Protokoll der Sitzung vom 22.02.2006

(Unterbrechung der Sitzung: 12.15 Uhr)

(Fortsetzung der Sitzung: 13.16 Uhr)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir setzen die Plenarsitzung fort und ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Brandenburgisches Architektengesetz (BbgArchG)

Gesetzentwurf der Landesregierung

Drucksache 4/2069

2. Lesung

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Infrastruktur und Raumordnung

Drucksache 4/2520

Wir beginnen mit der Diskussion. Als Erste erhält Frau Abgeordnete Böhnisch von der Linkspartei.PDS das Wort.

Während sie ans Pult kommt, begrüße ich ganz herzlich Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums in Falkenberg/Elster. Seien Sie herzlich willkommen bei uns!

(Allgemeiner Beifall)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle fest, richtig spannend ist das Thema nach der Mittagspause anscheinend nicht. Wir werden versuchen, es spannend zu machen.

Worüber entscheiden wir heute beim Brandenburgischen Architektengesetz? Wir entscheiden unter anderem über die Umsetzung einer europäischen Richtlinie, die schon seit 2003 in der Bundesrepublik umgesetzt werden sollte und die die Anerkennung von beruflichen Befähigungsnachweisen für Architekten und Stadtplaner regeln soll. Die allgemeine EU-Richtlinie soll zur Vereinheitlichung und Vergleichbarkeit der Studiengänge und Studienabschlüsse in Europa beitragen. So weit, so gut. Darin ist auch eine Mindeststudienzeit - meine Betonung liegt auf: Mindeststudienzeit - für die berufliche Qualifikation festgelegt worden. Jedes Land hat dennoch Spielräume bei der Umsetzung, jedes Land hat eigene Regelungskompetenzen, was zum Beispiel die Vergleichbarkeit der Studiengänge betrifft.

Was macht das Land Brandenburg? Es beruft sich auf zwingenden europäischen Regelungsbedarf. Doch haben wir den

Eindruck, die Landesregierung folgt diesen Regelungen blindlings, ohne die durchaus vorhandenen eigenen Ermessensspielräume zu nutzen und ohne an die Auswirkungen in der Praxis zu denken. Brandenburg legt jetzt unterschiedliche Mindeststudienzeiten für die berufliche Kammerfähigkeit fest, für Hochbauarchitekten vier Jahre, für Landschafts- und Innenarchitekten sowie für Stadtplaner drei Jahre plus eine zweijährige Berufspraxis. Diese Varianten wurden im zuständigen Ausschuss für Infrastruktur und Raumordnung ausführlich diskutiert.

Wir haben es uns nicht leicht gemacht und Fachleute und Praktiker aus den Kammern, Verbänden und Hochschulen zu zwei Anhörungen eingeladen. Sie alle äußerten sich zu dem Gesetzentwurf und sagten einhellig: Wir möchten eine vierjährige Mindeststudienzeit für all diese Fachrichtungen als Bedingung für die Eintragung in die Architektenkammer beibehalten.

Niemand hatte etwas gegen die Umstellung der Studiengänge auf Bachelor- oder Masterstudiengänge. So wird an den brandenburgischen Hochschulen inzwischen auch ausgebildet. Dennoch - das haben die Professoren Albers von der Fachhochschule Potsdam, Oestreich von der Technischen Universität Cottbus und Rabold von der Fachhochschule Lausitz in den Anhörungen immer wieder bestätigt - gibt es nach Abschluss der unterschiedlichen Studiengänge einen Unterschied in der Berufsqualifikation. Der Bachelorabschluss wird zwar als erster berufsqualifizierender Abschluss gewertet; unbestritten befähigt er zu einer Tätigkeit in einem Stadtplanungs- oder Architektenbüro. Keinesfalls aber sollte er zur so genannten Kammerfähigkeit, das heißt zur selbstständigen Arbeit als Architekt, berechtigen. Dies sollten wir auch im Interesse des Verbraucherschutzes nicht negieren und nicht nivellieren.

Die Experten, die wir eingeladen hatten, bezogen sich alle darauf, dass die nach dem dreijährigen Studium erworbenen Kenntnisse und Berufserfahrungen nicht ausreichten, um selbstständig in den betreffenden Berufen zu arbeiten und den hohen Qualitätsanforderungen gerecht zu werden. Gerade im Hinblick auf die vor uns liegenden Aufgaben des komplexen Umbaus der Städte und des ländlichen Raums - ich nenne nur das Stichwort „demografischer Wandel“ - brauchen wir in unserem Land hoch qualifizierte, komplex denkende und planende Architekten, Stadt- und Raumplaner.

