Protokoll der Sitzung vom 19.01.2005

Lohndumping und der Verdrängung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze haben.

Gegenüber den tonangebenden internationalen Konzernen haben sie bei den Kammern in Deutschland - dies gilt leider auch in Brandenburg - faktisch nichts zu melden. Andererseits sind gerade in Brandenburg für manch einen Unternehmer die zum Teil horrenden Beiträge für die Kammern ein Ärgernis, noch dazu, wenn das Betriebsergebnis zu wünschen übrig lässt.

(Zuruf des Abgeordneten Karney [CDU])

Kürzlich wurde der Fall eines Unternehmers im Landkreis Märkisch-Oderland bekannt, dessen Betrieb wegen einer Nachbarschaftsstreitigkeit stillliegt und der daher keinerlei Einnahmen erzielt. Trotz vielfältiger Eingaben, Widersprüche, Bitten, Vorsprachen und Ähnlichem seinerseits musste er seinen Beitrag an die IHK Frankfurt (Oder) entrichten. Das ist nur einer von vielen Fällen, doch er spricht eine klare Sprache.

Den Irrwitz der Auswüchse der Zwangsmitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern haben inzwischen - parteiübergreifend - auch verschiedene Politiker erkannt. Nur in Brandenburg geht das natürlich nicht. Die Zahl der Gegner der Zwangsmitgliedschaft in den IHKs und Handwerkskammern reicht vom CDU-Politiker Jens Kahlsdorf, welcher den Verband der Kammerverweigerer mit begründete, über den nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten Jürgen Plüschau, den Hamburger SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs, die Landtagsfraktion der Grünen in Nordrhein-Westfalen - sie ist immerhin Regierungsfraktion bis zum Präsidenten der Industrie- und Handelskammer Heilbronn, welcher sich ebenfalls für eine Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft aussprach.

Die Kammern mit ihrer enormen Vielfalt an Leistungen brauchen Wettbewerb wahrlich nicht zu scheuen. Ziel muss es sein, ein Dienstleistungsangebot zu schaffen, das sich an der tatsächlichen Nachfrage orientiert und von denen finanziert wird, die es nutzen.

Wir verkennen dabei nicht, Herr Karney, dass die Industrieund Handelskammern sowie die Handwerkskammern durchaus einen Beitrag zur Regulierung des Wirtschaftslebens und als Vertretungsorgane und Dienstleister für ihre Mitglieder leisten. Sie hätten unseren Antrag gründlicher lesen sollen. - Daher wollen wir auch nicht an ihrem Status als Körperschaften des öffentlichen Rechts mit den damit verbundenen steuerlichen und sonstigen Vergünstigungen rütteln.

Wir als DVU-Fraktion fordert lediglich in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit vor allem kleiner und mittelständischer Unternehmen unseres Landes, dass eine noch aus dem 19. Jahrhundert stammende und nicht mehr in das Bild des heutigen Wirtschaftslebens passende Regelung endlich abgeschafft wird. Das entlastet die Unternehmen, schafft mehr Wettbewerb zwischen den Kammern und damit mehr Dienstleistung und Service für die Unternehmer, deren Kunden und nicht zuletzt auch für die Kammern selbst. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich schließe die Aussprache und wir kommen zur Abstimmung.

Ich rufe zur Abstimmung auf den Antrag auf Überweisung des Antrags der DVU-Fraktion - Bundesratsinitiative zur Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft bei den Industrie- und Handelskammern sowie den Handwerkskammern, Drucksache 4/412 an den Ausschuss für Wirtschaft. Wer diesem Überweisungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag - Drucksache 4/412 - in der Sache. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 8 und rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:

Sicherung unabhängiger Beratungsstellen für Leistungen nach dem SGB II

Antrag der Fraktion der PDS

Drucksache 4/426

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der Fraktion der PDS. Herr Otto, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Hartz-Jahr 2005 hat begonnen. Die Bescheide zum Arbeitslosengeld II sind ergangen und die Betroffenen müssen sich auf unterschiedlichste Art und Weise damit auseinander setzen. Daraus resultiert die Frage: Was nun und wie weiter?

