Protokoll der Sitzung vom 22.05.2006

Ich komme zurück zu den Kosten der Unterkunft. Nicht wenige Landkreise oder kreisfreie Städte wollen die tatsächlichen Kosten nicht bzw. lediglich anteilig übernehmen und lehnen Anträge mit der Begründung ab, die Kosten seien unangemessen. Strittig sind Richtwerte, die aus Sicht der Betroffenen mit dem realen Leben nichts zu tun haben. Immer wieder müssen Gerichte in die Regelung bezüglich der Kosten der Unterkunft eingreifen.

Auch in Brandenburg gibt es Landkreise - unter anderem Teltow-Fläming -, in denen bis heute weder ein Mietspiegel noch repräsentative Auswertungen des örtlichen Wohnungsmarktes erarbeitet wurden. Dennoch wurden gerade hier - laut Antwort auf Frage 12 - 25 % der Bedarfsgemeinschaften zur Senkung der Unterkunftskosten aufgefordert. Auf welcher tatsächlichen und rechtlichen Grundlage? - Diesbezüglich muss die Rechtsaufsicht des Landes stärker greifen.

Zudem müssen wir der Massenpraxis von Leistungskürzungen im KdU-Bereich nachgehen. Nach Aussage der Landesregierung gibt es in dieser Hinsicht keinen Handlungsbedarf, während sich das Potsdamer Sozialgericht zur Lösung dieser Frage um ein revisionsfestes Grundsatzurteil bemüht.

Besonders kritikwürdig bleibt, dass uns zu den Kosten der Unterkunft vonseiten der Landesregierung noch immer keine differenzierten Daten zu den Be- und Entlastungen der einzelnen Brandenburger Kommunen vorliegen, obwohl diese selbstverständlich in den Kreisen und kreisfreien Städten erfasst werden. Trotzdem erschallt immer wieder der Ruf nach mehr Geld vom Bund. Auf welcher Datenbasis? - Ich halte diesen Zustand nach wie vor für unhaltbar.

Insgesamt wird die Diskussion um die Arbeitsmarktreform

noch immer zu vordergründig um Mittelverteilung und Zuständigkeiten geführt. Ich halte die wiederholte Kritik an einer so genannten Stop-and-go-Politik der Bundesregierung für nicht gerechtfertigt und nicht zielführend. Dabei sind die unzureichenden Finanzmittel des Bundes nicht das Problem. Herr Görke, noch nie floss so viel Geld in die Arbeitsförderung, in die aktive Arbeitsmarktpolitik.

(Zuruf von der Linkspartei.PDS)

Allein in diesem Jahr wurden für Brandenburg 340 Millionen Euro für Eingliederungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt. Das Problem ist doch, dass von diesem Geld zu wenig bei den Betroffenen als echte Lebenshilfe ankommt

(Zuruf von der Linkspartei.PDS)

- das ist das Problem -, und zwar wegen unzureichender Strukturen und Arbeit vor Ort!

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [Die Linkspartei.PDS])

Wir müssen uns mit den einzelnen Instrumenten und Maßnahmen und deren Ausführungen und Wirkungen intensiver befassen. Der SGB-II-Bericht der Landesregierung, über den wir uns im Ausschuss noch nicht unterhalten konnten, weist die wichtigsten Instrumente für Langzeitarbeitslose aus. Arbeitsgelegenheiten - die so genannten Ein-Euro-Jobs - machen dabei 71 %, Eingliederungszuschüsse 8,4 %, berufliche Weiterbildung lediglich 4,8 % und das Einstiegsgeld 2,4 % aus. Die Zahlen belegen eine unzureichende Vielfalt im Land Brandenburg, insbesondere den vorrangigen Einsatz von Ein-EuroJobs, der jedoch im SGB II als nachrangige und nicht als vorrangige Maßnahme angelegt ist.

(Frau Kaiser [Die Linkspartei.PDS]: Das hat nichts mit Nichteingliederung zu tun!)

- Das hat sehr viel mit Nichteingliederung zu tun. Nach Aussagen vieler Langzeitarbeitsloser werden diese Maßnahmen noch viel zu oft ohne echtes Fallmanagement zugewiesen. Gewünschte Qualifikationen und Weiterbildungen werden auch bei Vorlage eines Arbeitsplatzangebotes eines Arbeitgebers in der Praxis abgelehnt. Das alles ist unverständlich und muss dringend korrigiert werden. Von der Bundesebene brauchen wir stärkere Zielvereinbarungen, Eingliederungsbilanzen und Controlling.