Noch ein Kritikpunkt: Keine der in Betracht kommenden europäischen Richtlinien enthält irgendeine Anordnung, nach der ein dreijähriges Mindeststudium im Bereich der Architektur in den Mitgliedsstaaten als kammerfähig anerkannt werden muss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb bleiben wir bei unserer Kritik an dem vorgelegten Gesetzentwurf und an dem ganzen Verfahren. Warum werden Anhörungen mit Fachleuten und Experten gemacht, wenn man am Ende doch seinen Gesetzentwurf ohne Wenn und Aber durchsetzen will? Warum nutzen wir nicht die eigenen Regelungskompetenzen, zum Beispiel die zur Vergleichbarkeit der Abschlüsse, bei der Umsetzung der Richtlinie? Warum beruft man sich auf ein Musterarchitektengesetz, das vom Grundsatz her richtig ist, wenn es in den Ländern einheitlich umgesetzt werden würde und man sich zum Beispiel auch mit Berlin abstimmen würde, wenn man dann doch ein eigenständiges Gesetz macht?

Fakt ist, dass die EU-Richtlinie bisher sehr unterschiedlich in den Landesgesetzen verankert worden ist. Es macht mich

schon nachdenklich, dass in Rheinland-Pfalz das Landesarchitektengesetz im Dezember 2005 mit einer vierjährigen Mindeststudiendauer für alle Fachrichtungen beschlossen wurde.

Das alles sind Ungereimtheiten. Deshalb kritisieren wir den vorliegenden Entwurf.

In § 5 Abs. 5 verzichten Sie darauf, bei Abschlüssen aus dem Ausland eine mindestens zweijährige Berufspraxis als Bedingung für die Kammerzulassung zu verlangen. Ich weiß, dieser Satz ist der EU-Richtlinie entlehnt, steht aber im Widerspruch zur allgemeinen Praxis in Deutschland und auch speziell in Brandenburg. Bei nicht vergleichbaren Regelungen - so steht es in der allgemeinen Anerkennungsrichtlinie der EU - kann die Anerkennung an Auflagen gebunden werden, zum Beispiel Anpassungslehrgänge, Eignungsprüfungen oder eine ausreichende praktische Berufserfahrung.

Der Verzicht auf die nachgewiesene Berufspraxis bei auswärtigen Abschlüssen stellt unserer Meinung nach eine unzulässige Benachteiligung der im Inland ausgebildeten und praktizierenden Fachleute dar, auch wenn es von der EU als Richtlinie so angedacht ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie kennen unsere beiden Änderungsvorschläge auf eine mindestens vierjährige Studienzeit für alle Fachrichtungen, die den vorliegenden Gesetzentwurf betreffen, und die Forderung nach einer zweijährigen Berufspraxis für alle. Der wesentliche Schutz der Verbraucher besteht doch in der Sicherheit, in den Berufskammern qualifizierte und ausreichend erfahrene Leistungsanbieter zu finden. Das wollten wir mit unserem Änderungsantrag erreichen. Wir möchten Sie deshalb bitten: Überdenken Sie Ihren Gesetzentwurf noch einmal und stimmen Sie unserem Änderungsantrag vorurteilsfrei zu!

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Danke schön. - Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Günther von der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Liebe interessierte Kolleginnen und Kollegen! Zwei Anhörungen und eine Vertagung haben wir gebraucht, um uns eine abschließende Meinung zur Novelle des Brandenburgischen Architektengesetzes zu bilden. Insofern sehen Sie: Wir haben uns in der Tat sehr intensiv damit befasst.

Strittig war die Einführung einer dreijährigen Mindeststudiendauer für Innenarchitekten, Stadt- und Landschaftsplaner. Verbände und Kammern haben sich frühzeitig an uns gewandt und genauso wie die Hochschulen einen solchen Mindeststandard für nicht ausreichend erklärt. Warum nun also trotzdem die Zustimmung unserer Fraktion zum vorliegenden Gesetzentwurf? Ich könnte es mir einfach machen und sagen: Im Koalitionsvertrag steht keine Regelung über das hinaus, was EU und Bundesrecht als Mindeststandard definieren. - Aber ich möchte einige Ausführungen inhaltlicher Art hinterherschieben.

Die Vorgaben der EU sind aus unserer Sicht eindeutig. Bachelor- und Masterabschlüsse sollen verbindlich eingeführt wer

den. Die Kammern bezweifeln diese Verbindlichkeit, ich weiß. Zitiert wird diesbezüglich gern aus einem Schreiben des Vorsitzenden der Bauministerkonferenz, Helmut Holter, an den Präsidenten der Bundesarchitektenkammer. In diesem Schreiben wird die nationale Einführung einer dreijährigen Mindeststudienzeit als nicht zwingend erforderlich bezeichnet.

Erlauben Sie mir, genau an dieser Stelle jenes Schreibens auch noch einmal weiterzuzitieren:

„Warum sollte aber das, was die maßgeblichen Gremien der EU und damit die internationale Fachwelt für möglich und tragbar halten, nicht auch für deutsche Innen-, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner umsetzbar sein?“

Wer wollte Herrn Holter an der Stelle widersprechen?

Stück für Stück setzen die Bundesländer jetzt den entsprechenden Beschluss der Bauminister vom Juni vergangenen Jahres der ist also noch relativ frisch - in ihr eigenes Recht um.