Aus von mir und meinen Fraktionskollegen mit Betroffenen geführten Gesprächen wird immer wieder deutlich, dass der Bezug von Arbeitslosengeld II als sozialer Abstieg, als soziokulturelle Ausgrenzung verbunden mit erheblichen Problemen bezüglich Selbstwertgefühl und der eigenen Lebensqualität empfunden wird.

(Beifall bei der PDS)

Daraus resultieren persönliche und gesellschaftliche Beschädigungen, deren Folgen gegenwärtig noch gar nicht abzuschätzen sind.

Deshalb können wir die Bewertung, Hartz IV sei relativ problemlos angelaufen, nicht teilen. Hartz IV ist für uns nicht primär ein technischer Vorgang, bei dem es um die Beherrschung von Software oder um den Datenaustausch geht. Hartz IV ist zuallererst eine soziale Frage. Mit Hartz IV zu leben hat gerade erst begonnen. Bei vielen Betroffenen dominiert das Gefühl, für etwas bestraft zu werden, was sie nicht verursacht haben und das sie nicht beeinflussen können. Die meisten wollen Arbeit, haben aber keine Chance dazu.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Fördern und Fordern bilden eben keine Einheit. Das spüren die Betroffenen. Eine reelle Chance auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist gegenwärtig nicht erkennbar. Fast täglich treten neue Fragen und Unklarheiten bezüglich der übergebenen Bescheide auf.

Um dies an zwei Beispielen zu verdeutlichen: Es hat mehr als drei Monate gedauert, bis wir - nämlich gestern - eine Information bekamen, wie bei denen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben und keinen Anspruch auf Zahlungen haben, die Sozialversicherungspflicht behandelt wird. Heute haben wir also die Antwort. Die damit Beauftragten haben erheblich zu tun, das auch rückwirkend - zu korrigieren.

(Zuruf des Abgeordneten Schippel [SPD])

Auf der anderen Seite liegen sehr viele Anträge vor. Es gibt Widersprüche, offene Fragen sind zu klären. Das führt zu einer erheblichen Belastung und Überbelastung der beauftragten Kommunen.

Die Bundesregierung tut sich schwer damit, erkannte Schwachpunkte abzustellen und dafür zu sorgen, dass schneller gehandelt wird.

Mit Optimismus erfüllt mich, dass die Ministerin heute sagte, dass die erkannten und im Koalitionsvertrag fixierten Punkte zur Nachbesserung von Hartz IV per Bundesratsinitiative vorgetragen werden sollen. Ich hoffe, das erfolgt zeitnah, relativ schnell und führt zu einer mehrheitlich getragenen gerechten Schlusslösung.

Die Betroffenen benötigen in doppelter Hinsicht Hilfe und Unterstützung, zum einen im politischen Sinn, im Sinne grundlegender Korrekturen, und zum anderen im praktischen Sinn, vom Ausfüllen der Anträge über das Verstehen der Bescheide bis hin zum Widerspruchs- und Klageverfahren. Diese Form von Hilfe zur Selbsthilfe leisteten in der Vergangenheit und leisten zum Teil noch gegenwärtig Vereine, Arbeitsloseninitiativen, Sozialverbände und Gewerkschaften. Der Bedarf an unabhängiger Beratung und Unterstützung wird in absehbarer Zeit nicht zurückgehen, zumal die Bewilligungszeiträume begrenzt sind und sich immer neue Felder der Beratung auftun. Ich will nicht unken und der PDS nicht den Zuruf vonseiten der SPD zuziehen, Schwarzmalerei zu betreiben,

(Schippel [SPD]: Zu spät!)

aber Fragen zu Unterkunftskosten und Ähnlichem werden sich in Zukunft häufen. Die Gegenseite der Schwarzmalerei ist die Bagatellisierung.

Deshalb stellt die PDS-Fraktion den Antrag, die Beratung zu Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II durch unabhängige Träger zumindest für das Jahr 2005 zu sichern. Dabei legen wir Wert auf eine unabhängige Beratung. Es ist doch verständlich, dass sich jemand, der sich benachteiligt fühlt, nicht zuerst an die ausstellende Behörde wendet, die den Bescheid erlassen hat, auch wenn die Beratung Aufgabe dieser Behörde wäre.

