Der Zusammenhang zwischen dem Anstieg dieser Zahlen und der Auszahlung von Schüler-BAföG ist keineswegs fundiert und bietet auch keine Grundlage für eine begründete Einführung dieses Instruments.
Dass das Gesetz bildungspolitisch nicht legitimierbar ist, wurde auch in der Anhörung vor dem Bildungsausschuss deutlich. Schade eigentlich, Herr Ness, dass Sie nicht dabei waren. Dann hätten Sie nämlich aus erster Hand erfahren, wie die Fachwelt zu Ihrem Lieblingskind steht, und hätten auch die kritische Haltung mitbekommen, und zwar direkt und nicht nur aus der Presse.
Wir waren bei der Anhörung anwesend. Da hat zum Beispiel eine Vertreterin des Landesschülerrates gesprochen, also eine Person, an die sich dieses Instrument richtet. Sie hat die Wirksamkeit des Gesetzes, aber auch die Einhaltung der Zweckbindung des Geldes bezweifelt. Die Vertreter des Landesschülerrats sind nicht die einzigen, die daran Zweifel haben. Zu Recht brandmarkt der Landesschülerrat dieses Schüler-BAföG als ein kleines Imageprojekt der rot-roten Landesregierung und bestaunt in diesem Zusammenhang die bemerkenswerte Naivität der Landesregierung. Das wird Ihnen sicherlich wehtun, aber es ist leider die Wahrheit.
Auch die GEW sieht keinen Zusammenhang zwischen dem Instrument, das Sie einsetzen und dem Ziel, das Sie damit erreichen wollen, und plädiert eindringlich dafür, zusätzliches Geld sinnvoller in anderen Bereichen zu investieren. Die Weichenstellung für soziale Selektion beginnt nämlich weitaus früher in der Bildungsbiografie eines Kindes. Deshalb wäre es richtiger, das Geld dort einzusetzen, wo es effektiv wirken kann, nämlich zum Beispiel in der frühkindlichen Bildung. Herr Fuchs hat es oft genug vorgerechnet. Mit dem Geld für das Schüler-BAföG könnten wir 100 zusätzliche Grundschullehrer beschäftigen. Wir könnten auf andere Weise zum Beispiel 112 000 zusätzliche Förderstunden verteilen. Oder - auch das hat Herr Fuchs richtig erkannt - wir könnten damit den Einstieg in eine bedarfsgerechte Ausgestaltung der Vertretungsreserve ermöglichen, damit nicht - wie bislang immer vom Bildungsministerium einkalkuliert - weiterhin viel zu viel Unterricht ausfällt.
Der Landeselternrat konnte sich nicht zu einer eindeutigen Stellungnahme durchringen. Sie sagen, dass Sie die Zweifel inhaltlich durchaus teilen. Sie betonen aber auch, dass es viele Eltern gibt, für die 100 Euro im Monat eine ganze Menge Geld ist. Das ist vollkommen richtig; das bestreiten auch wir in keiner Weise. Wir fragen uns eben nur, ob hier die Mittel tatsächlich am effektivsten eingesetzt werden, um dieses Ziel zu erreichen. Das bezweifeln wir.
Es gab natürlich auch einen Fürsprecher in dieser Anhörung. Das war ein Gesamtschulleiter aus Potsdam, der sehr eindringlich und leidenschaftlich für dieses Schüler-BAföG geworben hat. Allerdings konnte er in der Anhörung nicht deutlich machen, warum das Schüler-BAföG besser sein soll als der Schulsozialfonds. Er hat den Schulsozialfonds sehr gelobt. Er mein
te, das funktioniere sehr unbürokratisch. Man könne genau überprüfen, ob das Geld dort ankommt, wohin es gehört. Warum er trotzdem das Schüler-BAföG für richtig hält, kann vielleicht sein zukünftiger neuer Chef nachher einmal erklären. Vielleicht war der Schulleiter ja nicht völlig frei von politischen Zwängen.
