Protokoll der Sitzung vom 05.04.2006

Wir lehnen deshalb die Überweisung in den Ausschuss und natürlich auch den Gesetzentwurf ab. - Herr Klocksin, Sie brauchen hier nicht dazwischenzureden, Sie wissen selbst, dass sonst andere Kollegen kommen und sich für das entschuldigen müssen, was Sie gesagt haben.

(Beifall bei der DVU - Dr. Klocksin [SPD]: Ich habe „Volksverhetzer“ gesagt, da muss man sich nicht ent- schuldigen!)

Ihre Redezeit ist ausgeschöpft. - Ich gebe das Wort an die Abgeordnete Funck. Sie spricht für die CDU-Fraktion. Bitte schön.

(Dr. Klocksin [SPD]: Ist kein Wasser da? Dann lohnt es sich nicht zu reden!)

Sie sind heute gut drauf, Herr Klocksin. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Abgeordnete! Ein Thema, das bewegt, und das nicht erst seit heute - Abgeordnetenentschädigung. Würde Aristoteles heute noch leben, würde er sich aktiv an dieser Diätendebatte beteiligen, denn das hat er damals schon getan.

Debatten über Diäten sind nämlich so alt wie die Diäten selbst. Das zeigt der Blick in die Geschichte. Angefangen hat es im alten Griechenland 500 vor Christi Geburt. Da wurde sie nämlich zum ersten Mal eingeführt. Damit konnte das Volk auch unabhängig ins Parlament einziehen. Schon damals hat sich Aristoteles fleißig über die unersättliche Habsucht des „Demos“ geäußert. Damit stand er auf der Seite der Aristokratie, die das Volk nicht im Parlament haben wollte.

In der Neuzeit wurden Diäten eingeführt, um Status und am Einkommen orientiertes Wahlrecht zu überwinden. Die Abgeordneten in der Paulskirche - das ist vorhin schon angesprochen worden - zur deutschen Revolution 1848/49, die übrigens wirklich für demokratische Grundrechte gestritten hatten - wir wissen, wie es ausgegangen ist -, erhielten bereits damals Tagungspauschalen und Reisekosten.

Mit der Reichsverfassung 1871 wurde ein Diätenverbot als Schutzmechanismus gegen das Eindringen radikaler Kräfte in die Volksvertretung erlassen. Solche radikalen Kräfte, sehr verehrte Kollegen, hat man in der Sozialdemokratie, bei den Katholiken und bei den Freidenkern vermutet. Dieses Diätenverbot trieb die Entwicklung einer Zweiklassengesellschaft im Reichstag voran. 1873 hat man dann dieses Diätenverbot ein wenig gemildert, und zwar durch die Einführung des Eisenbahnfreifahrtsrechts. Mit der Verabschiedung des Entschädigungsgesetzes 1906 erfolgte der Einstieg in die mandatsgebundene Aufwandsentschädigung. Damit sollte jedem Bürger, ob vermögend oder nicht, ermöglicht werden, ein Mandat zu erringen.

Zu Zeiten der Weimarer Republik war das Thema Diäten ein beliebtes Feld der Demagogie der antiparlamentarischen nationalistischen Rechten, genauso wie der diktatorischen extremen Linken. Es wurde eine Räterepublik anstelle des Parlamentarismus gefordert. Wir wissen sehr wohl, was dabei herausgekommen ist.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Klocksin [SPD])

- Herr Klocksin, diese Diskussion hatten wir auch schon des Öfteren. Die Geschichte ist so, wie sie ist.

Lassen Sie mich jetzt einen Sprung zum Verfassungsgerichtsurteil 1975 machen. Das Verfassungsgericht interpretiert den Entschädigungsanspruch nach Artikel 48 Grundgesetz als Anspruch auf Vollalimentation zur Sicherung der Existenzgrundlage für Abgeordnete und ihre Familien während der Dauer ihrer Zugehörigkeit zum Parlament. Was man dabei auch nicht vergessen darf, ist, dass das Verfassungsgericht ganz klar gesagt hat, dass die Ausübung des Berufs weiterhin unerlässlich ist und möglich sein sollte. Aufgrund dieses Verfassungsspruchs ist ein Vier-Säulen-Modell eingeführt worden, worüber hinreichend diskutiert wird. Dazu gehören die Mandatsentschädigung, der Aufwendungsersatz, das Übergangsgeld und die Altersversorgung.

