Protokoll der Sitzung vom 02.07.2010

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, mir ist nach wir vor unklar, warum Sie sich für eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema entschieden haben. Auch Ihre Oppositionskollegen von der FDP wollten gestern noch ganz dringend über Haushaltspolitik diskutieren, über soziale Fragen und über Bildungspolitik.

(Beifall DIE LINKE und SPD - Frau Lehmann [SPD]: Ja, richtig! Genau!)

Aber heute finden Sie nun die Fusion spannend. Das ist mir unklar.

Ich meine, trotz der Fußball-WM und länderübergreifender Fanmeilen, trotz freundschaftlicher Berlin-brandenburgischer Gespräche morgens in den Zügen und S-Bahnen interessiert niemanden ein Zeitplan für eine Fusion. Da interessieren die Menschen wahrscheinlich ganz andere Dinge. Das zeigen auch die aktuellen Arbeitslosenquoten, die Sie ebenfalls zur Kenntnis genommen haben. Die eher dunkleren Flecken auf der Karte liegen etwas weiter weg von Berlin, im Norden und Süden Brandenburgs.

Genau da, wo demografische Probleme und Zukunftsfragen am meisten brennen, wo die Menschen nicht sicher sind, wie ihre Zukunft wird, wollen sie nicht über eine Fusion von Berlin und Brandenburg sprechen, sondern darüber, wie sie in diesem gemeinsamen Bundesland vielleicht einmal leben können.

Dabei ist es auch nicht hilfreich, wenn Sie hier nach wie vor für Standortwettbewerb, Kultur- und Wirtschaftsraum werben, sondern Sie sollten den Blick vielleicht doch erweitern, so wie wir es tun: dass das ein Lebensraum ist, ein Sozialraum, in dem die Menschen arbeiten, lernen und wohnen sowie miteinander klarkommen und den ÖPNV nutzen wollen. Diese Fragen stehen für uns im Vordergrund.

(Beifall DIE LINKE und des Abgeordneten Dr. Woidke [SPD])

Sie begründen das Thema der heutigen Aktuellen Stunde mit zunehmenden Defiziten in der Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg sowie erheblichen kommunikativen Problemen. Im Klartext, für die Gäste übersetzt, heißt das: Mit Rot-Rot klappt hier gar nichts mehr.

(Lebhafter Beifall CDU und FDP - Senftleben [CDU]: Richtig! - Dombrowski [CDU]: Ja!)

- Ich habe Sie zitiert und übersetzt, und ich zitiere gern noch weiter.

Glaubt man Ihrem Antrag, so war die gemeinsame Sitzung des Hauptausschusses und unseres Berliner Partnerausschusses am 16. Juni 2010 für Sie diesbezüglich eine Offenbarung. Lesen Sie selbst nach! Frau Kollegin Richstein, Ihre heutige Rede zeigte: Nicht jeder, der von einer Offenbarung erleuchtet wird, sieht danach klarer.

(Beifall der Abgeordneten Wehlan [DIE LINKE])

Dort wurde etwas ganz anderes offenbar: Kommunikationsprobleme in der CDU-Fraktion, denn Herr Dombrowski kannte die Sitzungspapiere nicht und beschuldigte dafür vorsichtshalber gleich mal Rot-Rot. Kommunikationsprobleme herrschten eben nicht zwischen den jeweiligen Ländervertretern von Berlin und Brandenburg, sondern sie herrschten eindeutig zwischen den Oppositionsabgeordneten auf der einen Seite und den SPD- und Linken-Abgeordneten auf der anderen. Ein Grund vielleicht: In Berlin beginnt der Wahlkampf gerade, Sie von der CDU sind aus dem Wahlkampf noch nicht wieder herausgekommen, Frau Richstein ist selbst auch im Wahlkampf; aber brauchen wir deshalb eine Aktuelle Stunde dazu? Ich weiß es nicht.

(Beifall des Abgeordneten Senftleben [CDU])

Sie sind dran mit dem Applaus. - Ich verstehe ja, Frau Richstein, dass Ihre Fraktion nach zehn Jahren Regierungsverantwortung Schwierigkeiten hat, einfach zu sagen: Ja, klar, es gibt Handlungsnotwendigkeiten und es gibt Defizite, und diese haben wir zum Teil auch mit zu verantworten - auch in solch zentralen Bereichen, wie Sie sie in Ihrem Antrag nennen: innere Sicherheit, Infrastruktur und Ansiedlungspolitik. Aber nach den Landtagsprotokollen der letzten Jahre haben Sie daran auch 2008 schon schwere Kritik geübt.

