Protokoll der Sitzung vom 22.05.2006

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Senftleben, die Sorgen der KMK-Präsidentin sind auch meine Sorgen. Ich kann die Sorgen begründen, indem ich Fakten und Daten zu unserem Land Brandenburg nenne.

Es geht dabei um Schulkarrieren und darum, wie signifikant sich Daten zwischen Jungen und Mädchen unterscheiden. Das geht bereits bei der Einschulung los. Wir haben festgestellt, dass die Zahl der Zurückgestellten bei den Jungen deutlich höher ist als bei den Mädchen. Ähnlich verhält es sich auch bei den Wiederholern und den Schülern, die die Schule ohne Abschluss verlassen. An den allgemeinen Förderschulen - das ist auch ein Beispiel dafür - liegt der Anteil der Jungen bei über 60 %. Bei schulverweigernden und schulauffällig werdenden Kindern bilden die Jungen ganz klar die Mehrheit.

Ein weiterer Punkt ist der prozentuale Anteil der jungen Menschen - immer gemessen an der Gesamtzahl der gleichaltrigen Bevölkerung -, die die Schule mit einer Hochschulzugangsberechtigung verlassen. Bei den Jungen liegt er bei 32 % und bei den Mädchen bei 49 %. Das sind signifikante Unterschiede, die dazu animieren, genau hinzuschauen und etwas zu tun. Das wollen wir tun, wobei wir - das gebe ich zu - noch nicht allzu weit sind. Das Phänomen ist auch in der öffentlichen Diskussion erstaunlicherweise relativ neu, obwohl die Zahlen nicht so neu sind.

Die Wissenschaftler streiten sich auch, wenn es um die Ursachen geht; denn wenn man über Konzepte spricht, muss man auch über komplexe Ursachen sprechen.

Zudem darf nicht aus dem Blickwinkel geraten - ich zitiere die PISA-Studie 2000 -, dass trotz aller Unterschiede - so heißt es dort - „die Gemeinsamkeiten der Geschlechter in nahezu allen Bereichen deutlich größer sind als die Differenzen“. Demnach ist nicht alles unterschiedlich und die Jungen fallen auch nicht in allen Bereichen negativ auf.

Auch wird in den Diskussionen häufig eines übersehen: Es gibt dramatische Unterschiede in der Gruppe der Jungen, zum Beispiel hinsichtlich der Leistungsdifferenzen. Nicht alle Jungen

leiden unter Chancenungleichheit und nicht alle sind davon gleich betroffen.

Was uns Sorgen bereiten muss, ist, dass unsere Risikoschüler, die aus bildungsfernen Schichten und zum Teil aus MigrantenFamilien stammen, am stärksten davon betroffen sind. Auch hier ist wieder unser Hauptproblem, das uns im Bildungsbereich beschäftigt, sichtbar.

Erfreulicherweise gibt es im Land Brandenburg inzwischen viele konzeptionelle Überlegungen im Bereich der Kita, in denen sich mit dem Phänomen bereits deutlich mehr beschäftigt wird als in den Schulen. In den weiterführenden Schulen gibt es bisher keine weit reichenden Ansätze. Das soll sich ändern.

Wir werden - das ist auch eine Reaktion auf die breite Streuung bei den Jungen - die individuelle Förderung der Kinder - vor allem der Kinder mit Defiziten - vorantreiben. Diesbezüglich geht es unter anderem um Lernstandsdiagnostik in den Jahrgangsstufen 1 bis 6, um das Lesen und Schreiben, um die Förderung der Kinder sowie um die Neigungsdifferenzierung in den Jahrgangsstufen 5 und 6.

In allen Projekten, die der individuellen Förderung dienen und sich gleichermaßen an Jungen und Mädchen richten, ist die Zahl der Jungen größer. Demnach tut man quantitativ schon etwas für die Jungen, weil sie in der Problemgruppe stärker vertreten sind.

