Protokoll der Sitzung vom 14.04.2005

Auf dem ersten Arbeitmarkt - ich glaube, darüber sind wir uns alle einig - werden auf kurze Sicht nicht genügend Arbeitsplätze entstehen, um die Arbeitslosigkeit deutlich zu senken. Wir wollen deshalb sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze über gemeinwohlorientierte Arbeitsförderprojekte schaffen. Der Bedarf bei Vereinen, Verbänden, gemeinnützigen Projekten, Selbsthilfegruppen und vor allen Dingen bei den Menschen ist vorhanden. Das soziokulturelle Angebot vor Ort kann damit wesentlich verbessert werden. Das Wichtigste: Über 1 000 Menschen könnten damit die Chance erhalten, der Dauerarbeitslosigkeit für zwei Jahre zu entrinnen, hätten Chancen der beruflichen Entwicklung, leisteten Beiträge zum sozialen Sicherungssystem und stärkten die Kaufkraft.

Das lebhafte Interesse der Kommunen und Wohlfahrtsverbände an den so genannten 1-Euro-Beschäftigungen für die öffentliche Daseinsvorsorge zeigt, wohin der Pfad führen muss: Daraus müssen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen. Es ist schon eine Ironie, dass es als Erfolg angesehen wird, wenn in Wriezen Sicherheitspartner über 1-EuroJobs bezahlt werden sollen oder Erzieherinnen in 1-Euro-Jobs in Büros vermittelt werden.

Darüber hinaus wollen wir, wie wir in der Haushaltsdebatte vorgeschlagen haben, die Finanz- und damit die Investitionskraft der Kommunen stärken. Mit der Zusammenfassung von Instrumenten der Wirtschaftsförderung wollen wir Regionalfonds auflegen und arbeitsmarktpolitische Programme damit vernetzen, um sie so mit arbeitsmarktpolitischen Zielen zu verbinden.

Zusammenfassend fordern wir ein, dass sich die Landesregierung dafür einsetzt, dass Hartz IV wirksam und ohne Zeitverzug in entscheidenden Positionen verändert wird und neue Wege der Arbeitsmarktpolitik beschritten werden. Statt der Arbeitslosen muss endlich die Arbeitslosigkeit bekämpft werden, indem Arbeitsplätze geschaffen werden - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Wir setzen die Debatte mit dem Redebeitrag der SPD-Fraktion fort. Es spricht die Abgeordnete Frau Dr. Schröder.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Schiff Hartz IV ist am 1. Januar 2005 vom Stapel gelaufen; seitdem liegt es im Hafen. Im Folgenden zitiere ich aus Briefen, die seit Januar im Hartz-IV-Kontaktbüro der SPD eingingen. Eine Frau aus der Prignitz schreibt:

„Für meinen ALG-II-Antrag war ich im vergangenen Jahr in einer Beratung, dann zweimal bei der Arbeitsagentur: Immer andere Berater, immer andere Meinungen, immer muss man alles neu erzählen. Zum Thema Fördern: Ich wollte zum Berater, in einer Anzeige der Bundesagentur als persönlicher Ansprechpartner bezeichnet. Da wurde mir gesagt, ich soll im Internet gucken; etwas anderes kann man mir in der Beratung auch nicht sagen. Beim nächsten Termin genügt es auch vollkommen, wenn ich anrufe. Aber dann war dort immer besetzt.“

Meine Damen und Herren, hundert Tage sind verstrichen. Es gibt keine Schonfrist, denn wir registrieren gegenwärtig 270 000 arbeitslose Brandenburgerinnen und Brandenburger, so viele wie noch nie im Frühjahr, davon 130 000 im Regelkreis des SGB III und 140 000 im Regelkreis des SGB II. Draußen tobt die See. Mehr als fünf Millionen Menschen befinden sich bundesweit in Not.

Ein Rettungsring hält diejenigen über Wasser, die nicht schwimmen können. Doch alle, Schwimmer wie Nichtschwimmer, wollen endlich wieder Land unter den Füßen spüren.

Ein Mann aus dem Fläming schreibt:

„Meine Frau ist seit vielen Jahren arbeitslos. Hauptsächlich Frauen eben. ABM, Umschulung, Trainingsmaßnahmen bestimmten ihren Lebensweg die letzten 15 Jahre.“

Langzeitarbeitslose warten auf Förderung. Die Schiffe Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe haben sie weder aus dem Wasser geholt noch an Land gebracht. Eine Frau aus dem Spreewald schreibt:

„Ich bin seit 1992 arbeitslos. Seitdem gibt es für mich keine Arbeit. Ich fühle mich abgeschrieben. Muss ich denn mit 48 schon jede Hoffnung, gebraucht zu werden, aufgeben?“

Nein, möchte man ihr zurufen; denn auf dem Schiff Hartz IV herrscht reges Treiben. Seit Monaten werden Matrosen rekrutiert, Maate ausgebildet, Offiziere sind an Deck, die Bordkasse ist gefüllt und der Kapitän verkündet: Der Kurs ist klar. Volle Kraft voraus!

