Protokoll der Sitzung vom 16.12.2004

(Bochow [SPD]: Sonst hätte sie es nicht gesagt!)

Ich versuche noch einmal klarzumachen, worum es uns geht. Wir sind der Meinung, dass angesichts einer viertel Million arbeitslos registrierter Menschen in Brandenburg eine Neuorientierung der Arbeitsförderung das Gebot der Stunde ist. Auch bei der Erarbeitung des künftigen Landeshaushalts muss darauf geachtet werden, dass jeder, aber auch wirklich jeder irgendwie verfügbar zu machende Euro für Investitionen und Strukturpolitik eingesetzt wird. Das gilt auch für die jährlichen Zuwendungen von inzwischen fast 4 Millionen Euro durch das Land an die LASA, welche sinnvoller eingesetzt werden könnten.

Darüber hinaus gingen und gehen aufgrund der Neustrukturierung der ESF-Förderprogramme - einschließlich der Landesprogramme, Frau Schulz - der LASA ohnehin zunehmend Aufgaben verloren. Das von der LASA bisher eher verwaltete als betriebene Programm „Qualifizierung und Arbeit für Brandenburg“ soll, wenn man der Presse glauben darf, nach Aussagen von Herrn Baaske und Frau Dr. Schröder auf den Prüfstand gestellt werden. Das Landesprogramm „Qualifizierung und Arbeit für Brandenburg“ wird es also in dieser Form nicht mehr geben. Weiterbildung, Existenzgründungen und Ähnliches sind bei Kammern, Verbänden und anderen öffentlichen oder privaten Träger ohnehin besser aufgehoben.

Die Durchführung der wenigen Programme, die schließlich übrig bleiben, können und sollen nach dem Willen der Deutschen Volksunion im Zuge einer Straffung und Effektivitätssteigerung im Hinblick auf die Arbeitsmarkterfordernisse in Zukunft direkt durch das Ministerium übernommen werden.

Wir bitten Sie daher um Zustimmung zu unserem Antrag.

Alternativ haben wir die Überweisung an den Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie - federführend - und an den Ausschuss für Haushalt und Finanzen - mitberatend beantragt.

(Beifall bei der DVU)

Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Die Fraktion der DVU hat die Überweisung des Antrags in Drucksache 4/226 an den Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie - federführend - und an den Ausschuss für Haushalt und Finanzen - mitberatend - beantragt. Wer diesem Überweisungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag auf Überweisung mit den Stimmen von SPD, PDS und CDU abgelehnt worden.

Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den Antrag in der Sache. Wer dem Antrag der DVU-Fraktion in Drucksache 4/226 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Die DVU-Fraktion hat dem Antrag zugestimmt; die Fraktionen von SPD, PDS und CDU haben ihn abgelehnt. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) muss Bundesgesetz bleiben

Antrag der Fraktion der PDS

Drucksache 4/254

Ich eröffne die Aussprache und gebe Herrn Abgeordneten Krause von der PDS-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeder, der im Sinne der Kinder- und Jugendhilfe Politik macht, kommt nicht umhin, heute unserem Antrag zuzustimmen. Frau Lehmann hat bereits gestern gesagt, dass das eine gute Sache sei; von daher bin ich ganz optimistisch.

Die Bundesratsdrucksache 712/04, Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung der Kommunen im sozialen Bereich, enthält haarsträubende Vorschläge zur Reformierung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Dabei werden insbesondere zwei Grundlinien verfolgt: Zum einen wird vorgeschlagen, Leistungen, die bis dato kostenfrei waren - das sind vor allem Beratungen, aber auch Wunsch- und Wahlrechte - drastisch einzuschränken. Zum anderen wird vorgeschlagen, den Kreis der Kostenträger im Falle der Inanspruchnahme von Leistungen auf Partner, Ehegatten und Großeltern auszudehnen. Hartz IV, ein ähnliches Modell, lässt grüßen.

Fazit dieser beiden Grundlinien: Der Staat zieht sich zurück, der Bürger soll zahlen! So wird ironischerweise § 10 in „Nachrang der Jugendhilfe“ umbenannt.

