Protokoll der Sitzung vom 22.06.2006

Das führt dazu, dass sich die Leistungsträger, nämlich jene, die die Leistung erarbeiten, die Frage stellen, wie viel mehr an Transferleistungen noch verkraftbar ist. Dass demjenigen, der unverschuldet in Not gerät, die Hilfe der Gemeinschaft zuteil wird, ist richtig und in unserem Land eine Selbstverständlichkeit. Demjenigen aber, der dieses System als soziale Hängematte missbraucht und zumutbare Arbeit ablehnt - zumutbare Arbeit, ich wiederhole es noch einmal - und schwarz arbeitet, müssen konsequent die Grenzen aufgezeigt werden. Es ist eine ebensolche Selbstverständlichkeit, das entsprechend zu sanktionieren. Wer nicht handelt, gefährdet dieses System der Solidarität.

(Beifall bei der CDU)

Es ist eine Tatsache, dass es im Sozialsystem genauso viel Missbrauch wie in anderen Systemen gibt. Wir sind es dem

Steuerzahler, also demjenigen, der die Leistungen erbringt, schuldig, diesen Missbrauch zu bekämpfen. Inzwischen leben ca. 7 Millionen Menschen von Hartz IV, demgegenüber gibt es 38 Millionen erwerbstätige Menschen, von denen ca. 25 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Damit möchte ich Ihnen die Leistungsdimension aufzeigen.

Hier ist der Begriff des Sozialschmarotzers gefallen. Dazu muss ich sagen: Ich kann das wirklich nicht mehr hören! Nehmen Sie bitte endlich zur Kenntnis, dass wir arbeitslose Menschen nicht zu Sozialschmarotzern abstempeln wollen!

(Beifall bei CDU und SPD)

Es ist eine Unverfrorenheit, eine solche Behauptung überhaupt aufzustellen. Ich wiederhole: Es gibt auch im Sozialsystem Missbrauch. Dieser Missbrauch ist genauso zu bekämpfen wie in jedem anderen System auch.

(Beifall bei der CDU)

Sie behaupten nach wie vor, durch Hartz IV sei es zu dramatischen Leistungseinschränkungen gekommen. Sie alle wissen, dass von 2004 - dem Jahr vor Hartz IV - zu 2005 - dem Jahr nach Hartz IV - 6 Milliarden Euro mehr ausgegeben worden sind. Davon sind zugegebenermaßen 1 Milliarde Euro für Verwaltungsaufwand, aber 5 Milliarden Euro mehr für Leistungen, das heißt für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ausgegeben worden. Das kann man nicht einfach unter den Tisch kehren. Wie können Sie angesichts von 44,4 Milliarden Euro - stellen Sie sich einmal die Anzahl der Nullen vor - von sozialem Elend reden?

(Zurufe von der Linkspartei.PDS)

Hartz IV ist nicht, wie von der Linkspartei.PDS propagiert, Armut per Gesetz. Wie ich bereits gesagt habe, ist erheblich mehr Geld ausgegeben worden. Diese Zahl sagt allerdings nichts über die Effizienz des Systems bzw. die erfolgreiche Umsetzung des Prinzips „Fördern und Fordern“ aus. Hier gibt es noch erheblichen Handlungsbedarf. Obwohl die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Optionskommunen und in den ARGEn bemüht sind, ist es noch nicht gelungen, die optimale und individuelle Förderung für jeden Arbeitslosen zu erreichen. Wir geben zu, dass hier Handlungsbedarf besteht.

Der Vergleich zwischen der zuvor und der jetzt gewährten Leistung macht das deutlich. Ich habe eine wunderbare Übersicht von Herrn Dr. Braucksiepe, die ich Ihnen sehr gern zur Verfügung stelle. Sie alle wissen: Es geht um die Regelsätze in Höhe von 345 Euro in Ost und West, für die wir alle gekämpft haben. Es geht um den befristeten Zuschlag aus dem ALG I. Es geht um das Schonvermögen. Wenn Sie sich diesen Vergleich in den Einzelheiten anschauen, können Sie nicht ernsthaft vom Abbau von Leistungen sprechen.

