Protokoll der Sitzung vom 31.08.2005

Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie zur heutigen Plenarsitzung. Vor Beginn habe ich Ihnen eine Mitteilung zu machen. Aufgrund der aktuellen Ereignisse hat die PDS-Fraktion einen neuen Namen. Seit dem 30. August führt sie die Bezeichnung „Die Linkspartei.PDS-Fraktion im Landtag Brandenburg“. Die Kurzfassung dazu heißt „Die Linkspartei.PDSFraktion Brandenburg“. Ich bitte Sie um Toleranz, sollte im Laufe der Debatte jemand einfach „PDS“ sagen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ebenfalls vor Eintritt in die Tagesordnung begrüße ich Gäste vom Gehörlosenverband in Potsdam.

(Allgemeiner Beifall)

Es wird gedolmetscht. Sie, meine Damen und Herren Abgeordnete und Mitglieder der Regierung, können nicht gehört, dafür umso besser gesehen werden. Berücksichtigen Sie das bitte während des Verhandlungsverlaufs.

Wir haben eine Änderung zur Tagesordnung zu beschließen. Es wird zusätzlich der Tagesordnungspunkt 3, 2. Lesung des Gesetzes zur Änderung der Brandenburgischen Bauordnung, aufgenommen. Es ist zu diesem Tagesordnungspunkt keine Debatte zu führen.

Wer mit der Tagesordnung in der geänderten Fassung einverstanden ist, den bitte ich um sein zustimmendes Handzeichen. Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall. Damit ist die Tagesordnung so beschlossen.

Es ist noch Folgendes mitzuteilen: Der Ministerpräsident ist heute ganztägig abwesend und wird vom Innenminister vertreten. Minister Schönbohm wird ab 17 Uhr von Ministerin Blechinger, Minister Junghanns ab 17.30 Uhr von Ministerin Wanka vertreten. Weitere Abwesenheiten entnehmen Sie bitte der Sitzordnung.

Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Die Zukunftsfähigkeit Brandenburgs sichern - die Verantwortung der Landesregierung für gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen

Antrag der Fraktion der PDS

Ich erteile der Abgeordneten Dr. Enkelmann in der Hoffnung das Wort, dass sie uns die Aktualität dieses Themas in ihrem Vortrag deutlich macht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema ist aktuell, denn genau heute vor 15 Jahren wurde der Einigungsver

trag vom damaligen Bundesinnenminister Schäuble und vom DDR-Staatssekretär Günther Krause unterzeichnet. Damit erfolgte der Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes. Auf den allermeisten Gebieten wurde das bundesdeutsche Recht ohne Anpassungsregelung und ohne Übergangsfristen übergestülpt. Das blieb bekanntlich nicht ohne Auswirkungen.

Zudem fand in den Einigungsvertrag das für den Aufbau Ost so verheerende Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ Eingang. Die Treuhandanstalt, die das volkseigene Vermögen übernahm, wurde dem Bundesfinanzminister übereignet. So schnell wie möglich sollten die Betriebe in der Folgezeit privatisiert werden. Nicht selten wurden sie für die sprichwörtliche eine Mark verschleudert.

Inzwischen wissen wir, dass es mehr Bewahrenswertes in der DDR gegeben hat als den Grünen Pfeil oder die NaturschutzEule. Ich denke an vorbildliche Ganztagsbetreuung für Kinder, ich denke an die Polikliniken, ich denke auch an kurze Studienzeiten und vieles andere mehr. Darauf hat der Einigungsvertrag allerdings keine Rücksicht genommen. Er diente letztlich dem Zweck, den Staat zwischen Elbe und Oder abzuwickeln.

In dem Staatsvertrag fanden sich nicht wenige Versprechungen und Absichtserklärungen für die Bürgerinnen und Bürger der DDR wieder. So sollte der Beitritt mit dem Ziel erfolgen, Einkommen, Renten und Lebensverhältnisse anzugleichen. Soweit es um Straßen und Abwasserkanäle, Strom- und Telefonleitungen ging, glichen sich die Lebensverhältnisse in Ost und West sehr schnell an. In dieser Beziehung kann man sagen, Ostdeutschland ist wirklich der modernisierte Teil der Bundesrepublik.

