Was ist denn der Kernpunkt dieser Reform? Der Wettbewerb soll gesteigert werden. Die gesetzliche Krankenversicherung soll wettbewerbsfreundlicher werden, Preissignale sollen ausgesendet werden. Als ob - Sie haben es doch gesagt - vom Wettbewerb schon mal ein Mensch gesund geworden wäre!
Schon bald - darüber brauchen wir uns überhaupt keine Illusionen zu machen - wird außerdem der Bundesfinanzminister in dieses System eingreifen. Neuerdings und im Unterschied zum Referentenentwurf hat jetzt auch der Bundesfinanzminister sein Statement zu geben, wenn es um den durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz geht, für den der Sozialausgleich gezahlt werden soll. Es wird also nach Kassenlage dieser Bundesregierung bestimmt werden, welchen Ausgleich die Versicherten erhalten.
Wir brauchen uns doch nur die gegenwärtige Kassenlage anzusehen, und dann wissen wir: Die Schere zwischen Arm und Reich wird sich weiter öffnen. Die Armen werden es sich nicht mehr leisten können, zum Arzt zu gehen, wenn die Patienten, wie Frau Lehmann hier gut dargelegt hat, in Vorkasse gehen müssen. Dann verkneifen sie sich das. Schon jetzt belegen alle Untersuchungen, dass es um dessen Gesundheit schlechter bestellt ist, der mit einem niedrigen sozialen Status in diesem Land lebt. Damit bin ich genau bei dem, was Sie völlig richtig gesagt haben, Prof. Schierack: Der Mensch ist eben nicht nur ein ökonomisches Wesen und auch von seinem Arzt und seiner Ärztin nicht nur als ökonomisches Wesen zu betrachten. Da sind wir völlig auf einer Linie. In erster Linie geht es um die medizinische Behandlung und die Prävention. Das, was die Menschen an medizinischen Leistungen brauchen, müssen die gesetzlichen Krankenkassen auch finanzieren. Es darf nicht davon abhängen, wo jemand lebt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, sagen Sie doch bitte nicht - das versuchen Sie auch immer, Herr Prof. Schierack -, es sei alternativlos oder wir hätten keine Gegenkonzepte, wie es zu machen ist. Wir haben diese Konzepte. Nicht nur die Linke hat sie, auch die SPD, die Grünen haben sie, und der DGB hat sie. Überall gibt es solche Konzepte. Sie ähneln einander, und darin ist die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung gewährleistet.
In der gesetzlichen Krankenversicherung haben wir im letzten Jahr 160 Milliarden Euro ausgegeben. Ich lasse die Frage beiseite, ob das Geld wirklich immer an der richtigen Stelle angekommen ist. Ich will stattdessen wenige Beispiele nennen, wie ein prognostiziertes Defizit von 10 bis 11 Milliarden Euro ausgeglichen werden könnte. Das sollten Sie sich gut merken, bevor Sie wieder sagen, wir hätten kein Gegenkonzept. Allein 5 bis 7 Milliarden Euro Mehreinnahmen würde eine Erhöhung der Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenze auf das Niveau der Rentenversicherung bringen. Man höre: 7 Milliarden Euro! 10 Milliarden Euro weniger Ausgaben wären möglich, wenn es in Deutschland die gleichen Arzneipreise gäbe wie in Schweden, also die Politik der Pharma-Lobby ihre Extraprofite tatsächlich beschreiben würde und nicht nur so täte, als würde sie sie beschreiben.
Die Maßnahmen wären wirklich ein revolutionärer Systemwechsel, und keine dieser Maßnahmen würde Normalverdiener, Arbeitslose oder Rentner belasten.
Höhere Einnahmen könnten durch die Einbeziehung von Vermögen in die Versicherungspflicht erzielt werden. Das wäre sogar im Sinne der von Union und FDP immer wieder propagierten Abkopplung der Sozialversicherung von den Lohnnebenkosten. Wenn Sie unbedingt Steuermittel neben den Bei
tragsmitteln ins System bringen wollen, dann können Sie das auf direktem Weg tun. Wozu brauchen Sie da einen unendlich komplizierten und bürokratischen Sozialausgleich? Wollen Sie uns weiter weismachen, der sogenannte Sozialausgleich ginge so einfach wie die Auszahlung des Kindergeldes? Hören Sie sich an, was die Praktiker dazu sagen.
