Protokoll der Sitzung vom 18.12.2002

(Schulze [SPD]: Es empfiehlt sich, die Verfassung zu lesen!)

- Da wir bei der Verfassung sind - ich danke Ihnen, Herr Kollege, für diesen Einwurf -, darf ich daran erinnern, dass die Vizepräsidentschaft im Landtag, die wir voriges Mal angesprochen haben, ein wichtiges Thema demokratischen Grundverständnisses ist und bei der Debatte darüber die Verfassung falsch ausgelegt, dass sogar falsch zitiert wurde, dass behauptet wurde, dass es Gutachten gäbe, die es tatsächlich nicht gibt.

(Dr. Woidke [SPD]: Das behaupten Sie! - Minister Speer: Olle Kamellen!)

Es würde reichen, die eigenen Entwürfe, die eigenen Protokolle, die im Jahre 1992 zur Verfassung erstellt wurden, zu lesen, um zu wissen, wie es konkret war.

(Beifall FDP - Schulze [SPD]: Er kommt nach 20 Jahren und erklärt es uns!)

Es gibt weitere Demokratiedefizite, die wir als FDP in Zusammenarbeit mit allen Fraktionen, die da guten Willens sind, angehen werden. Ich erinnere daran, dass die Kommunalverfassung erst vor kurzem angepasst, geändert wurde und dass Fraktionsstärken in der Kommunalverfassung angehoben wurden, in Kreistagen auf vier Sitze, in vielen größeren Städten auf drei oder auch auf vier Sitze. Das ist undemokratisch. Es benachteiligt in wenigen Kreistagen, kreisfreien Städten uns, es benachteiligt vor allem GRÜNE, benachteiligt Bürgerinitiativen, benachteiligt viele kleine Gruppierungen, die in die Kreistage,

in die Stadtverordnetenversammlungen gewählt worden sind, weil einige wenige Große sich einig waren.

Ich habe im Wahlkampf in verschiedenen Diskussionen mit viel Wohlwollen gehört - Herr Christoffers hat den Saal gerade verlassen -, dass Herr Christoffers gesagt hat: Von uns, von der Linken kam das nicht. Wir sehen das eigentlich anders.

Wir haben den Gesetzentwurf eingebracht. Er wird im Dezember hier beraten werden. Ich bin gespannt, wie wir uns dann dazu verhalten werden und was dann an Zustimmung kommt. Wenn die Zustimmung so groß ist wie avisiert, dürfte es kein Problem sein, diesen Fehlgriff, diese Regelung aufzuheben und für mehr Demokratie in den Kreistagen und Städten und Gemeinden in Brandenburg zu sorgen.

(Beifall FDP, CDU und GRÜNE/B90)

Wir haben gehört, meine Damen und Herren, dass es die Brandenburger sind, die die Kraft unseres Landes ausmachen. Das ist richtig, denn die Regierung ist es nicht. Wir haben viel gehört: „Reichtum für alle!“ - viel Sozialromantik, die heute verbreitet worden ist, leider wenig Konkretes. Die neue Kraft, die eigentlich zu erwarten gewesen wäre, der Aufbruch in ein neues Zeitalter waren hier heute nicht zu spüren. Was wir sehen, ist neue Kraft allenfalls unter den Motorhauben der Dienstwagen, nicht aber in dieser Landesregierung.

(Beifall FDP und CDU)

Es wäre heute, in dieser Regierungserklärung viel zu erklären gewesen. Das ist nicht erfolgt. Schade!

(Beifall FDP und CDU - Zuruf von der SPD: Peinlich!)

Herzlichen Dank. - Für die Fraktion DIE LINKE erhält nun die Abgeordnete Kaiser das Wort. Bitte schön!