Tatsache ist aber auch: Von der Verwirklichung vieler sozialer Versprechen an die Menschen in den neuen Bundesländern sind wir weiter denn je entfernt. Fast 15 Jahre nach der Einheit ist die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern doppelt so hoch wie in den alten. Die Einkommen sind immer noch deutlich niedriger, die Armut ist größer.

Das Versprechen, die Renten anzugleichen, ist auf den SanktNimmerleins-Tag verschoben. Die Forderung der Linkspartei.PDS nach einem Fahrplan zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West ist deshalb mehr als berechtigt.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Besonders unerträglich für mich ist der dramatische Anstieg der Kinderarmut. Sie alle, meine Damen und Herren, sollten sich den Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung und auch die jüngste Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes sehr genau ansehen und Sie sollten die Ergebnisse dieser Berichte sehr ernst nehmen.

Seit Hartz IV auch in Brandenburg sein Unwesen treibt, leben hier viermal mehr Kinder auf Sozialhilfeniveau als zuvor. In der Uckermark gilt fast jedes dritte Kind als arm. Es bewahrheitet sich: Hartz IV, das ist Armut per Gesetz, ist vor allem auch Kinderarmut per Gesetz. Meine Damen und Herren von der Koalition, Ihre Forderung nach Ost-West-Angleichung des Arbeitslosengeldes II wird in diesem Zusammenhang kein wirksames Gegenmittel sein.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert als Sofortmaßnahme eine Aufstockung des ALG II um 19 %, also auf etwa 400 Euro. Längst überfällig ist auch, den wirklichen Bedarf von Kindern und Jugendlichen neu zu definieren. Kinder und Jugendliche sind eben keine „kleinen Erwachsenen“, sie haben besondere Bedürfnisse. Insofern geht es auch nicht darum, dass ihnen nur ein Prozentsatz von der Regelleistung der Erwachsenen zusteht. Kindergeld und Unterhalt dürfen nicht länger bei der Bemessung des ALG II angerechnet werden.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Angesichts der erschreckenden Zahlen auch für das Land Brandenburg besteht dringender Handlungsdruck für die Landespolitik. Es geht um schnelle Hilfen für akut von Armut betroffene Menschen. Unsere Kritik an Hartz IV, Frau Ministerin Ziegler, lassen wir uns nicht nehmen. Dass sie berechtigt ist, hat eine Anhörung gezeigt, die unsere Fraktion gestern durchgeführt hat, eine Anhörung von Mitarbeitern der Verwaltungen, eine Anhörung von Betroffenen, eine Anhörung von Vertretern des Arbeitslosenverbandes.

Dabei hat sich ganz deutlich gezeigt, welche Auswirkungen Hartz IV auch auf Brandenburg, auf Betroffene bis in die Verwaltungen hinein, hat. Dass die SPD sich auf ihrem heutigen Parteitag als Partei der sozialen Gerechtigkeit feiert, ist auch angesichts dessen ein Treppenwitz der Geschichte.

Meine Damen und Herren, das kritiklose Jasagen dieser Landesregierung zur Politik im Bund brachte Brandenburg nicht nur bei der so genannten Arbeitsmarktreform gravierende Nachteile. Sie stimmten Steuerreformen der Bundesregierung zu, die in erster Linie die Vermögenden und die großen Unternehmen begünstigten. Die öffentlichen Haushalte wurden zusätzlich belastet. Die rot-grünen Finanzgeschenke an Großunternehmen und Großverdiener kosteten das Land Brandenburg in den vergangenen Jahren schätzungsweise 300 Millionen Euro Einnahmen. Diese fehlen dem Land und damit auch den Kommunen.

Sie stimmten einer Gesundheitsreform zu, die mit Praxisgebühr, höheren Zuzahlungen und großzügigen Rabatten an die Pharmaunternehmen die Versicherten um Milliarden Euro erleichterte.

