Protokoll der Sitzung vom 09.06.2005

In der letzten Legislaturperiode haben wir zum einen Bildungsstandards in die Kitas eingeführt, zum anderen einen Qualitätswettbewerb der Kitas ins Leben gerufen. Außerdem wurden Konsultations-Kitas eingerichtet, die ihre Ideen an die anderen Kindertagesstätten weitergeben sollten.

Das Land Brandenburg leistet sich eine Kindertagesbetreuung auf quantitativ hohem Niveau. Das wurde uns durch die aktuelle OECD-Studie zur Kindertagesbetreuung - wir haben das auch im Antrag begründet - bescheinigt. Der Steuerzahler bringt die Kosten für die Kita-Betreuung zu ca. 85 % auf. Deshalb sollte jedem Einzelnen daran gelegen sein, dass dieses Geld eine möglichst sinnvolle Verwendung findet.

Die Aufbewahrung der Kinder hat noch nichts mit einer hohen Betreuungsqualität zu tun. Nach Kita-Gesetz haben Einrichtungen die Aufgabe, zu betreuen, zu bilden, zu erziehen und über die Erziehung soziale Kompetenzen bei Kindern zu entwickeln. Herr Prof. Dr. Tietze vom Lehrstuhl für Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Kleinkindpädagogik der Freien Universität Berlin hat allerdings schon vor vielen Jahren darauf verwiesen, dass die Qualität der Betreuung, Bildung und Erziehung stark verbesserungswürdig ist. Das hat sich bis heute nicht wesentlich verändert.

Der Bildungsausschuss hat am 21. April dieses Jahres eine Anhörung zur Qualitätsentwicklung in der Kindertagesbetreuung durchgeführt. Im Rahmen dieser Anhörung führte Prof. Dr. Tietze aus, dass Brandenburg im Vergleich mit den westlichen Bundesländern im Durchschnitt qualitativ schlechter abschneidet.

Wenn es, wie festgestellt wird, aufgrund der pädagogischen Qualität in den Kitas zu Entwicklungsunterschieden von bis zu einem Jahr kommt, verwehren wir unseren Kindern wichtige Chancen hinsichtlich der weiteren Entwicklung. Spätestens mit

der Einschulung treffen sie auf Kinder, die unter Umständen keine Entwicklungsdefizite aufweisen. Sowohl für die Kinder als auch für die Lehrer ist es dann außerordentlich schwierig, die Lücken zu schließen. Dies ist jedoch notwendig, denn Kinder sollen und müssen mit Beginn der Schulzeit ein hohes Bildungsniveau entsprechend ihren Fähigkeiten erreichen.

Insbesondere die Sprachentwicklung wurde wiederholt kritisiert, trotz des hohen Betreuungsstandards hat sie sich verschlechtert. So leiden nach Aussagen des Landesgesundheitsamtes Brandenburgs 17 bis 19 % der Kinder an Sprachstörungen. In den Jahren 2000 bis 2004 wurde bei 15 bis 16 % der Kinder ein Förderbedarf festgestellt, ca. 25 % der Kinder zählen nach PISA zu den Risikokindern. Die Tatsache - wie Herr Prof. Dr. Tietze ausführte -, dass die Fördereffekte beim aktiven Wortschatz besonders nachhaltig sind, wenn eine Förderung durch die Erzieher möglichst frühzeitig erfolgt ist, macht deutlich, dass die Kitas vor großen Herausforderungen stehen.

Amerikanische Studien belegen diese praktischen Erfahrungen. Ich spreche ganz bewusst von amerikanischen Studien. In Deutschland steckt die Forschung hinsichtlich der Elementarbildung noch in den Kinderschuhen. Bundesweit gibt es fünf Institutionen, die sich mit der Kleinkindpädagogik beschäftigen, und über 30 Lehrstühle für Japanologie. Darüber sollte man einmal nachdenken.

Amerikanische Studien belegen also praktische Erfahrungen:

Erstens: Kinder lernen zwischen dem dritten und dem zwölften Lebensjahr besonders viel und besonders schnell. Die Zeit vom dritten bis sechsten Lebensjahr ragt dabei besonders heraus.

Zweitens: Je früher Förderung einsetzt, desto größer sind die Aussichten, Sprach- und Lernschwierigkeiten, aber auch Verhaltensauffälligkeiten zu beseitigen oder wenigstens zu reduzieren.