Doch die Zimmerleute unter Deck arbeiten noch immer fieberhaft. Das Schiff ist nicht fertig, nicht seetüchtig und schon gar nicht in der Lage, auf hoher See Hilfebedürftige aufzunehmen. Selbst im Rechenzentrum soll es noch immer Probleme mit der Software geben.

Ein Mann aus der Stadt Brandenburg schreibt:

„Gegenüber der Arbeitsagentur ist nichts verbessert. Die Infotafeln sind leer. Im Wartebereich stehen keine Computer zur Stellenrecherche. Die Arbeitsvermittler sind nicht kompetent, wollen oder können es nicht sein.“

Meine Damen und Herren! Das Schiff Hartz IV muss endlich seetüchtig gemacht werden! Es muss schleunigst das Hafenbecken verlassen und sich auf hoher See als tauglich erweisen. Unverzichtbar bleibt, dass die Besatzung zusammenarbeitet, Hand in Hand, und dass endlich Hilfe zu den Bedürftigen kommt.

(Beifall bei der SPD)

Ein Mann aus der Lausitz schreibt:

„Ich bitte Sie daher, sich im Landtag für die Arbeitslosen ohne Leistungsbezug einzusetzen, um eine verträgliche Lösung zu schaffen, sodass diese Personengruppe auch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt bekommt.“

Es geht also nicht nur um Geldleistungen, sondern auch um Vermittlung, Beratung und Betreuung - für alle Hilfebedürftigen! Arbeitslosigkeit muss endlich wieder ein Gesicht erhalten. Das ist und bleibt die zentrale Leitlinie bei der Umsetzung von Hartz IV.

Zuallererst sind es die Langzeitarbeitslosen, die legitimiert sind, über Erfolg oder Misserfolg der Arbeitsmarktreformen zu befinden. Nur sie können die Fragen beantworten: Fühle ich mich in den Ämtern als Mensch mit individueller Problemlage behandelt oder bin ich weiterhin nur eine anonyme Akte? Erfahre ich qualifizierte Beratung, Betreuung und Vermittlung, die mich einem Job näher bringen, am Arbeitsmarkt eingliedern? Bringen mir Trainings-, Umschulungs- und Weiterbildungskurse eine Erweiterung meiner Qualifikation? Oder habe ich das Gefühl, dass die eingesetzten Gelder allein die Struktur der Bildungsträger sichern? Bleibt der befristete Zusatzjob eine kurze Flucht aus isolierter Arbeitslosigkeit oder ist die Tätigkeit mehr als eine Gelegenheit, die mir auch darüber hinaus berufliche Chancen eröffnet? Aber auch: Welcher Anforderungen stelle ich an mich selbst bei der Suche nach Arbeit? Welche Flexibilität und Mobilität fordere ich mir ab?

Fördern und Fordern befinden sich nach hundert Tagen Hartz IV bei weitem nicht im Gleichgewicht. Fall-Management, Profiling, Eingliederungsvereinbarungen sind vielerorts noch immer Fremdwörter. Der Gleichklang von Fördern und Fordern ist aber kein leeres Versprechen, sondern seit dem 01.01.2005 Rechtsanspruch.

Meine Damen und Herren von der PDS, es wird auch immer wieder deutlich: Nicht Hartz I bis IV ist das Übel, sondern Arbeitslosigkeit, vor allem verfestigte Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit.

(Beifall bei der SPD - Vietze [PDS]: Sehr richtig!)

Eine 23-jährige arbeitslose Kauffrau erhielt von ihrer ARGE keine Angebote. Anfang März wandte sie sich an die Rechtsaufsicht des Landes wegen der Nichteinlösung ihres Rechtsanspruchs auf Vermittlung in Arbeit bzw. in eine Arbeitsgelegenheit. Das Land leitete die Beschwerde an das Kundenreaktionsmanagement der Bundesagentur für Arbeit weiter. Dieses antwortete Ende März:

„Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die Klärung Ihres Anliegens nicht unmittelbar durch die Regionaldirektion Berlin-Brandenburg, sondern vor Ort in der für Sie zuständigen ARGE vorgenommen wird.“

Damit schloss sich der Kreis. Es war nichts erreicht: kein Eingliederungsgespräch, keine Eingliederungsvereinbarung, kein Fall-Manager. Das für die Frau eigentlich zuständige Job-Center in Lauchhammer arbeitet bis heute nicht; es befindet sich noch immer im Bau. Man schob die Beschwerde von einer Behörde zur anderen.

