Protokoll der Sitzung vom 07.10.2010

Der Eingangssatz aus dem Antrag der Grünen hat uns so gut gefallen, dass wir ihn auch in unseren Entschließungsantrag aufgenommen haben. Mehr haben wir dann aber doch nicht aufgenommen. Wir wollten auch nicht alle SPD-Philosophien zur Bildungspolitik hineinschreiben. Für uns ist der Erhalt der sechsjährigen Grundschule so selbstverständlich, dass wir dies nicht in alle unsere Anträge hineinschreiben.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Der eben zitierte Satz aber ist ein sehr richtiger, ein guter und wichtiger Satz. Genau deshalb haben wir ihn auch übernommen. Der Satz, richtig verstanden - ich gebe zu, man kann ihn auch bewusst falsch verstehen -, sagt eigentlich schon ganz klar, wohin die Reise gehen muss. Auch die Fragen, die die Grünen in ihrem Antrag stellen, sind gute, sind richtige, sind wichtige Fragen. Diesen Fragen wird sich die Landesregierung auch stellen müssen, wenn sie den Bericht, den sie im Ausschuss vorgelegt hat, laut unserem Entschließungsantrag dann fortschreibt.

Wir wollen der Landesregierung für diese Fortschreibung bis zum März nächsten Jahres Zeit geben, zumal es sich bei unse

rem Auftrag um nichts Geringeres als die Weiterentwicklung der Begabungsförderung in Brandenburg handelt, ein wirklich gewichtiger Auftrag, zu dem aus unserer Sicht wesentlich mehr gehört, als sich nur an den Leistungs- und Begabungsklassen abzuarbeiten. Dass die LuBK kein Herzensanliegen der SPD in der vorhergehenden Koalition waren, das ist bekannt, das muss ich hier nicht weiter ausführen. Insofern freue ich mich wirklich sehr, wenn auch die Grünen hier sehr kritisch sind. Ich hoffe, das bleibt auch so,

(Beifall der Abgeordneten Niels [GRÜNE/B90])

wenn der Wind einmal von vorn weht. Das würde mich wirklich freuen.

Es reicht aber aus unserer Sicht nicht, die Leistungs- und Begabungsklassen kritisch zu sehen und Veränderungen anzumahnen. Wir finden, es muss gleichzeitig gesagt werden, wie wir die Kitas verstärkt in die Begabungsförderung einbeziehen können; denn Sie wissen - ich sage es immer wieder gern -: Auf den Anfang kommt es an. Wie können wir noch stärker die Eltern, die Lehrer sensibilisieren? Wir brauchen Antworten auch darauf, was sich möglicherweise in der Lehrerausbildung alles verändern muss, wie sich die Beratungsstützpunkte für Begabungsförderung weiterentwickeln sollen.

Zum FDP-Antrag: Herr Büttner hat uns als Koalition mehrfach eine Zusammenarbeit zur Umsetzung der UN-Konvention auf dem Weg hin zu einem inklusiven Bildungssystem angeboten. Ich gehe nach wie vor davon aus, dass dieses Angebot ernst gemeint ist. Dann, Herr Büttner, müssen Sie aber erklären, wie Sie dieses Angebot mit Ihrem Antrag nach mehr LuBK vereinbaren. Sie gehen von einem für die FDP ehrenwerten marktwirtschaftlichen Ansatz aus, natürlich einem nachfrageorientierten Ansatz nach dem Motto: - Da ist eine Nachfrage, also müssen wir ein Angebot schaffen, egal, was rechts und links passiert, egal, wie es mit der sechsjährigen Grundschule weitergeht. Da ist mir, ehrlich gesagt, eine Koalition allemal lieber, die klare, erkennbare Grundsätze hat, die diese dann auch in Politik umsetzt, und die, wenn es dann einmal sein muss, dafür auch Kritik einsteckt. Auch das ist ja hier nicht zu kurz gekommen.

Ich weise noch einmal auf den zitierten Eingangssatz hin, der sich in beiden Anträgen, in dem von den Grünen und in dem von der Koalition, wiederfindet, und ich möchte hinzufügen, dass wir der Auffassung sind, dass jedes Kind eine Begabung hat. Wenn man dem zustimmt, dann gibt es eigentlich keinen Zweifel mehr, wohin zukünftig die Reise gehen muss. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Der Abgeordnete Hoffmann spricht für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eingangs eine kurze Bemerkung in Richtung Frau Kaiser. Dass sich die Qualität der Zwischenrufe von Frau Kaiser immer so ein bisschen zwischen unpassend und überflüssig bewegt, das ist ja bekannt. Aber diese spontane Jubeläu

ßerung zum 7. Oktober, Frau Kaiser, die war wirklich absolut deplatziert.