Frau Vizepräsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Mein Vorredner hat vorhin bemängelt, dass die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten, die heute ja zur Debatte steht, ihm irgendwie nicht genug erklärt hat. Manchmal helfen Erklärungen nicht unbedingt weiter. Mir steht die ganze Zeit die Frage vor Augen, ob Sie es denn seit gestern Abend geschafft haben, sie zu lesen. Möglicherweise haben Sie das nicht geschafft. Mir wäre daran gelegen, dass wir uns anhand der Dinge auseinandersetzen, die geschrieben sind, die gesagt werden, und nicht anhand derer, die man zu hören meinte. Ich will mir große Mühe geben, mich an diesen Vorsatz zu halten.

(Zuruf von der CDU: Mühe allein genügt nicht!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach zehn Jahren rotschwarzer Regierungskonstellation in Brandenburg gibt es nun eine neue Regierungskonstellation, eine andere, in Brandenburg noch nie dagewesene - sagen einige - Regierung, und das stimmt ja auch: Rot-Rot. Herr Dombrowski sagt: Das ist vollkommen ohne Not passiert. - Das kann man so sehen.

Regierungswechsel gab es in diesem Land 1990, 1994, 1999 und 2009. Wir alle teilen die Erfahrung, dass sich im Ergebnis demokratischer Wahlen Kräfteverhältnisse verändern können und demzufolge auch Regierungen. Was mich nur wundert, ist, sehr geehrte Frau Prof. Wanka, dass Sie das so wundert und empört. Das hat Ihre Fraktion offenbar regelrecht verunsichert.

(Frau Prof. Dr. Wanka [CDU]: Sie müssen hinhören! - Oh! bei der CDU)

Ich denke, dass diese Regierung auf der Grundlage einer größeren politischen Schnittmenge der Inhalte zustande gekommen ist, die da sind und die jetzt Priorität des gestaltenden Handelns sein sollen. Es gibt also eine andere politische Mehrheit in diesem Land aufgrund dieser Schnittmengen und die Fähigkeit zu Kompromissen, die Sie uns - das hoffe ich - nicht vorwerfen wollen. Und: Eine Mehrheit - das weiß ich - hat nicht immer Recht.

(Dombrowski [CDU]: Keine Frage!)

Eine Mehrheit regiert, und sie hat, wie gesagt, nicht immer Recht. Dessen sind wir uns von der Linken sehr wohl bewusst. Die Brandenburgerinnen und Brandenburger haben gewählt, weil sie - das war jedenfalls das Ergebnis einer Umfrage, nicht einer, die die Linke selbst gemacht hätte, sondern einer öffentlichen - vier Hauptthemen und Sorgen hatten, Fragen bezüglich ihrer Zukunft. Das waren erstens die Fragen Arbeit, von der man existenzsichernd leben kann, zweitens die Zurückdrängung der Armut,

(Frau Prof. Dr. Wanka [CDU]: Das haben wir ja ge- schafft!)

drittens das Anliegen, Bildung sozial gerechter und zukunftsfähiger für alle zu sichern und viertens das Thema, die Lebensverhältnisse in Städten und Gemeinden so zu gestalten, dass sie für alle bezahlbar und auskömmlich sind. Das sind die Sorgen der Leute im Land.

Deshalb lassen Sie mich den Gedanken des Ministerpräsidenten aufnehmen: Ja, diese Koalition handelt aus der gesamten Brandenburger Gesellschaft heraus, weil diese Anliegen zu vertreten sind. Ich hoffe, das werden wir ganz selbstverständlich in Verantwortung für das ganze Land in der nächsten Zeit auch können. Wir sind dabei offen für gute Ideen, wenn sie helfen, die Demokratie zu entwickeln und die soziale Gerechtigkeit zu fördern. Das ist unser Maßstab. Wir fragen da nicht, aus welcher Fraktion sie kommen, sondern wir fragen, was sie bewirken, diese Ideen und Vorschläge. Wir suchen - das möchte ich an dieser Stelle unterstreichen - die Kooperation mit allen im Parlament und außerhalb des Parlaments, die dazu bereit sind. Wir wünschen uns den politischen Wettstreit und den politischen Wettbewerb für Brandenburgerinnen und Brandenburger. Das gilt hier im Parlament, und erst recht gilt es im ganzen Land.