Dies soll jedoch nicht genügen; denn zur zielgerichteten Förderung bedarf es geeigneter Konzepte. Ich habe einen Auftrag ins Haus gegeben und werde auch den Ausschuss möglichst zeitnah über unser Vorhaben unterrichten. Wir müssen reagieren. Ich kann hier nur zusagen, dass sich das Haus dieser Aufgabe stellt.

Herr Senftleben, gestatten Sie mir zum Schluss noch eine persönliche Bemerkung. Die Erkenntnis, dass die Förderung von Jungen in bestimmten Altersphasen - speziell in der Schule mitunter schwieriger ist als von Mädchen, ist nicht neu. Als Vater eines Sohnes und einer Tochter kann ich ein Lied davon singen. So sind wir Jungs eben, kann man da nur sagen. - Danke schön.

Trotz alledem - selbst wenn die Jungs so sind - besteht Nachfragebedarf. Zunächst Frau Große und anschließend Frau Dr. Münch. - Bitte schön, Frau Große.

Herr Minister, inwieweit konterkarieren aus Ihrer Sicht die Lehrkräftezahlen - bezogen auf den Förder- und Teilungsunterricht - die von Ihnen hier geäußerten Vorhaben? Das ist die erste Frage.

Die zweite Frage: Zumindest seit PISA 2000 wissen wir, dass im Bereich der Lesekompetenz Jungen deutlich benachteiligt sind. Das zählte zu den Unterschieden in dieser Untersuchung. Ich frage Sie deutlich: Welche Fortbildungsangebote meint das Ministerium auf den Weg zu bringen? Soweit mir bekannt ist, gibt es diesbezüglich noch nichts.

Zur ersten Frage: Wir haben ein Problem; das sehen wir bei der Ausstattung der Schulen mit entsprechenden Stunden. Die Bemessung ist knapp und der Bereich Teilungsunterricht und Förderstunden, mit dem man dieses Problem auch angehen kann, fällt leider etwas mager aus. Das muss ich an der Stelle - das habe ich bereits öfter hier getan - selbstkritisch zugeben.

Dennoch denke ich, es liegt in der Hand der Kolleginnen und Kollegen in den Schulen, wie man damit umgeht, wie man auch durch differenzierte Arbeit im Unterricht - ohne zusätzliche Stunden in Anspruch zu nehmen - arbeiten und Erfolge erzielen kann und wie man in der Schule einen Konsens herstellt. Das ist eine wichtige Aufgabe für die Zukunft. Diesen Bereich, über den Schulen ziemlich selbstständig verfügen können, sollte man auf dieses Problem zuschneiden.

Ich habe bereits gesagt, dass das Lesen und die individuelle Leseförderung Themen der Grundschule sind und auch in Grundschullehrerfortbildungen aufgegriffen werden. Wenn Sie Defizite festgestellt haben, dann muss man sich dazu genauer erkundigen. Aber da das Thema aufgerufen ist, hoffe ich, dass die zielgerichtete Fortbildung zu einer Verbesserung der Situation führt.

Nun stellt Frau Dr. Münch ihre Frage.

Herr Minister, ich begrüße es außerordentlich, dass Sie dieses Thema auf die Agenda Ihrer Planungen zur Bildungskonzeption gesetzt haben. Ist dem Ministerium bekannt, dass es einen deutlichen Zusammenhang zwischen Medienkonsum, insbesondere Computerspielen, und frühem eigenem PC bzw. Fernseher auf der einen Seite und dem Schulversagen von Jungen auf der anderen Seite gibt? Wird das in Ihrer Konzeption berücksichtigt?

Ich habe es von dieser Stelle aus schon einmal gesagt: Gerade wenn wir an das so genannte „bildungsferne Milieu“ denken, erkennen wir einen direkten negativen Zusammenhang zwischen der Zeit, die für den Konsum der genannten Medien aufgewandt wird, und der Zeit, die für „sinnvolle“ Freizeitgestaltung, zum Beispiel das Lesen eines Buches, genutzt wird. Bei der Förderung der „bildungsfernen“ Schichten müssen wir beachten, dass insbesondere Jungen davon betroffen sind. Dieses Phänomen ist nicht neu und muss auf jeden Fall beim Aufstellen neuer Konzepte berücksichtigt werden. Danke noch einmal für den Hinweis!