Ich würde jetzt gern einen Artikel von Hans Herbert von Arnim aus dem Buch „Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland“ zitieren:

„Wenn das Mandat die ganze oder teilweise Arbeitskraft des Abgeordneten verlangt, muss die Entschädigung von Verfassungs wegen auch den Lebensunterhalt des Abgeordneten und seiner Familie ganz oder teilweise abdecken, wenn es nicht nur Reichen oder solchen, die sich in finanzielle Abhängigkeit von potenten Interessenten begeben, wirtschaftlich möglich sein soll, ein Mandat zu übernehmen. Dazu gehört der Vergleich mit anderen Landesparlamenten, dazu gehört die Orientierung an der Einkommensentwicklung und“

- ich glaube, das ist allen sehr wichtig

„die Verbundenheit mit der Masse der Wähler.“

Ich würde gern noch einen weiteren Punkt des Verfassungsgerichtsurteils ansprechen, weil das deutlich macht, warum Abgeordnete über ihre Aufwandsentschädigungen diskutieren müssen und reden sollen. Das Transparenzgebot wurde in dem besagten Verfassungsgerichtsurteil festgeschrieben. Dort heißt es ganz klar:

„Die Abgeordneten haben regelmäßig transparent und offen, und zwar selbst, über die Höhe der Aufwandsentschädigung zu debattieren.“

Hier würde ich einen kurzen Abstecher zur Diskussion über das Nordrhein-Westfalen-Modell machen wollen. Von dem ehemaligen Verfassungsrichter ist empfohlen worden, dieses Modell für Brandenburg zu übernehmen. Nachdem NordrheinWestfalen dieses Modell eingeführt hatte, war jedoch zu lesen:

„Die Selbstbedienung wird dadurch nicht aufgehoben. Was die Abgeordneten erhalten, wurde bisher und wird auch in Zukunft durch sie selbst geregelt.“

Diese Raffke-Mentalität wird auch weiterhin unterstellt. - Zitat Hans Herbert von Arnim.

Ich frage den ehemaligen Verfassungsrichter, wen er eigentlich prügeln will. Mit wem will er diskutieren - mit den Verfassungsrichtern oder mit den Abgeordneten? Sollen wir unseren Job machen und offen über Angemessenheit und Höhe der

Bezüge diskutieren oder nicht? Das ist ein zweischneidiges Schwert. Diesbezüglich wird mit doppelter Zunge gesprochen. Dazu fällt mir definitiv nichts mehr ein.

Genauso wenig fällt mir etwas zu dem Vorwurf ein, dass wir nach Einführung des neuen Gesetzes plötzlich alle früher in Pension gehen könnten. Es ist schon erstaunlich, was man da lesen kann, und auch, dass das Kurzzeitgedächtnis bei einigen so „kurz“ geworden ist, dass sie das alte Gesetz nicht mehr kennen. Ich will nicht über die Regelung, dass man mindestens 20 Jahre dabei gewesen sein muss, diskutieren, denn darum geht es nicht. Es geht nur um den Fakt, dass man unter bestimmten Voraussetzungen mit 55 Jahren in Rente gehen konnte und jetzt erst mit 57 Jahren. Jetzt möchte ich bitte einmal erfahren, weshalb wir alle früher in Pension gehen können. Genau das liest man permanent in der Zeitung. Von den so genannten „Diätenexperten“ wird das auch vorgebracht. Das ist ein Punkt.

Die zweite Behauptung ist, wir würden bei den Altersbezügen richtig zulangen. Es ist der gleiche Sachverhalt. Die Altersbezüge werden anhand der zuletzt erhaltenen Diäten berechnet. Nach dem alten Gesetz erhält ein Abgeordneter bei entsprechender Zugehörigkeit zum Parlament davon maximal 75 %. Wir senken es auf 69 %. Jetzt möchte ich bitte wissen, inwiefern wir da unsere Pensionen aufpeppen und noch einmal richtig zulangen. Ich verstehe es - ehrlich gesagt - nicht. Man braucht nicht ausschweifend dagegen zu argumentieren: Es stimmt schlichtweg nicht.

Lassen Sie mich noch etwas zu der netten Rechnung eines Abgeordnetenmitarbeiters sagen, der darlegte, dass unsere Entschädigung aufgrund der Kopplung...

(Bochow [SPD]: Er sitzt dort hinten!)

- Herzlich willkommen! Wenigstens ist er, im Gegensatz zu seiner Arbeitgeberin, erschienen.

... an die Einkommensentwicklung in Brandenburg drastisch steigen würde. Es wurde ein Lohnzuwachs in Brandenburg von 3 % zugrunde gelegt. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wenn Brandenburg eine solche Einkommensentwicklung hätte, würde ich drei Kreuze machen. Das wäre eine klasse Geschichte für Brandenburg. Kollege Schulze hat die Zahlen für das Jahr 2005 erwähnt. Sie können sich ausrechnen, dass unsere Aufwandsentschädigungen bei einem Minusbetrag nicht steigen. Ich sehe die Gesichter der Parlamentarier. Wir haben nicht nur den Unmut der Presse auf uns gezogen, weil uns vorgeworfen wurde, wir begingen hier einen Schwindel, sondern unsere Abgeordneten, die diesen Kompromiss mittragen, sehen auch, dass es in die andere Richtung gehen kann, wenn die Einkommensentwicklung nicht entsprechend ist. Jetzt frage ich: Hat es etwas mit Seriosität zu tun, Zahlen in die Zeitung zu bringen, die auf einer Einkommenssteigerung um 3 % basieren? Man kann über solch unseriöse Dinge nicht debattieren, solange die Fakten nicht auf dem Tisch sind.