Diese Koalition hat sich in schwierigen Zeiten und möglicherweise für noch schwerere Zeiten zusammengefunden. Übrigens war das eine Aussage von Frau Blechinger bei der Debatte zur Regierungserklärung 1999: Diese Koalition hat sich in schwierigen Zeiten zusammengefunden. - Offenbar hat man diese Einschätzung zu verschiedenen Zeiten auch so getroffen. Wir bejammern das ausdrücklich nicht, sondern wir sehen das als

Herausforderung. Diese Koalition hat sich gefunden, damit unser Land erfolgreich auf dem bisher Erreichten aufbauen, die gegenwärtige Wirtschaftskrise meistern und seinen Weg in eine gute Zukunft für alle Bürgerinnen und Bürger fortsetzen kann für alle.

Gemeinsinn und Verantwortung - wenn wir in dieser Situation davon sprechen, dann meinen wir eben keine Klientelpolitik oder Parteiinteressen. Unsere Stärke resultiert nicht aus der einfachen Addition von Interessengruppen oder verschiedenen Einzelinteressen, und es darf auch nicht darum gehen, manche Leute einfach nur bei der Stange zu halten oder Leute ruhigzustellen, sondern wir sagen: Es geht uns um eine Stärke der verantwortlichen Politik, die Abwägungen trifft, die Entscheidungen trifft; denn nicht alles, was gut für den Einzelnen, für Gruppen oder Regionen wäre, ist dann unter den zu erwartenden Bedingungen akzeptabel für das ganze Land.

In dieser Art, wie wir Politik machen, nehme ich die Schlussfolgerungen aus dem Herbst 1989 ernst - wie auch Sie -, nämlich nicht selbstherrlich über die Köpfe der Betroffenen hinweg, nicht einseitig und nicht voreingenommen zu entscheiden. Das hieß vor 20 Jahren: Erst kommt das Land, dann eine Partei. Wir werden uns mit unseren Abwägungen der Öffentlichkeit stellen und die Öffentlichkeit mit ihren Abwägungen beteiligen. Gemeinsinn und Verantwortung - das wird alltäglicher Maßstab dieser Koalition sein. Gemeinsinn und Verantwortung - das ist aber auch mehr als nur eine Leitidee für Regierungs- und Verwaltungshandeln. Wir verstehen unter Gemeinsinn ausdrücklich nicht die Ansage von Eliten, wonach die einen den Gürtel enger schnallen müssen und die anderen davon profitieren.

Verantwortliche Politik muss besonders in dieser Krisensituation auf das Wohl aller zielen. Das heißt für uns, die Schwachen zu stärken. Verantwortung ist ein gesellschaftlicher Wert und nicht das Monopol von Eliten. So verstehen wir eben auch Gemeinsinn als Wert im politischen Handeln, der auf das Gemeinwohl zielt. Und, meine Damen und Herren, wie weit und wie gut diese Politik trägt, hängt auch davon ab, wie wir hier im Landtag miteinander und mit den Problemen unseres Landes umgehen. Wir - das sind Sie - jetzt in der Rolle der Opposition - und wir in den Regierungsfraktionen. Die Linke verstand und versteht Opposition ausdrücklich nicht als Blockade um ihrer selbst willen, und Regieren heißt nicht prinzipielle Abwehr aller oppositionellen Vorschläge. Das hat Herr Woidke hier, denke ich, auch schon erläutert. Diesen Ansatz unterstütze ich. Sie haben uns das jahrelang anders vorgemacht. Wir werden diesem Beispiel nicht folgen.

(Beifall DIE LINKE)

Die Menschen im Land wollen ja nicht starke Worte. Wenn einige Ihrer Bundestagsabgeordneten äußern: Jetzt gilt es, deutlich zu machen, wie sehr diese Koalition dem Land Brandenburg schaden wird, dann sage ich: Sei's drum, wenn das ihr Begehr ist. Aber starke Worte helfen nicht, sondern wir brauchen starke Argumente und kluge Gedanken und Vorschläge. Die Menschen wollen was von Ihnen und was von uns, und sie wollen wissen, was unter diesen Bedingungen gehen kann, was die Zukunft sichert, und sie wollen nicht wissen, was nicht geht.