Brandenburg und übrigens auch Berlin gehören zu den ersten Ländern, die entsprechende Novellen in Gang gesetzt haben. Natürlich könnten wir uns aus dieser Spitzengruppe ausklinken und eine nicht 1:1-EU-konforme Regelung, wie sie andere Bundesländer noch haben, heute beschließen. Das kann gut gehen, solange sich kein EU-Ausländer oder beispielsweise ein Innenarchitekt aus einem anderen Bundesland mit zukünftig dreijähriger Ausbildung hier in Brandenburg einklagt. Das Gericht würde uns als Gesetzgeber - wir können es jetzt schon absehen - dann wohl kein gutes Zeugnis ausstellen.

Noch viel schlimmer wäre für mich aber die Benachteiligung aller Brandenburger Absolventen einer der drei genannten Fachrichtungen. Während EU-Bürger nach einer dreijährigen Ausbildung in die Architektenkammer eingetragen werden müssen, verlangen wir nach dem neuen Gesetz von allen Absolventen mit Wohnsitz im Land Brandenburg zusätzlich eine zweijährige Berufserfahrung.

Wenn wir der Forderung nach generell vierjähriger Masterausbildung für alle Fachrichtungen nachgäben, hieße das, der belgische Stadtplaner könnte sich in Brandenburg nach dreijähriger Ausbildung in die Kammer eintragen lassen, der Brandenburger Absolvent aber erst frühestens nach vier plus zwei Jahren.

Gefährdet nun die Verkürzung der Mindeststudienzeit - ich betone: Mindeststudienzeit - für Innenarchitekten, Stadt- und Landschaftsplaner die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger? Ich spitze das bewusst zu. Ich sage Nein, denn keiner der besagten Absolventen besitzt automatisch eine so genannte Bauvorlageberechtigung, die sicherheitsrelevante Hochbauvorhaben abdeckt. Diese bleibt dem Hochbauarchitekten vorbehalten, von dem nach wie vor ein Masterabschluss gefordert wird.

Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, dass Architekten- und Planerleistungen in Brandenburg weiterhin eine hohe Qualität haben werden. Um das sicherzustellen, kann ich die Architektenkammer nur bitten und auffordern, sich in die zukünftigen Studieninhalte aktiv einzumischen. Denn neben den formalgesetzlichen Anforderungen entscheidet vor allem die tatsächliche Ausbildungsqualität, entscheiden die Berufser

fahrungen und ständige Qualifizierung darüber, ob Brandenburger Architekten und Planer nicht nur bundesweit, sondern auch im internationalen Maßstab gefragte Fachleute sind. Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Herzlichen Dank, Herr Günther. - Das Wort erhält nun die Abgeordnete Hesselbarth. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung sollte erst einmal lesen und verstehen lernen, bevor sie europäisches Sekundärrecht anwendet. Der vorliegende Gesetzentwurf weist ein erhebliches Verständnisproblem der Landesregierung auf. Die so genannte EU-Architektenrichtlinie verlangt für die Berufsqualifizierung eben nicht die von der Landesregierung behaupteten Konsequenzen. Unabhängig von der Tatsache, dass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Vertragsverletzungssache noch abzuwarten ist, schießt die Landesregierung weit über das Ziel hinaus. Im Ausschuss für Infrastruktur und Raumordnung haben wir sowohl Praktiker als auch Hochschullehrer gehört und dieses Kernproblem des vorliegenden Gesetzentwurfs erörtert.

Nach einhelliger Auffassung der Anzuhörenden hat sich gezeigt, dass der Gesetzentwurf mit der dreijährigen Regelstudienzeit voll daneben liegt. Es gibt gerade keine europäische Verpflichtung, in einem Landesgesetz festzuschreiben, dass eine dreijährige Ausbildung tatsächlich zur Befähigung im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 1 führen kann. Die EU-Mitgliedsstaaten haben durchaus das Recht, weitgehende Qualifikationen zu regeln, so eine Mindeststudienzeit von vier Jahren.

Dass die geplante Novelle nicht auf Europarecht beruhen kann, wird auch durch die ungleiche Regelung für Hochbauarchitekten einerseits und Innen- sowie Landschaftsarchitekten andererseits deutlich.

(Beifall bei der DVU)

Das Europarecht kennt eine solche Differenzierung nicht. Letztere beruht auf der Annahme, Hochbauarchitekten müssten schwierigere Arbeiten leisten als Innen- oder Landschaftsarchitekten.

Die von der Landesregierung beabsichtigte Unterscheidung beruht auch auf dem falschen Verständnis des Verhältnisses zwischen Europarecht und Brandenburgischer Bauordnung. Nach der Brandenburgischen Bauordnung müssen Bauvorlagen von einem vorlageberechtigten Objektplaner erstellt werden. Die Vorlageberechtigung hat nach § 48 nur, wer sich Architekt nennen darf. Das geltende Bauordnungsrecht geht von der Überlegung aus, dass solche Personen besonders qualifiziert sein müssen. Deswegen will die Landesregierung - abweichend von der vermeintlichen europarechtlichen Vorgabe - hier ein vierjähriges Studium fordern. Das betrifft aber nur die Hochbauarchitekten, weil nur diese Architekten im Sinne der Bauordnung seien, Innen- und Landschaftsarchitekten hingegen nicht.