Sie haben gesagt, Sie wollen Wasser in den Wein gießen, und haben dann die „spannende“ Feststellung getroffen:

„Es ist richtig, und es ist wichtig, dass wir sagen: Wir bauen ein gemeinsames Parlament. Es ist auch richtig, dass wir den Platz übergangsweise nutzen und dem Landesrechnungshof einen Platz anbieten. Was aber nicht sein kann, ist, dass wir heute schon wissen, dass wir eigentlich keine Fusion wollen, sondern ein kleines Parlament.... Dann ist es halt ein bisschen kuscheliger.“

Das sind Ihre Worte, und das ist der konsequente Kampf für die Fusion durch die CDU in der letzten Wahlperiode.

(Frau Lehmann [SPD]: Das ist aber ein schwaches Argu- ment!)

Ich weise noch einmal darauf hin: Ihre vormalige Vorsitzende, Frau Prof. Wanka, hat in Vorbereitung der Hauptausschusssitzung als einzige Abgeordnete gemeint, eine solche Sitzung wäre vollkommen überflüssig. Sie sehen nun Handlungsbedarf. Ich frage mich: Was wollen Sie?

Ich habe mich im Januar im Zusammenhang mit dem Fortschrittsbericht 2009 hier bereits zu der Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg geäußert. Ich hatte für den Neustart der Beziehungen plädiert, die zwischen Brandenburg und Berlin in den letzten 20 Jahren natürlich von Kooperation gekennzeichnet waren. Es gibt keine Region in Deutschland, die so intensiv auch Stadt- und Land-Beziehungen lebt. Aber wenn wir 20 Jahre Kooperation ansehen, dann müssen wir auch 20 Jahre Konkurrenz berücksichtigen und in Rechnung stellen. Ganz klar ist: Wenn wir hier gemeinsame Politikziele formulieren, dann müssen die verschiedenen Regionen unseres Landes unbedingt berücksichtigt sein, und die historisch gewachsenen Austauschbeziehungen mit angrenzenden Regionen müssen produktiv gemacht werden. Darüber sind sich die SPD und die Linke einig. Ich finde es auch gut, dass die SPD auf dem jüngsten Landesparteitag genau diese Zielrichtung herausgearbeitet hat. Das zeigt auch, dass wir konsequent arbeiten.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dombrowski?

Ja, selbstverständlich, wenn mir das nicht auf die Redezeit angerechnet wird.

(Zurufe: Neue Geschäftsordnung!)

Frau Kollegin, Sie haben soeben erwähnt, dass unsere ehemalige Vorsitzende Frau Prof. Dr. Wanka keine großen Erwartungen an die gemeinsame Sitzung gehabt habe. Nun sind Sie ja dabei gewesen. Könnten Sie mir deshalb vielleicht in Bezug auf den Verlauf der Sitzung, von der der SPD-Fraktionsvorsitzende Dietmar Woidke der Meinung war, es würde sich um zwei Hauptausschüsse handeln, wie er es auch der Presse mitgeteilt hat, stattdessen war es nur ein Hauptausschuss und ein anderer Ausschuss, zustimmen? Es war eine Sitzung, die Frau Wanka erwartet hatte und die mit bestimmten, festen Themen besetzt war. Aber gleich am Anfang wurde erklärt, die in der Tagesordnung aufgeführten Themen könnten nicht besprochen werden, sondern sie müssten in den Fachausschüssen besprochen wer

den, und im Übrigen mache man um 12 Uhr Schluss, egal, wobei man gerade sei. Glauben Sie nicht, dass die Erwartungen, die Frau Prof. Wanka hatte, insofern vielleicht eine Berechtigung hatten?

Sehr geehrter Herr Kollege Dombrowski! Was ich dort festgestellt habe, war, dass die beiden Ausschüsse, die sich aufgabengemäß auf die Schwerpunkte der Zusammenarbeit einigen sollten, offenbar von einigen Ihrer Kollegen zur Detaildebatte genutzt werden sollten. Was ich auch festgestellt habe, war, dass Sie die Vorbereitung der Staatskanzlei zur Festlegung der Schwerpunkte gar nicht kannten. Insofern war es relativ schwierig, in eine sachliche Diskussion zu kommen. Wenn wir beim nächsten Mal wenigstens die Geschäftsordnung gemeinsam akzeptieren könnten, würden wir vielleicht weiterkommen. Das will ich an dieser Stelle gern noch einmal betonen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Woidke [SPD] - Zurufe von der CDU)

