Protokoll der Sitzung vom 08.09.2010

Drittens, aber nicht letztens: Es gibt in Geschichte und Politischer Bildung neue Rahmenlehrpläne und neue Unterrichtsmaterialien zum Thema DDR. Ab Klasse 7 sollen Schülerinnen und Schüler auf verschiedenen Themenfeldern etwas über die DDR lernen. Der Besuch mindestens eines „außerschulischen Lernorts“, wie es so schön heißt, ist verbindlich vorgeschrieben.

Fazit also: Wir verbessern zum neuen Schuljahr die Rahmenbedingungen, die Lehrerzimmer werden jünger besetzt. Wir verbessern die Unterrichtsinhalte. Wir sorgen mit dem SchülerBAföG für wieder ein bisschen mehr Chancengleichheit. Das prognostizierte Chaos ist hier übrigens bisher Gott sei Dank ausgeblieben.

Da man, wenn man sich mit Bildungspolitik beschäftigt, alle Hände voll zu tun hat, hier noch, für die Zukunft gedacht, zwei wichtige Herausforderungen: Erstens finde ich den Anteil der Schulabgänger ohne Schulabschluss, ob er nun bei 11, 12, 13 oder 15 % liegt, einfach einen Skandal und schlicht und ergreifend nicht hinnehmbar. Insoweit bin ich definitiv anderer Auffassung als mein Vorredner.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Selbst die „Wirtschaftswoche“, die uns ja in der vergangenen Woche ob der wirtschaftlichen Dynamik gelobt hat - ich vermute aus wirtschaftspolitischer Sicht, aber egal -, sieht an dieser Stelle noch eine gewaltige Schwäche des Landes, und da bin ich mit ihr einer Meinung. Auf diese riesige Herausforderung gibt es keine leichte, allgemeingültige Antwort. Früher

wäre hier vermutlich mit viel Brimborium ein Modellprojekt aufgelegt worden, aber diese Zeit ist zum Glück vorbei. Es ist, wie ich finde, der richtige Weg, wenn das MBJS und die Schulämter zu den Schulen gehen, die besonders viele Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss verlassen, um individuell zu helfen, zu unterstützen und zu schauen, wo die Probleme liegen.

Die zweite große Herausforderung ist für mich die Inklusion aller Schülerinnen und Schüler ins normale Regelschulsystem. Die Regionalkonferenzen dazu haben, wie ich finde, eindrucksvoll gezeigt, wie weit wir noch von diesem Ziel entfernt sind. Denn im Prinzip sind sich alle einig. Wie hat ein Referent auf der Konferenz, die ich besucht habe, gesagt: „Inklusion ist ein Menschenrecht.“ So weit, so gut. In der Praxis hat man dann aber eher nach Hemmnissen und Barrieren gesucht. Da meine ich gar nicht primär die Frage der Barrierefreiheit oder die Ausstattung mit Sonderpädagogen, sondern ich meine die Barrieren im Kopf. Hier gibt es aus meiner Sicht für die Regierungskoalition noch eine Menge Überzeugungsarbeit zu leisten und vor allem, was ich wichtig finde, positive Beispiele für Integration oder Inklusion herauszustellen. Was der Auftrag ist und wo es hingehen soll, beschreibt für mich mit vier kurzen, knappen, deutlichen und einprägsamen Worten der Name einer Initiative, die einfach, schlicht und ergreifend „Eine Schule für alle“ heißt. - Danke.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Der Abgeordnete Büttner spricht für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin der Fraktion DIE LINKE hier im Landtag sehr dankbar, dass sie das Thema „Priorität für Bildung!“ in die Aktuelle Stunde eingebracht hat. Ich gebe zu: Als ich Ihre Vorlage gelesen habe, habe ich mich ein wenig darüber gewundert, dass Sie dieses Thema hier so einbringen. Ich freue mich darüber, weil Bildung natürlich immer ein prioritäres Thema - auch in Aktuellen Stunden - sein sollte.

