Protokoll der Sitzung vom 13.09.2006

Wir haben Ihre Große Anfrage zum Anlass genommen, das nachzuprüfen.

(Zuruf des Abgeordneten Sarrach [Die Linkspartei.PDS])

- Das ist ja prima. Sie machen gerade den Versuch der Fremdbestimmung durch selbstbestimmtes Dazwischenrufen. Das ist auch in Ordnung. Das können wir gern machen.

Ich möchte trotzdem kurz auf das Thema eingehen, Frau Präsidentin. Um die Frage beantworten zu können, haben wir als federführendes Ressort die Landesbeauftragte für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht um Unterstützung gebeten. Die LDA hat gemäß § 11 AIG die Aufgabe, zur Wahrung des Rechts auf Akteneinsicht und Informationszugang beizutragen.

Jeder hat danach das Recht, sich für diesen Zweck an die Landesbeauftragte für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht Brandenburg zu wenden. Aus diesem Grund sind dort auch übergreifende Erfahrungen vorhanden. Die LDA hat dem Ministerium des Innern Ausführungen zu etlichen Aspekten der Großen Anfrage übermittelt, die in die Beantwortung der Einzelfragen eingeflossen sind. Das ist auch kenntlich gemacht.

Zur Beantwortung der Großen Anfrage sind neben den Ressorts der Landesregierung auch die Landräte und Landkreise als untere Kommunalaufsichtsbehörden um Zuarbeit gebeten worden. Aus den Antworten möchte ich einige Aspekte herausgreifen.

In der Gesamtschau der Antworten der Landesregierung auf die Fragen in der Großen Anfrage kann festgestellt werden, dass das Grundrecht auf Akteneinsicht und Informationszugang in Brandenburg sowohl im Bereich der Landesregierung

als auch im kommunalen Bereich von den Bürgern angenommen wurde und wird.

Nun haben Sie, Herr Scharfenberg, ein Beispiel aus Potsdam gebracht. Da muss es außerordentlich dynamische Fraktionsvorsitzende geben; denn in der Stadt Potsdam sind sehr viele Anfragen gestellt und dann auch beantwortet worden. Mit dem Beispiel, das Sie gebracht haben, haben Sie gezeigt, dass genau das geschieht, was Sie vom Land fordern. Sie haben gesagt: Wenn von den Stadtverordnetenversammlungen und Kreistagen Anfragen gestellt werden, werden sie auch beantwortet. - Das ist nicht Sache des Landes. Das ist Sache der Kommunen. Wenn Sie wollen, dass in den Kommunen mehr nachgefragt wird, können Sie es vor Ort prüfen. Wir wollen das nicht zentral machen.

Es ist weiterhin sehr deutlich geworden, dass 250 Anträge in allen Bereichen bearbeitet wurden. Das wurde uns mitgeteilt. Wenn wir kommunale Selbstverwaltung haben, dann sollen die Dinge auch vor Ort entschieden werden.

Lassen Sie mich die Antworten, die wir bekommen haben, in einem Satz zusammenfassen: Die Erfahrungen mit der Umsetzung des Akteneinsichtsgesetzes als wichtigem Bestandteil zur Gewährleistung der Informationsfreiheit in Brandenburg sind überwiegend positiv.

Ähnlich sind auch die Erfahrungen, die die LDA der Landesregierung übermittelt hat.

Aus diesem Grunde gibt es für uns keinen Anlass, ein zentrales Akteneinsichtsamt, eine zentrale Akteneinsichtsstelle, zentrale Akteneinsichtsedukatoren, -zensoren, -revisoren usw. zu fordern. Wir sagen: Das Akteneinsichtsrecht ist so, wie es geschaffen wurde, in Ordnung. - Vielen Dank.

(Beifall bei CDU und SPD)

Herzlichen Dank. - Ich beende damit die Aussprache.

Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage 23 Drucksache 4/3226 - ist somit zur Kenntnis genommen.

Ich schließe die Beratung des Tagesordnungspunktes 12 und rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:

Pflichtuntersuchungen für Kinder (gemäß Beschluss des Landtages vom 26.01.2006 - Drs. 4/2413-B)

Bericht der Landesregierung

Drucksache 4/3322

Ich eröffne die Aussprache. Frau Ministerin Ziegler erhält das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben das gemeinsame Ziel, allen Kindern eine gesunde

körperliche und geistig-seelische Entwicklung zu ermöglichen. Maßnahmen und regelmäßige Kontrollen dazu, dass dies auch tatsächlich geschieht, sind deshalb notwendig und sinnvoll.