Der Entwurf enthält zwei weitere konkrete Vorschläge: Erstens

wird in dem Entwurf § 35 a, Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche, komplett gestrichen. Zur Begründung heißt es lapidar: Um die Gleichstellung aller jungen Menschen mit Behinderung zu gewährleisten, wird § 35 a SGB VIII ersatzlos gestrichen. - Was für ein Erfolg für die Gleichstellung! Auf den Gedanken, die Gleichstellung zu vollziehen, indem man die Kinder und Jugendlichen mit körperlicher Behinderung in das KJHG aufnimmt, ist vermutlich niemand gekommen. Warum auch? Schließlich hätte das eine finanzielle Mehrbelastung bedeutet. Auf jeden Fall wäre es die bessere Art der Gleichstellung gewesen.

Zweitens sieht der Entwurf die Neufassung von § 69 Abs. 6 vor. Demnach soll durch Landesrecht festgelegt werden können, dass die Aufgaben des örtlichen Trägers der Jugendhilfe, so auch der Kita-Anspruch der 3- bis 6-Jährigen, von der kreisangehörigen Gemeinde im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit wahrgenommen werden können. Was das angesichts der gegenwärtigen angespannten finanziellen Situation der Kommunen bedeuten könnte, liegt auf der Hand: Kita-Plätze als freiwillige Leistung der Kommune. Wohl der Kommune, die es sich denn leisten will und kann! Schönen Dank! Haben wir nicht erst gestern über die entsprechenden Standards gesprochen?

Bei diesem Gesetzentwurf geht es um Kinder und Jugendliche. Es wäre ein schwerwiegender Fehler, den Ländern die Kinderund Jugendhilfe aufs Auge zu drücken. Ich warne an dieser Stelle davor, Kids, Teens und Twens in die Kleinstaaterei zu schubsen. Kinder- und Jugendhilfe ist Chef- und damit Bundessache; sie darf nicht der Föderalismuskommission zum Opfer fallen!

(Beifall bei der PDS)

Kinder und Jugendliche müssen gleiche soziale und wirtschaftliche Bedingungen vorfinden - ob sie in Potsdam, Schwerin oder Hannover leben. Nur der Bund kann sicherstellen, dass in ganz Deutschland ein qualifiziertes Angebot für Eltern und Kinder bereitsteht.

Wird das Kinder- und Jugendhilfegesetz Ländersache, werden wir schon bald mit 16 unterschiedlichen Ausgestaltungen und damit 16 unterschiedlichen Standards und Maßstäben in der Jugendhilfe leben müssen. Wir werden die Situation haben, dass sich nicht das qualitativ hochwertigste, sondern das preiswerteste Angebot durchsetzt. Es wird zu einem Abbau von Leistungen auf Kosten unserer Kinder kommen.

Wir fordern Flexibilität von Eltern und Familien, behindern sie aber! Wenn Familien für den Job umziehen, müssen sie sich auf die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe verlassen können mit gleichen Standards überall in der Republik. Eine Zersplitterung der Rechte mit Nord-Süd-Gefälle oder Ost-West-Schieflage hemmt die Bereitschaft zur Mobilität in der Bevölkerung und damit die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt.

Qualität in der Kinder- und Jugendhilfe bleibt auf der Strecke, wenn 16 unterschiedliche Maßstäbe gesetzt werden. Wir brauchen in ganz Deutschland vergleichbare Standards, um maximale Effektivität zu erzielen.

Die Kinder- und Jugendhilfe schöpft ihr Potenzial nur dann aus, wenn organisatorisch und fachlich nicht an den Länder

grenzen Halt gemacht wird. Dieser Entwurf bedeutet eine stärkere Kostenbeteiligung von Eltern, jungen Volljährigen und Lebenspartnern und Kostenbeiträge für bislang kostenfreie Leistungen. Dieser Entwurf verfolgt die wahnwitzige Idee einer Gleichbehandlung aller jungen Menschen mit Behinderungen zulasten junger Menschen mit seelischer Behinderung.