Ich bin jedoch auch immer davon ausgegangen, dass Sie in Ihrem Koalitionsvertrag die Priorität für Bildung verankert haben, dies auch mit Ihrem Koalitionspartner, der SPD, umsetzen können und uns Anträge vorlegen, die Ausdruck dieser Priorität sind. Scheinbar funktioniert das nicht so. Sonst hätten Sie diese Aktuelle Stunde nicht so beantragt. Hören Sie bitte endlich auf anzukündigen und machen Sie es endlich, setzen Sie es um, meine Damen und Herren!

(Beifall FDP sowie vereinzelt CDU)

Ich bin mit Ihrer Begründung der Aktuellen Stunde absolut einverstanden. Ihre Vorschläge, Frau Große, die Sie hier auch noch einmal benannt haben, sind zum großen Teil richtig und finden auch meine Unterstützung. Ich kann das fast alles sogar unterschreiben. Lassen Sie mich aber noch einiges ergänzen.

Ich möchte aus Ihrer Begründung zitieren. Sie schreiben:

„Wir haben den höchsten Anteil von Schülerinnen und Schülern ohne Abschluss, den höchsten Anteil von Schülerinnen und Schülern an Förderschulen, Unternehmen klagen in zunehmendem Maße über nicht ausbildungsfähige Jugendliche, die Studienanfängerquoten in Brandenburg gehören weiterhin zu den niedrigsten in der Bundesrepublik. Viele Brandenburgerinnen und Brandenburger sind mit der Bildungspolitik unzufrieden.“

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist das Ergebnis von 16 Jahren sozialdemokratischer Bildungspolitik in diesem Land. Das wird man hier ja wohl noch einmal sagen dürfen.

(Beifall FDP sowie vereinzelt CDU - Zurufe von der SPD)

Natürlich muss man sich darum kümmern, welche Weichen in diesem Land falsch gestellt wurden, und dann diese Weichenstellung korrigieren. Aber eines ist doch auch klar: Es war die SPD, die diese Weichen gestellt hat.

Wenn man sich die Vergleichsstudien anschaut, die wir in der letzten Zeit bekommen haben, dann kann man auch daraus erkennen, dass die sozialdemokratische Bildungspolitik nicht an die Spitze von Deutschland führt. Die letzten vier Plätze im Länderranking belegen Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. In all diesen Ländern gab es eine lange Zeit sozialdemokratisch geführter Bildungspolitik: 13 Jahre in Mecklenburg-Vorpommern, Jahrzehnte in Nordrhein-Westfalen, jahrelang in Berlin und eben auch 16 Jahre im Land Brandenburg.

Die Spitzenplätze - auch das ist bekannt - nehmen die Länder Sachsen, Thüringen, Baden-Württemberg und Bayern ein. In den Ländern, in denen auf die individuelle Förderung, eine begabungsgerechte Förderung Wert gelegt wurde; in den Ländern, in denen die Lehrerausbildung gut organisiert ist und damit auch die Unterrichtsqualität steigt; in den Ländern, in denen es eine höhere Leistungsorientierung gibt und von denen somit die Spitzenplätze im Bildungsranking eingenommen werden - übrigens alles Analysen von Prof. Köller -, haben stets CDU- oder CDU/FDP-Regierungen die Bildungspolitik bestimmt.

(Vereinzelt Beifall CDU)

Eine Ursache, die Sie hier untersuchen wollen, liegt in der falschen Grundausrichtung, mit der Bildungspolitik betrieben wird.

Dann räumen Sie in Ihrer Begründung einen Teil für die Maßnahmen der rot-roten Landesregierung ein. Sie sprechen unter anderem von Ihrem Erfolg, 400 Lehrer eingestellt zu haben. Auch wir freuen uns über mehr Lehrer. Dann erzählen Sie aber bitte die ganze Wahrheit! Es werden in diesem Land jedes Jahr Lehrerstellen gestrichen, und dies führt eben nicht zu einer besseren, begabungsgerechten und individuellen Förderung, wie wir sie benötigen, um in diesem Land künftig besser zu werden.

