Protokoll der Sitzung vom 22.01.2009

(Zuruf des Abgeordneten Senftleben [CDU])

Volkswirtschaftlich betrachtet ist Ihre Schulpolitik ein Skandal,

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

wenn man zum Beispiel das verschleuderte kommunale Vermögen betrachtet, erst recht aber angesichts der gemeinschaftsstiftenden Funktion von Schule vor Ort. Das betrifft auch die nunmehr gekappte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und - da wir Schule für Schülerinnen und Schüler machen - vor allem die Lebenschancen von Schülerinnen und Schülern. Sie stehlen ihnen Lebenszeit! Ihre Standortpolitik, verbunden mit einer rigiden Sparpolitik, hat außerdem zu einem zehn Jahre lang währenden beispiellosen Personalchaos geführt. Allein in diesem Schuljahr - und das zählt jetzt schon zu den ruhigen, Herr Kollege Senftleben - wurden 120 Lehrkräfte schulamtsübergreifend versetzt.

Etwa 1 000 Lehrkräfte wurden umgesetzt, 220 Schulleiterstellen sind lediglich kommissarisch besetzt. Der Einstellungskorridor wird nicht ausgeschöpft. Altersteilzeitstellen von Lehrern, die in die Freistellungsphase gehen, können nicht besetzt werden.

(Minister Speer: Warum sind denn die Familien in den Westen gegangen?)

In meinem Landkreis müssen zum Schulhalbjahr 70 Stellen gestrichen werden. Nach den Winterferien fallen in erheblichen

Größenordnungen zudem Teilungs- und Förderstunden weg. Es gibt eine Vielzahl von Umsetzungen mitten im Schuljahr. Allein seit dem Jahr 2004 wurden 4 738 VZE abgebaut.

(Schippel [SPD]: Sie haben alle ihre Arbeit behalten, oder?)

4 738! Das entspricht in etwa einem Viertel aller im System befindlichen Lehrkräfte.

(Minister Speer: Die Hälfte der Schüler ist weg, und nur ein Viertel der Lehrerstellen wurde abgebaut!)

Sie finden schon jetzt keinen Ersatz für die notwendigen Einstellungen. Sie haben das öffentliche Schulsystem so ausgestattet, dass immer mehr Eltern ihre Kinder in private Schulen schicken. Das hat mit Vielfalt und Wettbewerbsfähigkeit des öffentlichen Systems nichts mehr zu tun.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

In dieser Koalition haben Sie das Talent, immer dem jeweiligen Partner das anzulasten, was nicht funktioniert. Nein, meine Damen und Herren, in dieser Koalition tragen Sie die gemeinsame Verantwortung für diesen Scherbenhaufen!

Sie haben ein „Zeitalter der Beschleunigung der Beschleunigung“ eingeleitet. So hat es Günter Grass genannt. Frau Gesine Schwan hat eine fulminante bildungspolitische Rede, eine wirklich bundespräsidiale Rede auf Ihrer Zukunftskonferenz gehalten.

(Bischoff [SPD]: Sie können sie ja wählen! - Zuruf des Abgeordneten Klein [SPD])

Jedoch gelten die Propheten im eigenen Land und in der eigenen Partei offensichtlich nichts; denn das von Ministerpräsident Platzeck Vorgetragene hatte nichts, aber auch gar nichts mit dem zu tun, was Frau Schwan als Zukunftsaufgabe Bildung in diesem Jahrhundert benannt hat.

(Schippel [SPD]: Das ist präsidial!)

Sie haben die jetzige Jahrgangsstufe 9 - zwei Mütter von Schülern sitzen in ihrer Not dort hinten - in eine Situation gebracht, in der von Chancengleichheit für den Doppelabiturjahrgang keine Rede sein kann. Sie verfolgen Ihr ehrgeiziges politisches Ziel, die Abiturstufe auf zwölf Jahre zu verkürzen...

(Schippel [SPD]: Sie können Ihre Rede abkürzen können und sagen, alles sei schlecht!)

- Schlecht? - Hier steht sogar schlampig vorbereitet, Herr Kollege Schippel, und zwar zulasten einer ganzen Generation von Schülerinnen und Schülern. Sie wollten den Zugang zu den Gymnasien begrenzen - so viel zum Thema Studierendenquote und die Oberschule mittels der zentralen Vergleichsarbeit stärken. Das ist Ihnen glücklicherweise nicht gelungen. Sie mussten die Wichtung dieser zentralen Vergleichsarbeit korrigieren und werden sie hoffentlich - zumindest als Zulassungsquote bald erden. In jedem Fall haben aber auch Sie, meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, einen Anteil daran, dass es in Brandenburg auch in dieser Legislatur weder zu der notwendigen Ruhe und Kontinuität noch zu wirklicher Verlässlichkeit

kam. Von welchem Vertrauen sprechen Sie hier, Kollege Senftleben?