Hartz I bis Hartz IV - lassen Sie mich damit abschließen - ist der Versuch, funktionierende Ausgleichsprozesse zwischen Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt herzustellen. Es ist eine laufende, lernende Reform, die sich entwickeln muss und einen langen Atem braucht. Defizite, die sich in der momentanen Umsetzung der Reform zeigen, müssen wir deshalb im Sinne der Betroffenen abstellen, gegebenenfalls durch Nachsteuerung an den Gesetzen. Hierzu bedarf es der Anerkennung von Problemen, eines eigenständigen Beitrags der Landesarbeitsmarktpolitik auch in Brandenburg und kluger Ideen für notwendige Nachbesserungen am Gesetz. Die Arbeitsgruppe „Arbeitsmarkt“ im Bund arbeitet bereits daran.

In diesem Sinne stimme ich einer aktuellen Wortmeldung von Gerhard Schröder zu:

„Wenn es eines gibt, was man vielleicht lernen kann, dann, dass dieser sehr abfällige Begriff der Nachbesserung eigentlich ins Positive gekehrt gehört. Wenn Sie ein komplexes Reformwerk in der Gesellschaft durchsetzen wollen, dann wird das nicht gleich funktionieren. Also müssen Sie der Politik das Recht geben, wenn ein Fehler auftaucht, ihn auch zu korrigieren, und das nicht als schlechtes Handwerk diffamieren.“

Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Für die DVU-Fraktion spricht die Abgeordnete Fechner zu uns.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Wirkungen der Arbeitsmarktreformen scheinen bei allen PDS-Landtagsfraktionen den parlamentarischen Arbeitseifer geweckt zu haben. Da wurden Aktuelle Stunden zu diesem Thema abgehalten und auch Anträge zu dieser Problematik im Plenum eingereicht.

Doch im Gegensatz zu ihren Genossen in den anderen Landtagen haben es sich die Brandenburger Genossen nicht ganz so einfach gemacht. Sie haben eine sehr umfangreiche Große Anfrage zu diesem Thema erarbeitet. Dass sich die Mühe gelohnt hat, wage ich zu bezweifeln; denn neue Erkenntnisse kann man dieser Großen Anfrage nicht entnehmen.

Im Februar dieses Jahres hat die Bundesregierung dem Bundestag einen Bericht zur Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt zugeleitet. Mit diesem Bericht wurde eine erste vorläufige Bestandsaufnahme zur Wirksamkeit der ersten drei Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt - Hartz I bis III - vorgenommen. Für Ende 2006 ist ein abschließender Bericht vorgesehen. Erst dieser Schlussbericht soll belastbare Aussagen über die Wirkungen der Arbeitsmarktreformen insgesamt enthalten.

Leider war Hartz IV nicht Gegenstand des vorliegenden Zwischenberichts - was nicht weiter verwunderlich ist; schließlich wurde Hartz IV viel später umgesetzt als Hartz I, II und III. Die Ergebnisse zu Hartz IV sollen in einem separaten Bericht frühestens Ende 2006 vorgelegt werden.

Nicht nur die Bundesregierung hat Schwierigkeiten, die Wirkungen bzw. Auswirkungen der Hartz-IV-Gesetzgebung zu erkennen. Nein, auch die Brandenburger Landesregierung ist in Bezug auf viele Fragen dieser Großen Anfrage nicht aussagefähig.

Eine brauchbare Angabe kann die Landesregierung allerdings machen. In Frage 23 wollten die Genossen wissen, welche Wirkungen für die Absicherung im Alter sich aus der Absenkung der Beiträge zur Rentenversicherung von 78 auf 40 Euro ergeben. Nun die verkürzte Antwort der Landesregierung: Bei einem monatlichen Beitrag zur Rentenversicherung von 78 Euro werden derzeit monatliche Rentenanwartschaften in Höhe von 4,24 Euro erworben. Bei einer Absenkung des monatlichen Beitrags auf 40 Euro verringert sich diese monatliche Rentenanwartschaft auf 2,17 Euro.

2,17 Euro, meine Damen und Herren! Sie von der CDU und der SPD, aber auch die Genossen der PDS haben erst vor kurzem einem Abgeordnetengesetz zugestimmt, welches den Brandenburger Abgeordneten Rentenansprüche sichert, von denen selbst gut verdienende Arbeitnehmer nur träumen können.