(Beifall CDU, FDP und GRÜNE/B90)

Sie sorgen dafür, dass sogar Ihrem Koalitionspartner die Gesichtszüge entgleisen.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Aber Sie können sicher Iro- nie von Jubel unterscheiden, oder?)

Frau Kaiser, bei Ihrer Begeisterung für dieses System fällt es manchmal schwer, die Ironie zu erkennen.

Herr Hoffmann, es wäre schön, wenn Sie zum Tagesordnungspunkt kämen.

(Beifall DIE LINKE)

Jawohl, ich komme zum Tagesordnungspunkt. - Meine Damen und Herren, ein gutes Bildungssystem gewährleistet größtmögliche individuelle Förderung des Einzelnen, es befähigt unsere Kinder zu Eigenverantwortung und Selbstständigkeit. Ein gutes Bildungssystem unterstützt unsere Kinder in der Entwicklung ihrer Begabungen und Talente, und ein gutes Bildungssystem muss deshalb auch Leistungsanreize für begabte und leistungsstarke Schüler vorhalten.

Das Land Brandenburg hat erst in den vergangenen Jahren Strukturen der Begabtenförderung aufgebaut. Dieses System der Begabtenförderung basiert auf der Bildungsplanung der Bund-Länder-Kommission für die Begabtenförderung. Es dient einer individualisierten Begabtenförderung und richtet sich auf die Ausbildung kognitiver, kreativer, künstlerischer, sozialer und psychomotorischer Fähigkeiten und der Förderung der Gesamtpersönlichkeit. Darüber haben wir erst kürzlich im Bildungsausschuss diskutiert.

Die unterschiedlichen Bausteine der Begabtenförderung greifen dabei ineinander und ergänzen sich. Die Beratungsstützpunkte für Begabtenförderung an den Schulen unterbreiten Informations-, Beratungs- und Fortbildungsangebote für Lehrer, Eltern und Schüler aus der Region. Neben diesem Baustein wurden auch die Leistungs- und Begabungsklassen entwickelt, um begabten Kindern in weiten Teilen des Landes Brandenburg Zugang zu einer möglichst wohnortnahen Begabtenförderung zu ermöglichen. Wie die Bewerberzahlen immer wieder deutlich zeigen, erfreut sich dieser wichtige Bestandteil der Begabungsförderung großer Beliebtheit im Land: Wie Sie wissen, haben wir immer rund doppelt so viele geeignete Bewerber, wie wir Plätze haben. Ich finde, wir müssten zusehen, dass wir es hinbekommen, die Einrichtung solcher Leistungs- und Begabungsklassen flexibler zu gestalten und dafür zu sorgen, dass sich diese Einrichtung auch am tatsächlichen Bedarf orientiert.

Uns liegt heute zu dieser Thematik eine Reihe von Anträgen vor; sie sind in ihrem Duktus alle recht unterschiedlich. Die Grünen versuchen unter dem Deckmantel der Forderung zur Weiterentwicklung der Begabungsförderung eigentlich die Rolle rückwärts zu machen und die Leistungs- und Begabungsklassen abzuschaf

fen, haben sich dann aber doch nicht getraut, das so deutlich in ihren Antrag hineinzuschreiben. Dazu kann ich Ihnen nur sagen, Herr Günther: Hier haben Sie Recht. Hier müssten die Grünen auch einmal die Traute haben, die haben sie aber nicht; deshalb dies auch unter dem Deckmantel der Weiterentwicklung.

Die Regierungskoalition macht mit ihrem Antrag deutlich, dass das umfassende Konzept der Begabtenförderung im Grunde beibehalten werden soll und die bisherigen Maßnahmen verstärkt umgesetzt werden sollen. Aber auch in diesem Antrag stellt natürlich der Punkt 4 den Fortbestand der Leistungs- und Begabungsklassen ein wenig infrage, insbesondere, wenn es tatsächlich in ein inklusives Schulsystem übernommen werden soll.

