Protokoll der Sitzung vom 22.01.2009

Ein bisschen musste ich lächeln, Herr Vietze, als ich Sie zum Podium gehen sah. Ich habe mich vor vielen Jahren lange Zeit mit der Geschichte der Sozialdemokratie in Deutschland beschäftigt, also auch mit der im 19. Jahrhundert. Ferdinand Lassalle war ein großer, ein bedeutender Mann und klug, aber er hat viele Witze, viel Lachen hervorgerufen, weil er immer, wenn er irgendwo auftrat, mit einem großen Bücherstapel zum Podium ging. Genauso wie die alten Sozialdemokraten über

Ferdinand Lassalle gelächelt haben, habe ich mir erlaubt, heute über Sie zu lächeln.

(Vietze [DIE LINKE]: Das ist in Ordnung! - Weitere Zu- rufe - Heiterkeit)

Der Antrag „20 Jahre friedliche Revolution“, den die Koalitionsparteien vorgelegt haben, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Es geht in diesem Antrag eben nicht um die Geschichte der DDR, um unsere Haltung dazu. Es geht um das Jahr 1989 - um nicht mehr, aber auch um nicht weniger.

1989, das Jahr, das Deutschland - nicht nur den Osten - grundlegend verändert hat, auch wenn das etliche damals noch nicht begreifen oder wahrhaben konnten oder wollten. Ich fürchte nach dem, was ich heute hier gehört habe, dass es auch heute noch solche gibt, die das nicht wahrhaben wollen.

1989 - das Jahr, in dem die Berliner Mauer fiel, die nicht nur Deutschland, sondern auch Europa teilte. Sie war der sichtbare Ausdruck von Menschenfeindlichkeit und Gewalt. Mauern, die um Städte und Länder gebaut werden, selbst die gewaltige chinesische, waren bis dahin gebaut, um vor dem Feind, der von außen kam oder kommen konnte, zu schützen. Die Berliner Mauer, echte Gefühle beleidigend als „antifaschistischer Schutzwall“ bezeichnet, richtete sich gegen die, die innerhalb dieser Mauer zu leben gezwungen waren.

Das Jahr 1989 bezeichnen wir im allgemeinen Sprachgebrauch als Jahr der Wende. Markus Meckel erinnerte uns aber daran, dass dieser Begriff der Wende von Egon Krenz geprägt worden ist.

(Zuruf von der SPD)

Der hatte in einem Interview am 3. November 1989 die Stirn, zu behaupten, dass er - er sagte „wir“ und meinte damit das geringfügig personell veränderte Politbüro der SED - die Wende eingeleitet habe. Ich erinnere mich noch deutlich an die Wut, mit der die Demonstranten am 4. November 1989 auf dem Berliner Alex diese unverschämte Lüge registrierten.

1989 war eine Revolution. Die Herrschenden konnten so nicht mehr herrschen, und die Beherrschten wollten diese Herrschaft nicht mehr hinnehmen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Mehr noch: Es war die erste erfolgreiche friedliche Revolution in Deutschland.

(Zuruf von der SPD: Darauf können wir stolz sein! - Bei- fall bei SPD und CDU)

Ich darf den Präsidenten zitieren. Ein „zivilgesellschaftlicher Urknall“, hat er kürzlich gesagt. Es war eine gewaltfreie Umsetzung ohne Blutvergießen und in den Zeiten von Terror und Bürgerkriegen fast ein Wunder, eine gewaltfreie Umwälzung, die demokratische Prinzipien von Anfang an möglich und die Einübung und Handhabung ihrer Regeln nötig machte, eine gewaltfreie Umwälzung, die von vielen unterschiedlicher Herkunft, Lebensauffassung und auch mit unterschiedlicher Zielstellung getragen wurde - darunter waren auch Mitglieder der SED -, ihr Mittun forderte und auch darauf angewiesen war.

Um handhabbar zu sein, ist der Antrag gezwungen - es ist ihm leider auch gelungen -, den heißen Atem der Umwälzung in die Aufzählung einzelner historischer Ereignisse des Jahres 1989 zu fassen; Herr Schrey hat sie auch schon genannt. Ausgehend vom Fall der Mauer wird der Bogen gespannt von den letzten Todesopfern an der Mauer über die Ereignisse in Polen und in Ungarn, die ersten Montagsdemonstrationen bis zum ersten Runden Tisch am 7. Dezember 1989.

