Protokoll der Sitzung vom 09.09.2010

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, erst einmal nicht, denn ich habe sehr wenig Redezeit. Kollegin Blechinger, ich weiß, was Sie mich fragen wollen. Niemand möchte das dezentrale Abitur wieder einführen. Sie, Frau Blechinger, haben in Ihrer Regierung das Zentralabitur auf den Weg gebracht, und alle Lehrer waren glücklich, dass sie in den Weihnachtsferien nicht mehr 180 Stunden arbeiten mussten. Das ist alles richtig.

(Senftleben [CDU]: Dann hätten Sie die Frage auch zu- lassen können!)

Der zweite Mythos: Mit einem deutschlandweiten Zentralabitur sind die Leistungen besser vergleichbar. - Dazu sage ich Ihnen aus meiner Erfahrung von 20 Jahren Abiturerstellung und -abnahme: So einfach ist es selbst bei gleichen Aufgaben nicht. Ich zeige Ihnen das anhand eines sonst bei mir über dem Schreibtisch hängenden Plakats, auf dem „Im Interesse einer Leistungsgerechtigkeit erhalten Sie alle die gleiche Aufgabe!“ steht.

(Die Abgeordnete hält ein Plakat hoch.)

Ich halte es auch in Richtung des Finanzministers.

Wenn alle die gleiche Aufgabe erhalten, sagt das noch nichts über die Qualität des pädagogischen Prozesses aus. Die Schülerinnen und Schüler sehen sich unterschiedlichen Lehrerinnen und Lehrern gegenüber.

(Senftleben [CDU]: Sie wollen doch immer alles anglei- chen!)

Wir haben in Deutschland immer noch sehr unterschiedliche Ausgangsbedingungen. Genau das haben Sie, Herr Hoffmann, gestern thematisiert, als Sie die unterschiedlichen Arbeitspensa der Lehrer erwähnten.

(Zuruf der Abgeordneten Blechinger [CDU])

Wir haben immer noch mit dem unsäglichen Problem von 265 Schülerjahreswochenstunden zu kämpfen. Man sollte sich bitte erst einmal darüber klar werden, dass diese Jahreswochenstunden nun wahrlich keine Einheitlichkeit beim Abitur herstellen.

(Beifall DIE LINKE)

Wir in der Fraktion DIE LINKE sind bei aller Einheitlichkeit keine Selbstmörder. Ich weiß, dass all die Menschen ein Zentralabitur befürworten, die gute Erfahrungen damit gemacht haben. Für die Lehrerinnen und Lehrer ist es sehr viel einfacher, den gewünschten Leistungsstand einzufordern, wenn sie zu ihren Schülern sagen können: Diesen Stand müsst ihr erreichen - darüber gibt es keine Diskussion, denn das ist eine zentrale Anforderung!

Trennen Sie sich vom Fetisch Zentralabitur! Wir werden nicht umhin kommen, eines auf den Weg zu bringen, aber ich bin da

von überzeugt, dass es die Probleme in der Qualität von Bildungsabschlüssen nicht lösen wird. - Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und FDP)

Die Abgeordnete von Halem spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Wir halten die Einführung eines Deutschlandabiturs für absolut unnötig. Ein regional mit Berlin abgestimmtes Zentralabitur mag Sinn machen, weil Bildungsinstitutionen wie das LISUM eng zusammenarbeiten und auch so prosaische Dinge wie der Beginn der Sommerferien parallel organisiert sind.

Auf Bundesebene sieht es allerdings anders aus: Es gibt bereits, wie schon erwähnt, in ganz Deutschland geltende einheitliche Prüfungsanforderungen. Die KMK arbeitet an den nationalen Bildungsstandards. Nichts ist so stark geregelt und unter den Ländern abgestimmt wie die Abiturerwartung. Das Einheitsabitur jedoch würde bundesweit einheitliche Oberstufenstrukturen erfordern und die Wahlfreiheit zwischen den Unterrichtsfächern einengen. Es widerspräche damit eindeutig dem Konzept von Schulen, die auf Individualität und Vielfalt setzen. Wir wollen Profilbildung erlauben, unterschiedliche Rahmenlehrpläne in den einzelnen Bundesländern und unterschiedliche Schwerpunktsetzungen in den Schulen erhalten. Wir wollen auch einseitig begabten Schülerinnen und Schülern die Chance geben, das Abitur zu machen.