(Zuruf des Abgeordneten Vietze [Die Linkspartei.PDS])

Betrachtet man die Gesamtheit der Regelungen, ist es ganz logisch, dass die Kosten steigen müssten. Die Arbeitslosigkeit ist in den vergangenen Monaten erfreulicherweise auch in Brandenburg zwar gesunken, dennoch ist sie mit 17,1 % alles andere als zufrieden stellend. Fast zwei Drittel der Arbeitslosen sind bereits langzeitarbeitslos. Es ist für uns alle - für die Politik, für

die Akteure vor Ort - ein Handlungsfeld, diesen Menschen zu helfen und sie in Arbeit zu bringen. Dazu gibt es eine Reihe von Vorschlägen auf der Landesebene, nicht zuletzt aus dem Diskussionsprozess über die Mittel des Europäischen Sozialfonds. Herr Baaske hat bereits darauf hingewiesen, dass sie in erheblichem Umfang in die Finanzierung von Arbeitslosenprogrammen fließen. Bezüglich der Landesprogramme ist eine engere Abstimmung zwischen den Akteuren vor Ort notwendig. Die Regionalbudgets sind ein richtiger Weg. Hier erhöht man die Gestaltungsfreiheit vor Ort, denn nicht alle Landkreise haben dieselben Bedürfnisse. Der bürokratische Aufwand ist auf ein Mindestmaß zu beschränken. Es ist darauf zu achten, wie viel Geld wirklich bei den Leistungsempfängern ankommt und nicht nur in die Strukturen fließt.

Frau Abgeordnete, bitte kommen Sie zum Schluss!

Danke, Herr Präsident, für Ihre Nachsicht. - Dieser Diskussion stellen wir uns im Landtag und im Ausschuss regelmäßig. Wir alle wollen eine effiziente und zielgenaue Umsetzung von Hartz IV im Sinne und zum Nutzen der Betroffenen. Dazu müssen alle Ebenen ihren Beitrag leisten. Dafür ist es erforderlich, Gesetze zu überprüfen und notwendige Veränderungen herbeizuführen. Daran werden auch Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Linkspartei.PDS, ein nachhaltiges Interesse haben. Unser Hauptaugenmerk sollte der Schaffung und dem Erhalt von Arbeitsplätzen wie auch der Finanzierung von Arbeit gelten und nicht der Finanzierung von „Nichtarbeit“.

Wenigstens darin sollten wir uns einig sein. - Herzlichen Dank noch einmal, Herr Präsident, für Ihre Nachsicht.

(Beifall bei CDU und SPD)

Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der Landesregierung fort. Bitte, Frau Ministerin Ziegler.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss etwas vorausschicken. Herr Otto, ich kenne nicht alle Biografien der Landtagsabgeordneten, aber ich weiß, wie man sich fühlt, wenn man arbeitslos ist. Wahrscheinlich bin ich eine der wenigen hier.

(Widerspruch bei der Linkspartei.PDS)

- Entschuldigung. Wenn man das selbst erlebt hat, dann kann man wahrscheinlich sehr gut beurteilen, wie sich ein Arbeitsloser fühlt. Wenn Sie sagen, ABM und MAE, das alles tauge nichts, weil es den Leuten nichts bringe, dann muss ich Ihnen ganz vehement widersprechen.

(Zuruf des Abgeordneten Otto [Die Linkspartei.PDS])

- Doch, das haben Sie gesagt. Das können Sie im Protokoll nachlesen. - Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass die betroffe

nen Menschen froh sind, wenn sie solche Maßnahmen in Anspruch nehmen können. Leider sind diese Maßnahmen in den Augen der betroffenen Menschen von zu kurzer Dauer. Sie wünschten sich, dass sie länger dauerten und in größerer Zahl angeboten würden. Machen Sie solche Maßnahmen also bitte nicht mies.

(Otto [Die Linkspartei.PDS]: Das habe ich nicht gesagt!)

