Protokoll der Sitzung vom 07.10.2010

(Erneuter Zuruf des Abgeordneten Bischoff [SPD])

- Hören Sie doch mal zu! Es kommt noch besser. - Der Stabilitätspakt bei Einführung des Euro sah vor, die Nettoneuverschuldung auf 3 % zu begrenzen. Kaum einer hält sich noch daran. Wir waren die Ersten, die darüber lagen. Nun fragen Sie mich doch mal, wann das war, Herr Bischoff; dann kann ich Ihnen auch erzählen, welche Regierung zum ersten Mal darüber lag. Mit vereinten Kräften, das heißt mithilfe anderer Sünder, haben wir es dann geschafft, dass - erstens - die daraus an sich abzuleitende Strafzahlung, die der Stabilitätspakt auch vorsah, verhindert wurde und - zweitens - die Kriterien für den Stabilitätspakt aufgeweicht wurden.

Einen zweiten Vergleich will ich anstellen: Die Verschuldungsgrenze war im Stabilitätspakt mit 60 % des Bruttoinlandsprodukts angesetzt. Damals lagen wir bei 40 %. Heute liegen wir bei 65 %! Ich will mir nun verkneifen, einen Vergleich zu der Erfolgsmeldung des Finanzministers von gestern über die Einhaltung der Kriterien des Stabilitätsrates zu ziehen. Das haben doch diejenigen beschlossen, die selbst gehalten sind, diese Kriterien einzuhalten. Natürlich wäre es kurios, wenn man ausgerechnet im ersten Jahr nach Verabschiedung der Kriterien diese nicht einhalten würde.

Meine Damen und Herren! Die Entwicklung - das Menetekel Griechenland, Irland, Portugal, Euro usw. - macht deutlich: Es gibt keine Alternative zum Verbot der Nettoneuverschuldung. Ein „Weiter so!“ wäre unverantwortlich gegenüber dem Staat und künftigen Generationen.

(Beifall CDU, FDP sowie GRÜNE/B90 - Bischoff [SPD]: Dann macht doch mit!)

Schon die Sanierungsmaßnahmen auf dem Weg zum ausgeglichenen Staatshaushalt, aber erst recht die Beseitigung von Zahlungsunfähigkeit des Staates trifft zuallererst diejenigen, die am ehesten auf den Staat angewiesen sind: die breite Bevölkerung, die sozial Schwachen, weniger die, die sich im Wesentlichen selbst helfen können. Öffentliche Schulden sind also auf lange Sicht unsozial.

(Beifall CDU und GRÜNE/B90)

Wir müssen daher jetzt die Schuldenbremse in unsere Verfassung aufnehmen. Die Umsetzung dieses Gebotes wird noch schmerzlich genug. Dabei geht es nicht darum, die Neuverschuldung schon ab dem Jahr 2011 auf null zu stellen, wie es der seinerzeitige SPD-Fraktionsvorsitzende in seinem Brief vom Juli dieses Jahres unterstellte. Klammerbemerkung: Aber 500 Millionen im kommenden Jahr sind trotzdem zu viel.

Der Vorschlag, den wir machen, greift den Finanzplan der derzeitigen Landesregierung auf, ab dem Jahr 2014 eine Nettoneuverschuldung von null vorzusehen.

Es eilt. Ich darf die Präsidenten der Rechnungshöfe von Bund und Ländern zitieren, die im Frühjahr dieses Jahres in einer Erklärung festgehalten haben, dass „das Nettoneuverschuldungsverbot nur dann eingehalten werden kann, wenn Maßnahmen zur dauerhaften Entlastung der öffentlichen Haushalte frühzeitig umgesetzt werden und die ersten Handlungskonzepte ab den Jahren 2011/2012 greifen“.

Nun kann man lange darüber streiten, ob Maßnahmen ausreichen oder die verfassungsrechtlichen Vorgaben gesetzt werden müssen. Damit bin ich bei den Finanzmärkten. Die vielen Äußerungen der letzten Wochen und Monate wecken Zweifel, ob jeder, der gehalten ist, dieses Verfassungsgebot umzusetzen, auch gewillt ist, das zu tun.

