Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie herzlich zur 38. Plenarsitzung des Landtages Brandenburg in seiner 4. Wahlperiode.
Ich begrüße als unsere Gäste heute Morgen Schülerinnen und Schüler des Sally-Bein-Gymnasiums Beelitz. Ich wünsche euch einen interessanten Vormittag. Herzlich willkommen!
Ihnen liegt die Tagesordnung mit den eingearbeiteten Änderungen vor. Gibt es dazu Bemerkungen? - Das ist nicht der Fall. Ich lasse über die Tagesordnung abstimmen. Wenn wir nach ihr verfahren wollen, dann bitte ich um Ihr Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall.
Wir müssen heute leider ganztägig auf Minister Dr. Woidke verzichten, der von Minister Szymanski vertreten wird. Ministerin Ziegler wird uns ab 12 Uhr verlassen und von Minister Speer vertreten werden.
Wie Sie wissen, hat Frau Prof. Rosemarie Will ihre zehn Jahre Dienstzeit hinter sich gebracht. Noch einmal auch von hier herzlichen Dank für Ihre Arbeit im Dienste Brandenburgs, Frau Will!
Ich hatte soeben das Vergnügen, Ihre Abschiedsurkunde zu überreichen. - Aber nun bedarf es eines Nachfolgers. Der Landtag Brandenburg hat in seiner 36. Sitzung am 14. September 2006 Herrn Dr. Volkmar Schöneburg zum Verfassungsrichter des Landes Brandenburg gewählt. - Herr Dr. Schöneburg, ich frage Sie hiermit ganz offiziell: Nehmen Sie diese Wahl an?
„Der Präsident des Landtages Brandenburg ernennt Herrn Dr. Volkmar Schöneburg für die Dauer von zehn Jahren zum Verfassungsrichter des Verfassungsgerichtes
Gemäß § 5 Abs. 2 des Verfassungsgerichtsgesetzes Brandenburg leisten die Richter des Verfassungsgerichts, bevor sie ihr Amt antreten, vor dem Landtag den Eid. - Ich bitte Sie, die Eidesformel zu sprechen.
Ich schwöre, das Richteramt getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, getreu der Verfassung des Landes Brandenburg und getreu dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Gewissen, ohne Ansehen der Person zu urteilen und der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen.
(Lebhafter Beifall - Die Fraktionsvorsitzenden gratulie- ren und überreichen Blumensträuße, ebenso die Ministe- rin der Justiz und weitere Anwesende.)
Meine Damen und Herren, damit ist Tagesordnungspunkt 1 bereits abgearbeitet und ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Thema: Die Überlegungen zur Gesundheitsreform und ihre Konsequenzen für die gesundheitliche Versorgung und die soziale Situation in Brandenburg
Die antragstellende Fraktion eröffnet die Debatte mit dem Beitrag der Abgeordneten Wöllert. Bitte, Frau Wöllert.
Abgeordnete! Liebe Gäste! Lassen Sie mich mit einem Wort des Humanisten, Arztes, Philosophen und Künstlers Albert Schweitzer beginnen:
Das ist ein gutes Motto für unsere heutige Aktuelle Stunde; aus diesem Grund haben wir sie beantragt.
In der Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung heißt es, dass es angesichts nicht effizient eingesetzter Mittel in der Gesundheitsversorgung zu Über- und Unterversorgung kommt, die Qualität der Versorgung erheblich variiert und Ressourcen nicht optimal genutzt werden. Daraus wird richtigerweise geschlussfolgert, dass das Gesundheitswesen weiterzuentwickeln ist, und zwar sowohl auf der Finanzierungsseite wie auch bei den Angebotsstrukturen. Dieser Anforderung aber wird der Gesetzentwurf unserer Auffassung nach nicht gerecht. Klar sind in Bezug auf die Finanzierung bisher zwei Dinge:
Erstens: Ab 2007 steigen die Krankenversicherungsbeiträge, und zwar ganz massiv um 0,5 %, die von der Bundesregierung praktisch vorgegeben sind. Bis zum Start des Gesundheitsfonds 2009 wird eine Beitragsentwicklung von heute im Durchschnitt 14,3 % auf knapp 16 % prognostiziert. Wenn einzelne Kassen bis dahin ihre Schulden aus eigener Kraft abtragen sollen, wäre selbst das noch lange nicht das Ende der Fahnenstange.
Zweitens: Die Politik entzieht dem System Geld, das bisher aus Steuermitteln hineingegeben worden ist. Auch hier ist in den letzten Monaten eine unglaubliche Verwirrung gestiftet worden. Ich kann Ihnen das auch nicht ersparen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Da redet Ihre Fraktion von Summen um die 40 Milliarden Euro, die aus Steuermitteln kommen sollten, und dann heißt es, zumindest die beitragsfreie Versicherung für die Kinder müsse aus Steuern kommen. Das wären etwa 16 Milliarden Euro. Was kommt am Ende wirklich heraus? Die Steuermittel, die jetzt dem Gesundheitssystem zugute kommen, 2006 zum ersten Mal in vollem Umfang, nämlich die 4,2 Milliarden Euro aus der Tabaksteuer, werden der gesundheitlichen Versorgung 2007 teilweise und 2008 dann vollständig wieder entzogen.