Herr Minister, herzlichen Dank. - Frau Hackenschmidt wird die Frage 855 (Branchenübergreifende gewerbliche Berufsaus- bildung mit Fachhochschulreife) formulieren. Bitte schön.

Die Arbeitsgemeinschaft Metall- und Elektroindustrie Süd

brandenburg der Entwicklungsgesellschaft Energiepark Lausitz - EEpl GmbH - in den Landkreisen Elbe-Elster und Oberspreewald-Lausitz will mit Unterstützung des Elsterwerdaer Oberstufenzentrums mit Beginn Frühjahr 2007 das Projekt „Zwei Abschlüsse in einem“ starten. Innerhalb dieses Projekts absolvieren die Lehrlinge der Metall- und Elektroberufe ihre ganz normale dreieinhalbjährige Ausbildung in einem Betrieb und erlangen in Zusatzkursen innerhalb von zwei Jahren die Fachhochschulreife.

Ich frage die Landesregierung: Wie beurteilt sie dieses Modell der Nachwuchssuche?

Herr Minister, Sie haben schon wieder das Wort. Bitte schön.

Vielen Dank für diese Bevorzugung! - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Hackenschmidt, grundsätzlich gibt es in Brandenburg für Schüler mit Fachoberschulreife und abgeschlossenem Berufsausbildungsvertrag zwei Möglichkeiten, die Fachhochschulreife zu erwerben. Sie haben auf eine hingewiesen. Ich will zunächst eine andere nennen: die Berufsausbildung mit dem Erwerb der Fachhochschulreife.

Die Auszubildenden erhalten hierbei zusätzlichen Unterricht in den Fachklassen im jeweiligen Beruf, um die Fachhochschulreifeprüfung zusammen mit der Prüfung am Ende der Berufsausbildung abzulegen. Die Rechtsgrundlage für diesen Bildungsgang gibt es bereits seit dem Jahr 1998. Leider wird das Angebot bisher relativ wenig genutzt. Um es nutzen zu können, müssen sich Betriebe bereiterklären, mit den Auszubildenden Ausbildungsverträge abzuschließen, in denen der zusätzliche Erwerb der Fachhochschulreife schriftlich vereinbart wird. Wünschenswert ist ein längerfristiges Angebot, sodass dieser Bildungsgang am entsprechenden OSZ möglichst nicht nur einmal, sondern kontinuierlich läuft. Im Rahmen der Sicherung des Fachkräftenachwuchses handelt es sich bei der Berufsausbildung mit Fachhochschulreife um einen Bildungsgang, der über den Erwerb der Studierfähigkeit und -befähigung gezielt dazu beiträgt, den höherqualifizierten Fachkräftenachwuchs zu sichern. Im Land Brandenburg gibt es diesen Bildungsgang derzeit für Forstwirte, Landwirte, Maurer, Industriemechaniker und Mechatroniker. Insgesamt nehmen derzeit 310 Schülerinnen und Schüler daran teil; eine Steigerung ist durchaus möglich.

Zu Ihrem Beispiel, Frau Hackenschmidt: Alle Schülerinnen und Schüler mit Fachoberschulreife können in den OSZ unter bestimmten Voraussetzungen in zusätzlichen Kursen ebenfalls die Fachhochschulreife erwerben. Das ist auf der Grundlage einer Rechtsverordnung seit dem Jahr 2002 möglich. Derzeit wird durch die Betriebe und das OSZ für die gerade in die Berufsausbildung eintretenden Auszubildenden und die zukünftigen Auszubildenden dafür geworben, eine solche Ergänzung im Berufsausbildungsvertrag zu vereinbaren, damit das OSZ Elbe-Elster ab dem 1. Februar 2007 die entsprechenden Zusatzkurse anbieten kann. Bei den Zusatzkursen - das ist vielleicht ganz interessant - handelt es sich zum Beispiel um muttersprachliche Kommunikation/Deutsch, eine Fremdsprache und den mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich. Insgesamt werden 360 Unterrichtsstunden erteilt. Aufgrund der Frei

willigkeit werden solche Kurse bisher nur am Kaufmännischen OSZ Cottbus für die Region angeboten.