Zugleich verzeichnen wir im Land Ärztemangel, ausgedünnte Gesundheitsversorgung sowie fehlende Vorsorge, insbesondere für Kinder und Jugendliche. Auch in Brandenburg mehren sich die Beispiele - auch das hat unsere gestrige Anhörung gezeigt -, dass ALG-II-Empfänger auf notwendige Behandlungen verzichten, weil sie die 10 Euro Praxisgebühr nicht zahlen können.

Sie stimmten auch einer Rentenreform zu, mit der Rentnerinnen und Rentnern Beiträge für Krankengeld abgezogen werden, obwohl Rentner nie Krankengeld beziehen werden.

Die Realeinkommen der Bevölkerung sind noch nie zuvor so drastisch gesunken.

Meine Damen und Herren, die Linkspartei.PDS plädiert für einen umfassenden Neuansatz in Ostdeutschland. Wie notwendig dieses Herangehen auch in Brandenburg ist, zeigt der im Juni veröffentlichte Zweite Ländervergleich der Bertelsmann Stif

tung. Nach dem Ranking vor drei Jahren war in der Landesregierung noch hektische Betriebsamkeit ausgebrochen. Nun zeigt man Gelassenheit. Ich meine, Gelassenheit ist hier völlig fehl am Platze.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zuruf des Abgeordne- ten Lunacek [CDU])

- Dazu komme ich noch, Herr Lunacek. Es gibt gute Beispiele für die Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin. - Es ist höchste Zeit, die Realitäten zur Kenntnis zu nehmen. Brandenburg liegt im Vergleich der 16 Bundesländer auf dem 14. Platz.

(Lunacek [CDU]: Hinter Berlin und Mecklenburg-Vor- pommern!)

Selbst der Rückstand zu Sachsen-Anhalt, zu Sachsen und Thüringen vergrößerte sich weiter. - Wir reden hier über Brandenburg, Herr Lunacek. Sie tragen Verantwortung hier in diesem Land, in Brandenburg.

(Lunacek [CDU]: Ja! Sie glücklicherweise nicht!)

Also lassen Sie uns darüber reden!

(Beifall bei der PDS)

Beim Wirtschaftswachstum und der Erwerbstätigenquote gehört Brandenburg zu den Schlusslichtern.

Besonders verheerend ist das Zeugnis, das die Wissenschaftler der Forschungs- und Hochschulpolitik des Landes ausstellen. „Kein Land gibt auch nur annähernd so wenig für Forschung und Entwicklung sowie für Hochschulen aus“, heißt es in der Studie.

Während das Land Brandenburg zum Beispiel 3,6 % des Landeshaushalts für Hochschulen ausgibt, sind es in MecklenburgVorpommern 6,8 %, Herr Lunacek. Also auch hier trägt Brandenburg wieder die rote Laterne.

Die Linkspartei.PDS hält an dem Verfassungsauftrag fest, in allen Teilen Brandenburg gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Mit der bisherigen Politik Ihrer Koalition ist das allerdings nicht zu verwirklichen. Sie, meine Damen und Herren, verweigern sich einem ergebnisoffenen ehrlichen Dialog um die Zukunft des Landes. Mit einer Politik vom grünen Tisch aus werden Sie aber die Entwicklungschancen und Potenziale Brandenburgs nicht entdecken und entwickeln können.

In Brandenburg ist ein Politikwechsel längst überfällig.

Dazu braucht das Land zunächst eine grundsätzlich neue Strukturpolitik. Es geht darum, diesem Land flexible, passgenaue, langfristige und vor allem verlässliche Förderinstrumente zu geben. Überall im Land Brandenburg sind in den vergangenen 15 Jahren Pflänzchen gewachsen, die es zu hegen und gezielt zu bewässern gilt. Nicht die Regionen haben sich der Förderung anzupassen, sondern umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die Förderung hat sich den jeweils sehr unterschiedlichen, dif

ferenzierten Bedürfnissen in den Kommunen und Regionen des Landes anzupassen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Wir brauchen eine Stärkung der regionalen Kompetenzen, wie sie insbesondere in den Regionalen Planungsgemeinschaften vorhanden sind.