(Beifall bei der DVU)

Abgeordnete, nicht nur die des Landtages Brandenburg, erhalten eine üppige Altersversorgung, ohne selbst einen Pfennig eingezahlt zu haben. Doch irgendwoher muss ja auch das Geld für die üppige Altersversorgung der Politiker kommen.

(Dr. Klocksin [SPD]: Vom Bürger!)

- Es kommt auch von den Hartz-IV-Empfängern, Herr Dr. Klocksin. Denen kürzt man nämlich die monatliche Rentenanwartschaft auf 2,17 Euro. Das hat auch zur Folge, dass der gesetzlichen Rentenversicherung jährlich über 2 Milliarden Euro Einnahmen verloren gehen. Das ist eine der Auswirkungen der Arbeitsmarktreformen. Aber es geht in dieser Großen Anfrage nicht vorrangig um die Auswirkungen; nein, es geht um die Wirkungen der Arbeitsmarktreformen.

Zusammenfassend kann gesagt werden - so war es auch dem Zwischenbericht der Bundesregierung zu entnehmen; so war es auch für etliche Leute vorherzusehen -: Einige Teile der Reform laufen ins Leere, während andere sogar dafür sorgten, dass sich die durchschnittliche Arbeitslosigkeit verlängerte. Besonders schlecht kamen die Personal-Service-Agenturen weg, die als Herzstück der Reformen galten. Wichtig wäre es gewesen zu erfahren - so wie in Frage 1 auch formuliert -, welche Beschäftigungseffekte die Reformen Hartz I bis III in Brandenburg ausgelöst haben. Doch dazu liegen der Landesregierung, wie nicht anders zu erwarten, keine Erkenntnisse vor. Aber: Schön, dass wir wieder einmal über die Hartz-Gesetzgebung gesprochen haben!

(Beifall bei der DVU)

Für die CDU-Fraktion spricht Frau Abgeordnete Schulz.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe gerade den Eindruck gewonnen: Wenn gar nichts mehr geht, dann wird das Thema „Diäten der Abgeordneten“ hervorgezerrt. Ich kann mich nicht erinnern, dass es irgendjemand von uns abgelehnt hätte, seine Rente selbst zu bezahlen. Aber gut.

(Dr. Klocksin [SPD]: Korrekt!)

Den Vergleich mit dem großen Tanker bemühe ich eigentlich nicht mehr gern; aber vielleicht hat auch die PDS gemerkt, dass er mittlerweile etliche Beiboote zu Wasser gelassen hat, weil man damit viel beweglicher und schneller ist und sogar den letzten Winkel des Landes erreichen kann.

Eine Einschätzung eint uns sicherlich: Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist sowohl in der Politik des Bundes als auch in

der des Landes nach wie vor unser größtes Anliegen. Das steht auch in den Koalitionsverträgen. Ein zentrales Anliegen dabei ist eine vernünftige Arbeitsmarktpolitik.

Die „Unterschichtendiskussion“ halte ich nicht für zielführend. Das heißt aber nicht, dass ich nicht darüber reden will. Das muss jedoch unter Betonung anderer Aspekte geschehen. Man muss in dieser Diskussion sehr sensibilisiert sein. Dem können sicherlich alle zustimmen. Es sind die Fragen zu beantworten: Was geschieht mit unserer Gesellschaft? In welcher Gesellschaft werden wir künftig gemeinsam leben? Welche Werte werden von uns gemeinsam getragen?

Wenn Ihre einzige Antwort darauf die Erhöhung des Arbeitslosengeldes ist, also eine rein fiskalische Antwort, dann muss ich Ihnen entgegnen: Diese Antwort ist mir zu wenig. Damit springen Sie zu kurz.

(Frau Kaiser [Die Linkspartei.PDS]: Sie wissen aber, dass das nicht unsere einzige Antwort ist?)

Sie dürfen nie vergessen, dass es sich um Mittel der Steuerbzw. Beitragszahler handelt. Es muss unser gemeinsames Anliegen sein, diese so effektiv wie möglich einzusetzen. Es sind die Leistungsträger dieser Gesellschaft, die die Gewährung dieser Leistungen erst ermöglichen.

