab, die bereits in der ersten soziologischen Studie über die Wirkung von Langzeitarbeitslosigkeit anhand des Lebenslaufs eines arbeitslos gewordenen Mannes analysiert wurden:

„Er hat immer sehr hohe Ansprüche ans Leben gestellt, will überall in die Höhe kommen, ist voller Selbstvertrauen gewesen und Familienstolz. Er lernt und arbeitet und setzt sich überall durch, sodass er bis zum Beginn der Arbeitslosigkeit überzeugt ist, dass ihm nichts geschehen kann. Auch in den ersten Monaten glaubt er noch, dass ein Mann von seinen Fähigkeiten nicht zugrunde gehen kann. Er schreibt im ersten Jahr 130 Offerten, die alle unbeantwortet bleiben. Jetzt kann er nicht mehr. Er erzählt, dass er den halben Tag im Bett liegt, weil er dadurch Frühstück und Heizung spart. Er verlässt fast nie das Haus, völlig verzweifelt.“

Dieser Mann braucht echte Lebenshilfe, auch verstanden als Hilfe zur Selbsthilfe. Er braucht Mutmacher, keine Angstmacher!

(Beifall bei der SPD)

Schon gar nicht will er zwischen parteipolitischen Fronten zerrieben werden.

(Zurufe von der PDS)

Dieser Mann braucht eine finanzielle Grundsicherung sowie eine auf ihn individuell zugeschnittene Beratung, Betreuung und aktive Arbeitsvermittlung.

All diese Leistungen und Angebote kann er aber nur im Rahmen finanzierbarer Sozialsysteme erhalten.

(Beifall bei der SPD)

Das ineffiziente, intransparente und wenig bürgerfreundliche Modell mit zwei Fürsorgesystemen, wie es heute mit der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe existiert, passt längst nicht mehr in unsere Zeit.

Der Gesetzentwurf zu Hartz IV wurde im Bundestag mit rotgrüner Mehrheit - zunächst unter anderem mit folgenden wichtigen Punkten - verabschiedet:

Berücksichtigung einer gesicherten Kinderbetreuung und einer tariflichen bzw. ortsüblichen Entlohnung in den Zumutbarkeitsregelungen für eine Arbeitsaufnahme;

Festschreibung eines gesonderten Mehrbedarfs für Alleinerziehende;

Verbesserungen bei der Vermögensanrechnung im Interesse der Betroffenen;

Verzicht auf unfreiwillige Unterhaltsverpflichtungen unter Verwandten.