Protokoll der Sitzung vom 23.01.2008

Das Wort erhält nun die Abgeordnete Hesselbarth.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

„Wir treten für eine verstärkte Teilnahme des Bürgers an politischen Entscheidungen ein und sehen Volksbegehren und Volksentscheide auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene als geeignete Instrumente an, die Bürger in wesentlichen Fragen mitbestimmen zu lassen und den Willen der Mehrheit zu berücksichtigen. Wir meinen, dass der oberste Grundsatz unserer Verfassung, die freiheitliche demokratische Grundordnung, so mit Leben erfüllt und dem Bürger nähergebracht werden kann.“

Das, meine Damen und Herren, ist ein Zitat aus dem Programm der Deutschen Volksunion.

(Beifall bei der DVU)

Meine Damen und Herren, nun haben wir es hier mit einer Volksinitiative zu tun, und da trifft dieser Grundsatz natürlich gleichermaßen zu. Die Zielsetzung der Volksinitiative ist, Angebote des öffentlichen Nahverkehrs - was, Frau Lehmann, ganz klar zur Daseinsvorsorge des Landes gehört - auch sozialschwachen Bürgern zugänglich zu machen. Die Vertreter der Volksinitiative haben das in der Anhörung auch ganz klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, und zwar so deutlich, Frau Lehmann, dass klar wurde, dass viele Familien nicht die finanziellen Mittel aufbringen können, um mobil zu sein, und damit nicht am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Es geht hier nicht nur um Hartz-IV-Empfänger, sondern auch um die Seniorinnen und Senioren, um Bürger mit Grundsicherung im Alter.

Kommen wir zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Infrastruktur und Raumordnung an den Hauptausschuss: Er enthält lediglich die Feststellung, dass ähnlich zu den Regelungen in anderen Bundesländern die Gewährung ergänzender Tarifvergünstigungen im Sinne der Volksinitiative Angelegenheit der zuständigen Sozialhilfeträger sein soll.

Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss nur eine Evaluierung der bestehenden Anwendung des Sozialtickets in verschiede

nen Landkreisen und Städten unseres Landes im II. Quartal 2008. Zu einer Unterstützung der Volksinitiative konnte sich die Mehrheit des Infrastrukturausschusses und auch des Hauptausschusses nicht durchringen. Der Souverän, das Volk, findet also trotz Einhaltung aller gesetzlichen Vorschriften in diesem Parlament keine Beachtung. Fragt sich nur, wie lange noch.

(Beifall bei der DVU)

Das Wort erhält der Abgeordnete Schrey.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit Mai letzten Jahres macht sich die Partei DIE LINKE im Rahmen einer Volksinitiative für ein Sozialticket in Brandenburg stark. Damit soll Menschen, die Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Grundsicherung im Alter oder Sozialhilfe beziehen, eine 50%ige Ermäßigung auf die VBB-Umweltkarte als gleitende Monatskarte gewährt werden. Als Geltungsbereich werden dabei der jeweilige Landkreis bzw. die kreisfreien Städte genannt. Ich möchte nun anhand von drei Punkten darstellen, warum ein solches Ticket nicht so sozial ist, wie es gerne dargestellt wird.

Erstens: Der Geltungsbereich soll sich auf die jeweilige Gebietskörperschaft beschränken. Das bedeutet, dass die von Ihnen postulierte Bewegungsfreiheit jeweils an den Kreis- und Stadtgrenzen endet. Die Mobilität, die wir von Arbeitsuchenden fordern, macht aber nicht an Kreisgrenzen halt, sondern ist ein landes- und bundesweites Thema.

(Zuruf der Fraktion DIE LINKE)

Außerdem geht der Hinweis auf eine Harmonisierung mit Berlin laut Ihrem Flyer absolut fehl, weil die Berechtigten mit ihrem Ticket einer Brandenburger Gebietskörperschaft gar nicht in Berlin fahren dürften. Zudem hätten Menschen in den Gebieten mit einem dichten Netz von Verkehrsmitteln wie in Potsdam oder Cottbus viel mehr von einem solchen Ticket als jene, die in großräumigen Landkreisen wie der Uckermark oder der Prignitz leben. Die Inanspruchnahme des Sozialtickets würde sich aus diesem Grund zu einem überwiegenden Teil auf die kreisfreien Städte konzentrieren und diese stark privilegieren. So verstehen also die Damen und Herren der Fraktion DIE LINKE die Stärkung des ländlichen Raums.