Vor allem seit Bekanntwerden mehrerer Fälle von Kindesmisshandlung und -verwahrlosung diskutieren Politik und Gesellschaft stärker darüber, wie solche Fälle zu verhindern sind und das bereits weit im Vorfeld des Geschehens. Ziel ist es, möglichst alle Eltern, insbesondere sozial schwächere Eltern, in die regelmäßigen Früherkennungs- und Pflichtuntersuchungen ihrer Kinder einzubeziehen.

Das SGB V regelt in § 26 die Früherkennungsuntersuchungen, die so genannten U 1 bis U 9. Alle Eltern, die Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sind, können diese Leistungen als Pflichtleistungen der Kasse für ihre Kinder bis zum 64. Lebensmonat in Anspruch nehmen. Gegenwärtig werden Maßnahmen diskutiert, die mehr Kinder in diese Untersuchungen bringen sollen. Ziel ist, mehr Eltern dafür zu gewinnen, vor allem bei sozial schwächeren Familien; denn aus den Einschulungsuntersuchungen ist bekannt, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien diese Untersuchungen viel seltener wahrnehmen. Dies gilt insbesondere für die späteren Untersuchungen. Während im Vorjahr ca. 83 % der Kinder aus Familien mit hohem Sozialstatus die U 8 und 78 % die U 9 wahrgenommen haben, sind es bei Kindern aus Familien mit niedrigerem Sozialstatus nur 62 % bzw. 59 %.

Doch nicht nur die Teilnahme möglichst vieler Kinder liegt uns am Herzen, sondern auch die Qualität der Untersuchungen. Die durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in der entsprechenden Richtlinie geregelten Untersuchungsinhalte und -intervalle für Früherkennungsuntersuchungen datieren von 1976 und wurden seitdem nicht grundlegend weiterentwickelt. Zudem fokussieren die Vorsorgeuntersuchungen auf die Früherkennung von körperlichen Erkrankungen, vor allem im ersten Lebensjahr, sodass spätere Entwicklungsstörungen oder Vernachlässigungen, Misshandlung oder Missbrauch kaum diagnostiziert werden. Doch die meisten Entwicklungsstörungen werden erst zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr erstmals auffällig. Da hier engmaschige Vorsorgeuntersuchungen fehlen, werden zum Beispiel Sprachstörungen, psychomotorische Störungen, Wahrnehmungsstörungen oder intellektuelle Entwicklungsverzögerungen kaum erfasst. Zudem ist jedem Arzt freigestellt, welches Untersuchungsverfahren er nutzt und wie er die Befunde bewertet, sodass eine objektive Vergleichbarkeit und Auswertung nicht mehr gegeben sind. Hinzu kommt, dass die Erziehungsberechtigten die Untersuchungszeitpunkte weitgehend selbst bestimmen können, was gerade die Früherkennung von Symptomen durch Vernachlässigung oder Misshandlung wesentlich erschwert.

Das soll sich mithilfe des Bundesratsbeschlusses vom 19. Mai dieses Jahres wesentlich ändern. Da der von Hamburg initiierte Mehrländerantrag auch unseren Erkenntnissen entsprach, ist Brandenburg dieser Initiative, wie Sie wissen, beigetreten. Zuvor hatten Vertreter des Justizressorts, des MdF, des MBJS und des MASGF unter Einbeziehung der Interessenvertretung, zum Beispiel des Berufsverbands der Kinderärzte, des Verbands der Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst, der Landesärztekammer und der kommunalen Spitzenverbände, das gründlichst geprüft. Bislang hat das Gesundheitsministerium des Bundes diese Initiative leider noch nicht aufgegriffen. Aber hier - das muss man deut

lich sagen - ist die Bundesebene gefordert, die aufgeführten Mängel zu beseitigen. - Das ist die eine Seite.

Brandenburg wartet aber nicht tatenlos, ohne Anstrengung darauf, dass dies geschieht und der Bund tätig wird. Im Gegenteil: Wir haben bereits zahlreiche Maßnahmen entwickelt und erfolgreich initiiert. Dafür stehen unter anderem das Bündnis „Gesund aufwachsen“, lokale Netzwerke „Gesunde Kinder“ sowie das Programm zur Qualifizierung der Kinderschutzarbeit im Land Brandenburg. Besonders die im Bündnis „Gesund aufwachsen“ entfalteten Aktivitäten forcieren unser Bemühen, allen Kindern die Chance auf eine gesunde Entwicklung zu geben.

