Protokoll der Sitzung vom 09.09.2010

Wir fordern daher die Landesregierung auf, den Weg zu gemeinsamen Prüfungen mit anderen Bundesländern weiter zu beschreiten, und möchten ihr ausdrücklich unsere politische Unterstützung in dieser Frage signalisieren. Wir hoffen, dass Sie das auch tun und bitten Sie daher um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall CDU)

Der Abgeordnete Günther setzt für die SPD-Fraktion fort.

Werter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt offenbar ein völlig neues Mantra in der Bildungspolitik, und das heißt: jetzt mehr Einheitlichkeit.

(Zuruf von der CDU: Mantra?)

Vor noch nicht allzu langer Zeit erschallte der Ruf - wir haben ihn noch im Ohr - nach mehr föderaler Vielfalt. Er fand seine Spitze darin, dass Bund und Länder sich in der Föderalismusreform gegenseitig verboten, in Bildungsfragen zu kooperieren. Jetzt plötzlich keimt die Einsicht, dass junge Leute heute derart mobil, weltoffen und flexibel sind, wenn es um die Wahl von Studien- oder Ausbildungsplätzen geht, dass sie Ländergrenzen überhaupt nicht mehr interessieren und Länderegoismen deshalb völlig fehl am Platze sind.

Woher diese plötzliche Erkenntnis stammt, ist mir immer noch nicht klar. Aber mir soll es recht sein, besser spät als nie.

Offenbar nimmt dieser - ich nenne ihn einmal so - Einheitszug jetzt so rasch Fahrt auf, dass die CDU auch hier in Brandenburg schnell auf ihn aufspringt, nach vorn rennt und ihre Fahne heraushält. Auch das soll mir recht sein. Schließlich stand Brandenburg in der Vergangenheit eher in der Schmuddelecke der Bildungsvereinheitlicher. Deshalb fürchte ich hier auch kein Hase-und-Igel-Spiel. Denn wir Brandenburger sind ja schon dort, wohin andere erst wollen. Herr Hoffmann hat darauf hingewiesen. Die Zusammenarbeit mit Berlin ist schon auf einem guten Weg, was eine gemeinsame Bildungsregion angeht. Sie haben die gemeinsamen Abiturprüfungen genannt. Es wird ab nächstem Frühjahr auch zu einem mittleren Schulabschluss schon eine gemeinsame Prüfung geben.

Jetzt behauptet die CDU, die Chance für ein Deutschlandabitur - das ist ja noch etwas ganz anderes - wäre günstig wie nie. Es gäbe ja schließlich, so steht es in Ihrer Begründung, ganz starke Bestrebungen zu einem gemeinsamen Abi.

Das hat uns dann doch verwundert, dass ausgerechnet die genannten Länder Bayern und Baden-Württemberg - gerade die haben vor noch nicht allzu langer Zeit sehr verbissen um ihre Bildungsunabhängigkeit gekämpft - jetzt eine 180°-Kehre gemacht haben und ein Deutschlandabitur anstreben.

Siehe da: Das tun sie auch nicht. Was es in der Tat gibt, das sind Bestrebungen, Ideen, Willensbekundungen von einer ganzen Reihe sowohl süddeutscher als auch mitteldeutscher Länder, jeweils gemeinsame Abiturprüfungen einzuführen. Im Süden diskutiert man übrigens zurzeit über die Einführung zum Schuljahr 2012/2013. Von einem Deutschlandabitur ist da keine Rede. Wir konnten jedenfalls auch in keinem der genannten Landtage einen Antrag der CDU finden. Das Beste aus meiner Sicht wäre, wenn diese Kooperationen, die sich jetzt langsam anbahnen, Gestalt gewinnen und erfolgreich sein würden und die Partner dann mehr von dieser Kooperation wollten. Mir wäre es, wie gesagt, recht.

Kern Ihres Antrages ist aber, bis zum Beginn des nächsten Jahres Fortschritte bei der Einführung eines Deutschlandabiturs zu erreichen. Sie trauen der Landesregierung hier eine Menge zu. Das ist eine Gemeinsamkeit. Ob es das MBJS allerdings schafft,

binnen eines halben Jahres 60 Jahre Bildungsföderalismus umzudrehen und auf die Füße zu stellen, das würde ich doch stark in Zweifel ziehen.