Der Gesundheitsbericht der Bundesregierung vom Juni 2006 stellt fest, dass der Gesundheitszustand der Menschen in engem Zusammenhang mit dem sozialen Status steht. Das spielt auch bei den Krankheiten eine Rolle, die die höchsten Kosten verursachen. Zu ihnen gehören mit 15 Milliarden Euro auch die Krebserkrankungen.
Auf dem 108. Deutschen Ärztetag in Berlin wurde zum Tagesordnungspunkt Krankheit und Armut Folgendes festgestellt: Erstens: Nicht Armut macht krank, sondern Krankheit arm. Zweitens: Arme haben einen schlechteren Zugang zur medizinischen Versorgung. Drittens: Die Lebensbedingungen machen Arme krank. Viertens: Arme weisen ein ungünstigeres Gesundheitsverhalten auf. - Genau dieser Befund müsste der zentrale Ausgangspunkt für eine Gesundheitsreform sein, die diesen Namen wirklich verdient.
Der Politik aber fällt dazu nur Bestrafung ein. Wer nicht genügend vorsorgt oder sich nicht therapiegerecht verhält, hat statt 1 % bis zu 2 % seines Einkommens einzusetzen. Die gesundheitlichen Risiken der Menschen aus den unteren Einkommensgruppen werden so verschärft, aber nicht abgebaut. Schon jetzt haben Männer aus dem unteren Einkommensviertel eine um zehn Jahre kürzere Lebenserwartung als Männer aus dem oberen Einkommensviertel; bei Frauen beträgt diese Differenz fünf Jahre.
Es ist erschreckend, wie aktuell die Ausführungen des Ärztekongresses vom Mai 2005 tatsächlich sind. Noch einmal zur Erinnerung: Krankheit macht arm. Konkrete Vorschläge der Ärzteschaft, diesem Problem zu begegnen, liegen vor.
Hinzu kommt, dass unterschiedliche Versorgungsstrukturen und Ärztedichte Menschen mit geringem Einkommen allein aufgrund der Entfernungen, die sie für Untersuchungen zurücklegen müssen, weiter benachteiligt. Damit wird an der Schraube der Abhängigkeit zwischen Gesundheitszustand und Sozialstatus immer weiter gedreht, ganz davon abgesehen, dass ein wichtiges Prinzip der gesetzlichen Krankenversicherung seit Bismarcks Zeiten weiter ausgehöhlt wird, nämlich die Behandlung von Krankheiten nicht von der Frage der Schuld abhängig zu machen.
Der Versuchsballon der Politik scheint gelungen. In den Eckpunkten zur Gesundheitsreform, die im Juni erschienen sind, stand: Bei selbstverschuldeten Behandlungsbedürftigkeiten zum Beispiel nach Schönheitsoperationen, Piercings, Tätowierungen - müsse in stärkerem Umfang von Möglichkeiten der Leistungsbeschränkung Gebrauch gemacht werden. Wer wird hier schon lautstark protestieren? Auch wenn das bei weitem nicht die Kostentreiber sind, die die Finanzmisere im Gesundheitswesen verursacht haben, hat man damit ein Einfallstor für die Aufgabe von Grundsätzen gefunden. Der „Normalbürger“ findet dies bei diesen Beispielen auch vollkommen einleuchtend. Über kurz oder lang sind wir dann bei der Verschuldensfrage in Bezug auf ganz andere Krankheiten, deren Behandlung besonders teuer ist; dies war schon Gegenstand der Diskussion. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass bestimmte Krebskrankheiten, für die Nachweise zur Vorsorge zu führen sind, erst der Anfang sein werden.
Eine weitere Belastung zeigt sich darin, dass eine Zusatzprämie von 8 Euro ohne Einkommensprüfung erhoben werden soll. Wer weniger als 800 Euro Einkommen hat, zahlt also mehr als 1 % seines Einkommens zusätzlich. Für Bezieher von Arbeitslosengeld II sind das bei einem Regelsatz von 345 Euro 2,3 %. Nun will man irgendwie noch nachbessern und gegensteuern und deshalb Beziehern und Bezieherinnen von Grundsicherung im Alter und von Sozialhilfe die Zusatzprämie durch den jeweiligen Träger dieser Leistungen finanzieren. Menschen mit Hartz IV werden dagegen auf einen anderen Weg verwiesen, nämlich den des Kassenwechsels. Damit wird das Problem nur von einer Krankenkasse auf die andere verlagert. Deutlicher kann man eigentlich nicht signalisieren, dass der von den Koalitionspartnern so hoch gepriesene Wettbewerb nichts anderes als ein Preiswettbewerb und ein Wettbewerb um die zahlungskräftigsten Mitglieder werden soll.