- Das ist eine Frage, Herr Schippel. Neben diesen inhaltlichen Bedenken gibt es eine Menge verwaltungstechnischer Bedenken. Ich möchte einige davon aufzählen. Der Leistungsanspruch soll zum 1. August 2010 eingeführt werden. Wir wissen im Prinzip schon jetzt, dass es aufgrund der Verzögerung nicht möglich sein wird, mit Beginn des Leistungsanspruchs diese Leistungen auszuzahlen. Das ist auch dem heute erschienenen Interview mit Herrn Rupprecht zu entnehmen. Da frage ich mich natürlich: Welchen Sinn macht so ein Gesetz? Herr Minister Rupprecht sagt, das sei kein Drama. Gut; das ist seine Sicht der Dinge.
Ich denke, es wird sich eine erhebliche Bugwelle von Anträgen aufbauen. Insbesondere für die Antragsteller ist das eine Zumutung, denn niemand wird verstehen, dass es einen gesetzlichen Anspruch auf Unterstützung gibt, diese Leistung aber nicht ausgezahlt werden kann. Das Vertrösten auf eine spätere Nachzahlung wird nicht den Druck von den Landkreisen nehmen. Damit das ist schon einige Male in der Presse zu lesen gewesen - wird das Schüler-BAföG einen fulminanten Fehlstart erleben.
Dennoch hält Rot-Rot unbeirrt an der Einführung der Leistung zum 1. August fest. Die Mitarbeiter in den Landkreisen, die diese Umstände nicht beeinflussen oder ändern können, werden in ganz erheblichem Maße den Unmut der Bürgerinnen und Bürger zu spüren bekommen. Aber ich nehme an, dass auch das für Herrn Minister Rupprecht kein Drama ist, denn er bekommt diesen Unmut nicht so direkt zu spüren wie die Mitarbeiter in den BAföG-Ämtern.
Die vorgesehene Befristung der Leistungsgewährung für HartzIV-Empfänger bis Ende dieses Jahres ist auch ein starkes Stück. Man muss ganz klar sagen: Die Leute, denen dieses Gesetz ursprünglich zugute kommen sollte, werden ab dem nächsten Jahr leer ausgehen. Kinder aus Hartz-IV-Familien gehen beim Schüler-BAföG ab dem nächsten Jahr leer aus!
- Das steht so im Gesetz, Herr Woidke. Aber ich nehme an, auch das ist kein Drama für Minister Rupprecht.
- Meine Güte! Erinnern Sie sich an Ihre gute Kinderstube? Brüllen Sie doch nicht so dazwischen! Wenn Sie Fragen haben, gehen Sie ans Mikrofon!
Herr Kollege! Ich glaube, Sie sind ein informierter Abgeordneter. Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass die Koalitionsfraktionen verabredet haben, eine rechtliche Lösung in Abhängigkeit einer bundesrechtlichen Regelung, zu der die gelbschwarze Koalition in Berlin im Ergebnis des Verfassungsgerichtsurteils gelangen muss, zu finden? Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass wir als Koalitionsfraktionen nach Vorlage dieser Erkenntnisse im November und Dezember handeln, oder nicht?
Kollege Görke, ich habe hier schon so einiges zur Kenntnis genommen, unter anderem, dass es zwischen Ihnen bereits einige Verabredungen gab. Es gab auch massenhaft Verabredungen im Bereich dessen, was von Ihren Wahlversprechungen noch übrig geblieben ist. Da sind Sie gegenüber der SPD auf ganzer Linie eingeknickt. So viel dazu.
Dass Sie die Koalition der Ankündigungen und des Aufschiebens sind, auch das nehme ich gern zur Kenntnis, Herr Kollege Görke. - So, jetzt bitte Frau Kaiser.
Herr Hoffmann, ich gehe davon aus, dass ich Sie richtig verstanden habe: Sie sind empört darüber, dass Kinder aus Familien, die Hartz IV beziehen, im nächsten Jahr - angeblich - leer ausgehen. Darüber haben Sie sich empört. Dass Sie sich in diesem Punkt irren, hat Kollege Görke soeben festgestellt. Ich frage Sie jetzt: Nehmen Sie zur Kenntnis, dass Ausgangspunkt der gesamten Debatte, nämlich die Notwendigkeit finanzieller Un
terstützung von Kindern aus Hartz-IV-Familien, die völlig unzureichenden Kinderregelsätze sind, die laut eines einstimmigen Beschlusses der Sozialministerkonferenz der Länder schon vor mehr als anderthalb Jahren hätten erhöht werden müssen?