Die Nennung dieser historischen Fakten erzeugt bei uns Heutigen, der sogenannten Erlebnisgeneration, zwanzig Jahre danach unterschiedliche Reaktionen. Wir haben sie gerade auch gespürt. Es ist schon ein Unterschied, ob man in Leipzig, in Berlin, in Ungarn oder in der Prager Botschaft mittendrin im Geschehen war oder Geschichte am Fernseher erlebte. Da war es auch noch ein gewaltiger Unterschied, ob man es im Westoder im Ostfernsehen sah. In jedem Fall kann die Erlebnisgeneration Bilanz ziehen, sich an die eigene Haltung erinnern, an die Beweggründe eigenen Handelns, an die Momente des Mutes und der Verzagtheit, an die Hoffnungen und Visionen, auch wenn sie sich als illusionär erwiesen.

Und dann sind da die, für die 1989 nur Geschichte ist, nur zu lernende historische Fakten und Daten. Die heute Zwanzigjährigen wurden gerade geboren. Ihnen liegt das Jahr 1989 so fern wie denen, die bei der Gründung der Bundesrepublik und der DDR 20 Jahre alt waren, die Jahre 1928/29, also die Weimarer Republik, die Weltwirtschaftskrise, wobei - aktuell - 1929 Herbert Hoover amerikanischer Präsident war.

Selbstverständlich, Geschichtskenntnisse können und müssen erworben werden. Fakten müssen gelernt werden. Schulen und andere Bildungseinrichtungen werden und müssen sich dessen annehmen. Aber das kann, wenn wir an das Jahr 1989 denken, nicht alles sein. Das wunderbare Lebensgefühl, im Mittelpunkt der Geschichte zu stehen und selbst an den gesellschaftlichen Veränderungen beteiligt zu sein, der sogenannte zivilgesellschaftliche Urknall, der Mut, die Wut, die Hoffnungen und auch der Humor der vielen Menschen, die mit dem Ruf „Wir sind das Volk!“ und „Keine Gewalt!“ auf die Straße gingen und die die versteinerten Zustände zum Tanzen gebracht haben, dürfen nicht vergessen sein. Es darf nicht vergessen werden, wie wir Demokratie lernten, freie und geheime Wahlen erlebten. Wie kompliziert das oft war bei der Vorbereitung solcher Versammlungen, daran können wir uns alle noch gut erinnern.

Das Hochgefühl dieses Jahres 1989 darf nicht verlorengehen. Wir - die Alten, aber auch die Jungen - brauchen dieses Hochgefühl, um die heutigen Herausforderungen zu bestehen. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei SPD und CDU)

Herzlichen Dank. - Das Wort erhält der Abgeordnete Norbert Schulze.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag ist - das muss man feststellen - durchaus zeitgemäß, aber mit Blick auf Inhalt und Bedeutung des Themas seit langem überfällig. Wer immer nur runde Jahrestage abwartet, um

etwas in Bewegung zu bringen, und es dann mit der Verwirklichung nicht tatsächlich ernst meint, betreibt schlichtweg Populismus. Wir sind davon überzeugt, dass auch dieser Antrag keine Ausnahme bilden wird. Weshalb das so ist, kann man in einem Satz begründen: Die gegenwärtige Machtkonstellation als Ergebnis der Entwicklung der vergangenen zwei Jahrzehnte ist aus unserer Sicht der Garant dafür, dass ein wirkliches Interesse an der Aufklärung der jungen Generation über die verbrecherische SED-Diktatur gar nicht besteht.

Wie wenig unsere jungen Menschen über die Schreckensherrschaft der SED und deren Unterdrückungsapparat - nämlich die Staatssicherheit - wirklich wissen, ist geradezu erschreckend.

Erschreckend ist aber auch, dass man heute immer wieder zu hören bekommt: Na, so schlimm war es ja nicht! - Oder, was noch viel gefährlicher ist, dass man immer wieder hört: Früher war doch alles viel besser! - Gerade Letzteres kommt eindeutig auf das Konto einer völlig verfehlten Politik der vergangenen Jahre und der Gegenwart.

Immer wieder ist man des Lobes voll über die sogenannte friedliche Revolution. Was aber war diese friedliche Revolution wirklich? Sie war in der Realität doch nichts anderes als eine, um es deutlich zu sagen, unvollendete Revolution. Wer sich der Illusion hingibt, dass ein diktatorischer Machtapparat mit all seinen Vasallen die Herrschaft so einfach abgibt, ist einem fatalen Irrtum unterlegen. Im Gegenteil! Diese Leute und ihre Gesinnungsgenossen versuchen mit allen Mitteln - ich betone: mit allen Mitteln - die Macht zurückzuerobern, auch im Land Brandenburg, auch hier im Potsdamer Landtag.