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Nun zu Ihrem „wunderbar“ gerechten System, für das sich die Schülerinnen und Schüler derzeit bewerben können. Laut einer Emnid-Umfrage vom August 2008 bewerten 60 % der Bevölkerung der BRD das derzeitige Schulsystem als ungerecht. Bedauerlicherweise haben Sie in diesem Land gemeinsam mit der SPD-Fraktion ein System etabliert, bei dem Bildungsbeteiligung und -erfolg zunehmend von der sozialen Herkunft abhängen. Diesbezüglich helfen auch keine Sozialpäckchen und auch kein Schüler-BAföG. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Auch die von uns favorisierte Gemeinschaftsschule wird das nicht richten, wenn nicht in der Personalausstattung umgedacht wird. Die Umfrage in Hessen ergab, dass sich 30 % der CDU-Wähler, 60 % der SPD-Wähler und 80 % unserer Wähler für die Gemeinschaftsschule entschieden haben. Vielleicht sollten Sie einfach darauf hören.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Herr Kollege Senftleben, diese Schule ist keine „Gleichmacherschule“, sondern ist eine Gemeinschaftsschule, in der Kinder individuell gefördert werden. Es ist eine Schule, in der es nicht nur um Verfügungswissen geht, sondern um Orientierungswissen und um Entfaltung der Persönlichkeit. Es muss möglich sein, dass Schüler auch Fehler machen dürfen, dass sie selbst Fragen finden und bei der Suche nach einer Antwort verweilen dürfen. Sie müssen akzeptieren, dass wir - außerhalb jeder Schulstrukturdebatte - nur mit einer anderen Lernkultur und mit multiprofessionellen Kollegen weiterkommen.

(Zurufe von der CDU)

Es geht uns um eine Schule, in der sich der Wert des Schülers nicht an seiner Nützlichkeit festmacht,

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

und um eine Schule, die eben nicht Dienstleister ist, sondern die integrativ, besser inklusiv ist.

Ich lese Ähnliches in allen einschlägigen SPD-Papieren. Jedoch hat sich die SPD-Fraktion im Land Brandenburg ausbremsen lassen, oder Sie teilen bedauerlicherweise die Modernisierungsideen der CDU-Fraktion. Das wäre fatal; denn spricht die CDU-Fraktion von Begabungsgerechtigkeit, meint sie vor allem die Sicherung von Bildungsprivilegien, spricht sie von Vielfalt und Leistungsgerechtigkeit, meint sie Auslese.

Natürlich kann sie nicht umhin, im frühkindlichen Bereich das hat Ihre Parteivorsitzende am Wochenende deutlich gemacht mehrere Kröten zu schlucken und ihre konservative Position zu verlassen. Sie haben die Ganztagskröte, die flexible Eingangsphase nach anfänglichem Widerstand geschluckt, eine grundlegende Reform lehnen Sie jedoch nach wie vor ab. Wir halten sie dagegen - wie eine Offensive in der personellen Ausstattung von Kita und Schule - für unabdingbar. Die schöne Hülle, die durch das Konjunkturprogramm hoffentlich auch zweckmäßig ausgebaut wird, braucht eine gute Personalausstattung. Ich bin gespannt, was die SPD-Fraktion dazu strategisch plant. Die Lin

ke erwartet, dass die SPD-Fraktion eine realitätsnahe Analyse vorlegt, und zwar nicht unbedingt für uns, sondern vielmehr für sich selbst, und dass sie der Krise nicht nur verbal eine Chance gibt. Das würde kein „Weiter so!“ bedeuten.