Bleibt als Fazit zu diesem Antrag: gutes Anliegen, völlig unrealistische Zeitschiene.

Aber eines sei aus meiner Sicht noch gesagt: Wenn es in Deutschland eine realistische Chance für die Einführung eines gemeinsamen Abiturs gibt, dann - da können Sie sich sicher sein - wird Brandenburg dabei sein, diese Chance beim Schopfe packen, den Zug anschieben und - wenn es denn sein muss - auch noch eine Kohle mehr auf den Kessel auflegen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD sowie vereinzelt bei der Fraktion DIE LINKE)

Der Abgeordnete Büttner spricht für die Fraktion der FDP.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Günther, ich kann Ihnen versichern, ich falle nicht in dieses von Ihnen geschilderte Mantra ein. Mein Ruf für den Erhalt des Bildungsföderalismus bleibt bestehen, und wenn ich der Letzte in diesem Parlament wäre, der sich für Bildungsföderalismus ausspricht.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE)

- Ich weiß.

Das Kooperationsverbot, von dem Sie gesprochen haben, ist doch nicht vom Himmel gefallen. Es hatte Gründe. Die Sozialdemokraten haben das ja auch mitgemacht. Wir brauchen keinen Bildungszentralismus. Im Kern geht es doch eigentlich nur um Geld.

Grundgesetzlich ist festgelegt, dass das Geld - übrigens das der Steuerzahler - dort ankommen muss, wo es gebraucht wird. Das kann man hervorragend zum Beispiel durch eine Änderung der Mehrwertsteuer regeln.

Meine Damen und Herren! Ich bin der CDU sehr dankbar, dass sie dieses Thema hier in das Parlament geholt hat. Im Kern dieses CDU-Antrages geht es doch um die Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse in Deutschland. Wenn wir uns fragen, wer diese herstellen soll, dann kommen wir zu dem Ergebnis: Die Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse ist die Kernaufgabe der Kultusministerkonferenz.

Die Gründungsurkunde der Kultusministerkonferenz definiert genau diese als Auftrag der Konferenz. Die Kultusministerkonferenz hat dafür über 60 Jahre gebraucht, um dann, vermutlich 2012, endlich nationale Bildungsstandards für das Abitur zu definieren.

Herr Hoffmann, teilweise gibt es sie bereits: Deutsch, Englisch, Mathematik, unter www.kmk.org. kann man sie abrufen. Bei aller Liebe zur CDU, da wollen Sie es wirklich der Kultusministerkonferenz überlassen, ein Deutschlandabitur zu entwerfen? Wann denn? 2050?

Meine Damen und Herren! Die KMK ist an Innovationsträgheit nicht zu überbieten. Sie ist eine Zeit-, Personal- und Geldverschwendung und gehört abgeschafft.

(Beifall FDP und des Abgeordneten Krause [DIE LINKE])

Wir brauchen eine schlanke Bildungskonferenz unter Beteiligung von Bund, Ländern und Kommunen.

Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP auf Bundesebene ist klar geregelt, dass die Bundesregierung eine neue, vertrauensvolle Partnerschaft zwischen Bund, Ländern und Kommunen unter Wahrung der jeweiligen staatlichen Zuständigkeit anstrebt. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, ist der Gedanke, durch vergleichbare Bildungsabschlüsse die Mobilität in Deutschland zu gewährleisten, zwar richtig, die Forderung nach einem Deutschlandabitur oder nach einem nationalen Zentralabitur aus meiner Sicht aber der falsche Weg.

In seltener Einigkeit stimme ich mit dem Bundesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft darin überein, dass ein Zentralabitur zu einem oberflächlichen Unterricht führt, da eben doch, Herr Hoffmann, die Schülerinnen und Schüler stur den Stoff lernen würden, um die Prüfungen zu schaffen.

Verständnisorientiertes Lernen wird dabei zurückgedrängt. Schon 1998 haben Bildungsforscher in der TIMSS-Studie nachgewiesen, dass unter anderem durch ein Zentralabitur Schülerinnen und Schüler, die im Unterricht nicht gut mit ihren Klassenkameraden mithalten, noch schlechtere Leistungen bringen könnten, während gute Schüler nicht automatisch besser werden würden. Es ginge also zulasten der Lernschwachen.