So erhielten bereits 2003 die Kitas und Berufsgruppen in typischen Anlaufstellen Material, das über Früherkennung und Vorgehensweise bei Misshandlung und Missbrauch informiert. Das ist neben den gesetzlich geregelten Kita-Reihenuntersuchungen durch den ÖGD eine weitere wichtige Präventionshilfe.

Überhaupt erweisen sich die im Bündnis erarbeiteten Empfehlungen, zum Beispiel die Familienhebammen, die Sicherung der pädiatrischen Versorgung in allen Regionen, die Mitarbeit der Eltern in Gesundheitsprojekten von Kitas, zunehmend als wichtige Bestandteile unseres familienpolitischen Programms für mehr Familien- und Kinderfreundlichkeit.

Des Weiteren hat die Landesregierung im Rahmen ihres familienpolitischen Maßnahmenpakets beschlossen, lokale Netzwerke „Gesunde Kinder“ zur präventiven und familienunterstützenden Arbeit durch geschulte Paten, bisher an zwei Standorten, zu fördern. Ein solches Netzwerk existiert, wie Sie wissen, bereits am Klinikum Niederlausitz. Es wird als dreijähriges Modellprojekt durchgeführt und vereint dort alle gesundheitlichen Hilfen und präventiven Leistungen bereits während der Schwangerschaft und Entbindung, aber besonders in den ersten drei Lebensjahren der Kinder. Hier sind in einer Region alle involviert, die mit dem gesunden Aufwachsen der Kinder zu tun haben. Ich bin überzeugt, dass dieses Projekt seine Probephase erfolgreich bestehen wird und wir seine Erfahrungen für weitere Projekte im Lande nutzen können.

Wirkliche Fortschritte zum Schutz der Kinder vor Vernachlässigung, Misshandlung und sexuellem Missbrauch versprechen wir uns auch von der Umsetzung des Programms zur Qualifizierung der Kinderschutzarbeit im Land Brandenburg, das im März dieses Jahres von der Landesregierung verabschiedet wurde und dem Landtag als Drucksache vorliegt. Neben den vier Fachressorts MBJS, MASGF, MI und MJ sind auch der Landkreistag sowie der Städte- und Gemeindebund daran beteiligt. Sie haben in gemeinsamen Empfehlungen ihr Handeln im Falle von Vernachlässigung und Misshandlung festgelegt. Das ist eine wichtige Grundlage, um zum Beispiel schon bei Verdachtsfällen aktiv einschreiten zu können.

Es ist deutlich geworden, glaube ich, dass die uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten genutzt werden, um das Kindeswohl zu stärken und zu schützen. Man kann allerdings nicht genug dafür tun. Deshalb bleiben wir dabei, dass die bundesweite Neuregelung der Pflichtuntersuchungen bald zu einem wichtigen Baustein für den Kinderschutz werden sollte. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank. - Das Wort erhält die Abgeordnete Wöllert. Sie spricht für die Fraktion der Linkspartei.PDS.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich knüpfe an das an, Frau Ministerin, was Sie zuletzt gesagt haben, nämlich dass man für den Kinderschutz nicht genug tun könne. So sollten wir die ganze Thematik betrachten. Als wir im Januar eine Aktuelle Stunde zum Thema Kinderschutz hatten und im Anschluss daran den Antrag der Koalitionsfraktionen, in dem es darum ging, zu prüfen, ob Vorsorgeuntersuchungen zu Pflichtuntersuchungen gemacht werden könnten, behandelt haben, war das Ganze ebenfalls in das Thema des Kinderschutzes insgesamt eingebettet.

Sie haben in Ihrem Bericht bereits vieles angesprochen. Ich werde deshalb nicht noch einmal auf die Vorsorgeuntersuchungen, wie sie im SGB V formuliert sind, eingehen. Vielmehr möchte ich mich bei meinen folgenden Ausführungen auf die Bundesratsinitiative selbst beziehen.

Das Land Brandenburg ist dem Hamburger Vorschlag dort bekanntlich beigetreten, und dieser Vorschlag wurde im Bundesrat dann auch einstimmig angenommen.

In diesem Zusammenhang sollte noch einmal hervorgehoben werden, dass es durchaus positiv war, schon im Vorfeld eine interministerielle Arbeitsgruppe zu bilden. Als positiv haben wir es in diesem Zusammenhang auch empfunden, dass die Ergebnisse der Beratungen der interministeriellen Arbeitsgruppe in etwa dem entsprochen haben, was ich in der Aktuellen Stunde hier auch schon zu dem Thema der Pflichtuntersuchungen gesagt hatte. Das ist erst einmal ein positiver Tatbestand.

