Protokoll der Sitzung vom 29.05.2008

Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie sehr herzlich zur heutigen 68. Plenarsitzung des Landtages Brandenburg. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich die angenehme Aufgabe, einem Geburtstagskind zu gratulieren, das mit Bildung des Brandenburger Landtages seine Arbeit hier aufgenommen und all das, was Sie, liebe Abgeordnete, im Laufe vieler Sitzungen „abgelassen“ haben, in Reinschrift gebracht hat. Frau Gerta Kaiser wird 65 Jahre alt und verlässt uns. Heute ist ihr letzter Arbeitstag, und sie hat sich gewünscht, heute als Geburtstagsgeschenk noch einmal das schreiben zu dürfen, was Sie in dieser Sitzung erzählen werden. - Herzlichen Glückwunsch!

(Frau Kaiser wird ein Blumenstrauß überreicht. - Allge- meiner lebhafter Beifall)

Frau Kaiser, damit Sie nicht aus der Übung kommen, könnten Sie jetzt anfangen, Ihre Memoiren zu schreiben. Das wird bestimmt interessant.

(Zuruf: Die sind so schnell nicht fertig! - Vereinzelt Hei- terkeit - Schulze [SPD]: Hat der Präsident ihr wenigstens einen goldenen Füllfederhalter geschenkt?)

Wir kommen zur Tagesordnung. Es ist mitzuteilen, dass der Tagesordnungspunkt 7 - Gesetzliche Regelung zur Entlastung der Altanschließer notwendig! - nunmehr mit Redezeiten nach Variante 2 versehen ist. Ansonsten bleibt die Tagesordnung gegenüber dem vorliegenden Entwurf unverändert. - Gibt es dazu Bemerkungen? - Das ist nicht der Fall. - Wer mit der vorliegenden Tagesordnung einschließlich der genannten Änderung einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen ist die Tagesordnung damit so angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: 1998 bis 2008: 10 Jahre Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“

Antrag der Fraktion der SPD

Die Debatte wird mit dem Redebeitrag des Abgeordneten Baaske eröffnet.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren, einen schönen guten Morgen!

(Zurufe: Guten Morgen!)

Ich will noch einmal auf den gestrigen Vormittag zurückkommen, als um diese Uhrzeit hier in diesem Raum Ilan Mor sprach. Meines Erachtens hat er eine sehr beeindruckende Rede gehalten. Er sprach von der Vergangenheit Israels, die sehr

eng mit der deutschen Geschichte zusammenhängt, von der sehr schwierigen Zukunft seines Landes, und dies verband er mit der Gegenwart, die er ebenfalls mit all ihren Schwierigkeiten und Facetten darstellte, die wir eigentlich jeden Abend bei uns in den Nachrichten sehen können. Er verband die Äußerungen zur Gegenwart mit einer Einladung an uns, und er verband die Zukunft mit der Vision des Staatengründers, mit dem Optimismus, den man braucht, wenn man die Gegenwart Israels betrachtet.

In dieser Rede hat er keine Vorwürfe gegen uns erhoben. Das brauchte er auch nicht, weil er weiß, dass sich hier in diesem Raum in der übergroßen Mehrheit Demokraten befinden, die wissen, worum es geht, und die auch um die israelische Geschichte wissen. Es war aus meiner Sicht eine Rede voller Größe und Achtung vor den Menschen.

Mir stockte fast der Atem, als er schließlich die sehr persönlichen Worte sagte, dass Israel seine Heimat sei, in der er groß geworden sei, und dass er sich keine andere vorstellen könne. Ich habe in den letzten Jahren von israelischen Staatsbürgern auch ganz andere Äußerungen gehört. Sie meinten, ihre Heimat sei da, wo ihre Eltern und Großeltern herkämen. Sie gingen dort auch gern wieder hin, aber ihre Wurzeln seien eben doch vielfach in Israel.

Diese Rede hat viel Beifall verdient, und dieser Beifall kam auch aus diesem Saal. Aber es gab ganz rechts eben auch Leute, die meinten, diese Rede nicht mit Beifall würdigen zu müssen. Da stieg in mir doch Groll hoch, und ich habe mich gefragt: Wie kann man so schamlos, so respektlos, so ehrlos sein, sich so zu benehmen?