Kommen wir also noch einmal zu den Defiziten, die Sie überwinden wollen. Defizite sind übrigens nicht immer Dinge, die noch nicht zu Ende geführt wurden. Jede Aufgabe hat eine zeitliche Perspektive. Deshalb bleibe ich auch bei dem, was Herr Woidke hier als Herausforderung benannt hat: demografischer Wandel, Fachkräftemangel, bürgernahe Verwaltung, Wirtschaft stärken. Wir haben deshalb in unserem Entschließungsantrag auch die wichtigen Kooperationsprojekte benannt. Neben den schon genannten Schwerpunkten Nahverkehr, Gesundheit, Medien, Justiz und Oderregion möchte ich drei Themen ein wenig ausführlicher benennen. Eines davon ist das Thema Flughafen. Dieser wird nun zu Ende gebaut. Zu ergänzen ist: Wir alle im Parlament wollen, dass er gebaut und fertiggestellt wird, und wir wollen auch das Unsere tun, dass die Interessen der Anwohner aus Brandenburg dabei angemessen berücksichtigt werden.

Das Thema Medienpolitik erscheint uns ebenso wichtig. Hier erachte ich das abgestimmte Agieren zwischen Berlin und Brandenburg im Zusammenhang mit der Neuordnung der Gebühren des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und damit der Verbesserung der Einnahmesituation des Rundfunks BerlinBrandenburg für wichtig.

Zum Thema öffentlich finanzierte Beschäftigung: CDU/CSU und FDP haben im Bund die Bedingungen dafür dramatisch verschlechtert. Wir sagen: Es braucht öffentlich finanzierte Beschäftigung als Einstieg für Menschen, die schon lange Zeit aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt sind. Darüber reden Sie nicht gerne.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Bernig [DIE LINKE])

Man muss aber darüber reden, wenn es um die Ausfinanzierung des öffentlichen Beschäftigungssektors geht, auch über den Bereich der Grundsicherung oder generell die Verbesserung der Einnahmesituation der öffentlichen Haushalte auf Bundes-, auf Landes- und auf kommunaler Ebene. Das war unser Thema gestern. Das wird auch unser politisches Thema zwischen der Linken und der SPD sein, wenn es um Bundesratsinitiativen, beispielsweise zur Steuerpolitik, geht.

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Fachausschüsse des Landtages haben dem Hauptausschuss zu Beginn dieser fünfjährigen Wahlperiode eine ganze Reihe von gemeinsamen Diskussionspunkten mit Berlin übermittelt. Das ist doch etwas! Diese Themen werden wir nun bearbeiten. Die Mitarbeit aller Abgeordneten ist hier gefordert. Wenn Sie, Frau Teuteberg, die Fusion wirklich wollen, dann lassen Sie uns vernünftig gemeinsam arbeiten. Dann sollten Sie von Ihrer Rhetorik wegkommen und daran mitarbeiten, statt Spiegelfechtereien und Ausschusssitzungen hier hochzuspielen. - Vielen Dank!

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Die Abgeordnete von Halem spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die Regierungsparteien meinen offensichtlich, die Länderfusion fiele vielleicht eines Tages in weiter Ferne wie eine reife Frucht vom Baum der Kooperation, vielleicht aber auch nicht. Die CDU als Initiatorin dieser Aktuellen Stunde mogelt sich zumindest im Antragstext um eine klare Position. Dort ist nämlich die Rede von verbesserter Kooperation; gleichzeitig sei der Landtagsneubau ein Ausdruck der Zusammenarbeit. An dieser Stelle steht also noch nichts von Fusion. Weiter hinten ist zu lesen, eine Fusion sei gewünscht, wenn vorher die Konsolidierung der Finanzen erfolgt sei. Was heißt denn das? - Frau Richstein, ich danke Ihnen für Ihre Worte, diese waren erheblich klarer. Der Baum der Kooperation sieht allerdings ziemlich kläglich aus.

Zum Thema Verkehr: Regionalbahnlinien von außerhalb enden kurz hinter der Berliner Landesgrenze. Der vielgepriesene Wissenschaftsstandort Golm hat nicht einmal einen direkten Berlin-Anschluss. Vierspurige Straßen, zum Beispiel die B 101 von Ludwigsfelde oder die B 96 von Blankenfelde-Mahlow, enden an der Berliner Landesgrenze. Man mag mir entgegenhalten, Geld für des Deutschen liebstes Kind sitze doch lockerer als für die echten Kinder; aber eine vernünftige Erklärung für diese im wahrsten Sinne des Wortes großspurige Geldverschwendung ist das nicht.