Was ist überhaupt von diesem Sozialausgleich zu halten, bei dem in letzter Instanz der Finanzminister entscheidet? Ich habe schon etwas dazu gesagt. Mit dem Land Brandenburg und der gesundheitlichen Versorgung hierzulande hat das Ganze ganz unmittelbar etwas zu tun. Auch darauf sind Sie schon eingegangen, Herr Prof. Schierack, da liegen wir auch gar nicht so weit auseinander. Darauf will ich auch noch einmal eingehen, damit Sie nicht noch einmal sagen, das Thema ginge uns nichts an. Sie haben gemeinsam mit CDU-Kollegen aus den ostdeutschen Landtagen einen Brief geschrieben. Darin ist von einer Benachteiligung der ostdeutschen Länder durch die Abkehrung von der Mittelverteilung nach dem Morbi, wie Sie hier sagten, die Rede. Da haben Sie Recht. Deshalb steht dazu auch etwas in unserem Entschließungsantrag. Insofern hoffe ich, dass Sie ihm zustimmen.
Im nächsten Jahr sollen die ambulant tätigen Ärzte 1 Milliarde Euro mehr erhalten; gestern haben die Verhandlungen stattgefunden. Wo sollen die Mittel nach dem Willen der Bundesregierung hin? In den Süden Deutschlands, nicht nach Brandenburg oder in die anderen neuen Länder. Das heißt, auch hier wird die Schere zwischen Ost und West - bzw. Süd -, die sich gerade ein wenig geschlossen hat, wieder weiter geöffnet. Lieber Herr Dr. Schierack, vor diesem Hintergrund wird Ihr Lieblingsprojekt staatlicher und kommunaler Stipendien für Medizinstudenten nur noch absurder. Die Bundesregierung verteilt das Geld der Versicherten mit der großen Kelle in den Westen, und Sie wollen die Abwanderung der Ärzte dorthin mit den letzten Groschen aus den Kassen von Land und Kommunen stoppen. Diesen Wettlauf werden Sie nicht gewinnen.
Nicht besser sieht es für die Krankenhäuser aus. Wenn den Krankenhäusern nur noch Mittelzuwächse zugebilligt werden, die unterhalb der Zuwächse der tatsächlichen Leistungen liegen, dann geht das zulasten des Personals, insbesondere des Pflegepersonals. Der Rückstand zum Westen bleibt. Die Abwanderung von Fachkräften wird genau so nicht gebremst.
Das Vorhaben der Bundesregierung ist unsozial und ungerecht. Das merken Sie an diesen Beispielen. Die Probleme hinsichtlich der Versorgung im ländlichen Raum bleiben ungelöst. Lassen Sie uns dafür streiten, damit dieser Murks nicht Gesetz wird, und stattdessen die gesetzliche Krankenversicherung ihren Charakter als solidarisches System zurückerhält - Danke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hier bin ich, hier stehe ich - direkt aus dem Reich des Bösen zu Ihnen ge
Ich möchte meine Freude über das heutige Thema der Aktuellen Stunde nicht verhehlen. Einerseits hat die kürzlich vom Bundeskabinett beschlossene Finanzreform für das Gesundheitssystem in der Tat Auswirkungen auf das Land Brandenburg. Ich werde auch einige anführen. Andererseits - hierin sehe ich den eigentlichen Gewinn durch die Aktuelle Stunde bietet sie mir die Gelegenheit, einige der gebetsmühlenartig vorgetragenen Unwahrheiten von SPD, Linken - ich gehe davon aus, dass wir von den Grünen auch noch einiges hören werden - richtigzustellen. Dies ist angesichts der emotional aufgeheizten Stimmung in der Bevölkerung, für die maßgeblich die drei Vorgenannten die Verantwortung tragen, nach meiner Auffassung mehr als notwendig.
Was mich an der gesamten gesundheitspolitischen Debatte allerdings am meisten ärgert, ist das gebetsmühlenartige Wiederholen von Weltuntergangsszenarien und der permanenten Behauptung, dass das Solidaritätsprinzip der GKV gefährdet sei. Es würde uns gut zu Gesicht stehen, gelegentlich eingangs zu bekennen, dass wir immer noch die große Gnade erfahren, in einem Land mit einem der besten Gesundheitssysteme der Welt zu leben. Ganz egal, ob privat oder gesetzlich versichert, genießen wir eine gesundheitssoziale Absicherung, die ihresgleichen sucht.
Nehmen Sie nur den Umstand, dass es den 80-Jährigen heute gottlob in diesem unserem Lande gesundheitlich so gut geht wie vor 30 Jahren den 60-Jährigen. All das sind Leistungen, die uns der medizinische Fortschritt gebracht hat. Ich bin zutiefst dankbar, in einer Zeit leben zu dürfen, in der ich mit meinen 42 Jahren nicht schon am biologischen Maximum angekommen bin. Ich stelle mich vor diesem Hintergrund gern der politischen Herausforderung, dass das alles immer mehr Geld kostet und daher eine in der Tat sozial gerechte Lösung zur Finanzierung dieser Probleme gefunden werden muss. Dass dabei Modelle, die teilweise schon zu Bismarcks Zeiten erdacht wurden, nicht mehr zukunftsfähig sind, liegt so etwas von offensichtlich auf der Hand, dass man es nur als Realitätsverweigerung bezeichnen kann, wenn man Reformen als unsozial kritisiert, die endlich die Gesundheitskosten von den Lohnkosten entkoppeln.