Frau Lehmann hat darauf hingewiesen, dass es eine kommunale Aufgabe ist. Das ist auch meine Meinung.

Zweitens: Sie fordern eine Ermäßigung für gleitende Monatskarten um 50 %. Aktuell beträgt der reguläre Preis für eine Monatskarte in einem Landkreis 76 Euro, in Brandenburg, Frankfurt (Oder) und Cottbus jeweils 54 Euro und in Potsdam 51,60 Euro. Somit hätten Bezugsberechtigte in den kreisfreien Städten 27 Euro und in den Landkreisen 38 Euro für ein Sozialticket zu entrichten. Dies ist ein weiterer Baustein in diesem „sozialgerechten“ Modell. Im Regelleistungssatz des ALG II ist bereits ein Betrag für Fahrtkosten vorgesehen. Den Arbeitslosen wird, wenn sie Auslagen für Fahrten zu Bewerbungsgesprächen haben, der Betrag erstattet. Auch das muss gesagt werden.

Drittens: Was in diesem Zusammenhang aber noch viel wichtiger ist, ist die politische Botschaft, die wir mit einem solchen Sozialticket aussenden würden. Es ist den vielen Pendlern nicht zu vermitteln, dass den Empfängern von ALG II, welche keine verpflichtenden täglichen Terminbindungen haben, ein Monatsticket zum halben Preis gewährt wird, während sie jeden Tag pünktlich an ihrem Arbeitsplatz erscheinen müssen und zudem mit hohen Benzinpreisen belastet werden. Mit Steuergeldern darf ein solches Modell vom Land Brandenburg nicht finanziert werden. Das Motto der CDU lautet: Sozial ist, was Arbeit schafft.

Ein Sozialticket ist ein völlig falsches Zeichen gegenüber denen, die täglich lange Wege zur Arbeit bewältigen müssen. Sinnvoll wäre es dagegen, über Erleichterungen oder Vergünstigungen für „Aufstocker“ nachzudenken. Hier macht es durchaus Sinn, denjenigen, die sich um Integration in den Arbeitsmarkt bemühen, bei den Fahrtkosten in geeigneter Form entgegenzukommen.

In den verantwortlichen Ausschüssen wurde vereinbart, die bereits auf Kreisebene Dahme-Spreewald und Teltow-Fläming eingerichteten Sozialtickets hinsichtlich ihres Erfolges zu evaluieren. Aber bereits in der letzten Woche konnte man der Presse entnehmen, dass das Interesse aus den von mir bereits angeführten Gründen sehr gering ist. Auch ist aus keinem anderen Flächenland der Bundesrepublik eine Regelung im Sinne der Volksinitiative bekannt. Die Regelungen in Stadtstaaten sind kein angemessener Vergleich, denn Stadtstaaten erfüllen auch kommunale Aufgaben.

Es ist klar, dass sich der Arbeitslosenverband positiv zur Einführung eines Sozialtickets äußert und auch die Ergebnisse der Umfrage im Auftrag der Linkspartei große Zustimmung signalisieren. Aber ernsthaft: Wer würde die Frage, ob er eine staatliche Leistung vergünstigt oder kostenlos haben möchte, schon mit Nein beantworten?

Herr Schrey, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

(Vereinzelt Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Der LINKEN kann man an dieser Stelle nur empfehlen, mit Volksinitiativen sorgsamer umzugehen und sie nicht zu Wahlkampfzwecken zu missbrauchen. Insbesondere betreffs des Vorschlags eines Sozialtickets wäre eine sorgfältige Prüfung im Vorfeld sinnvoll gewesen. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Die Landesregierung verzichtet. Wir kommen hiermit zum Redebeitrag von Herrn Abgeordneten Dr. Klocksin.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich lasse Zwischenfragen zu, um das vorweg zu sagen.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Ich glaube, das ist ein sehr sympathischer Auftakt. Ich möchte mich dafür auch herzlich bedanken. Aber vielleicht können wir das eine oder andere noch einmal auf die Beine stellen, Frau Kollegin Tack.