Drittens: Frühe Diagnosen zum Entwicklungsstand der Kinder sind zwar nötig, ohne eine zielgerichtete Förderung jedoch müßig.

Viertens: Defizite, die im Kleinkindalter auftreten, sind im Schulalter, vor allen Dingen im späteren Schulalter, nur schwer zu beheben.

Pädagogische Qualität ist keine Privatsache von Erzieherinnen, Einrichtungen oder Trägern; das einzelne Kind als Subjekt hat Anspruch auf bestmögliche Förderung. Insofern handelt es sich dabei um eine öffentliche Aufgabe. Dies sagte Prof. Dr. Tietze in der Anhörung. Wenn in unserem Antrag auch nicht explizit erwähnt, so gehört doch dazu, dass auch die Erzieherinnen Verhaltensdefizite erkennen. Natürlich sind vor allem die Eltern in der Pflicht. Wir alle aber wissen, dass es Problemfamilien gibt, in denen Kinder vernachlässigt werden. Das sollte bzw. darf einer guten Erzieherin nicht verborgen bleiben. Neben der Zusammenarbeit mit den Eltern ist sie dafür verantwortlich, dass der rechtzeitige Kontakt zum Jugendamt gesucht wird. In der Regel weisen sozial benachteiligte Kinder leider gleichzeitig mehrere Defizite auf und sind somit bedeutend öfter betroffen. Aus einer Untersuchung des Landesgesundheitsamtes ergab sich hinsichtlich der Defizite folgendes Verhältnis: einem Kind aus intakten Familienverhältnissen stehen drei Kinder aus sozial schwierigen Verhältnissen gegenüber.

Ich fand es interessant, dass Herr Prof. Dr. Sturzbecher von der Uni Potsdam die Äußerungen von Herrn Prof. Dr. Tietze in seinen Ausführungen untermauert hat, und schlägt vor, verbindliche brandenburgische Bildungsstandards oder Bildungsgrundsätze für die Kita zu vereinbaren, was unter einem Finanzierungsdruck natürlich am ehesten gelänge. Erlauben Sie mir an dieser Stelle nochmals Prof. Sturzbecher zu zitieren:

„In dem Moment, wo man Einrichtungen nur dann finanziert, das heißt, sie auch nur dann in die Bedarfsplanung der Jugendämter aufnimmt, wenn sie entsprechende Bildungsstandards erfüllen, wird man sehr schnell eine Erhöhung der Bildungsqualität erreichen.“

Wir hätten beispielsweise die Möglichkeit zur Staffelung der Landeszuschüsse; denn das Land kann seine Förderkriterien selbstverständlich neu definieren.

Seitens des Städte- und Gemeindebundes wurde betont, dass in den Kitas bereits Bildungsarbeit geleistet werde. Man könne aber nicht erwarten, dass Kitas die mannigfaltigen Sozialisations- und Erziehungsdefizite der Elternhäuser kompensierten. Auch darin liegt ein Stück Wahrheit.

Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen aber die Kinder, die nichts dafür können, dass ihnen Eltern geschenkt wurden, die ihnen nicht die notwendige Zuwendung zuteil werden lassen.

Der vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen soll Grundlage dafür sein, dass im Dialog mit allen Beteiligten ein Konzept erarbeitet wird, das zur Qualitätsverbesserung in der Kindertagesbetreuung führt. Der Dialog zwischen den Beteiligten Land, freie Träger, Kommunen und Jugendämter der Landkreise - soll eine Bestandsaufnahme beinhalten und erstens zu höherer Verbindlichkeit des Bildungsauftrags, zweitens zu einer Verbesserung der Fortbildung der Erzieher und drittens zu entwicklungspsychologischen Aussagen zur frühen Kindheit führen.

Jeder, der heute bei Aldi Orangensaft kauft, achtet darauf, dass es sich um geprüfte Qualität handelt. Ob ich mein Kind in eine gute Kita bringe, weiß ich als Elternteil nicht. Quantität, die nicht mit Qualität einhergeht, kommt einer Massenabfertigung gleich. Deshalb sollten wir im Interesse unserer Kinder alle Anstrengungen unternehmen, sie frühzeitig optimal auf die Zukunft vorzubereiten. Das ist Anliegen des vorliegenden Antrags. - Danke.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Hartfelder. - Wir setzen mit dem Beitrag der PDS-Fraktion fort. Frau Abgeordnete Große spricht.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hätte unsere Fraktion diesen Antrag eingereicht, wäre er von Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, mit Sicherheit abgelehnt worden. Die für uns alle gängige Begründung hätte gelautet: Das machen wir ohnehin. Ihres Antrags bedarf es nicht. - Wir werden Gleiches nicht mit Gleichem vergelten.