(Beifall bei der CDU)

Herr Schuldt, lassen Sie mich anmerken, dass sich hier am Pult sehr gut mit Demagogie arbeiten lässt. Sie wissen, dass die Fraktionsvorsitzenden keinen Cent mehr bekommen. Es ist nur eine andere Art und Weise der Zuteilung. Die Fraktionsvorsit

zenden haben bereits jetzt die doppelte Aufwandsentschädigung bekommen.

(Schuldt [DVU]: Das stimmt nicht! Bei Ihnen, aber nicht bei uns!)

- Herr Schuldt, dann ist das bei Ihnen so, aber dann können Sie nur für sich reden.

(Schuldt [DVU]: Wir sind Volksvertreter! - Lachen bei CDU und SPD)

- Direkt gewählte Volksvertreter, ganz genau, im Wahlkreis. Sehr gut.

(Schippel [SPD]: Ihr müsst ja alles nach München über- weisen!)

Aber lassen Sie mich auf meinen geschichtlichen Exkurs zurückkommen. Die Diätendebatte hatte sich schon immer hervorragend für Diffamierungen und Demagogie geeignet. Personen, die plötzlich als Spieler in diesem Spiel auftreten, sollten bitte einmal ihre wahre Absicht zu erkennen geben. Was wollen Sie eigentlich? Wollen Sie über Sinn und Unsinn der Demokratie diskutieren? Das können wir tun. Wollen Sie ein anderes System? Wollen Sie keine Abgeordneten? Wollen Sie Freizeitbeschäftigte? Was wollen Sie eigentlich? Lassen Sie uns darüber diskutieren und nicht solche Scheindebatten führen, wie sie hier laufen.

Wenn Ihnen der Richterspruch des Bundesverfassungsgerichtes nicht passt, dann müssen Sie da ansetzen und es ganz deutlich sagen. Wir als Abgeordnete haben einen Auftrag bekommen, und diesen erfüllen wir, indem wir hier offen und transparent darüber diskutieren, wie wir mit Aufwandsentschädigungen umgehen.

Ich erwarte, dass sehr fair und ausgewogen diskutiert wird. Den Eindruck hatte ich in letzter Zeit leider Gottes nicht. Wir brauchen einen klaren Blick. Dass immer wieder Argumente ins Feld geführt werden, die lediglich Neid erkennen lassen, finde ich schade. Ich bin gespannt, wie die Medien reagieren, wenn die Einkommensentwicklung von 2005 auf dem Tisch liegt und man weiß, ob die Abgeordnetenentschädigungen nach oben oder unten gehen. Ich bin gespannt, ob dann gesagt wird: Da haben wir uns ein wenig getäuscht. - Wir werden es sehen.

Wir stehen noch lange nicht am Ende der Debatte zu den Aufwandsentschädigungen. Das wissen wir selbst.

Frau Abgeordnete, Sie sind am Ende Ihrer Redezeit.

Gestehen Sie mir die zwei, drei Sätze noch zu?

Bitte schön.

Wir werden uns auch nicht weigern, in diese Diskussion einzu

treten; das wissen Sie ganz genau. Aber wir wollen eine Auswertung der Fakten von Nordrhein-Westfalen haben. Wir wissen, dass es in Baden-Württemberg und Niedersachsen vorsichtige Schätzungen gibt, die zeigen, dass man in NordrheinWestfalen nicht das Ei des Kolumbus entdeckt hat. Wir werden uns mit dieser konkreten Auswertung selbstverständlich beschäftigen. Wir wollten zunächst einen Schritt in die richtige Richtung gehen und deutlich machen, dass wir Abgeordnete verstanden haben, uns den Gegebenheiten anpassen zu müssen. Dies werden wir auch tun.

Ich persönlich bin stolz darauf, frei gewählte Abgeordnete dieses Parlaments zu sein. Lassen Sie mich mit den Worten des ehemaligen Verfassungsrichters Hans-Joachim Jentsch zum Thema „Leidiges Dilemma Diätendiskussion“ schließen:

„Es geht nur, wenn sich Abgeordnete vor die Öffentlichkeit stellen und klar sagen, was ihr Mandat wert ist, und sich zu dieser Bewertung auch bekennen.“

Das hat etwas mit Selbstbewusstsein des Parlaments zu tun. In der Einschätzung, dass dies noch nicht so ausgeprägt ist, wie es sein sollte, gebe ich Ihnen Recht. - Danke schön.

(Beifall bei CDU und SPD)

Herzlichen Dank, Frau Abgeordnete. - Es spricht jetzt der Abgeordnete Vietze für die Linkspartei.PDS.