Deswegen hat der Recht, der sagt: Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik Deutschland signalisieren, dass wir es ernst meinen. Sie müssen wissen, dass es weder Schall und Rauch oder Sonntagsreden sind, sondern dass wir auf den Konsolidierungspfad zurückkehren wollen.

(Zuruf bei der SPD: Aha!)

So Herr Steinbrück, als er noch Finanzminister war.

Oder um noch einmal mit Dr. Nußbaum zu sprechen: Dieser Grundsatz muss in Verfassungsrang gehoben werden. Das steht auch für die Antragsteller von der FDP, den Grünen und der CDU außer Frage. An die Regierungskoalitionen appelliere ich: Lassen Sie uns dann über das Wie im Ausschuss reden. Schönen Dank.

(Beifall CDU, FDP sowie GRÜNE/B90)

Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete

(Görke [DIE LINKE]: Wir haben getauscht!)

Bischoff nicht, sondern er hat mit Herrn Görke getauscht. Bitte, Herr Görke, aber für die Linksfraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt eine Reihe guter Gründe, den vorliegenden Antrag auf Verfassungsänderung abzulehnen.

(Zuruf von der CDU: Ach so!)

Angesichts meiner knappen Redezeit möchte ich mich auf nur drei Punkte beschränken. Die Oppositionsfraktionen streben ein verfassungsrechtliches Verbot der strukturellen Neuverschuldung des Landes Brandenburg an, das abweichend von der Schuldenbremse im Grundgesetz bereits ab dem Jahr 2015 gelten soll. Diese zusätzliche rechtliche Regelung zur Untersetzung der Schuldenbremse ist aber gerade in Brandenburg überflüssig, da wir im Unterschied zu anderen Bundesländern die Neuverschuldung deutlich schneller reduzieren wollen, als dies durch die Schuldenbremse überhaupt vorgesehen ist.

(Zuruf des Abgeordneten Senftleben [CDU])

Die rot-rote Koalition, sehr geehrter Kollege Senftleben, will die Nettoneuverschuldung bekanntlich bis 2014 auf null zurückfahren. In Ihrem Gesetzentwurf, meine Damen und Herren von CDU, FDP und Grüne, pflegen Sie aus meiner Sicht einen nahezu kenntnisfreien und argumentationslosen Alarmismus, für den Sie angesichts der realen Lage überhaupt keine Berechtigung haben.

Zweitens: Für die angeregte Verfassungsänderung gibt es keine rechtliche Notwendigkeit. Bis 2020 gilt übergangsweise das Staatsverschuldungsrecht, wie es sich aus den jeweiligen Landesverfassungen ergibt. Die Übergangsfrist ermöglicht gerade das Nebeneinanderbestehen unterschiedlicher landesrechtlicher Regelungen bis zum Ablauf der Frist nach Artikel 109 des Grundgesetzes im Jahre 2020.

Zur Ausgestaltung der Übergangsfrist sind landesgesetzliche Regelungen - und so auch die Kommentare - nicht zwingend erforderlich. Folglich hat auch die Mehrzahl der Bundesländer keine gesetzgeberischen Schritte zur Umsetzung der Schuldenbremse unternommen und hält diese explizit momentan auch nicht für erforderlich.

Selbst in Schleswig-Holstein, wo der Landtag im Frühjahr dieses Jahres eine Übernahme in die Landesverfassung festgelegt hat, wurde die zehnjährige Übergangsfrist bis 2020 nur niedergeschrieben. Für Schleswig-Holstein sicherlich ein befriedigender Vorgang, für uns nicht unbedingt nachvollziehbar.

Drittens: Der vorliegende Antrag ist auch deshalb überflüssig, weil die Staatsverschuldung keine Folge unzureichender Rechtsvorschriften ist, sondern ihre Ursache, Herr Kollege Bischoff

(Bischoff [SPD]: Das war eine alte Rede!)

- entschuldigen Sie bitte; das war einmal so.