Betrachten Sie doch einmal die Aktivitäten der Linkspartei! Da bombardiert deren Landtagsfraktion dieses Hohe Haus vehement mit Anträgen und Gesetzentwürfen, die durchweg reiner Populismus sind und nur dem Zweck der Volkstäuschung, des Stimmenfangs dienen.

(Zuruf von der SPD)

Man baut in dieser Partei zweifellos auf das Vergessen der Bürger - mit dem einzigen Ziel, als mehrfach namensgeänderte SED nunmehr unter dem Namen „DIE LINKE“ wieder die Macht zu ergreifen. Wie anders sollte man sonst die Medienberichte über den Anspruch der Stasi-vorbelasteten Landtagsabgeordneten Frau Kaiser auf den Ministerpräsidentenstuhl verstehen?

Wenn man im Antrag der Fraktionen der SPD und der CDU davon spricht, dass den heutigen Schülern und Jugendlichen Kenntnisse über die Geschichte der DDR zu vermitteln seien und dazu auch der Dialog mit der Erlebnisgeneration zu fördern sei, so findet dieser Antrag durchaus die Zustimmung meiner DVUFraktion. Aber, meine Damen und Herren, meinen Sie, dass ein Lehrer mit unrühmlicher SED-Vergangenheit oder dessen ideologischer Lehrling in der Lehrerfunktion es zulassen, dass man die Schülerinnen und Schüler über die Verbrechen zum Beispiel in den Zuchthäusern Hohenschönhausen, Bautzen, Cottbus oder Stolberg informiert? Oder dass man es zulässt, über Hinrichtungen sowie physische und psychische Folterung Andersdenkender zu berichten? Oder darüber, dass das Überwinden der ehemaligen innerdeutschen Grenze so oft mit dem Leben bezahlt wurde?

Aus welchem Personenkreis soll die Erlebnisgeneration kommen? Aus dem Kreis der Täter oder der Opfer?

Wir von der DVU-Fraktion sind sehr skeptisch, was eine umfassende und wahrheitsgetreue Aufklärung unserer Jugend hinsichtlich der deutschen Nachkriegsgeschichte betrifft. In Anbetracht der zum Teil heute schon vorhandenen Unterwanderung unserer Lehrerschaft von der extremen kommunistischen Ideologie dürften wir mit unserer Prognose wohl leider Recht behalten.

(Beifall bei der DVU)

Das Wort erhält nun Herr Minister Rupprecht.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einen Satz vorweg: Der vorliegende Antrag der Fraktionen von SPD und CDU wird von mir uneingeschränkt begrüßt!

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich will das auch begründen. Vor mehr als 20 Jahren haben Bürgerinnen und Bürger der DDR begonnen, ihre Kritik am real existierenden Sozialismus laut auszusprechen. Sie haben gefordert, ihr eigenes Leben und ihre Lebensumstände selbst mitgestalten zu können, und sowohl staatlicher Gängelei als auch Freiheitsbeschränkungen eine Absage erteilt.

Was seit Anfang der 80-er Jahre im geschützten Raum der Kirche möglich war - in Friedenswerkstätten und in Menschenrechtsgruppen -, haben dann Oppositionelle im Januar 1988 bei der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration in Berlin auf die Straße getragen.

Was danach folgte, habe ich in Stichworte zusammengefasst: Die Mahnwache an der Umweltbibliothek der Zionskirche in Berlin, die Aufdeckung des Wahlbetrugs bei der Kommunalwahl am 7. Mai 1989, die Demonstrationen dagegen am 7. eines jeden Monats auf dem Alex in Berlin. Die Massenflucht über Ungarn, die Besetzung der Prager Botschaft, die Montagsdemos in Leipzig, die Gründung des Neuen Forums im September 1989 und - Frau Heppener hat sie schon erwähnt - die große Demonstration am 7. Oktober 1989 in Berlin vor dem Palast der Republik.

Über all diese Ereignisse stieg die Anspannung, bis am 9. Oktober 1989 endlich deutlich wurde, dass die SED-Führung nicht mit Gewalt gegen diesen Protest vorgehen würde. Bald folgten Menschen aus anderen Regionen der DDR dem Beispiel der Berliner und Leipziger.