Ein anderer simpler Grund spricht gegen das Deutschlandabitur: Es würde einen einheitlichen Ferienbeginn in allen Bundesländern erfordern. Daran wollen wir uns nicht beteiligen, denn uns würde dann die Schuld für die Staus auf den Autobahnen gegeben.

Nein, die Forderung nach einem Einheitsabitur ist nichts als bürokratischer Zentralismus und ein weiterer Auswuchs der vielerorts um sich greifenden „Prüferitis“. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, Schülerinnen und Schüler würden durch die Einführung eines Deutschlandabiturs mehr lernen. Im Hinblick auf mehr Qualität und Bildungsgerechtigkeit brächte ein Deutschlandabitur keinerlei Verbesserung.

Außerdem liegen die Probleme in Brandenburg nicht bei den Abiturienten, sondern in unserem Bildungssystem, nämlich in den ersten Bildungsjahren in der Kita und der Grundschule, in den Übergängen zu weiterführenden Schulen und in der Unterrichtsqualität und dem Niveau begründet. Wir sollten unsere Energie in Brandenburg auf die Lösung dieser Probleme verwenden.

(Beifall GRÜNE/B90 und DIE LINKE)

Zum Abschluss zitiere ich unsere Bildungspolitische Sprecherin im Bundestag, Priska Hinz:

„Ein Zentralabitur macht so viel Sinn wie die Entscheidung, dass Ostern von nun an immer am 10. April sein soll. Es hat nichts mit der Qualität der Ostereier zu tun.“

(Beifall GRÜNE/B90 und DIE LINKE)

Minister Rupprecht setzt die Debatte für die Landesregierung fort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es freut mich, dass die CDU-Fraktion meiner Auffassung ist, dass man im Bildungsbereich auch länderübergreifend zusammenarbeiten sollte.

Wir machen das ja schon. Wir haben zum Beispiel - das hat bisher noch keiner der Vorredner erwähnt - 2006 Kernkurrikula für die Qualifikationsphase in der gymnasialen Oberstufe geschaffen, und zwar nicht nur mit Berlin, sondern auch mit Mecklenburg-Vorpommern. Das ist die eigentliche Grundvoraussetzung dafür, wenn man ein gemeinsames zentrales Abitur machen will. Das machen wir mit Berlin gemeinsam, und zwar seit diesem Jahr. Im Frühjahr gab es die erste zentrale Abiturprüfung im schriftlichen Bereich in vier Fächern, in Deutsch, Englisch, Französisch und Mathematik, und zwar sowohl für Grundkurse als auch für Leistungskurse.

Das Abitur ist gut gelaufen, das wurde hier auch gesagt. Aber uns ist spätestens im Prozess bewusst geworden, wie schwierig das Ganze ist, auch dann, wenn man es mit nur einem Nachbarland gemeinsam machen will. Dabei spielt übrigens auch eine Rolle, dass Berlin ein Stadtstaat ist und Brandenburg ein dünn besiedeltes Flächenland. Das macht die Sache dann noch ein bisschen komplizierter. Aber es gibt wirklich eine Reihe von inhaltlichen Problemen. Man muss sich aufeinander abstimmen, es gibt unterschiedliche Auffassungen, logistisch, ganz klar, dann auch bei den Anforderungen, was die Geheimhaltung der Aufgaben angeht - das ist übrigens hauptsächlich ein Berliner Problem bei unserer Zusammenarbeit -, und schließlich auch bei der terminlichen Abstimmung. Das ist alles nicht so einfach. Aber wir sind schon relativ weit. Ich habe auch mit Interesse vernommen - ich saß gerade im Auto, als die Nachricht kam -, dass Sachsen-Anhalt und Sachsen auf einer gemeinsamen Kabinettssitzung beschlossen haben - sie haben es sogar schon beschlossen, nicht nur ihren Willen bekundet -, ab 2014 ein gemeinsames Zentralabitur in Deutsch und Mathematik machen zu wollen. Wir haben zu ihnen auch schon einmal Kontakt aufgenommen; wir können ihnen da mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Die Kultusministerkonferenz - das haben Vorredner schon gesagt - sichert ja die Anerkennung der Abiturleistungen durch die EPA, die Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung, die sollen zukünftig durch gemeinsame Bildungsstandards ersetzt werden. Die gibt es schon für die Sekundarstufe I, sie werden gerade für die gymnasiale Oberstufe erarbeitet, und sie werden dann an die Stelle der EPA treten. Das wird zunächst auch wieder die Kernfächer betreffen, also Deutsch, Mathematik und die Fremdsprachen. Die ersten Entwürfe werden im nächsten Jahr vorgestellt werden. Die Wirklichkeit ist also dem Antrag der CDU schon ein ganzes Stück voraus. Erst wenn diese Entwürfe vorliegen, werden die Länder darüber beraten, ob sie sich auf diese gemeinsamen Standards verständigen können. Erst dann ist es wirklich möglich, über Formen der Zusammenarbeit in Richtung Zentralabitur zu beraten und zu entscheiden. Da sind dann unterschiedliche Möglichkeiten gegeben, worauf man sich einigen kann, zum Bei