(Beifall bei SPD, CDU und der Fraktion DIE LINKE)

Für mich war klar, dass man aus diesem Grund in dieser Republik und in diesem Land umso mehr, umso deutlicher gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus arbeiten muss.

(Beifall bei SPD, CDU und der Fraktion DIE LINKE)

Das gestern wieder Erlebte hat uns auch gezeigt, wie wichtig der Kampf für Toleranz, für Demokratie und gegen diese Antisemiten ist. Sie sechs Abgeordneten von der DVU können sicher sein und sich dafür wappnen: Gestern war eine Feierstunde, heute geht der Kampf weiter.

Schauen wir aber dennoch ein paar Jahre zurück, in das Jahr 1998 oder auch in die Jahre kurz zuvor und kurz danach. Wir alle haben die Bilder der Brände und der Opfer vor Augen, die sich mit Ortsnamen wie Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, aber auch Solingen und Mölln verbinden. Die Namen dieser Orte sind für uns Synonyme für ausländerfeindliche Gewalt geworden.

Aber auch in Brandenburg kam es in dieser Zeit immer wieder zu ausländerfeindlichen und antisemitischen Übergriffen: 1990 wurde Amadeu Antonio in Eberswalde von Skinheads zu Tode geprügelt; Sie wissen es noch. Ebenso kennen wir alle das Schicksal von Noël Martin, der 1996 Opfer eines rassistischen Anschlags wurde. Es war 1998, als ein Jugendlicher in Rheinsberg scheinbar ohne Grund auf einen farbigen Mitschüler einschlug. Im selben Jahr wurde in Dedelow in der Uckermark ein

Italiener krankenhausreif geprügelt, als er ein Dorffest besuchte.

Wir alle wissen, dass dies nur ein kleiner Teil der Übergriffe ist, die sich in dieser Zeit in unserem Land ereignet haben. Sie beschämen uns noch heute. Die Ausländerfeindlichkeit und ebenso die hohe Zahl der Opfer rechtsextremer Gewalt führten zu der Erkenntnis, dass es in diesem Land ein systematisches Problem gibt. Einem solchen Problem kann man auch nur auf systematische Weise begegnen. Genau aus diesem Grund wurden 1997 in unserem Land das Aktionsbündnis gegründet und ein Jahr später - meiner Erinnerung nach im Juni - durch Kabinettsbeschluss eine Offensive gestartet, die Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ hieß.

Brandenburg war damals, 1998, das erste und somit einzige Bundesland, das sich durch einen Regierungsbeschluss ein solches Handlungskonzept gegeben hat. Selbstkritisch müssen wir aber auch sagen, dass wir die eben beschriebene Lage bis zu diesem Zeitpunkt wohl etwas unterschätzt, die Situation vielleicht zu oft und zu schnell schöngeredet und gemeint hatten, wer über den Rechtsextremismus in Brandenburg spreche, der rede das ganze Land schlecht.

Heute sind wir da wohl wesentlich weiter. Heute sagen Schulleiter und Bürgermeister, wenn sie ein solches Problem haben. Noch nicht überall in Deutschland sind wir so weit. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das Geschehen im vorigen Jahr in Mügeln, als Inder durch die Stadt gehetzt wurden und der Mügelner Bürgermeister tagelang versuchte, das Problem kleinzureden. Ganz anders stellte sich in einer vergleichbaren Situation Manfred Richter in Rheinsberg auf: Als er mitbekam, dass es in seiner Stadt systematische Überfälle auf Ausländer gab, hat er das laut gesagt und dadurch die Bürgerschaft mitgenommen. Daraufhin gab es in Rheinsberg eine große Offensive der breiten Mitte gegen solch ausuferndes Verhalten.

(Beifall bei SPD, CDU und der Fraktion DIE LINKE)

Mit dem Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ hat die Landesregierung 1998 zwar spät, aber sicherlich nicht zu spät erkannt, dass man einen neuen Weg beschreiten muss. Sie hat erkannt, dass die Bekämpfung des Rechtsextremismus nicht allein Sache von Bürgermeistern, Stadtverordneten, Kreistagsabgeordneten oder Landesregierung sein kann, sondern dass dies Sache aller Brandenburgerinnen und Brandenburger ist.