Beim Havelausbau ist trotz farbgleicher Regierungskonstellation die eine Landesregierung dafür, die andere jedoch kritisch eingestellt. Das Land Berlin hat sich richtigerweise von einer Verbreiterung und Vertiefung der Spree und der Havel verabschiedet, während Brandenburg immer noch an den überdimensionierten Plänen von Anfang der 90er Jahre festhält.

(Vereinzelt Beifall GRÜNE/B90)

Von einer Verkehrspolitik aus einem Guss sind wir meilenweit entfernt.

In der Energiepolitik jongliert man mit jeweils eigenen Energiekonzepten von widersprüchlicher Ausrichtung. Während die brandenburgische Energiestrategie 2020 die weitere Verstromung von Braunkohle rechtfertigt, hebt das Berliner Energie

konzept 2020 in erster Linie auf Energieeinsparung und Klimaschutz ab.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Die haben die Tagebaue auch schon länger zu in Berlin! - Weitere Zurufe von der Frak- tion DIE LINKE)

Dabei müsste eine gemeinsame Energiepolitik her, die die Wertschöpfung in der Region hält und dem Klimaschutz dient.

Während in der Justiz die Fusion der Obergerichte gut funktioniert, tun sich beim Thema Haftplätze Abgründe auf. Auf Kosten öffentlicher Berliner Gelder will Berlin diese neu bauen, ebenso auf Kosten öffentlicher Gelder werden in Brandenburg freie Plätze bewirtschaftet; Geld hat aber niemand. Weitere Äste sind dürr: Wirtschaftsentwicklung, Standortmarketing, Fachkräftemangel, Lehrermangel, Medizinerausbildung, Residenzpflicht usw. Allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz wird doch deutlich, dass die Kooperation nicht so funktioniert, wie wir das nötig hätten. Das politische Gewicht unserer Region in Deutschland, in Europa und im globalen Wettbewerb bemisst sich nicht an der Summe der Berliner und Brandenburger Stimmen im Bundesrat, sondern an unserer Fähigkeit, die politischen Herausforderungen von heute und morgen zu meistern. Nur wenn wir zukunftsfähige Ideen haben, wie wir mit dem Klimawandel umgehen, wie wir auch beim Thema Bildung gewinnen können, wie wir unsere Ansprüche an Mobilität und Energiebedarf gestalten, nur dann wird unser Wort Gewicht haben. Das schaffen wir nur, wenn wir die Zukunft unserer Metropolenregion mit Berlin gemeinsam gestalten und nicht nebeneinanderher.

(Beifall GRÜNE/B90)

Genau das, Herr Woidke, ist der Mehrwert der Fusion, und das lohnt sich. Wir brauchen eine gemeinsame Strategie mit Berlin, die nicht von Regierungen per Staatsvertrag ausgehandelt wird, sondern von einem gemeinsamen Parlament. Nur der Ausblick auf eine Fusion kann diesen dürren Ästen der Kooperation neue Kraft geben. Wer wie die Brandenburger Regierung in den letzten Jahren immer nur sagt, die Ängste der Bevölkerung vor einem gemeinsamen Bundesland müssten ernst genommen werden, der hat die Debatte schon verloren. Nein, für die Fusion müssen wir werben! Dies darf nicht mit Jahreszahlen geschehen, sondern mit Projekten. Die Themen, die Ideen und auch die Herausforderungen liegen auf der Straße. Wir müssen sie nur packen und gemeinsam gestalten.

(Beifall GRÜNE/B90 sowie vereinzelt CDU)

Für die Landesregierung spricht der Ministerpräsident.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erst einmal ein herzliches Dankeschön an die Kollegen der CDU. Ich fand die Idee in Ordnung, im zwanzigsten Jahr des Bestehens unseres Landes über Berlin und Brandenburg zu reden. Es ist nicht hochaktuell, aber man kann einmal darüber reden. Ich ahne ja Sie waren ein bisschen verschämt, Frau Richstein -, was Sie sagen wollten. Sie wollten sagen: Es ist wirklich eine tolle Sache, dass diese beiden Länder nach zwanzig Jahren Kooperation die beiden am engsten verbundenen Länder in der ganzen Bundes