Die Bundesratsinitiative umfasst drei Punkte; ich stelle das nur ganz kurz dar. In Punkt 1 werden die Ziele, die in Bezug auf Vorsorgeuntersuchungen maßgeblich sind, noch einmal formuliert. In Punkt 2 wird die Bundesregierung aufgefordert, die entsprechenden rechtlichen Bedingungen zu schaffen. Der Punkt 3 des Antrags richtet sich an die Länder, und zwar sicherlich auch im Ergebnis dessen, was die Bundesregierung im Januar schon einmal geäußert hat, nämlich dass da Länderkompetenzen maßgeblich seien.

Mit dem Punkt 3 der Initiative wird den Ländern die Aufgabe zugewiesen, Strategien dafür zu entwickeln, wie mit den vorhandenen Strukturen der Familien- und Gesundheitshilfe Risikofamilien besser unterstützt werden können. Ich verwende den Begriff Risikofamilie übrigens nur sehr vorsichtig, weil ich glaube, dass mit diesem Begriff Familien stigmatisiert und nicht erreicht werden. Das aber ist genau das Gegenteil von dem, was wir wollen. Darüber können wir uns hier vor Ort wohl noch verständigen.

Dieser letzte Punkt ist jedenfalls für uns entscheidend, weil wir insoweit in Verantwortung stehen. Sie, Frau Ministerin, haben hier schon viele Maßnahmen genannt. Nicht zu Unrecht steht im Mittelpunkt dieses Maßnahmenpaketes zum Thema Kinderschutz die Gesundheit von Kindern.

Eine wichtige Frage hierbei ist, ob diese Maßnahmen wirklich ausreichen, um dem Kinderschutz einen höheren Stellenwert

zuzuweisen. In diesem Zusammenhang sei mir gestattet, noch einmal darauf hinzuweisen, dass Kinderschutz ebenso wenig nur Verhinderung von Vernachlässigung, Misshandlung und Verwahrlosung ist wie Gesundheit nicht nur Abwesenheit von Krankheit ist.

Aus diesem Grunde möchte ich darauf eingehen, wie die WHO Gesundheit definiert. Wenn ich diese Definition der WHO als Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens zugrunde lege, dann müssten für uns als Landespolitiker angesichts der letzten 14 Tage in Bezug auf Kinder die Alarmglocken schrillen, weil auch für unser Bundesland das zutrifft, was dort über Kinderarmut ausgesagt wird. Wir alle wissen, dass es einen engen Zusammenhang nicht nur zwischen Bildung und Armut, sondern auch zwischen Gesundheit und Armut gibt. Das hat in der Anhörung im Sozialausschuss auch Frau Elsäßer vom öffentlichen Gesundheitsdienst eindeutig dargelegt und nachgewiesen.

Meiner Meinung nach ist das genau der Ansatzpunkt, den wir auch in unserer Landespolitik verfolgen müssen. Dabei denke ich jetzt nicht einmal nur an die 20,3 % der unter 16-Jährigen, die laut Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Brandenburg in relativer Armut leben. Vielmehr denke ich auch an diejenigen, die in so genannter sozialer Armut leben. Dazu hat Herr Siggelkow, der Leiter des Christlichen Kinder- und Jugendwerkes „Die Arche“ in Berlin den Begriff der Wohlstandsverwahrlosung genannt. Das ist ein Problem bei Eltern, die beide arbeiten, die während ihrer Berufstätigkeit immer wieder flexibel sein müssen und dadurch keine Möglichkeit haben, sich genügend um ihre Kinder zu kümmern. Wenn das so ist, dann müssen wir genau hier anfangen, auch auf diesem Gebiet des Kinderschutzes energisch zu arbeiten.

Zum Schluss meiner Ausführungen möchte ich Ihnen jetzt einen Aufruf ans Herz legen, von dem ich glaube, dass er ganz viel mit Kinderschutz zu tun hat. Unterschrieben ist dieser Aufruf unter anderem von Heide Simonis, der Vorsitzenden von UNICEF Deutschland. Sie schreibt, dass Kinderarmut in Deutschland massenhafte Ungerechtigkeit und Benachteiligung in der Schule, bei der Ausbildung und bei Ernährung und Gesundheit bedeute. Weiter schreibt sie:

„Lassen Sie uns schneller als bisher um beste Konzepte und besten Einsatz finanzieller Mittel streiten.“

Wolfgang Thierse sagte am Donnerstag auf einem Forum, das ich besucht habe:

„Aus diesem reichen Land muss endlich ein kinderfreundliches Land werden.“