Im Jahr 2005 haben wir das Konzept überarbeitet und um einen mir sehr wichtigen Aspekt ergänzt: „Tolerantes Brandenburg“ kann nicht nur heißen, dass wir gegen Rechtsextremismus, gegen Antisemitismus, gegen Fremdenfeindlichkeit sind, sondern „Tolerantes Brandenburg“ muss eben auch heißen, dass wir für Toleranz, für Zivilcourage, für Demokratie kämpfen müssen. „Tolerantes Brandenburg“ ist also nicht ein Konzept ausschließlich gegen Rechtsextremismus, sondern es ist ein Konzept für das Land.

(Beifall bei SPD, CDU und der Fraktion DIE LINKE)

Was haben wir damit erreicht? Die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten ist seit 2004 leicht zurückgegangen, um 11 %. Aber es gibt auch eine Schattenseite. Die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten ist seit 2004 um fast 30 % gestiegen. Dies wird, wie wir ehrlich zugestehen müssen, vielfach damit zu

sammenhängen, dass es eine Phase umfassender Aufklärung gab und solche Vorkommnisse, wenn zum Beispiel der Hitlergruß gezeigt wird oder T-Shirts mit irgendwelchen blöden Aufdrucken getragen werden, heute viel eher angezeigt werden. Das ist zweifelsohne richtig; aber trotzdem müssen wir konstatieren: Jede einzelne Straftat ist eine zu viel.

Der Verfassungsschutz berichtet, dass die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten in dem angesprochenen Zeitraum ebenfalls leicht zurückgegangen ist. In Brandenburg gibt es mittlerweile 30 Schulen, die sich „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“ nennen. Sie haben jeweils einen Paten mit einem relativ bekannten Namen, der etwas Drive hineinbringt. 30 solcher Schulen sind immerhin so viele, wie es sie in keinem anderen Bundesland gibt. Auch darauf können wir stolz sein.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD und der Fraktion DIE LINKE)

Seit dem Jahr 2000 beteiligt sich auch der Bund mit ein paar Millionen Euro jährlich am Kampf gegen den Rechtsextremismus. Die im Bund gestalteten Programme CIVITAS, ENTIMON und XENOS tragen ganz wesentlich die brandenburgische Handschrift, denn sie wurden aufgrund der Brandenburger Erfahrungen in dieser Weise gestaltet.

Wenn wir ein wenig über Erfolge sprechen wollen, darf ich an die großen Demonstrationen erinnern, die wir nicht nur in Halbe, sondern auch in Rheinsberg, Neuruppin, Wrietzen und Senftenberg erlebt haben. Überall im Lande, wo es hieß, dass die Nazis aktiv werden wollen, gab es eine breite, solidarische Mitte, die sich aufgestellt und gesagt hat: Nein, das wollen wir in unserer Stadt nicht zulassen.

Dennoch glaube ich, dass wir den größten Erfolg in Bezug auf Halbe feiern können. Gerade in Halbe, wo die alten und die neuen Nazis eine rechte Wallfahrtsstätte für die Nazis aus ganz Deutschland und vielleicht sogar aus Europa schaffen wollten, hat die breite demokratische Mitte dieses Landes gezeigt, dass Derartiges bei uns in Brandenburg nicht funktionieren wird. Sie haben sich zu vielen, vielen Tausenden dagegengestellt und mit demokratischen, mit ehrlichen Mitteln gezeigt: Nein, Nazis, wir wollen euch in Halbe nicht haben.

(Beifall bei der SPD und der Fraktion DIE LINKE)

Dieser Erfolg, den wir in dieser Brandenburger Stadt errungen haben, ist aus meiner Sicht einer der wichtigsten der vergangenen Jahre, denn er hat auch vielen anderen in Brandenburg Mut gemacht, dagegen aufzustehen, wenn sich die Nazis irgendwo zeigen und sich melden. Dies hat gezeigt, dass man es schaffen kann, den Nazis mit demokratischen und legitimen Mitteln etwas entgegenzusetzen. Das ist ein tolles Zeichen.