(Vereinzelt Beifall GRÜNE/B90)

Wie wollen Sie denn all diese notwendigen Dinge mit weniger Lehrern in diesem Land hinbekommen? Herr Günther, wie wollen Sie die Inhalte, von denen Sie sprechen, mit weniger Lehrern umsetzen? Ich erinnere mich sehr gut an Veranstaltungen während des Wahlkampfs hier in Potsdam mit Ihnen, liebe Frau Große, oder auch mit Ihnen, Herr Dr. Scharfenberg, in der Gesamtschule von Herrn Müller. Wir haben grundsätzlich in der Auffassung übereingestimmt, dass man nicht - wie von den Sozialdemokraten gefordert - nur 1 250 Lehrer einstellen müsse, sondern dass man mindestens ca. 3 000 Lehrer brauche, um die gegenwärtige Stellensituation zu halten. Nur dann haben wir die Möglichkeit, Unterrichtsausfall zu reduzieren, die Vertretungsreserve zu erhöhen, Arbeitsgruppen stattfinden zu lassen, Kinder individuell zu fördern und das Ganztagsschulprogramm sowie die FLEX-Klassen auch inhaltlich und personell auszustatten. Wir benötigen auch dringend mehr Selbstständigkeit der Schulen.

Nur, meine Damen und Herren von der Linken, Sie haben sich in den Koalitionsverhandlungen nicht durchgesetzt. Aus der Forderung der SPD nach 1 250 neuen Lehrerstellen und Ihrer Forderung von 3 000 neuen Lehrerstellen sind lediglich 1 250 Lehrerstellen geworden. Das ist keine Einigung, meine Damen und Herren, Sie haben sich in den Koalitionsgesprächen über den Tisch ziehen lassen.

(Beifall GRÜNE/B90 und CDU sowie Oh! bei der SPD)

Über Ihre Symbolpolitik - das Schüler-BAföG betreffend, das Sie eigentlich auch nicht wollten, wenn Sie ehrlich sind - will ich nicht mehr reden.

Ja, wir wollen genau analysieren, wo die Ursachen für das schlechte Abschneiden liegen. Aber wir wollen auch analysieren, um herauszufinden, was wir künftig besser machen können. Das muss aus unserer Sicht interfraktionell geschehen, in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und denen, die im Bildungssystem arbeiten. In diesem Zusammenhang steht übrigens unser Antrag für eine interfraktionelle Arbeitsgruppe, den Sie, Frau Große, gerade sehr schön erläutert haben. Mal sehen, was Sie morgen damit machen werden.

Wir Liberale stehen dazu, dass Bildung Priorität hat. Sie haben es in Ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Dann fangen Sie auch endlich damit an, uns die Anträge vorzulegen, die dazu notwendig sind und die dieses Land bildungspolitisch weiterbringen. Die Opposition macht es sowieso.

(Vereinzelt Beifall FDP, GRÜNE/B90 und CDU)

Die Abgeordnete von Halem spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich neulich vom Thema dieser Aktuellen Stunde erfahren habe - kurz nach der kleinen Palastrevolte der Kollegin Gerrit Große -, lachte mir das Herz: Ja, endlich steht die Linke auf, endlich passiert etwas, endlich wird sich etwas ändern,

(Lachen SPD)

und das, nachdem ein Jahr rot-rote Bildungspolitik so aussah, als habe sich nicht nur der Minister, sondern auch die politische Grundausrichtung vom Regierungswechsel unbeeindruckt gehalten. Die Linke - gerade einmal knapp 6 Prozentpunkte schwächer als die SPD - ist doch in dieser Koalition unter den Fittichen der SPD nur ein bildungspolitisches Mikrotierchen, das nicht zu zappeln wagt.

(Beifall GRÜNE/B90 und DIE LINKE)

Die Analyse ist klar und wird uns mit jeder Vergleichsstudie vorgehalten: Das Brandenburger Bildungssystem kommt auf keinen grünen Zweig. Was aber die neue rot-rote Regierung in diesem einen Jahr gemacht hat, nimmt sich doch aus wie das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern: Viel Gerede davon, Bildung dürfe nicht vom Geldbeutel abhängen, das Thema Schulabbrecher müsse Chefsache werden, jedoch nichts zu tun, um neue Lehrer einzustellen, die die Ausscheidenden ersetzen. Hören Sie doch endlich auf, von 400 neuen Lehrern zu reden! Das suggeriert zusätzliche Lehrer, jedoch ersetzen diese 400 nicht die Ausscheidenden.

