Protokoll der Sitzung vom 14.05.2009

Da es sich hier aber nicht um Satire handelt, muss nun doch nach dem eigentlichen Sinn dieser Großen Anfrage gefragt werden. Satire spitzt zu, um sich Problemen zuzuwenden, um sie zu lösen. In dieser Großen Anfrage kommt zum Ausdruck, dass es hier nicht um die Lösung von Problemen durch die DVU geht, sondern dass die DVU mit ihren Kerngedanken das Problem ist.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE und der SPD)

Fakt ist: Wer so formuliert, macht sich nicht wirklich Sorgen um Probleme, die es ganz sicher zu lösen gilt, sondern schürt Panik und Angst - und das ist unverantwortlich.

In diese Argumentationskette passt auch das Zitat des Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung, Dr. Köhler, nicht, den die DVU hier für ihre Horrormeldungen missbraucht - ich habe nachgelesen -; denn er sprach im Zusammenhang mit dem von Ihnen zitierten Satz nicht von einem Notstand, sondern von einer besorgniserregenden Situation. Dazwischen liegen Welten.

Was Sie nun eigentlich wollen - damit trifft es wohl den Kern, meine Damen und Herren der DVU - ist, die Menschen zu verunsichern, indem Sie ihnen einreden, dass in Brandenburg die Versorgung in den Krankenhäusern nur noch durch ausländische Ärzte aufrechterhalten wird, indem Sie ihnen einreden, es würden neue Definitionen von Begriffen über Über- und Unterversorgung verwendet, die schon acht Jahre alt sind. Ich weiß nicht, was Sie unter neu verstehen.

Kurzum: Der Stil Ihrer Anfrage zeugt weder von Sachkenntnis noch von dem Willen, Probleme zu benennen und zu lösen, sondern, im Gegenteil, selbst Ihren Fragen haftet eine permanente ausländerfeindliche Grundhaltung an,

(Zuruf von der DVU: Das stimmt doch gar nicht!)

die immer wieder vermitteln soll, dass von ausländischen Medizinerinnen und Medizinern irgendeine Gefahr in Form einer schlechten Versorgung der Menschen ausgeht.

(Zuruf des Abgeordneten Schuldt [DVU])

Ich kann nur hoffen, dass den 15 916 im Ausland tätigen deutschen Medizinerinnen und Medizinern Zeitgenossen mit Ihrem politischen Hintergrund nicht begegnen

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE und der SPD)

und sie dort in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen können. Das wünsche ich mir auch für die in etwa in gleicher Anzahl vorhandenen - genau sind es 16 080 - ausländischen Medizinerinnen und Mediziner hier in Deutschland.

Ich hoffe sehr, dass wir in der nächsten Wahlperiode von Anfragen dieser Machart verschont bleiben. - Danke.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE und der SPD)

Schönen Dank, Frau Abgeordnete Wöllert. - Die Landesregierung verzichtet. Frau Fechner hat noch zwei Minuten Redezeit. Bitte schön.

(Schulze [SPD]: Da können zwei Minuten zu 20 werden!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwei Minuten ich muss es kurz machen. - Frau Wöllert, wieso kommt unsere ausländerfeindliche Grundhaltung zum Ausdruck, wenn wir danach fragen, wie viele ausländische Ärzte an deutschen Kliniken beschäftigt sind? Das fragen wir mit einer gewissen Besorgnis. Denn diese ausländischen Ärzte wurden im Ausland ausgebildet. Das hat dieses Ausland viel Geld gekostet. Woher nehmen wir die Frechheit, die Dreistigkeit, diese hochqualifizierten Ärzte aus dem Ausland abzuziehen?

(Schulze [SPD]: Haben Sie schon einmal etwas von Frei- zügigkeit gehört?!)

Das ist ein Zeichen Ihrer praktizierten Ausländerfeindlichkeit.

(Zurufe)

Zweitens: Sinn einer Großen Anfrage ist es nicht, Lösungsvorschläge aufzuzählen. Sinn einer Großen Anfrage ist es, das Augenmerk der Landesregierung auf eine bestimmte Problematik zu lenken.

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Dafür, Lösungsvorschläge anzubieten, haben wir das Instrument der Anträge, die wir einbringen können, was wir auch gemacht haben.