Die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen ist ein ehrgeiziges Ziel. Gerade in der Arbeitsmarktpolitik wurde viel Geld eingesetzt. Wie man den Antworten auf die Anfrage entnehmen kann, geschah das mitunter nur mit begrenztem Erfolg. Die Bilanz ist gemischt.

Ihre Fragen wurden bereits im April formuliert. Inzwischen gab es eine Reihe von Entwicklungen. Im Ausschuss wurde das Thema regelmäßig auf die Tagesordnung gesetzt; ich erinnere nur an die Ich-AG. Im Rahmen der Neugestaltung der EU-Förderperiode ab 2007 wurde intensiv über die zukünftige Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik diskutiert. Ich verweise auf die Fachkräftediskussion, die im Zusammenhang mit der Diskussion über die Gründe für die Abwanderung aus unserem Land derzeit neue Aktualität bekommt.

Wir müssen all diese Themen anpacken. Ich erwarte, dass es in Zukunft, was die Umsetzung der Arbeitsmarktprogramme anbetrifft, unkompliziertere, schnellere, unbürokratischere und noch stärker an den regionalen Bedingungen orientierte Umsetzungsansätze gibt. Es sollte nur geringe, möglichst gar keine Schnittstellenprobleme mehr geben, wenn man an die Förderung aus verschiedenen Töpfen denkt.

Diesen Aspekt möchte ich noch einmal ganz besonders betont wissen. Das betrifft natürlich auch Bearbeitungszeiten. Es kann nicht sein, dass Anträge manchmal zwei Jahre brauchen, egal, welches Ressort sie betreffen. Dabei hebe ich zumindest einen positiven Aspekt hervor: Im Bereich der Gründungen hat das - allerdings auch auf unsere Intervention aus dem Ausschuss hin - in der Vergangenheit schon recht gut funktioniert.

Die Erwartungen der PDS, mit Arbeitsmarktpolitik und mit zusätzlichen Transferleistungen das Problem Arbeitslosigkeit zu lösen, sind allerdings höchst illusorisch. Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen können den Arbeitsmarkt entlasten. Sie sollen fit machen, die oft zitierte Brücke in den ersten Arbeits

markt sein, was leider immer noch viel zu selten Realität wird. Dabei ist immer zu beachten: Maßnahmen dürfen eben nicht reguläre Arbeitsplätze verdrängen - aber diese Diskussion haben wir auch hinsichtlich der Ich-AG geführt; hier sind bereits Veränderungen eingetreten -, denn diese Verdrängung betrifft sehr oft gerade unsere kleinen Handwerksbetriebe. Von daher wurden auch der Erfolg und der Misserfolg des Instruments Ich-AG sehr differenziert bewertet; inzwischen wurde auch gehandelt. Die Ich-AG gibt es in ihrer ursprünglichen Form bereits nicht mehr.

Wenn darauf verwiesen wird, dass Mitnahmeeffekte entstünden oder nicht auszuschließen seien, kann ich Ihnen nur sagen: Meines Erachtens werden wir sie auch nie hundertprozentig ausschließen können. Deshalb ist meine Grundhaltung nach wie vor: Entlastung der Betriebe geht vor Förderung. In diesem Zusammenhang kann ich nur meinem Unverständnis Ausdruck geben, was die Haltung der Gewerkschaften in Bezug auf die hohen Einnahmen bzw. die geringen Ausgaben der Arbeitsagenturen betrifft. Es wird eingeschätzt, dass die Einrichtung von Personal-Service-Agenturen vor dem Hintergrund fehlender Arbeitsplätze kaum Erfolg gebracht habe. Dies haben wir bereits bei ihrer Einführung sehr bezweifelt.

Die Beurteilung der Wirksamkeit des zuletzt beschlossenen Gesetzes zum SGB II, des so genannten Hartz-IV-Gesetzes, ist derzeit in der Tat nur sehr begrenzt möglich. Ich glaube nicht, dass irgendjemand in der Lage wäre, diese große Reform wirklich abschließend zu beurteilen. Nachdem eine Reihe von Umstrukturierungen in den Kommunen geleistet wurde und die bekannten Unsicherheiten in Bezug auf Wohnraumgröße bis hin zu den Wohnkosten, die sich übrigens an den Vorgaben der Sozialhilfe orientiert haben, geklärt wurden, haben wir seit den Montagsdemos bis heute handlungsfähige und meines Erachtens auch leistungsfähige Strukturen, sodass die Sicherstellung der Leistungen für die Leistungsbezieher hergestellt ist.