Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Es wird der Abgeordnete Baaske zu uns sprechen.
Herr Otto, ich kann bei dem Thema inzwischen ganz ruhig bleiben. Die Diskussion führen wir ja mit Ihnen jetzt schon zwei Jahre.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einen schönen guten Morgen. Wenn ich Herrn Otto richtig verstanden habe, ist das Motto der PDS zu dem Thema: Alles Mist!
Diese Einstellung, Herr Otto, liebe PDS, hilft hier niemandem - den Betroffenen nicht und dem Gemeinwesen auch nicht.
Zuerst sind Sie durch das Land gezogen und haben gesagt, die Leute werden unter Brücken schlafen. - Zeigen Sie mir die, die unter Brücken schlafen. Wo sind die?
Allen Ernstes ist ein MdB von Ihnen in der vorigen Woche oder vor zwei Wochen durch das Land gezogen und hat das Leitmotiv „Fordern und Fördern“ übersetzt in „Betteln und Frieren“. - Zeigen Sie mir die, die betteln und frieren wegen Hartz IV! Zeigen Sie mir die!
Sie marschieren vornweg und machen ein Riesentamtam und merken nicht mal mehr, dass Ihnen die Leute seit zwei Jahren nicht mehr folgen. Es gibt Umfragen, wonach 55 % der Ostdeutschen meinen, dass das ALG II angemessen wäre. Die meisten davon, die das so sehen, sind übrigens Arbeiter. 12 % der Ostdeutschen meinen, dass das ALG II zu hoch wäre. Die meisten davon sind Arbeiter, die das so sehen. Auch das sollten Sie sich vielleicht einmal in Ihrer politischen Strategie überlegen.
Ich wollte es ja nicht tun, aber jetzt will ich es doch noch einmal tun. Ich werde noch einmal ganz kurz auf das Jahr 2004 zurückblicken, darauf, wie die Situation damals war. Wir hatten riesige Probleme in der Vermittlung. Ein Vermittler war für 900 Arbeitslose zuständig. Dass das nicht funktionieren kann, wurde inzwischen jedem klar, und dass man das umstrukturieren muss, wurde auch jedem klar. Genau das hat Hartz IV gemacht.
Es war doch so weit, dass die Unternehmer ihre freien Stellen dem Arbeitsamt nicht einmal mehr gemeldet haben, weil denen klar war, dass sie von dort eine schlechte Zulieferung bekommen werden. Der Klassiker war immer der Bäckermeister, der wie bei mir im Ort - 60 Langschläfer zugewiesen bekommen hat, die er als Gesellen nehmen sollte. Dass das nicht funktionieren kann, ist doch wohl logisch.
Entschuldigung, die Sozialhilfeempfänger waren damals weder kranken- noch rentenversichert und sie waren aus der Statistik; sie wurden auch nicht entsprechend in die Arbeitsförderung eingegliedert. Sie standen zur Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung.
Es gab damals und es gibt auch heute diese verfluchten Klischees: Das eine Lager sagt, die sind alle bloß zu faul, und das
andere Lager sagt, das macht sowieso keinen Sinn, wir kriegen keine Arbeit. Die Welt war damals und ist leider auch heute noch - ich will nicht alles schönreden, was heute geschieht -
in schwarz und weiß eingeteilt. - Nein, ich will nicht alles schönreden. Das werde ich nachher auch noch sagen.
Menschenskinder, es gibt auch eine Welt zwischen schwarz und weiß. Es gibt natürlich auch Missbrauch, es gibt natürlich auch Leute, die nicht arbeiten gehen wollen, die sich auch mit Hartz IV zufrieden geben - natürlich gibt es die -, aber es gibt doch auf der anderen Seite eine Menge Leute, die für verdammt wenig Geld arbeiten und das auch gern machen.
Wir hatten damals keine Möglichkeiten innerhalb der Arbeitsförderung - bei der BA, insbesondere wegen der Personalsituation -, die Faulen von den Schwachen zu trennen. Diese Möglichkeiten gibt es heute. Ich halte das auch für sehr wichtig. Insofern waren also die Arbeitslosenhilfeempfänger und die Sozialhilfeempfänger auf dem Abstellgleis. Sie haben ihre Leistungen bezogen, es gab Arbeitslosenhilfe, es gab Sozialhilfe. Niemand hat gefragt, wie man den Menschen sonst noch helfen konnte, niemand hat sich darum gekümmert. Die Vermittler waren dazu schlicht und ergreifend nicht in der Lage, weil sie wegen der Personalsituation einfach auch überfordert waren.
Was haben wir getan? - Wir haben viel nach Skandinavien oder auch nach Holland geblickt und festgestellt, dass sie Anfang der 90er Jahre die gleichen Probleme hatten; sie haben harte Einschnitte hinnehmen müssen. Wir haben dann in Deutschland versucht, aus diesen Erfahrungen in Skandinavien und in Holland heraus etwas aufzubauen; daraus wurde später die größte Sozial- und Arbeitsmarktreform.