Sehr geehrte Kollegin Kaiser, ich nehme zunächst einmal zur Kenntnis, dass die Ausgestaltung der Hartz-IV-Regelsätze die damalige Bundesregierung unter Rot-Grün beschlossen hat.
Als Nächstes nehme ich zur Kenntnis: Ich irre mich nicht, dass mit diesem Gesetz, das wir heute mit Ihrer Mehrheit wahrscheinlich beschließen werden, die Kinder aus Hartz-IV-Familien ab dem nächsten Jahr leer ausgehen werden. Das steht so im Gesetz! Wenn Sie das nicht anerkennen wollen, Frau Kaiser, dann habe ich ernsthafte Zweifel an Ihrem Leseverständnis.
Ich würde gern mit meinem Redebeitrag fortfahren. Für mich ist völlig unverständlich, dass sich die Landesregierung nach dem, was wir in der Anhörung erlebt haben, immer noch beständig weigert, die dort geäußerten Bedenken zu berücksichtigen, und nicht einmal eine Verschiebung, wie von den kommunalen Spitzenverbänden mit Nachdruck gefordert, in Betracht zieht.
Es kommt hinzu, dass dieses Gesetz im Hinblick auf die Zielstellung, mehr Kinder aus einkommensschwachen Familien zum Abitur zu führen, für das nächste Schuljahr überhaupt keine Auswirkungen haben wird. Denn wer im nächsten Jahr Abitur machen will, Herr Ness, der hat sich bereits entschieden. Sie könnten also ohne Probleme die Bedenken ernst nehmen und das Inkrafttreten des Gesetzes wenigstens auf den Beginn des nächsten Jahres verschieben. Aber auch das wollen Sie nicht, weil Sie an Ihrer typischen rot-roten Symbolpolitik festhalten.
Dieses Vorgehen zeigt einmal mehr, dass die Landesregierung selbst nicht mehr an die einstmals ausgegebene Losung glaubt, mehr Kinder aus einkommensschwachen Familien zum Abitur zu führen. Man sieht das auch an der Presselage. Minister Rupprecht sagt, wir hätten noch das gleiche Gesetz, aber eine andere Begründung.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, zeigen Sie endlich Verantwortungsbewusstsein! Es gibt wesentlich bessere Ansatzpunkte, um mehr bildungspolitische Chancengleichheit für Kinder aus einkommensschwachen Familien zu erreichen. Stecken Sie das Geld in die frühkindliche Bildung oder in andere Bereiche, in denen Sie die Qualität im Bildungsbereich verbessern können. - Danke schön.
Vielen Dank, Herr Hoffmann. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Der Abgeordnete Günther erhält das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir schreiben das Jahr 2010, und die Zeit ist reif für ein Brandenburgisches Ausbildungsförderungsgesetz - ein schweres Wort. Ich sage deshalb: Die Zeit ist reif für ein Schüler-BAföG in Brandenburg.
Eines vergessen wir gern in allen Diskussionen: Noch immer steht die Kritik, dass in keinem anderen Land der westlichen Hemisphäre die Bildungskarriere von Kindern stärker von der sozialen Herkunft abhängt als in Deutschland. Darauf wird auf jedem Kongress und in jeder Diskussion kritisch hingewiesen. Immer dann, wenn konkrete Vorschläge unterbreitet werden, gibt es irgendjemanden, der sagt: Ich kenne aber einen Bereich, wo ich das Geld besser aufgehoben fände.
Ich meine, man sollte den Schritt zur Einführung des SchülerBAföG endlich konsequent gehen. Denn noch immer studiert die überwiegende Mehrheit der Kinder aus Familien, in denen die Eltern selbst über einen Hochschulabschluss verfügen. In Familien ohne akademischen Hintergrund ist ein Studium der Kinder nach wie vor die große Ausnahme. Die PISA-Studie hat vor einigen Jahren auch Brandenburg ins Stammbuch geschrieben: Wir haben hier Defizite. - Was ist also näherliegend, als gerade hier in Brandenburg Vorreiter zu sein für ein neues, bundesweit einmaliges Projekt?