Ihre Frage nach der Bewertung beantworte ich wie folgt: Es handelt sich um ein sehr attraktives Angebot, das Jugendliche an die Region binden kann. Die ansässigen Betriebe kooperieren in diesem Fall mit der Fachhochschule Lausitz. Beide Angebote halte ich für sehr wichtig. Sie werden derzeit leider zu wenig genutzt. Deshalb müssen wir alles dafür tun, die Wertigkeit der Fachhochschulreife zu erhöhen, um die entsprechende Quote im Land Brandenburg, die überhaupt nicht zufriedenstellend ist, zu erhöhen.

Frau Hackenschmidt hat eine Nachfrage. Bitte schön.

Eine kurze Nachfrage, Herr Minister: Sehen Sie dadurch, dass die Wirtschaft den Schritt nach vorn geht, die gesteigerte Möglichkeit, dieses attraktive Angebot besser zu vermarkten, weil wir hier nicht als Schulträger irgendein Angebot machen, sondern die Wirtschaft mit im Boot ist? Ist das nicht angesichts der Fachkräftesituation die Chance für die Zukunft?

Wie Sie wissen, haben wir diese Frage im „Netzwerk Zukunft“ mit Vertretern wirklich bedeutender Wirtschaftsunternehmen aus unserem Land besprochen. Das war ein wichtiger Ansatz. Ich habe immer gesagt: Die Wirtschaft muss auf die Schule zugehen, nicht nur umgekehrt, und dort die Wege zu einem qualifizierten Abschluss, der auf dem Arbeitsmarkt auch etwas bringt, aufzeigen. Dazu gehört es, Schülerinnen und Schüler auf die Möglichkeit der Erlangung der Fachhochschulreife hinzuweisen. Sie wissen, welch guten Stand Fachhochschulen inzwischen in der Hochschullandschaft haben. Leider ist das in der Öffentlichkeit zu wenig bekannt. Wir und die Wirtschaft müssen für diesen Bildungsgang werben. Gemeinsam schaffen wir das. - Danke.

Herzlichen Dank, Herr Minister. - Wir schließen damit Tagesordnungspunkt 2 und ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:

Gesetz zu dem Staatsvertrag vom 22. Mai 2006 über die Errichtung eines gemeinsamen Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM) und zur Änderung landesrechtlicher Vorschriften

Gesetzentwurf der Landesregierung

Drucksache 4/2990

2. Lesung

Beschlussempfehlung und Bericht des Hauptausschusses

Drucksache 4/3529

Es wurde vereinbart, keine Debatte zu führen, sodass wir sofort zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung kommen können. Wer ihr seine Jastimme geben möchte, den bitte ich, das jetzt zu tun. - Wer stimmt gegen die Beschlussempfehlung? Wer enthält sich der Stimme? - Bei mehreren Gegenstimmen und mehreren Enthaltungen ist der Beschlussempfehlung dennoch mehrheitlich zugestimmt und das Gesetz in 2. Lesung verabschiedet worden.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 3 und rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Gesetz zu dem Staatsvertrag vom 22. Mai 2006 über die Errichtung eines gemeinsamen Sozialpädagogischen Fortbildungsinstituts Berlin-Brandenburg (SFBB) und zur Änderung landesrechtlicher Vorschriften

Gesetzentwurf der Landesregierung

Drucksache 4/2991

2. Lesung

Beschlussempfehlung und Bericht des Hauptausschusses

Drucksache 4/3530

Auch zu diesem Tagesordnungspunkt wurde die Vereinbarung getroffen, keine Debatte zu führen. Deshalb kommen wir sofort zur Abstimmung. Wer der Beschlussempfehlung die Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Bei einigen Gegenstimmen und einigen Stimmenthaltungen ist der Beschlussempfehlung dennoch mehrheitlich zugestimmt und das Gesetz in 2. Lesung verabschiedet worden.