Also noch einmal: Sinn einer Großen Anfrage ist es nicht, Lösungsvorschläge zu unterbreiten.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Klocksin [SPD])

Es wundert mich, dass ausgerechnet die Linke sich über den Begriff Versorgungsnotstand aufregt. Diesen Begriff habe ich einer Ihrer Publikationen entnommen.

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Dann noch etwas: Dass wir als Fraktion der DVU mit unserer Feststellung, dass die Landesregierung sich nicht intensiv genug mit den existenziellen Problemen hier im Land beschäftigt, Recht haben, beweist ja, dass die Landesregierung Redeverzicht angemeldet hat. Ich hoffe, dass die Landesregierung diese Große Anfrage zum Anlass nehmen wird, sich in Zukunft intensiver mit den existenziellen Problemen der Brandenburger zu beschäftigen.

(Beifall bei der DVU)

Ich beende die Aussprache. Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage 45 ist somit zur Kenntnis genommen.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 4 und rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:

Zehn Jahre Bologna-Prozess - Ergebnisse und Perspektiven der Studienreform

Große Anfrage 43 der Fraktion DIE LINKE

Drucksache 4/7062

Antwort der Landesregierung

Ich eröffne die Aussprache. Der Abgeordnete Jürgens erhält das Wort.

Während er zum Pult kommt, begrüße ich die Schülerinnen und Schüler des Paul-Gerhard-Gymnasiums Lübben. Herzlich willkommen bei uns!

(Allgemeiner Beifall)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 19. Juni dieses Jahres jährt sich zum zehnten Mal die Erklärung von Bologna, welche damals von 29 Bildungsministerinnen und Bildungsministern der europäischen Länder verfasst wurde. Diese Erklärung war ein Meilenstein im Zusammenwachsen Europas und seiner Staaten. In ihr wird von einem Europa des Wissens gesprochen, von dem Bewusstsein, dass ein Europa auch mit einer kulturellen und wissenschaftlichen Dimension errichtet werden muss, und es wird betont, dass Bildung und Bildungszusammenarbeit das wichtigste Ziel für die Entwicklung stabiler, friedlicher und demokratischer Gesellschaften sind.

Die Erklärung hat europaweit einen Prozess ausgelöst, der einen europäischen Hochschulraum als Ziel hatte. Trotzdem war sie nur eine Konkretisierung des eigentlichen Grundsatzpapiers zur Harmonisierung der europäischen Hochschulbildung, der Sorbonne-Erklärung. Aber in Bologna fiel der eigentliche Startschuss für einen der umfassendsten Reformprozesse im Bildungsbereich, weil hier konkrete Ziele festgelegt wurden. Die drei wichtigsten davon sind: Förderung der Mobilität, Förderung von internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Förderung von Beschäftigungsfähigkeit.

Der 10. Geburtstag der Bologna-Erklärung scheint eine gute Gelegenheit zu sein, sich intensiver mit den Erfolgen und Misserfolgen, mit den Ergebnissen und Perspektiven der Reform auseinanderzusetzen. Aus diesem Grund hat meine Fraktion im Dezember letzten Jahres die Große Anfrage eingereicht, die wir heute diskutieren. Ich möchte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums und der Hochschulen meinen Dank für die Antwort aussprechen; denn sie ist sehr umfangreich und auch sehr detailliert.

Aber - wir wären nicht die Opposition in diesem Hause, wenn jetzt nicht ein „Aber“ folgen würde - bei der qualitativen Bewertung der Anwort kommen uns schon nach dem Lesen der ersten Seiten einige Bedenken. Wenn es auf Seite 4 heißt: „Gleichwohl ist der Bologna-Prozess in seinem bisherigen Verlauf aus Sicht der Landesregierung als äußerst erfolgreich einzuschätzen“, dann scheint mir die Sicht der Landesregierung doch etwas vernebelt zu sein. Frau Ministerin, um es deutlich zu sagen: Eine solche geschönte Bilanz der Reform in Brandenburg entspricht leider nicht der Realität.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Nicht ohne Grund glauben laut einer Gallup-Umfrage 62 % der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer, dass durch die Bologna-Reform die Qualität der Lehre nicht verbessert wird. Nicht ohne Grund fordern der Deutsche Hochschulverband und die Hochschulrektorenkonferenz ein Umsteuern in dem Prozess und sprechen sogar von einer Verfehlung der BolognaKernziele. Auch bei den Studierenden und Dozentinnen und Dozenten stößt die Reform auf erhebliche Kritik. Es gibt Defizite bei der Umsetzung. Im Rahmen der Bilanz nach zehn Jahren würde es allen Beteiligten gut zu Gesicht stehen, hier eine ehrliche und kritische Bewertung vorzunehmen.