Das Selbstwertgefühl der betroffenen Menschen bleibt dadurch erhalten. Auch eine ehrenamtliche Tätigkeit, die ein Betroffener ausübt, wird, wie ich ebenfalls aus eigener Betroffenheit weiß, als sinnvolle Beschäftigung empfunden. Im Übrigen können sich aus einer solchen Tätigkeit auch neue Chancen für die Betroffenen ergeben. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, diese Instrumente nicht schlechtzureden.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Hartz-IV-Gesetz gibt es seit etwa 18 Monaten. Vom ersten Tag an sagt uns die PDS, das alles sei nichts, es wirke nicht, das alles müsse weg. Heute sagen Sie von der PDS, das Fortentwicklungsgesetz solle ebenfalls abgelehnt werden.

Natürlich wissen wir, dass eine so grundlegende Reform, wie es sie in Deutschland noch nie gegeben hat, nach 18 Monaten noch nicht erledigt ist, dass es immer noch Bedarf zum Nachsteuern gibt. Nichts anderem dient das Fortentwicklungsgesetz.

Ich möchte den Hergang, den Herr Baaske schon dargestellt hat, wiederholen, weil das immer wieder aus dem Blick gerät.

Die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist alternativlos. Der Zustand vorher war alles andere als ideal. Das wissen auch Sie. Die Arbeitslosenhilfe war in der Sozialpolitik ein Zwitter, denn die Leistung folgte dem Kausalprinzip, das heißt, die Ursache des Hilfebedarfs war die Arbeitslosigkeit. Die Leistungsgewährung verknüpfte dann das Versicherungsprinzip mit einer wesensfremden Bedürftigkeitsprüfung und lief damit dem Fürsorgeprinzip zuwider, weil die Leistung nicht auf Bedarfsdeckung zielte. Das Ergebnis war, dass die Arbeitslosenhilfe in aller Regel mit dem gleichzeitigen Bezug aufstockender Sozialhilfe verbunden war. Das muss man in Erinnerung rufen.

Das zog zwei Probleme nach sich. Erstens hatten es die Arbeitslosen mit zwei Sozialleistungsträgern zu tun, was den Aufwand erhöhte und ihre Bemühungen zur Arbeitsuche und zur Arbeitsaufnahme reduzierte. Zweitens wurde durch diese Praxis die Sozialhilfe strukturell überfordert; denn ursprünglich sollte diese nur die individuellen Notlagen überwinden helfen, wobei die Kommunen auch finanziell überfordert waren, da sie für die Kosten einstehen mussten.

Für diese zentralen Probleme des bisherigen Systems bietet die Grundsicherung für Arbeitssuchende Lösungen, nämlich Leistungen aus einer Hand und Entlastung der kommunalen Haushalte.

Im Mai lebten in Brandenburg rund 340 000 Personen in mehr als 200 000 Bedarfsgemeinschaften. Mehr als 66 000, also fast ein Fünftel der Betroffenen, waren Kinder unter 15 Jahren. Hilfebedürftig sind ja nicht nur die Langzeitarbeitslosen. Die

Grundsicherung schützt ganz unterschiedliche Empfängergruppen, zum Beispiel Auszubildende nach der Lehre, Studienabgänger, Langzeitarbeitslose, welche die Arbeitslosenversicherung ausgesteuert hat, und Beschäftigte, deren Einkommen nicht ausreicht, um ein menschenwürdiges Leben zu führen. Für all diese Menschen wird durch die Leistungen des SGB II der Lebensunterhalt gesichert und ein Leben in Armut verhindert.

Ich möchte einem weiteren Missverständnis vorbeugen. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist kein Wundermittel, durch das Vollbeschäftigung hergestellt werden kann. Arbeitsplätze schaffen kann man nur durch einen ausgewogenen Mix von Ordnungs-, Tarif-, Finanz- und vor allem Wirtschaftspolitik. Die Arbeitsmarktpolitik allein vermag dies nicht zu erreichen, wenn mancher von Ihnen uns dies auch noch immer glauben zu machen versucht. Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik ist es vor allem, Arbeitslose zu unterstützen und ihnen ganz individuell solche Hilfen zu geben, die sie auf einen neuen Arbeitsplatz vorbereiten und in einen solchen Arbeitsplatz hineinbringen können.