Ich sage es einmal so: Die Deutsche Volksunion hat ja nicht viel mit Volk zu tun. Ich glaube, die Volksinitiative für das Sozialticket braucht die nicht, um hier irgendetwas auszudrücken.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE - Zuruf von der DVU: Sie aber auch nicht!)

Egal, wie man zu der Sache steht, das sollte das Minimum der Übereinstimmung sein. Insofern: Hören Sie auf mit Ihren erbärmlichen Anbiederungen, Frau Kollegin.

Die zweite Bemerkung, eine andere Gefechtsebene: Werter Herr Kollege Schrey, wir als Koalitionäre haben immer ein optimales Maß an Übereinstimmung. Aber „Sozial ist, was Arbeit schafft“ ist ein Slogan, der mir sehr fern ist. Wir haben heute Morgen über Mindestlohn gesprochen. Hier müssen wir wirklich noch einmal in Klausur gehen.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE und vereinzelt bei der SPD)

Und der Minister ist gern dabei, nicht wahr, Herr Minister Junghanns?

Im Übrigen reden wir hier nicht über einen Vergnügungsbonus für Arbeitslose.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Wenn es um das Sozialticket geht, geht es um die Frage, wie weit Leuten ein Maß an Integration ins gesellschaftliche Leben zugestanden wird. Das heißt nicht, dass sie am Wochenende nach jwd zum Picknick fahren.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Genau!)

Warten Sie ab, von wegen „Genau!“, es wird noch knapp für Sie!

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Bis jetzt stimmt's!)

- Bis jetzt stimmt's. Dann müssen Sie mir die Rede schreiben, dann kommen wir zu einem Ergebnis.

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Also wollen Sie es nun hören, oder stellen Sie eine Zwischenfrage? Sonst habe ich nicht genug Zeit, Ihnen das zu erklären.

Historisch, Herr Kollege Schrey, ist das Sozialticket dort entstanden, wo Städte aufgetreten sind und gesagt haben: Wir haben aufgrund der sozialen Struktur unserer Kommune ein Interesse daran, dass Mobilität gewährleistet ist, und zwar auch für einen Bevölkerungsanteil, der es sich sonst nicht leisten kann. Dass ein Hartz-IV-Empfänger nicht gerade einen üppigen Anteil hat, ist, glaube ich, Konsens. Dass dies aber aus der kommunalen Politik entstanden ist, werden auch die Kollegen von der Partei DIE LINKE kaum in Abrede stellen können.

Jetzt stellen Sie einmal Ihre Zwischenfrage, Frau Kollegin Tack!

(Zuruf der Abgeordneten Frau Tack [DIE LINKE])

Insofern gibt es eine ganz klare Entwicklung, die zeigt, woher das kommt. Schauen wir uns die Situation noch einmal an. Auf der Bundesebene - es ist ein paarmal angeklungen, aber ich sage es gern noch einmal - stellen wir fest, dass es in der Tat kein einziges Bundesland gibt, das ein Sozialticket beschlossen hat, mit Ausnahme der Stadtstaaten. Das ist genau die innerkommunale Situation, von der ich gesprochen habe. Auch die Aussage, dass ein Verkehrsverbund dies machte, trifft so nicht zu. Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland keinen Verkehrsverbund, der ein solches Ticket anbietet. Es ist immer eine kommunale Leistung. Auch der Rhein-Main-Verkehrsverbund tut es nicht - Aussage der Pressesprecherin von heute Vormittag -, ich hatte es mitgeteilt. Es ist ausschließlich die Stadt Frankfurt am Main, die es ihren Bürgerinnen und Bürgern als Möglichkeit eröffnet.

Ich sage es noch einmal: Man muss wenigstens eine saubere Bestandsaufnahme machen, wenn man in die Zukunft schaut. Wenn wir die ostdeutschen Bundesländer betrachten, die wir immer gern zur Bewertung der eigenen Möglichkeiten, Leistungen und Perspektiven heranziehen, stellen wir fest: Wir finden nicht einmal im ansonsten durchaus dynamischen Sachsen eine Stadt, die ein solches Angebot macht. Da sind wir in Brandenburg weiter. In Leipzig gibt es diese Diskussion - dort maßgeblich von der sozialdemokratischen Partei getragen - aber leider noch keinen Beschluss.

Ich brauche jetzt Ihre Zwischenfrage, sonst ist wirklich die Zeit weg. Das finde ich nicht fair.