Dass wir dabei bei der Finanzierung des Gesundheitssystems und insbesondere was die finanzielle Situation der GKV anbelangt, heute mit enormen Problemen zu kämpfen haben, können Sie annähernd jedem ankreiden, wenn Sie unbedingt wollen, der CSU, deren Gesundheitsexperte Horst Seehofer nicht nur an einer Gesundheitsreform beteiligt war, den Grünen und ihrer damaligen Gesundheitsministerin Andrea Fischer, die sich in ihrer zweijährigen Amtszeit um jede Reform gedrückt hat, und nicht zuletzt der SPD, die mit Ulla Schmidt zwischen 2001 und 2009 im Bund die Ministerin gestellt hat. Ach ja, liebe Kollegen von der SPD-Fraktion, es ist ja schon eine ganze Weile her - nur, falls Sie sich nicht mehr erinnern -: Frau
Schmidt ist diejenige, der nicht nur der Laptop, sondern gleich das ganze Auto abhanden gekommen war.
Jene Frau Schmidt war es, die mit der Einführung des Gesundheitsfonds zum 01.01.2009 die Büchse der Pandora geöffnet hat, was Sie heute so furchtbar beklagen, nämlich den Einstieg in die Prämienfinanzierung, für die Sie uns jetzt den Schwarzen Peter zuzuschieben versuchen. Wir Liberalen haben bereits im Jahr 2007 auf die Gefahr einer chronischen Unterfinanzierung der GKV hingewiesen und wiederholt betont, dass der Kostendruck im Gesundheitssystem maßgeblich über den Wettbewerb eingedämmt werden kann.
Damals sind wir Liberale als ewige Nörgler und Schwarzmaler hingestellt worden. Heute, keine zwei Jahre nach der Einführung des Fonds, sehen wir uns - leider! - in unserer Gesamtkritik überdeutlich bestätigt. Ohne die anziehende Konjunktur in Deutschland und die zum 1. Januar kommenden Jahres in Kraft tretende Finanzreform hätten wir im kommenden Jahr ein Defizit von bis zu 11 Milliarden Euro gehabt. Es ist ein Erfolg des Bundesgesundheitsministers, dass dank der Einsparungen bei Arzneimitteln und Ärztehonoraren die gesetzliche Krankenversicherung im kommenden Jahr vermutlich ohne Zusatzbeiträge auskommen kann. Damit verhindern wir, dass insbesondere die kleinen und mittleren Einkommen überproportional belastet werden. Wir können an dieser Stelle keine Gerechtigkeitslücke entdecken.
Im Gegenteil, in der Amtszeit von Frau Schmidt habe ich viele Ankündigungen und Absichtserklärungen vernommen, wo man einsparen könne; aber wenn es darum ging, Verantwortung zu übernehmen und Vorschläge zu machen, standen unter dem Strich immer nur rote Zahlen. Die Ergebnisse dieser verkorksten Politik lassen wir uns nicht in die Schuhe schieben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, das ist Ihr Bier!
Was die Frage nach den Auswirkungen auf Brandenburg angeht, will ich Ihnen eine abschließend gern nennen: Diese Gesundheitsreform wird endlich zu einer stärkeren Entkopplung von Krankenversicherungskosten und Lohnzusatzkosten führen und damit den Teufelskreis durchbrechen, der da lautet: Mehr Gesundheit bedeutet weniger Beschäftigung. - Das ist ein wesentlicher Beitrag für Wachstum und Beschäftigung, gerade auch in Brandenburg. Ich sage Ihnen abschließend auch sehr gern, wie ich das nenne: Das ist sozial! - Vielen Dank.
(Beifall FDP und CDU - Lachen bei der Fraktion DIE LINKE - Frau Kaiser [DIE LINKE]: Und die Erde ist ei- ne Scheibe!)
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lieber „Darth“ Beyer, nach einer aktuellen Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der AOK liegt die Zustimmung der Deutschen zum Solidarprinzip in der Krankenversicherung
zwischen 70 und 90 %. Die Gesunden zahlen für die Kranken mit, die Jungen für die Alten, die Besserverdienenden für die Geringverdiener. Zusätzlich galt lange Zeit die paritätische Finanzierung. Die Kosten der Krankenversicherung werden zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern geteilt.