Auch die Frage der praktischen Umsetzung ist vollkommen ungeklärt. Schließlich müssten alle Schüler in Deutschland die Prüfung zur gleichen Zeit ablegen. Dies ist aufgrund des unterschiedlichen Ferienbeginns in den einzelnen Ländern nicht zu bewerkstelligen.

Ein weiteres Argument: Lehrer und Forscher testen im Klassenzimmer neue und alternative Formen von Leistungsnachweisen - das würde künftig entfallen. Mit dem Zentralabitur gäbe es keinen Anreiz mehr für solche Innovationen; schließlich wäre bereits alles geregelt.

Wo würde dieses Deutschlandabitur entwickelt werden? Entweder in der Kultusministerkonferenz - da würde ich mir wenig Sorgen machen, denn bis zur Fertigstellung würden wahrscheinlich weitere 60 Jahre vergehen - oder möglicherweise im Bundesbildungsministerium. Genau das wäre aber der Einstieg in den Ausstieg aus dem Bildungsföderalismus. Wir Liberalen machen da nicht mit!

Der Bildungsföderalismus sichert Vielfalt, Individualität und geistige Freiheit. Er ermöglicht die Erprobung neuer Konzepte, die für die Erhaltung des Bildungssystems unerlässlich sind. Er hilft, von den Besten zu lernen.

Ihr Gedanke, liebe CDU-Fraktion, ist völlig richtig: Wir können uns sofort einigen, wenn wir über nationale Bildungsstandards sprechen. Ein Deutschlandabitur ist aber der falsche Weg. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen. - Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall FDP und GRÜNE/B90)

Die Abgeordnete Große spricht für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist mal eine spannende Debatte! Eine Fraktion, die in den letzten Jahren nicht gerade damit geglänzt hat, irgendwo einheitliche Standards zu schaffen, bringt einen Antrag zum Deutschlandabitur ein. Das Kooperationsverbot der Föderalismusreform II war wirklich nur das Ende vom Lied - hier hätte man völlig anders agieren können.

(Beifall der Abgeordneten von Halem [GRÜNE/B90])

Ich sage Ihnen: Sie sollten erst einmal mit Bayern und Baden-Württemberg ins Gespräch kommen, um Kooperationsmöglichkeiten von Bund-Länder-Kommissionen auf den Weg zu bringen, die durch Ihre Politik eigentlich abgeschafft wurden.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE)

Das ist die politische Dimension. Ich muss den Minister für Bildung, Jugend und Sport verteidigen.

(Minister Dr. Markov: Neue Töne!)

Er hat gesagt, dass wir im Osten eher ein Zentralabitur auf die Beine stellen könnten, weil die Ostsozialisation hier möglicherweise auf fruchtbaren Boden fiele. - Insofern gehen die Vorstöße, die Berlin und Brandenburg und auch Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt gemeinsam machen, ebenfalls in diese Richtung.

Jetzt komme ich zur fachlichen, zur pädagogischen Dimension. Sie werden eine inhaltliche Nähe zu Herrn Büttner feststellen, die mich selbst etwas irritiert.

(Heiterkeit bei der SPD)

Ich möchte heute nämlich mit zwei Mythen aufräumen. Der erste Mythos: Hätten wir ein Deutschlandabitur - dieser Begriff klingt in meinen Ohren merkwürdig -, also ein Zentralabitur, könnte man Leistungen besser vergleichen, und die Konkurrenz ist nur dann gewährleistet, wenn alle Schüler die gleichen Abiturprüfungen ablegen. - Dazu sage ich: Schauen Sie sich die Realität an: Brandenburger Abiturienten werden von bayerischen Universitäten sehr gern aufgenommen, denn Bayern bildet nicht genügend Abiturienten aus. Ich weiß nicht, wo Sie eine Konkurrenzsituation sehen. Es gibt seit etwa 20 Jahren einheitliche Prüfungsanforderungen, an die sich Kolleginnen und Kollegen auch bei einem dezentralen Abitur halten mussten. So komme ich auf die Äußerungen von Herrn Büttner zurück: Das durchzusetzen war eine riesige Herausforderung,

(Lachen bei der FDP)

hat trotzdem alle Fantasien und Kräfte hervorgerufen und dazu geführt, auf die Schüler abgestimmte und dennoch den einheitlichen Prüfungsanforderungen entsprechende Abiturprüfungen durchzuführen. Und nun will niemand dorthin zurück?

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?