Die ARGE bot der jungen Frau nun einen 1,50-Euro-Job zur, wie es heißt, „Unterstützung der Arbeiten in einer Jugend-, Be

gegnungs- und Seniorentagesstätte“ an. Konkret handelt es sich um Hilfsarbeiten im Rahmen einer Hausmeistertätigkeit.

Ich wiederhole: Der qualifizierten Kauffrau werden ohne FallManagement Hausmeistertätigkeiten angeboten. Das konterkariert den Ansatz von Hartz IV!

(Beifall der Abgeordneten Lehmann [SPD])

Gesetze und Strukturen sind das eine, Menschen, die sie umsetzen und ausfüllen, das andere. Das Kapitel der Verschiebebahnhöfe für Arbeitslose sollte eigentlich durch Hartz IV ein für alle Mal abgeschlossen sein. Bei den Betroffenen gibt es nach wie vor eine hohe Erwartung an Arbeitsgemeinschaften, Optionskreise und Landespolitik.

Worauf kommt es bei der Umsetzung von Hartz IV im Land Brandenburg an? Es kommt darauf an, den Betroffenen zuzuhören, Probleme aufzunehmen und einer Lösung zuzuführen, die Qualifizierung von Fall-Managern zu forcieren, Eingliederungsvereinbarungen abzuschließen, Vermittlung anzubieten und sinnvolle Förderangebote zu unterbreiten.

Dringend geboten sind die schnellste Abarbeitung von Widersprüchen nach Härtefällen und die Beseitigung von Fehlern bei der Anwendung des SGB II.

Hartz IV begleitende, unterstützende und ergänzende Landesarbeitsmarktpolitik sollte sich konzentrieren auf Nichtleistungsbezieher, das heißt auf Langzeitarbeitslose, die wegen des Partnereinkommens - ich sage nicht: wegen hohen Partnereinkommens, sondern nur: wegen Partnereinkommens - aus dem Leistungsbezug herausfallen, auf ältere und alleinerziehende Arbeitslose sowie auf die Kofinanzierung von Zusatzjobs, also von Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung. Über die Neuausrichtung des Landesprogramms „Qualifizierung und Arbeit für Brandenburg“ werden wir heute noch sprechen.

Ich komme zum Schluss. Wer den Betroffenen Lebenshilfe bieten und wer verhindern will, dass Hartz IV in Brandenburg Schiffbruch erleidet, der muss an Bord gehen und die Mannschaft unterstützen.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Aber nicht auf ein Schiff, das nicht mehr zu flicken ist!)

Die PDS will das Gegenteil: auf die Bremse treten, die Leine nicht lösen, das Schiff weiterhin am Auslaufen hindern und die Betroffenen im Stich lassen.

(Sarrach [PDS]: Sie gefährden die Mannschaft! Sie wird mit Mann und Maus untergehen! - Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Übrigens auch der Kapitän - in Nordrhein-Westfa- len!)

Meine Damen und Herren von der PDS, das unterscheidet uns: Sie stehen an Land. Wir sind an Bord, halten Kurs und stärken die Besatzung.

(Beifall bei der SPD - Vietze [PDS]: Das hat der Kapitän der „Titanic“ auch gesagt! - Schulze [SPD]: So viel zum Thema „qualifizierte Zwischenrufe“!)

Sie haben nachher noch Redezeit, meine Damen und Herren von der PDS.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Alle Probleme sind bekannt. Geld und Instrumente sind ausreichend vorhanden. Jetzt gilt es, das Schiff Hartz IV flottzukriegen, damit es an Fahrt gewinnt; denn, meine Damen und Herren von der PDS, Schiffe, die im Hafen liegen, sind zwar sicher vor dem Sturm; aber dafür sind sie nicht gebaut. - Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Vielen Dank. - Wir setzen die Debatte mit dem Redebeitrag der DVU-Fraktion fort. Frau Abgeordnete Fechner, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Dr. Schröder, zu Ihrem Redebeitrag kann ich nur sagen: „Alles im Lot auf dem sinkenden Boot.“

(Beifall bei der DVU)

Wenige Monate nach In-Kraft-Treten der wohl unsozialsten Reform aller Zeiten hat die PDS das Thema heute erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Speziell geht es heute um die Erfahrungen mit der Umsetzung von Hartz IV und um die notwendigen Korrekturen.