Auf der Internetseite des Arbeitsministeriums in Brandenburg sind etwa 200 Beratungsstellen verzeichnet, davon weit mehr als die Hälfte in der Trägerschaft des Arbeitslosenverbandes, der Arbeitsfördergesellschaften und anderer Vereine und Ver

bände. Sie leisten, selbst vielfach mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über Instrumente der Arbeitsförderung, wie ABM, ausgestattet, eine gute und intensive Arbeit. Im vergangenen Jahr haben besonders Arbeitslosenserviceeinrichtungen und andere unentgeltlich umfangreiche Dienstleistungen für Arbeitslose angeboten - von der Einzelberatung, dem Bewerbungstraining, der Schuldner- und Suchtberatung bis hin zur praktischen Hilfe für Arbeitslose im täglichen Leben. Die Mitarbeiter dieser Einrichtungen haben zum Teil eine über zehnjährige Erfahrung. Sie waren für viele eine wichtige Hilfe bei der Beantragung des Arbeitslosengeldes II und waren Vertrauenspersonen. Auch ihnen ist es zuzuordnen, dass der Anlauf, wie das zum Teil formalistisch bewertet wurde, relativ problemlos erfolgte.

Wesentliche Aufgaben, die das Sozialgesetzbuch II betreffen, sollen nach der gesetzlichen Regelung ab dem 01.01.2005 in den Jobcentern oder den optierenden Kommunen erfüllt werden. Mitarbeiter der Arbeitslosenserviceeinrichtungen und anderer Beratungseinrichtungen sollten in diesen Jobcentern eingestellt werden, um ihre Kompetenz zu nutzen. Dem Arbeitslosenverband des Landes Brandenburg ist nicht bekannt, dass Mitarbeiter der Arbeitslosenserviceeinrichtungen in Jobcentern eingesetzt wurden. Die Einrichtungen der Interessenvertretung Arbeitsloser in Brandenburg sind bzw. werden geschlossen. Die Wirksamkeit der Jobcenter - das ist wohl unstrittig - ist umstritten, hat sich noch nicht bestätigt und deren Beschäftigte auch das ist klar - arbeiten natürlich nicht unabhängig.

Zur Minderung dieser Übergangsprobleme sollten - so war es geplant - laut Kabinettsbeschluss bis Ende des Jahres 15 000 Euro je Landkreis und kreisfreier Stadt fließen, um die Förderung von Arbeitslosenserviceeinrichtungen zu garantieren. Diese Förderung ist ausgelaufen. Die Träger und die kompetenten Mitarbeiter hängen sozusagen in der Luft und müssen zum Teil selbst Arbeitslosengeld II beantragen. Insgesamt ist denen eine hohe Beachtung beizumessen, die dennoch unentgeltlich und mit hoher sozialer Verantwortung dieses Amt ehrenamtlich weiterhin wahrnehmen.

Die Bundesregierung und die Landesregierungen bezeichnen die Arbeitsmarktreformen Hartz I bis IV als die größte Reform in der Geschichte der Bundesrepublik. Ich glaube, dann ist es auch notwendig, den Betroffenen die größtmögliche Unterstützung zu gewähren. Aber was spielt sich im Hintergrund ab? Unabhängige Beratungsträger werden durch den Entzug der Fördermittel abgeschafft und für die Sozialgerichtsbarkeit wird ab April 2005 die Gebührenpflicht eingeführt. Die Auskunftspflicht der Banken wird neu geregelt. Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt.

Hartz IV - das wissen wir alle - ist mit heißer Nadel gestrickt. Die Bildung der Arbeitsgemeinschaften, die Einrichtung der optierenden Kommunen und die Ausbildung der Mitarbeiter unterlagen einem starken Zeitdruck. Die Information der Betroffenen und ihre Kenntnisse zu den Einzelregelungen des Sozialgesetzbuches II sind sehr differenziert, aber insgesamt ungenügend. Nur wer weiß, was ihm zusteht, wird sich gezielt wehren oder sich richtig behandelt fühlen.

Uns wurden Einzelschicksale geschildert, die in keiner Statistik auftauchen, die aber für die Betroffenen von existenzieller Bedeutung sind. Viele kommen mit den Bewilligungsbescheiden nicht zurecht, weil die Entscheidungen einfach nicht be

gründet und nicht nachvollziehbar sind. Die Gespräche mit den Betroffenen belegen auch, dass sie sich an die ausstellende Behörde gewandt haben. Wir weisen sie auch darauf hin. Allerdings sind sie mit dem Ergebnis und der Beantwortung unzufrieden. Zeit- und Qualifizierungsprobleme stehen dahinter.