Wir begrüßen zwar, dass der Antrag die Weiterentwicklung des Gesamtkonzepts der Begabtenförderung in den Mittelpunkt stellt, aber der Knackpunkt ist für uns dieser Punkt 4, der den Erhalt der Leistungs- und Begabungsklassen infrage stellt. Wir halten es für nicht zielführend, diesen Zugang der individuellen Förderung für begabte und leistungsstarke Schüler unabhängig von ihrer Herkunft abzuschaffen.

Meine Damen und Herren, der Antrag der FDP spricht sich klar für die Leistungs- und Begabungsklassen aus; das freut uns naturgemäß. In diesem Antrag fehlt uns aber die Einbettung in das Gesamtsystem der Begabtenförderung; deshalb können wir uns dazu nur enthalten. Ich sagte ja bereits eingangs, dass ein gutes Bildungssystem auch ein Fördersystem für begabte und leistungsstarke Schüler vorhält. Dabei ist uns wichtig, das Gesamtkonzept der Begabtenförderung stetig weiterzuentwickeln, und für uns schließt das die Leistungs- und Begabtenklassen als ein Instrument der Begabungsförderung in diesem Land ausdrücklich ein. - Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Die Abgeordnete Große spricht für die Linksfraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich bin den Grünen natürlich sehr dankbar für diesen Antrag; das versteht sich von selbst. Er entspricht unserer Intention. Nichtsdestotrotz haben wir uns entschieden, das Ganze noch etwas umfassender zu machen und die eigentlichen Fragen, die Sie in Ihrem Antrag gestellt haben, Frau von Halem, in unseren Antrag aufzunehmen. Insofern geht es uns logischerweise nicht nur um die Struktur, sondern genau um das, was Sie auch gesagt haben: Es geht uns darum, Kinder mit besonderen Begabungen auch besonders zu fördern. Niemand wird uns absprechen, dass wir das nicht auch tun wollen. Das ist nicht zuerst eine strukturelle Frage, sondern wirklich eine Frage der individuellen Förderung von Begabungen, die letztendlich bei jedem Kind vorhanden sind und die sich im Prozess der Aneignung entfalten. Dafür wollen wir Bedingungen schaffen.

Herr Senftleben, Sie haben vorhin dazwischengerufen; Sie werden von uns nicht hören, dass wir hier irgendetwas abschaffen, und wir werden auch nichts abschaffen. Der Antrag heißt „Weiterentwicklung der Begabungsförderung“, und darum geht es uns. Herr Büttner, es geht uns auch um Flächendeckung. Dazu sage ich einmal ganz deutlich: Aus dem Landkreis Ober

havel, wo wir keine Leistungs- und Begabungsklassen haben, kommt Felix Kröcher, der den Bundeswettbewerb „Jugend debattiert“ gewonnen hat. Wir haben auch ganz viele Medaillenträger bei Mathematik-Olympiaden, bei Biologie- und ChemieOlympiaden. Es funktioniert also auch eine andere Art von Begabungsförderung.

(Vereinzelt Beifall SPD und DIE LINKE)

Nun sage ich Ihnen noch etwas: Sie haben diese 35 Begabungsklassen eingeführt. Hier sagt Herr Büttner zu Recht: Das ist ungerecht, in drei Kreisen gibt es keine. - Das ist vielleicht auch ungerecht, aber diese drei Kreise machen eine andere Form von Begabungsförderung. Hätten Sie in der damaligen Koalition Kindertagesstätten für besonders und mehrfach begabte Kinder eingeführt - dafür ist auch der Bedarf vorhanden -, hätten Eltern ihre Kinder gleich in solche Kindertagesstätten gebracht. Sie haben einen Bedarf für Eltern mit besonders begabten Kindern geschaffen, das will ich gar nicht ausschließen, und natürlich wird auch in diesen Klassen gute Arbeit geleistet. Natürlich gehen diese Kinder gern in diese Klassen, und natürlich unterrichten dort sehr fitte Lehrerinnen und Lehrer, die auch Konzepte weiterentwickelt haben; das möchte hier niemand schlechtreden. Wir sagen nur: Dies ist nicht unser Konzept, um die Potenziale aller Kinder auszuschöpfen. Wir wollen allen Kindern diese Möglichkeit geben.

(Vereinzelt Beifall SPD und DIE LINKE)

Hierzu sage ich Ihnen auch nochmals: Sie sollten Ihrer Kollegin Frau von der Leyen sagen, dass auch Kinder aus Hartz-IVFamilien über Begabungen verfügen. Es wird nämlich in diesen Bildungsgutscheinen immer nur von Nachhilfe gesprochen, nicht von besonderer Begabungsförderung von Kindern, die aus solchen Familien kommen.