Herr Kollege Burkardt, bei den Sozialdemokraten war es auch mal eine Zeit lang so - das muss man ehrlicherweise sagen -, dass Steuersenkungspolitik und Privilegierung von Vermögen zu finden waren. Hinzu kommt nun durch die neue dufte Regierung in Berlin von Schwarz-Gelb diese ungerechte Lastenverteilung bei der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise. Ich sage nur Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Der Finanzminister hat hier gestern die Zahlen gesagt, die den Haushalt betreffen.

Für eine wirksame und nachhaltige Konsolidierung der Länderfinanzen sind weniger rechtliche Regelungen wichtig, sondern es müssen die finanzpolitischen Rahmenbedingungen der Länder verbessert werden. Hierbei können insbesondere Sie sich, meine Kolleginnen und Kollegen gerade der FDP und CDU, verdient machen, wenn Sie gegenüber der Bundesregierung die Rücknahme der Klientelgesetze für Großkonzerne, für die reichen Erben und die Hoteliers wieder einfordern.

Durch die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die Abtretung von Umsatzsteueranteilen des Bundes an die Länder wäre eine verbesserte Finanzierung zum Beispiel des Bildungswesens zu erreichen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie gesagt, Sie sehen, es gibt viele Möglichkeiten, sich für eine nachhaltige Konsolidierung der Länderfinanzen stark zu machen. Der von der Opposition gewählte Weg der Änderung der Landesverfassung ist aber nicht zielführend und findet daher nicht unsere Zustimmung. - Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE und SPD)

Die Abgeordnete Vogdt spricht für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Dass Herr Görke und seine Fraktion den Gesetzentwurf ablehnen, kommt nicht wirklich überraschend.

(Zuruf von der CDU: Genau!)

Auch ich sehe, die Rahmenbedingungen für die Aufnahme der Schuldenbremse in unsere Landesverfassung sind nach wie vor nicht rosig: millionenschwere Zinslasten, steigende Pensionsverpflichtungen, wachsende Sozialausgaben, Investitionsbedarf in Bildung und Forschung und sinkende Zuweisungen des Bundes aus dem Solidarpakt.

Aber Sie sollten nicht immer eine Ausrede suchen, um eine Schuldenbremse in die Verfassung unseres Landes aufzunehmen. Wenn wir unseren Kindern - wir haben gerade sehr viele hier im Raum - keinen Schuldenberg hinterlassen und verantwortungsvoll handeln wollen, dann ist jetzt die Zeit gekommen, umzusteuern.

(Jürgens [DIE LINKE]: Es ist schon ein riesiger Schul- denberg!)

Wir dürfen nicht permanent auf Kosten der nächsten Generation leben.

(Jürgens [DIE LINKE]: Das haben Sie 20 Jahre gemacht!)

Der hohe Schuldenberg nimmt diesen Generationen alle Möglichkeiten der Gestaltung. Wir dürfen unseren Kindern diese Zukunftslasten von erheblichem Umfang nicht hinterlassen, ohne dass diesen Gegenleistungen gegenüberstehen.

Eines muss uns klar sein: Es gibt immer weniger Mittel zu verteilen, also muss das Anspruchsdenken heruntergeschraubt werden. Das ist dem Bürger zu erklären.

(Beifall FDP und CDU)

Das dem Bürger zu erklären ist unsere Aufgabe, die der Politik.

(Bischoff [SPD]: Sehen wir gerade bei der Polizeire- form!)

Aber der steuerzahlende Bürger wird dies verstehen. Er kennt nämlich diese Probleme. Die Einkommen steigen wenig, die Ausgaben dafür umso mehr. Also werden seine Ausgaben zwangsläufig der Einkommenslage angepasst. Dies muss auch in öffentlichen Haushalten möglich sein. Darum geht es bei der Einführung der Schuldenbremse in unsere Landesverfassung.

Es geht um die Verantwortung gebenüber künftigen Generationen. Es geht aber auch um die Wahrheiten, die der Schuldenbremse folgen müssen und auch folgen werden, wenn es um die Umsetzung geht.

Die Zeiten, dass das Land mit Zustimmung oder sogar auf Forderung seiner Bürger über seine Verhältnisse gelebt und immer mehr ausgegeben als eingenommen hat, müssen beendet werden.