(Beifall GRÜNE/B90)

Des Weiteren gibt es ein Schüler-BAföG, das viel zu spät kommt, um gegen soziale Selektion zu wirken, und das andererseits die Bedürftigen nicht erreicht. Fort- und Weiterbildungsmittel für Lehrkräfte sollen eingeschmolzen werden. Im Fremdsprachenunterricht werden Pläne geschmiedet, es wird aber keine Vorsorge für die finanzielle Umsetzung getroffen. Ganztagsschulen werden eingerichtet, ohne die erforderlichen Lehrerstellen einzurechnen usw. usf.

Nein, wir lassen uns nicht von dem vermeintlich kostbaren Gewebe der in Wirklichkeit nicht existierenden Kleider einlullen. Die Wirklichkeit ist - das, dachte ich, hätte die Linke längst gesehen -: Der Kaiser ist nackt.

Der Antragstext für die heutige Aktuelle Stunde enttäuscht mich in seiner Hilflosigkeit:

„Es ist erstens genau zu analysieren, wo die Ursachen für das schlechte Abschneiden Brandenburger Schülerinnen und Schüler liegen, zweitens zu hinterfragen, inwieweit die seit 2000 eingeleiteten Reformen tatsächlich die notwendigen Wirkungen entfaltet haben, und drittens zu überlegen, welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zu ziehen sind, um die Qualität von Bildung für alle Brandenburger Schülerinnen und Schüler nachhaltig zu verbessern.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ich bin erstaunt, dass Sie eine Analyse Ihrer Regierungspolitik vorlegen, die fast oppositionsreif ist.

(Lachen bei GRÜNE/B90)

Haben Sie nach einem Jahr Regierungsbeteiligung wirklich keine Idee, wie es weitergehen könnte und was man jetzt konkret tun sollte? Warum verbleiben Sie bei den Plattitüden? Warum trauen Sie sich nicht, konkrete Schritte vorzuschlagen? Machen Sie doch einmal eine konkrete Ansage! Oder gibt es vielleicht vonseiten der SPD keine Bereitschaft, sich auf konkrete Vorschläge einzulassen?

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Oder haben Sie sich vielleicht mit der FDP abgesprochen, die mit ihrem Antrag auf Einrichtung einer Bildungskommission genau einen solch konkreten Schritt vorschlägt? Wenn ich mich recht erinnere, dann ähnelt dieser Schritt dem, den Sie nach der Veröffentlichung der Ländervergleichsstudie im Juni selbst gefordert haben. Nein, so, wie dieser Antrag formuliert ist, ist es warme Luft und verpufft. Vielleicht können Sie sich jedoch überwinden und den FDP-Antrag morgen in den Ausschuss überweisen. Vielleicht machen wir dann eine große Palastrevolte und finden neue Kleider für den Kaiser.

(Beifall GRÜNE/B90 und FDP - Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Und was daran war jetzt neu?)

Herr Minister Rupprecht spricht für die Landesregierung

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie können mir glauben: Nach 20 Jahren „Mittäterschaft“ kenne ich die Stärken und Schwächen unseres Bildungssystems. Ich werde jetzt über beides reden.

Ich beginne - wie Sie erwartet haben - mit den Stärken. Zu unseren Stärken in Brandenburg zähle ich die hohe Bildungsbeteiligung und die Durchlässigkeit nach oben zu möglichst hohen Bildungsabschlüssen. Wir haben unser Schulsystem gut an die demografischen Veränderungen angepasst. Brandenburg verfügt in der Fläche über ein stabiles Schulnetz, das unseren Kindern und Jugendlichen auf ihrem Bildungsweg alle Optionen offenlässt.