In diesem Zusammenhang finde ich es ausgesprochen unredlich, wenn pauschal ein Missverhältnis zwischen Fordern und Fördern unterstellt wird. In diesem Jahr gab es in Brandenburg im Rechtskreis des SGB II in jedem Monat rund 150 000 Arbeitslose. Doch befanden sich auch mehr als 30 000 Arbeitslose Monat für Monat in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, und wir registrieren in Brandenburg Monat für Monat durchschnittlich mehr als 6 000 Zugänge in entsprechende Unterstützungsangebote.

Wie ich bereits gesagt habe, wünschte ich mir natürlich, dass es unmittelbar aus der Arbeitslosigkeit heraus viel mehr Arbeitsplätze gäbe; das ist völlig klar. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch registrieren, dass die Arbeitslosen in Brandenburg von uns eben nicht allein gelassen werden.

Fördern und Fordern sind zwei Seiten einer Medaille. Die Ziele des SGB II, vor allem das Ziel der Eingliederung in Arbeit, sind nur zu erreichen, wenn die Hilfebedürftigen selbst aktiv mitwirken. Deswegen ist es auch selbstverständlich, dass unbegründete Pflichtverletzungen geahndet werden. Die bisherigen Sanktionsregelungen - ich will nur ein Beispiel herausgreifen sahen für über 25-Jährige vor, die Regelleistung in einer ersten Stufe um 30 % zu kürzen. Weitergehende Kürzungen waren nur möglich, wenn innerhalb des Dreimonatszeitraums weitere Pflichten verletzt wurden. Das führte in der Praxis dazu, dass erhöhte Sanktionen kaum wirksam wurden, weil die drei Monate eben schnell herum waren und weitere Sanktionen deshalb kaum greifen konnten.

Dass man dagegen ist, hier eine Verbesserung durchzusetzen, erschließt sich mir nicht. Die beabsichtigte Neuregelung schafft eine größere Wirksamkeit und mehr Flexibilität. Es geht um eine bessere Verwaltungspraxis für die Arbeitsgemeinschaften und die zugelassenen kommunalen Träger. Deswegen geht Ihr Vorwurf, hierbei handele es sich um das hilflose Reagieren auf das Verfehlen von Integrationszielen, an der Wirklichkeit vorbei.

Ich halte diese Regelung und weitere Regelungen, die das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz enthält, für richtig und notwendig. Vor allem im Interesse einer wirksamen Verwaltungspraxis sollte das Gesetz zügig verabschiedet werden.

Bedarfe definieren, die das Notwendige herausarbeiten, aber eben auch nicht mehr.

Es gibt einen schönen Spruch: Es gibt nichts, das so gut wäre, als dass es nicht weiter verbessert werden könnte. - Wir wissen, dass das so ist und dass wir auch bei Hartz IV noch nicht am Ende unserer guten Gedanken sind. Das ist völlig klar. Aber man kann sagen, dass die Probleme, die uns im 1. Halbjahr 2005 fast jeden Monat beschäftigten, einigermaßen gelöst sind. Es gibt neue, es gibt andere Probleme, es gibt noch Verbesserungswünsche und -bedarf.

Unter dem Strich können wir aber feststellen, dass die HartzReform wirkt. Die Prophezeiung der Linkspartei.PDS, die Arbeitslosigkeit werde noch höher steigen, ist zum Glück - darüber können Sie sich richtig mitfreuen - nicht eingetreten.

(Beifall bei SPD und CDU)

Herr Otto, ich weiß nicht, ob Sie noch einmal sprechen oder jemand von Ihren Kolleginnen und Kollegen einen Redebeitrag gibt. Sie sagten, wir sollten dann eben Arbeitsplätze schaffen. Ich hätte im zweiten Wortbeitrag gern gehört, wie Sie das tun wollen, aber bitte bemühen Sie nicht den öffentlich geförderten Arbeitsmarkt; das hatten wir schon mehrfach.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Ich würde darum bitten, dass Sie zu allem, was Sie schlechtgeredet haben, eine Alternative anbieten, die politisch und in der Realität umsetzbar ist. Wir nehmen sie sehr gern auf. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)