Doch mit der solidarischen und paritätischen Finanzierung steht es schon längere Zeit nicht mehr zum Besten. Die private Krankenversicherung stellt prinzipiell den schwersten Angriff auf das Solidarprinzip dar. Sie ist attraktiv für junge, gesunde Gutverdiener, die aufgrund ihres Alters und ihres sozialen Status über geringe Risiken verfügen.
10 % der bundesdeutschen Bevölkerung sind somit dem Solidarprinzip in der Krankenversicherung entzogen.
Aber auch die Parität wurde in den vergangenen Jahren immer mehr aufgeweicht. Zuzahlungen zu Medikamenten, zu Heilund Hilfsmitteln, zu Krankenhausaufenthalten und die Praxisgebühr - eingeführt durch wohlklingende Gesetze wie „Kostendämpfungsgesetz“, „Gesundheitsreformgesetz“ oder „GKVNeuordnungsgesetz“ - belasten einseitig die gesetzlich Versicherten. Endgültig beendet wurde die paritätische Versicherung 2005 durch den Sonderbeitrag von 0,9 %, eingeführt übrigens durch die Regierung Schröder.
Sie sehen, meine Damen und Herren: Im Kampf gegen die Kostenexplosion im Gesundheitswesen waren alle Parteien an den Angriffen auf die paritätische Versicherung beteiligt, auch meine.
Was die schwarz-gelbe Bundesregierung jetzt aber nach einjährigem Gezerre plant, ist der bisher dreisteste Angriff auf ein solidarisches Gesundheitswesen.
Es ist Klientelpolitik und Pharmalobbyismus. Die für 2011 vorgesehene Beitragsanhebung auf 15,5 % wird mit dem Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge auf 7,3 % und der Beibehaltung des Sonderbeitrags von 0,9 % kombiniert. Alle weiteren Kostensteigerungen werden allein von den Versicherten, von Arbeitnehmern und Rentnern gezahlt. Die Zusatzbeiträge können auf der nach oben offenen Richterskala in unbegrenzter Höhe erhoben werden. Ein Sozialausgleich wird erst gezahlt, wenn der Zusatzbeitrag 2 % - nicht mehr 1 % - des Haushaltseinkommens der Versicherten übersteigt. Außerdem ist der sogenannte Sozialausgleich seinen Namen nicht mehr wert. Er orientiert sich nicht an den realen Kosten, sondern nur noch an der Höhe der durchschnittlich gezahlten Zusatzbeiträge. Die Versicherten werden durch Beitragssteigerungen und den Einstieg in die Kopfpauschale ohne realen Sozialausgleich doppelt belastet.
Gleichzeitig will der Gesundheitsminister die Sperrfrist für den Wechsel in die private Krankenversicherung, die erst 2007 auf drei Jahre verlängert wurde, wieder verkürzen. Das heißt, der
gesetzlichen Krankenversicherung droht eine weitere Schwächung, weil sich die Besserverdienenden wieder leichter dem solidarischen System entziehen können. Die Pläne von Herrn Rösler, zur sogenannten „Verbesserung der Transparenz“ die Kostenerstattung auszuweiten - das heißt unter anderem Vorkasse beim Arztbesuch -, ist ein weiterer Angriff auf ein solidarisches Gesundheitswesen. Noch gilt hier das Sachleistungsprinzip.
Ein solidarisches Gesundheitswesen muss aber auch ein bezahlbares bleiben. Deshalb müssen wir die Einnahmenseite neu organisieren - nicht über Kopfpauschalen, sondern über eine Bürgerversicherung, die alle Einkünfte in die Beitragsberechnung einbezieht.
Gleichzeitig muss die Ausgabenseite stärker fokussiert werden. Das Gesundheitssystem darf kein Selbstbedienungsladen sein, in dem sich jedes Angebot seine Nachfrage schafft und Fehlbeträge in unbegrenzter Höhe wieder den Versicherten aufgebürdet werden. Die Einsparpotenziale sind immens, vor allem im Bereich der Pharmaka, aber nicht nur dort. Minister Rösler wollte das Preismonopol der Pharmakonzerne brechen; stattdessen ist bei der Kassenzulassung neuer Medikamente jetzt die Umkehr der Beweispflicht im Gespräch.
Ich komme zum Ende. Röslers Reform macht das Gesundheitswesen wieder einmal nicht zukunftsfest, sondern unsolidarischer. Die Zusatzbeiträge werden mittelfristig explodieren. Einen steuerfinanzierten Sozialausgleich wird es nicht geben. Den Gering- und Durchschnittsverdienern bleibt weniger Netto vom Brutto.