So begrüßenswert die Erklärung von Bologna in vielen Punkten ist - bereits an der Architektur des Reformprozesses gab es laute Kritik, der sich die Linke angeschlossen hat. Das größte Manko aus unserer Sicht ist die Dominanz von wirtschaftspolitischen

Zielen über die bildungspolitische Ziele. Der Bologna-Prozess unterwirft sich in den Zielstellungen der Bologna-Strategie. Hierbei geht es um die Einbettung der Hochschulen in wirtschaftliche Bedürfnisse. Es geht um die sogenannte Employability, und es geht um die Ausrichtung der Hochschulbildung am kurzfristigen Bedarf des Arbeitsmarkts. Die Linke hält das für falsch. Es muss vor allem um Allgemeinbildung, um kritische Wissenschaft und um Persönlichkeitsentwicklung gehen. Wir wollen in diesem Prozess das Primat der bildungspolitischen Ziele.

Vielfach kritisiert wurden auch die fehlenden Schwerpunkte in dem Prozess. Die soziale Dimension der Bologna-Reform wurde erst nach längeren Protesten der Studierendenvertretungen in die Folgeerklärung aufgenommen. Aussagen zur Demokratisierung sucht man vergebens, und die Debatte um eine inhaltliche Studienreform wird oft nur am Rande geführt.

Neben diesen europäischen Konstruktionsfehlern gibt es auch auf nationaler Ebene eine Menge zu kritisieren. In Deutschland wurde die Reform leider oft missbraucht für eine Verdichtung der Studieninhalte, für eine Verschulung des Studiums, für eine Vergrößerung der sozialen Selektivität und für eine Trennung der Studierenden in eine „Bachelor-Masse“ und eine „Master-Elite“.

Es gibt also durchaus erheblichen Verbesserungs- und Korrekturbedarf im Rahmen des Prozesses. Unsere Große Anfrage hätte eine Chance dazu gegeben, auch darüber zu berichten. Das haben Sie leider nicht getan, und dies, obwohl sogar in den Antworten auf unsere Große Anfrage selbst einige Probleme angedeutet werden.

Die Antwort verdeutlicht aber auch einige Erfolge des BolognaProzesses in Brandenburg. Der Stand der Umstellung auf die neuen Studiengänge ist im bundesweiten Vergleich einer der besten. Fast 90 % der Studiengänge sind bereits umgestellt. Bis auf die juristischen und die künstlerischen Studiengänge ist das in allen Studiengängen in vollem Gange. Besonders gut läuft der Aufbau von Instrumenten der Qualitätssicherung an den Hochschulen. Hier gibt es viele Ideen, viel Enthusiasmus, und die Universität Potsdam und die Fachhochschule Potsdam sind im Rahmen des Qualitätswettbewerbs des Stifterverbandes in die Schlussrunde von 13 Unis und 11 Fachhochschulen gekommen.

Liest man die Antwort aber genau, so zeigt sich eine Reihe von Entwicklungen, die den aufmerksamen Leser zu einer solch geschönten Bilanz nicht kommen lassen, wie sie die Landesregierung formuliert hat. Das beginnt bei A wie Akkreditierung. Lediglich 118 von 301 Studiengängen in Brandenburg sind akkreditiert und haben damit quasi ein Qualitätssiegel. Die Kosten für die Akkreditierung für die Hochschulen sind enorm. Fast 700 000 Euro mussten sie bisher dafür aufwenden. Die Mitwirkung von Studierenden in der Akkreditierung ist nur bei wenigen Agenturen üblich. Die Verfahren selbst sind wenig transparent.