Der Rücktritt des Politbüros, die Gründung der SDP und der verschiedenen Gruppen der Bürgerbewegung, die Absetzbewegung der Blockparteien und die Maueröffnung, der Runde Tisch und die Erstürmung der Stasi-Zentrale erscheinen heute, aus dem historischen Rückblick schon fast als notwendige Folge gar nicht mehr so sehr als das Wunder, als das wir als ehemalige DDR-Bürger es damals empfunden haben. Ich jedenfalls, meine Damen und Herren, bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich an diese Ereignisse zurückdenke.

Mit dieser erfolgreichen friedlichen Revolution sind die Demonstranten und Akteure der Bürgerbewegungen und neugegründeten Parteien für uns heute Vorbilder für demokratisches Engagement. Ich möchte an dieser Stelle im Namen der Landesregierung ausdrücklich allen Brandenburgerinnen und Brandenburgern danken, die sich in den Monaten der friedlichen Revolution für den Aufbau einer Demokratie engagierten. Es zeigt uns bis heute: Nur wer sich engagiert, kann etwas bewegen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Der Antrag der Koalitionsfraktionen weist darauf hin, dass unseren Kindern, die die DDR und die dramatischen Monate ihres Untergangs nicht miterlebt haben, dies alles nicht mehr automatisch bewusst ist. Auch deshalb hat Brandenburg in der Kultusministerkonferenz den Beschluss zur Verstärkung der Demokratieerziehung vom Dezember letzten Jahres entscheidend miteingebracht.

Meine Damen und Herren, diese wichtigen und eindrucksvollen Erfahrungen wollen und müssen wir unseren Kindern und Jugendlichen besser vermitteln, als es uns bisher gelungen ist. Sie sollen einen Eindruck von der Lebenswirklichkeit in den Staaten des Warschauer Paktes bekommen, sodass sie verstehen, warum es Mut brauchte, sich für eine Verbesserung der Lebensmöglichkeiten in diesen Ländern einzusetzen, und warum den Oppositionellen der Kampf um ein Leben in Freiheit wichtiger war als das Mitmachen und die scheinbare Sicherheit, die vielfach das Leben in der DDR und ihren sozialistischen „Bruderstaaten“ prägten.

Aus diesen Gründen ist es selbstverständlich, dass die Landesregierung die Vermittlung von soliden Kenntnissen über die Geschichte und die Lebenswirklichkeit der DDR unterstützt.

Zusätzlich zu einer verstärkten Demokratieerziehung im Unterricht sind die konkreten Anregungen, die der Antrag enthält, gut geeignet, dazu einen wirksamen Beitrag zu leisten. Auch ich schätze die Möglichkeiten der Landeszentrale für politische Bildung als sehr gut ein, mit einer Veranstaltungsreihe viele, vor allem junge Menschen zu erreichen. Die Bereitstellung zusätzlicher Informationen im Internet kann nicht nur jugendlichen Interessenten helfen, die Vorgänge besser zu verstehen. Auch Lehrkräfte werden darauf mit Sicherheit gern zurückgreifen.

Ich wende mich darüber hinaus an alle, die sich dafür einsetzen, dass unsere Schulen ihren Schülerinnen und Schülern die Begegnung mit Menschen ermöglichen, die sich in Zeiten der Diktatur für Demokratie und Freiheit eingesetzt haben.

Ich weiß, dass sich viele der früheren Oppositionellen nicht gern in den Vordergrund drängen. Lassen Sie mich deswegen zum Abschluss meiner Rede von hier aus ganz gezielt den Aufruf an diese aktiven Zeitzeugen richten: Stellen Sich sich bitte für Gespräche mit jungen Menschen in unseren Schulen zur Verfügung. Sie können dadurch einen wichtigen Beitrag dafür leisten, dass unsere Jugendlichen besser verstehen, was vor 20 Jahren geschehen ist, um die Lehre des Herbstes '89 aufnehmen zu können: Demokratie wird durch Mut errungen und ist nur durch aktives Handeln zu sichern. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Herzlichen Dank, Herr Minister. - Die Rednerliste ist beendet, und wir kommen zur Abstimmung. Ihnen liegt der Antrag in der Drucksache 4/7134 vor, eingebracht von den Fraktionen der SPD und CDU. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Bei zwei Stimmenthaltungen ist einheitlich diesem Antrag zugestimmt.