Das Vertrauen in die bearbeitenden Stellen und in das Ergebnis ist bei den tief greifenden Einschnitten und Eingriffen in die Privatsphäre und die langfristige Lebensplanung der Betroffenen eine unabdingbare Voraussetzung. Dabei können unabhängige Beratungsstellen eben mit ihrer Unabhängigkeit wertvolle Hilfe leisten.

Wir hoffen und wünschen uns, dass Sie im Interesse der Betroffenen und auch im Interesse des sozialen Friedens in diesem Land unserem Antrag für die Sicherung unabhängiger Beratungsstellen zustimmen. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Für die Fraktion der SPD spricht die Abgeordnete Dr. Schröder.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die PDS-Fraktion legt heute einen Antrag zur Sicherung unabhängiger Beratungsstellen für Leistungen nach dem SGB II vor. Herr Kollege Otto, Ihr Vortrag war aber mehr ein Plädoyer zur Aufrechterhaltung der Strukturen der Arbeitslosenserviceeinrichtungen. Warum bringen Sie nicht einen adäquaten Antrag ein, sondern bemänteln ihn mit dem uns vorliegenden Antrag?

Lassen Sie mich zu unabhängigen Beratungsstellen sprechen. Jede Bürgerin, jeder Bürger hat das Recht auf unabhängige Beratung für Leistungen nach dem SGB II. Hierfür stehen ihnen vielfältige Informationen und Ansprechpartner zur Verfügung, die inzwischen auch rege genutzt werden. Das Gesetz und seine Kommentare sind öffentlich zugänglich, ebenso zahlreiche Ratgeber unabhängiger Autoren oder Organisationen. Tageszeitungen, Rundfunksender, Fernsehstationen veranstalten seit Monaten Expertenrunden, schalten Telefonforen, die von Langzeitarbeitslosen intensiv genutzt werden. Nicht zuletzt stehen auch in Brandenburg die Wahlkreis- und Bürgerbüros von Bundes- und Landtagsabgeordneten vielen Betroffenen als Informations- und Beratungsstellen zum SGB II offen. Die SPDLandtagsfraktion hat ein Hartz-IV-Kontaktbüro im Landtag eingerichtet.

Es gibt inzwischen wohl kaum ein Gesetz, über das im gesellschaftlichen Dialog nach den Informationsdefiziten vom vergangenen Sommer so intensiv informiert und diskutiert wird, wie das SGB II. Die Brandenburgerinnen und Brandenburger nutzen inzwischen selbstverständlich auch die Hotlines der Bundesregierung, des Bundesministeriums für Wirtschaft und des Ombudsrats. Parteien, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände stehen ihnen zur Seite. Somit sind Information und Beratung auf breiter gesellschaftlicher Grundlage gesichert.

Die vorübergehend eingerichteten Anlaufstellen zur Bewältigung der Antragsflut des vergangenen Jahres, die Sie auch an

sprachen, haben eine wertvolle Arbeit geleistet. Ihre Weiterführung ist jedoch nicht erforderlich. An ihre Stelle treten nun die neuen Strukturen, die Leistungsträger in Partnerschaft mit der Bundesagentur für Arbeit bzw. den optierenden Kommunen. Diese Strukturen müssen sich bewähren. Hier trägt die Landesregierung vor allem bei den optierenden Kreisen hohe Verantwortung.

Zweifellos erfordern die Bescheide der Leistungsträger nach dem SGB II auch, dass sich die Betroffenen in erheblichem Umfang mit ihren Rechten und Pflichten in diesem Zusammenhang vertraut machen. Wenn sie sich in ihren Rechten verletzt fühlen oder diese gerichtlich verfolgen wollen, dann stehen ihnen die Möglichkeiten des Widerspruchs und der Klage ebenso offen wie die Inanspruchnahme unabhängiger Anwälte, die sie erforderlichenfalls sach- und fachkundig gegenüber Behörden oder Gerichten vertreten.