(Vereinzelt Beifall SPD und DIE LINKE)

Damit beginnt es doch schon, dass hier ganz eindeutige Stigmatisierungen vorhanden sind und wir uns sehr wohl ansehen müssen, welcher Eltern Kinder in diesen Leistungs- und Begabungsklassen sind. Natürlich müssen wir uns anschauen, was wir mit den anderen Formen der Förderung von Begabung machen. Hier sind wir auf einem guten Weg; das nehmen wir uns vor.

Frau Kollegin von Halem, Sie haben uns Kleinmut und einen weichgespülten Antrag vorgeworfen. Ich denke, wir sollten uns in zwei oder drei Jahren zu diesem Thema noch einmal sprechen, und dann wollen wir einmal sehen, ob es dann bei Ihrer Einschätzung des Kleinmuts bleibt. Ich bin fest entschlossen, dass wir die Begabungsförderung auch in Ihrem Sinne in diesem Land weiterentwickeln und auf andere, breitere und bessere Füße stellen. - Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall SPD und DIE LINKE)

Der Abgeordnete Büttner spricht für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Leistungs- und Begabungsklassen sind ein Teil der Begabtenförde

rung. Ich wundere mich schon, wenn hier über Weiterentwicklung gesprochen wird. Natürlich meint der Antrag der Grünen „Abschaffung“. Das wissen wir ja; das ist kein Geheimnis, da Sie es auch immer im Ausschuss gesagt haben. Frau Große, Sie reden im Plenum jetzt von Weiterentwicklung. Im Ausschuss haben Sie noch gesagt, Sie brauchten diese Leistungs- und Begabungsklassen nicht.

(Zurufe der Abgeordneten Große [DIE LINKE] - Zuruf von der SPD: Das ist ja richtig!)

Die Frage ist doch lediglich die Bewertung. Wir sind uns doch in einem einig: So, wie das System jetzt ist, funktioniert es nicht. Wir haben eine limitierte Zahl an Leistungs- und Begabungsklassen. Jetzt kann man wie Sie zu dem Ergebnis kommen, diese einfach abzuschaffen, oder man kommt zu einem Ergebnis wie wir und sagt, dass man sie dem Bedarf anpassen will. Ich glaube, es ist auch der bessere Weg, sie dem Bedarf anzupassen.

Liebe Frau Kollegin von Halem, wenn Sie in Ihrem Antrag eine quantitative Weiterentwicklung der Begabtenförderung fordern, dann kann das doch nicht heißen, dass Sie die Leistungs- und Begabungsklassen stark reduzieren wollen, was einer Abschaffung gleichkommt. Im Gegenteil: In der Antwort auf Ihre Kleine Anfrage zu den Leistungs- und Begabungsklassen wurde klar und deutlich gezeigt, dass sich diese Spezialklassen großer Nachfrage erfreuen, aber gleichzeitig eben nicht dem Bedarf angepasst sind.

Im Schuljahr 2008/2009 gab es 1 272 geeignete Bewerber auf 847 Plätze. Im darauffolgenden Schuljahr 2009/2010 wurden nur 854 Kinder von 1 494 angenommen. Das heißt aber gleichzeitig, dass für 33 bzw. 43 % der geeigneten Kinder kein Platz in den Leistungs- und Begabungsklassen vorhanden war, obwohl sie die Leistungsanforderungen erfüllen. Das heißt: Entweder passt man diese dem Bedarf an und öffnet sie für alle, oder man kommt zu dem Ergebnis, dass man sie abschafft, was wir jedoch nicht wollen. Wie erklären wir das eigentlich den Kindern und den Eltern, dass sie dort nicht hinein dürfen? Das wirkt demotivierend auf die Schülerinnen und die Schüler und ist vor allem der Beweis dafür, dass die Begrenzung der Leistungs- und Begabungsklassen jeder Grundlage entbehrt.

(Zurufe von der SPD und der Fraktion DIE LINKE: Wir brauchen die doch nicht!)

Darum fordern wir Liberalen in unserem Entschließungsantrag die Landesregierung auf, die Leistungs- und Begabungsklassen am Bedarf auszurichten und ein flächendeckendes Angebot zu schaffen.

(Zuruf von der SPD: Separierung!)