Vier Prinzipien galten damals und gelten auch heute noch. Das eine ist „Fordern und Fördern“. Wir wissen doch, dass Geldzahlen allein nicht reicht. Anstatt nur Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe auszuzahlen muss man den Menschen auch Hilfe anbieten und zusehen, dass eine entsprechende Fördermaßnahme dahinter steckt. Wer Geld bekommt, soll dafür, wenn es möglich ist, auch Leistung erbringen.
Ein anderer Anspruch war, dass alle Erwerbsfähigen - also auch die Sozialhilfeempfänger, auch die, die vorher krank gemeldet waren - eine Förderung erhalten sollten; sie sollten die Möglichkeit haben, über die Vermittlung der öffentlichen Dienststellen auf den Arbeitsmarkt zu gelangen. Auch das ist ein Prinzip, das umgesetzt wurde. Das muss ich deutlich sagen. Sozialhilfeempfänger sind inzwischen in der Vermittlung und werden auch entsprechend betreut.
Wichtig war uns auch, dass alle jungen Menschen, die ja bisher in der Statistik nebenher liefen und kaum beachtet wurden, sofort bzw. sehr schnell ein Angebot bekommen, weil uns klar war, dass Leute, die lange Zeit vom Arbeitsmarkt weg sind das gilt insbesondere dann, wenn sie jung sind -, nur sehr schwer wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden. Darum
Natürlich geht es auch um Qualität und Kundenorientierung. Da hat Herr Otto in einem Punkt, den er angesprochen hat, auch einmal Recht. Wir sind noch lange nicht dort, wo wir hin wollen. Auch da - so denke ich - gibt es bei den ARGEn noch viel zu tun, insbesondere dort, wo die Zuständigkeiten nicht so richtig geklärt sind.
Da geht es aber nicht um - wie haben Sie das genannt? - „sozialpolitischen Kahlschlag“. - Das ist doch völliger Blödsinn. Entschuldigung, die Leute waren vorher nicht krankenversichert, jetzt sind sie krankenversichert. Das ist nicht Sozialabbau, das ist Sozialaufbau.
Sie waren vorher nicht rentenversichert, jetzt sind sie rentenversichert. Das ist auch nicht Sozialabbau, das ist Sozialaufbau. Die Menschen haben vorher eben keine Förderung bekommen, jetzt werden sie gefördert. Auch das ist Sozialaufbau. Das sollten Sie einfach einmal zur Kenntnis nehmen.
Sie selber, Herr Otto, haben doch eben dargestellt, dass die öffentlichen Kassen mehr Geld ins System geben als vorher. Die Kommunen geben mehr Geld, die Länder geben wesentlich mehr Geld, der Bund gibt wesentlich mehr Geld. Wie können Sie denn da sagen, dass weniger Geld bei den Betroffenen ankommt? Landet das bei der UNO oder was? Wie wollen Sie denn das vermitteln? Das kommt doch nicht rüber!
Die durchschnittliche Arbeitslosenhilfe in Brandenburg betrug im Jahre 2004 476 Euro. Davon können Sie die 331 Euro abziehen, die die Betroffenen als Grundsicherung beziehen. Dann bleiben noch locker 145 Euro, die sie dann für Miete übrig hätten. Wer hat denn von 145 Euro Miete bezahlt? - So ein Kram!
Natürlich gibt es Härten, zum Beispiel wenn jemand über 1 000 Euro Arbeitslosenhilfe hatte. Aber ich frage Sie allen Ernstes: Kann es sich denn eine Volkswirtschaft leisten, ein Leben lang Arbeitslosenhilfe in der Dimension über 1 000 Euro zu zahlen? - Dass das nicht geht, muss doch jedem einleuchten.
Während sich die PDS hier also aufs Dauernörgeln verständigt hat, geht es uns um eine klare und ehrliche Bestandsaufnahme.
Es gibt Schwachstellen im Hartz-IV-Gesetz. Das kann man ehrlich zugeben. Hier gilt es nachzubessern, aber nicht mit blindem Aktionismus.
Wir hatten Fehlanreize. Natürlich. Natürlich haben wir - das kann man ja wirklich sagen - mit viel Geld junge Leute aus den Familien getrieben. Wir haben deutlich gemacht, wenn du über
18 bist, bist du eine eigene Bedarfsgemeinschaft, dann kannst du dir eine eigene Wohnung suchen. Der Staat wird dir das finanzieren und gibt noch das Grundsicherungsgeld obendrauf. Es wurde sogar noch die Ersteinrichtung bezahlt. Dass das natürlich nicht funktionieren kann, ist doch klar.