spiel auf einen gemeinsamen Aufgabenpool, in den alle hineinarbeiten, oder eine länderübergreifende Entwicklung von Abituraufgaben, also gemeinsame Entwicklungsgruppen, oder eben auch länderübergreifende gemeinsame Aufgabenstellungen. Wir werden sehen, worauf die Länder sich einigen werden. Ich erwarte einen ganz schwierigen Diskussionsprozess. Bislang haben das in Deutschland nur Berlin und Brandenburg auf die Reihe gebracht.

Ich kann für die Landesregierung sagen: Wir stehen einer Kooperation zwischen den Bundesländern offen gegenüber, auch im Bereich Abitur. Wir haben in der Vergangenheit bewiesen, dass wir zur Zusammenarbeit bereit sind. Das wird auch zukünftig so sein. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Das Wort erhält noch einmal der Abgeordnete Hoffmann für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht noch einmal ganz kurz: Was steht denn in unserem Antrag? Es steht zusammengefasst darin, der Bildungsminister soll sich weiter dafür einsetzen, dass wir bald ein Deutschlandabitur bekommen. Und es steht darin, dass er uns darüber im Parlament Bericht erstatten soll. Jetzt gibt es hier unterschiedliche Auffassungen. Herr Günther, Sie haben gemerkt: Es ist nicht so, dass alle hier das gleiche Mantra haben. Das ist schon einmal die erste Erkenntnis hier für Sie heute.

(Heiterkeit bei der Abgeordneten Lehmann [SPD])

Natürlich soll er vorstoßen. Wenn er dafür ist, dann muss er es anschieben, dann muss er sich dafür einsetzen. Nichts anderes verlangen wir von ihm.

Es ist auch nicht ganz richtig, dass das jetzt eine Sache ist, die bei uns völlig überraschend kommt, und dass wir versuchen, auf den fahrenden Zug aufzuspringen.

(Frau Lehmann [SPD]: Doch, die ist neu!)

Es steht bei uns im Wahlprogramm, meine Damen und Herren, und Sie müssen sich daran gewöhnen, insbesondere Sie, liebe Kollegen von der Linken, dass es auch Parteien gibt, für die es etwas zählt, was sie vorher in ihr Wahlprogramm geschrieben haben.

(Beifall CDU - Oh! bei der SPD)

Wir haben es hineingeschrieben; deshalb setzen wir uns auch dafür ein.

Herr Minister, Sie können sich doch jetzt nicht hinstellen und sagen: Wir wollen natürlich solch ein Deutschlandabitur, wir wollen es wirklich gerne, aber es ist alles so schwierig, deshalb lassen wir die ganze Sache laufen. Das ist genau die Einstellung, die wir jetzt schon seit einem Jahr bei Ihnen beobachten dürfen. Es ist Ihnen alles zu schwierig, Sie lassen alles laufen. Deshalb kündigen Sie immer nur an und machen relativ wenig.

Angekündigt haben Sie in den „PNN“ und in der „Berliner Morgenpost“ am 19. August, dass Sie sich für ein gemeinsames Zentralabitur einsetzen wollen. Nichts anderes wollen wir von Ihnen. Sie sollen es machen. Und wir wollen eben auch, dass dieses Parlament die Möglichkeit hat, seiner Kontrollfunktion nachzukommen. Wir wollen auch informiert werden. Deshalb bitten wir Sie nachdrücklich: Stimmen Sie unserem Antrag zu! - Danke schön.

(Beifall CDU)

Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Antrag in Drucksache 5/1910 der CDU-Fraktion. Wer ihm Folge leisten möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag ohne Enthaltungen mit deutlicher Mehrheit abgelehnt worden.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 7 und rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs durch Weiterreichung der Dynamisierung der Regionalisierungsmittel an die Landkreise

Antrag der Fraktion der CDU

Drucksache 5/1911