Ich finde es anerkennenswert, dass Sie sich nicht kritiklos an den Erfolgen der Baby-PISA-Studie weiden, sondern sich eingestehen, dass die Qualität der Kindertagesbetreuung verbessert werden muss. Das zeugt von Realismus. Ich kann Ihnen versichern, dass Sie uns immer an Ihrer Seite haben werden, wenn es um die Erhöhung der Qualität der Kindertagesbetreuung geht. Wissenschaftliche Untersuchungen gehen immerhin davon aus, dass zwei Drittel der Kita-Einrichtungen in Brandenburg hinsichtlich ihrer pädagogischen Qualität mittelmäßig sind, ein knappes Drittel im Bereich guter Qualität liegt und zwei bis drei von ihrer Qualität her unzureichend sind. Frau Kollegin Hartfelder hat in ihrer Rede schon auf andere Befunde hingewiesen.

Nachweislich führt die Bildungsförderung in Brandenburg ein stiefmütterliches Dasein. Beim Kompetenzerwerb liegen die Brandenburger Kitas, gemessen an internationalen Kriterien, unter dem Durchschnitt. Es besteht also dringender Handlungsbedarf.

Frau Kollegin Hartfelder, ich denke schon, dass Eltern Kitas sehr wohl auch danach aussuchen, was dort bildungsmäßig geleistet wird. Das Problem liegt darin, dass wir noch nicht eine dem Bedarf der Eltern, die es wünschen, genügende Zahl an Kitas haben.

Wir alle wissen, dass Konzepte allein nichts verbessern. Ganz so konzeptionslos war das Handeln der Landesregierung in dieser Angelegenheit bisher nicht.

(Beifall der Abgeordneten Geywitz [SPD])

Vielleicht gelingt es mit dem Konzept, noch vorhandene Blockaden aufzuheben. Ich erinnere an die auch von Kollegin Hartfelder geforderte Verbindlichkeit des Bildungsauftrags, natürlich vor allem auf das Agieren des Städte- und Gemeindebundes bezogen, der es bisher ablehnt, den Bildungsauftrag für die Kitas in kommunaler Trägerschaft als verbindlich festzuschreiben.

Ich denke des Weiteren an die Sprachstandsfeststellung. Wir meinen, dass es viel zu spät ist, wenn sie erst im Jahr vor Schulbeginn durchgeführt wird. Sie sollte früher erfolgen und mit einer entsprechenden Förderung verbunden werden.

Wir sind also für ein Konzept der Landesregierung und unterstützen Ihre Forderung nach einem kontinuierlichen Dialog, obwohl es auch diesen bereits gibt. Ich denke dabei an den Landesjugendhilfeausschuss. Frau Kollegin Lehmann und ich tummeln uns im Unterausschuss „Kita“; dort gibt es einen beständigen Dialog. Ferner verweise ich auf Fachtagungen, diverse Wettbewerbe usw. Das muss fortgesetzt und vertieft werden.

Die Geister scheiden sich allerdings an dem von Ihnen aufgestellten Forderungskatalog. Wir teilen im Wesentlichen die fünf Forderungen, weil sie vorhandene Defizite aufgreifen. Wir halten den Katalog aber für unvollständig und in gewisser Weise für scheinheilig. Aus unserer Sicht fehlt in Ihrem Antrag die wichtigste Forderung: Rücknahme der von Ihnen in den vergangenen Jahren beschlossenen Einschränkungen beim Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Solange der Rechtsanspruch eines Kindes auf einen Kita-Platz an den Arbeitsplatz der Eltern gebunden ist und Sie daran nichts ändern, verhindern Sie Chancengleichheit bezogen auf den Zugang zu und die Teilhabe an Bildung schon im frühkindlichen Alter.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Wir alle wissen, wie sich das Problem in der Schule verschärft. Außerdem, meine Damen und Herren von der SPD, müssen Sie sich wohl erst einmal untereinander darüber klar werden, was Sie wollen. In der Öffentlichkeit vermitteln Vertreter Ihrer Partei den Eindruck, dass die SPD - ich zitiere; ich sage gleich, wen - auch für die Kinder arbeitsloser Eltern das Recht auf einen Kita-Platz gesetzlich verankern wolle. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Danckert nennt es - ich zitiere wieder unverantwortlich, Kinder aus dem sozialen Umfeld herauszureißen, nur weil die Eltern keinen Job mehr haben. Das sei bildungs- und sozialpolitisch kontraproduktiv.