Etwas Vergleichbares habe ich in wunderbarer Weise auch in Ludwigsfelde erlebt. Dort waren wir Mitte April, als die Nazis vor dem dortigen Rathaus eine Kundgebung abhalten wollten. Der Bürgermeister wollte gerade zum Telefonhörer greifen, als ihn auch schon das Lokale Bündnis für Familien anrief. Dessen Vertreter sagten: Wir haben ein tolles Netzwerk. Wir haben gehört, die Nazis wollen etwas machen; wir mit unserem Netzwerk stellen uns sofort dagegen und veranstalten auf diesem Platz ein Fest der Familie. Es war ein bunter Tag, ein herrlicher Tag. Hunderte Ludwigsfelder kamen und sorgten dafür, dass

Bilder Ludwigsfeldes als bunte, vielfältige, kreative Stadt und eben nicht einer Stadt nach außen drangen, in der Nazis Raum greifen können. Wunderbar gemacht, Ludwigsfelde!

(Beifall bei der SPD sowie vereinzelt bei der CDU und der Fraktion DIE LINKE)

Wir haben also sehr wohl etliche Fortschritte im Kampf für ein tolerantes Brandenburg, beim Kampf gegen den Rechtsextremismus in diesem Land erreicht, auch wenn wir an einigen Stellen noch nicht so recht vom Fleck gekommen sind; das muss man ehrlicherweise zugeben. Genau aus diesem Grund werden wir das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ auch in den nächsten Jahren noch brauchen, und genau deshalb werden wir nach wie vor für mehr Toleranz, für mehr Demokratie und Zivilcourage im Lande kämpfen. Dabei sind mir drei Punkte besonders wichtig.

Erstens: Wir müssen weiterhin eine ganz harte Linie gegen Rechtsextremisten zeigen; sie müssen, wo immer sie sich zeigen und sich antidemokratisch verhalten, sofort die harte Hand des Staates spüren.

(Beifall bei der SPD und der Fraktion DIE LINKE)

Rechtsextremisten dürfen die Demokratie keine Minute lang als schwach erleben. Rechtsextremisten müssen sich sicher sein, dass gegen sie mit aller Härte des Gesetzes vorgegangen wird. Ich erlebe das überall im Lande. Ich war bei vielen Veranstaltungen, ob es Demonstrationen oder Kundgebungen waren, bei denen sich die Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremisten gestellt hat. Ich habe oft genug erlebt, wie sich die Polizei im Kampf dort bewährt hat.

In diesem Zusammenhang danke ich, Herr Kollege Innenminister, insbesondere Ihren Kollegen von TOMEG und von der MEGA sehr herzlich. Sie machen, wie ich erlebt habe, einen tollen Job; dies gilt ebenso für Veranstaltungen, bei denen andere Einsatzkräfte tätig waren. Ich weiß, dass dies keine leichte Arbeit ist, dass es sehr schwierig ist, angesichts solcher Situationen Ruhe und Sachlichkeit zu wahren. Trotz der vielen Vorwürfe, die sie sich gefallen lassen mussten, haben sie Kühle und Sachverstand bewiesen und gezeigt, dass Demokratie über blödem Genöle stehen kann. Dafür gebührt diesen Kollegen herzlicher Dank, große Sympathie und Hochachtung.

(Beifall bei SPD, CDU der Fraktion DIE LINKE)

Allerdings muss die Repression meines Erachtens durch Aussteigerprogramme ergänzt werden. Man muss insbesondere jungen Rechtsextremisten und Antisemiten - diese Menschen nennen sich ja Nationalsozialisten - konzedieren, dass sie dazulernen können, dass sie reifer werden, dass sie Erfahrungen sammeln und merken, dass sie auf dem Irrweg sind oder waren. Deshalb müssen wir jungen Leuten Angebote machen. Ich weiß, dass dies insbesondere die Leute, die mit TOMEG befasst sind, aber auch andere Gruppen tun. Meiner Meinung nach müssen wir hierbei jedoch stärker institutionalisiert oder vielleicht auch professioneller vorgehen und so etwas wie regionale Aussteigerprogramme anbieten.

Zur Repression gehört aber eben auch, dass wir Verfassungsfeinden gar nicht erst die Chance einräumen, öffentliche Ämter zu bekleiden. Wenn jemand Landrat oder Bürgermeister ist,