Im Interesse der Kinder und Jugendlichen in Deutschland bitten wir Sie um Ihre Zustimmung. Die gesetzliche Verantwortung für das Kinder- und Jugendhilfegesetz muss in vollem Umfang Bundessache bleiben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Lehmann. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Krause, es bleibt dabei:

(Beifall des Abgeordneten Krause [PDS])

Auch wir vertreten die Auffassung, das Kinder- und Jugendhilfegesetz muss in all seinen Teilen Bundesgesetz bleiben.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Ich hatte dies bereits gestern ausgeführt und damit auch die Auffassung der SPD-Fraktion vorgetragen. Die öffentliche Fürsorge - dazu gehört die Kinder- und Jugendhilfe - fällt in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung nach Artikel 72 Grundgesetz. Grundsätzlich besteht eine Regelungskompetenz bei den Ländern. Seit 50 Jahren macht der Bund jedoch von seinem Recht Gebrauch, dies vorrangig selbst zu regeln. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Praxis 1967 bestätigt.

Das Kinder- und Jugendhilfegesetz ist ein bewährtes, partizipatives Rahmengesetz für die Kinder- und Jugendhilfe.

(Beifall des Abgeordneten Krause [PDS])

Es sichert verbindliche Mindeststandards für Leistungen und die Infrastruktur der Kinder- und Jugendhilfe. Dabei lässt es ausreichend Raum für die Berücksichtigung regionaler, lokaler und individueller Besonderheiten. Dennoch empfehlen wir die Ablehnung des PDS-Antrags.

(Widerspruch bei der PDS)

Erstens: Vom Leiter der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, Herrn Franz Müntefering, ist der SPD-Fraktion mehrfach bestätigt worden, dass das KJHG Bundesgesetz bleibt. Bisherige Verlautbarungen ließen auch nichts Gegenteiliges bekannt werden.

Zweitens: Am 17.12.2004 wird die Kommission ihre Vorschläge vorlegen, die dann dem Bundestag und dem Bundesrat zur Diskussion vorgelegt werden. Danach, meine Damen und Herren, beginnt die Phase der Diskussion; und wenn es Dinge gibt,

die uns nicht gefallen, meinetwegen auch die Antragsphase. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion der DVU spricht die Abgeordnete Fechner. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die DVU-Fraktion hat die Kinder-, Jugend- und Familienpolitik einen sehr hohen Stellenwert. Die Kinder- und Jugendhilfe hat heute insbesondere die Aufgabe, als Vertreterin von Kindern und Jugendlichen dafür zu sorgen, dass deren Belange in allen Lebens- und Gesellschaftsbereichen Berücksichtigung finden.

Worum geht es im vorliegenden Antrag? Die PDS-Fraktion fordert die Landesregierung auf, sich in der Föderalismuskommission konsequent für den Erhalt des Kinder- und Jugendgesetzes als Bundesgesetz einzusetzen und entsprechend abzustimmen. Das funktionierende Kinder- und Jugendhilfegesetz wurde auf Bundesebene verankert, um Kindern und Jugendlichen im ganzen Land gleiche Entwicklungschancen zu sichern.

Allerdings, meine Damen und Herren der PDS-Fraktion, gibt es durchaus Bereiche, die auch nach Ansicht der DVU-Fraktion im Bereich der Länder angesiedelt werden könnten. Frau Hartfelder ist heute während der Aktuellen Stunde darauf eingegangen, sodass ich mir detaillierte Ausführungen sparen kann.

Allerdings sehen wir auch hier: Wenn es zu einer Ausweitung der bereits vorhandenen Länderkompetenzen im Kinder- und Jugendhilferecht kommen würde, könnte dies zu einer Zersplitterung der bisherigen bundeseinheitlichen Regelung führen. Diese Gefahr sehen wir durchaus, und wir sehen auch, dass es infolge des Geldmangels in den Ländern und Kommunen zum radikalen Abbau der Leistungen kommen kann.

Die PDS-Fraktion schreibt in ihrer Begründung zu diesem Antrag:

„Kommt es zu einer teilweisen oder vollständigen Abgabe des KJHG in Landesrecht, wird es über kurz oder lang zu 16 unterschiedlichen Ausgestaltungen und damit zu 16 unterschiedlichen Standards und Maßstäben von Jugendhilfe kommen. Das angestrebte Zugriffsrecht der Länder auf die Kinder- und Jugendhilfe wird dazu beitragen, dass sich als Folge eines verhängnisvollen gegenseitigen Herunterkonkurrierens nicht das qualitativste, sondern das preiswerteste Angebot durchsetzen wird.“