(Lebhafter Beifall bei der PDS)

Er sagt weiter, die Kita sei ein wichtiger Ort der sozialen Integration und der Bildung. So stand es in der "MAZ" von vor zwei Tagen.

Recht hat Ihr Kollege! Nur scheinen seine Ansichten noch nicht bis zu Ihnen vorgedrungen zu sein. Aber wir sind in Wahlkampfzeiten. Es scheint so, als griffen vor jeder Wahl die Minderheiten in der SPD zu dem gleichen Versprechen; denn im September vorigen Jahres erhoben Frau Kollegin Siebke und Sie, Herr Kollege Fritsch, die gleiche Forderung; nach den Wahlen war sie leider nicht mehr zu hören.

Da sich die zitierten Ansichten von Herrn Danckert mit den unsrigen decken, möchten wir mit unserem Änderungsantrag Ihren Antrag um einen Punkt ergänzen: Wir erwarten, dass die Landesregierung in dem geforderten Konzept Vorstellungen entwickelt, wie der uneingeschränkte Rechtsanspruch aller Kinder auf einen Kita-Platz möglichst schnell wiederhergestellt werden kann. Immerhin fordern wir die Landesregierung nur auf, Vorstellungen zu entwickeln. So weich haben wir das noch nie formuliert. Sie können also getrost zustimmen. Das würde unsere Zustimmung zu Ihrem Antrag zumindest erleichtern. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Große. - Wir setzen mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Frau Abgeordnete Lehmann spricht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Kollegen! Liebe Frau Große, so ist das mit dem Wunschdenken einzelner Politiker, und das in der Zeit des Wahlkampfes.

Zu der OECD-Studie „Starting strong“ - zu deutsch: starker Start -, auf die sich unter anderem unser Antrag beruft, muss man sagen: Die Autoren der Studie haben bewusst eine Untersuchung über die Politik der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung durchgeführt. Im Vorwort heißt es: Die

formulierten Empfehlungen sind nicht unverrückbar, sondern sollen vielmehr einen fachlichen Dialog in Gang setzen. - Mit unserem Antrag wollen wir den fachlichen Dialog unterstützen.

Aber nicht nur diese Studie, sondern auch die Anhörung im Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport am 21.04. zum Thema „Pädagogische Qualität in Kindertagesstätten“ war für uns ausschlaggebend. In der Anhörung ist deutlich geworden, dass zwei Drittel aller Kinderbetreuungseinrichtungen in der Bundesrepublik im Bereich mittelmäßiger pädagogischer Qualität liegen. Pädagogische Qualität zu messen ist sehr schwierig. Aber die Freie Universität hat dies getan; sie hat einzelne Einrichtungen ausgesucht und ein plausibles Untersuchungsverfahren entwickelt.

Tatsache ist - auch das ist in der Anhörung deutlich geworden -: Die Bildungsförderung in Kindertagesstätten ist in den vergangenen Jahren vernachlässigt worden.

Warum ist pädagogische Qualität in Kindertagesstätten so wichtig? Aufgrund der pädagogischen Qualität der Erziehung im Vorschulalter kommt es bei den Kindern zu Entwicklungsunterschieden von bis zu einem Jahr. Solche Effekte von pädagogischer Qualität des Kindergartens sind im Grundschulalter nachweisbar: in der Schulleistung, in der Sprachentwicklung, aber auch in der gesamten sozialen Entwicklung.

Die Anhörung im Fachausschuss hat aber auch sehr deutlich gemacht, dass wir in Brandenburg verbindliche Qualitätsstandards sowie eine höhere Ausbildung der Erzieherinnen benötigen. Das kann ein Fachhochschulstudium oder ein Universitätsstudium sein. Es ist zu begrüßen - vor wenigen Tagen habe ich es jedenfalls im Info-Radio hören können -, dass die Fachhochschule Potsdam einen Studiengang mit 25 Plätzen eingerichtet hat. In erster Linie sollen hier Kita-Leiterinnen ausgebildet werden, die dann in ihren Einrichtungen als Multiplikatoren in diesem Sinne tätig werden und ihr Wissen an die Erzieherinnen weitergeben sollen.