Ich wünsche den Lehrerinnen und Lehrern, dass sie trotz dieser Koalition und ihrer Regierung die Kraft für die Ausübung ihres unglaublich schönen Berufes behalten und dass dem endlich durch bessere Arbeitsbedingungen entsprochen wird,

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

den Eltern, dass sie mit ihren Kindern gemeinsam - trotz widriger Bedingungen - eine akzeptable Schulentscheidung treffen können, und den Schülern, dass sie willkommen sind, und zwar alle überall. - Vielen Dank.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Herzlichen Dank. - Für die SPD-Fraktion erhält die Abgeordnete Geywitz das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ein Wort in Richtung der Linksfraktion, bevor ich mit meiner Rede beginne. Die Linke hat sich in der Vergangenheit historisch in Deutschland häufig von den bürgerlichen Parteien dadurch unterschieden, dass sie in der Lage war, die Probleme, die ein System hat, die das politische System und die Gesellschaft haben, nicht nur punktuell zu betrachten, sondern als Gesamtes zu analysieren sowie Ursache und Wirkung in einen größeren Handlungszusammenhang zu stellen. Diese Gabe scheint sich zumindest bei der märkischen Linkspartei verloren zu haben; denn das, was Sie, Frau Große, hier gemacht haben, ist eine Einzelfallbetrachtung von Alltagsproblemen. Das ist sehr wichtig, das ist etwas, was wir jeden Tag im Ausschuss tun.

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Wir haben gerade mit den Müttern, die Sie erwähnt haben, über die Probleme der GOST-VV - die existieren - gesprochen. Wir werden das auch in den Bildungsausschuss mitnehmen. Jedoch kommt das, was Sie gerade angesprochen haben - die wichtigste Herausforderung, die wir seit 1989 in diesem Land haben, ist nämlich die Bewältigung des demografischen Wandels -, als Analysebasis nicht in Ihrer Rede vor. Das ist sehr erstaunlich und bedauerlich.

(Beifall bei SPD und CDU - Frau Kaiser [DIE LINKE]: Weniger Kinder wären eine Chance gewesen, Frau Kolle- gin! - Schulze [SPD]: Weniger Kinder sind eine Chance? Das ist doch ein Treppenwitz! - Zuruf des Abgeordneten Bischoff [SPD] - Frau Kaiser [DIE LINKE]: Für eine bessere Qualität, ja, sicher!)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen jetzt über Bildungspolitik. Interessanterweise hat vor allem die CDUFraktion in dieser Legislaturperiode das Arbeits- und Sozialverhalten verpflichtend eingeführt. Einige sagen, die beste Zielgruppe sei wahrscheinlich die eigene Fraktion gewesen.

(Beifall bei der SPD)

Nichtsdestotrotz würde ich mich freuen, wenn ich meine Gedanken einigermaßen in Ruhe entwickeln könnte. Ich weiß, dies ist ein emotionales Thema. Es wird jedoch dadurch besser, dass man den Kopf ein wenig freimacht und zuhört. Es gibt nämlich sehr spannende Entwicklungen.

Bildungspolitik leidet bedauerlicherweise darunter; das kann man beginnend bei Aristoteles - nachlesen. Die jeweilige Elterngeneration ist der Meinung, dass die Jungen, die nachkommen, weniger lernen, faul und undisziplinierter sind. Das Problem, das wir heute haben, wenn wir auf die Bildungslandschaft schauen, ist die Wahrnehmung: Allerorten gibt es Elend und Abbau. Das, was Frau Große eben mit der Auflistung von Orten im Land Brandenburg betrieben hat, war, genau diesen Eindruck zu verstärken.

Wenn man sich die Zahlen anschaut, so stellt man natürlich fest, dass es weniger Kinder gibt. Das hat durchaus gesellschaftliche Hintergründe, die im Rahmen des Demografieberichts bereits mehrfach diskutiert wurden. Aus diesem Grund möchte ich das nicht weiter ausführen. Das ist jedoch nicht der einzige Hintergrund und nicht der einzige Fakt, vor dem man die Bildungsbeteiligung betrachten kann.

Seit 1990 tragen wir in diesem Land Verantwortung. Damals standen wir vor zwei großen Herausforderungen. Zum einen wollten wir die Schule demokratisieren und zum anderen das ist wichtig, Frau Große - wollten wir die Bildungsteilhabe verbessern. Ich glaube, ich muss hier niemandem erklären, welche bildungspolitische Debatte es im Frühling/Sommer 1989 gab. Zu DDR-Zeiten ging es um die Frage: Wie bekommt man die Militarisierung aus der Schule heraus? - Dabei ging es in der Diskussion um Wehrkunde usw. Menschen, die etwas älter sind als ich, können darüber wahrscheinlich besser berichten.

(Minister Speer: Jawohl!)

Herr Speer kann dazu viele Geschichten erzählen, das ist wahr.

(Frau Hackenschmidt [SPD]: Es stehen Zeitzeugen zur Verfügung!)