(Zuruf des Abgeordneten Dombrowski [CDU])

Frau Prof. Wanka, ich weiß, Sie können lesen, und Sie können rechnen, und ich würde das auch jederzeit öffentlich immer unterstützen - absolut. Mich erfüllt auch eine gewisse Freude, dass Sie in der jetzigen Situation nun Gysi, Bisky und Lauterbach lesen. Vielleicht kann man darüber auch wirklich mal inhaltlich diskutieren. Das wäre mein Wunsch. Aber ich bitte Sie doch noch einmal zu überprüfen, ob Ihrer Fraktion der gesamte Koalitionsvertrag mit allen Seiten und auch die vollständige Regierungserklärung zugegangen ist; denn so vieles kann man nicht überlesen, was Sie heute alles vermisst haben wollen.

(Beifall DIE LINKE)

Vielleicht war es auch schwierig, bei dem Lärm in Ihren eigenen Reihen zuzuhören, als der Ministerpräsident hier seine Regierungserklärung gegeben hat. Dennoch: Ich teile sehr persönlich auch Ihr Unbehagen, das Sie hatten, als es während der Sondierung und der Koalitionsverhandlungen immer hieß: Platzeck hat die Wahl zwischen zwei Frauen. - Mir hat das auch nicht besonders gut gefallen. Das gebe ich zu - da sind wir uns, glaube ich, einig -, denn es ging ja nicht um eine Liebesheirat oder so etwas. Aber ich wünsche trotzdem auch sehr persönlich, dass Sie schnell aus Ihrer Rolle der enttäuschten, der verschmähten Braut herausfinden.

(Beifall DIE LINKE)

Auf Bundesebene regieren Sie nun mit der FDP, und es ist leider abzusehen, dass diese Regierung dort keine sozialen Wohltaten verbreitet und auch für unser Land die Rahmenbedingungen weiter verschlechtert. Das ist das Problem, nicht der Wechsel an sich. Hieße es da nicht - das ist meine Frage - durch verantwortliches oppositionelles Handeln, Frau Wanka, Herr Goetz, für Brandenburg mit uns hier zusammen die Zumutungen Ihrer Farbenbrüder in Berlin abzuwehren? Aber Sie erzählen hasenherzig Ihre Geschichte davon, was alles in Brandenburg nunmehr nicht geht; vor allem gehe nicht, dass Sozialdemokraten und Linke zusammen regieren. Schon gar nicht geht Ihrer Meinung nach, was sie gemeinsam erreichen wollen. Sie schließen also messerscharf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.

Dabei haben Sie - und das hat mich denn doch schon sehr verwundert - heute bei Äußerungen des Ministerpräsidenten protestiert, für die Sie in einer anderen Regierungskonstellation durchaus Beifall gespendet hätten. So etwas verwundert mich. Das hätte ich nicht gedacht.

Lassen Sie mich noch einmal auf Ihre beiden Argumente „geht nicht“, „geht gar nicht“ eingehen. Große Aufregung gibt es derzeit, weil die Linke auf den Monat genau 20 Jahre nach dem Fall der Mauer in die brandenburgische Landesregierung eintritt. Das kann ich gut verstehen; denn gerade solche Jubiläen rufen auch schmerzhafte Erfahrungen wach, sie erinnern uns da meine ich Sie und uns, die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE - an jene Erkenntnisse, die zum Bruch mit der DDR geführt haben.

Doch, meine Damen und Herren! Dass uns die Situation von vor 20 Jahren jetzt wieder so nahe ist, bedeutet doch nicht, dass die letzten 20 Jahre nicht existent waren, dass die friedliche Revolution erst gestern ausgebrochen ist. Die Warnung von Christa Wolf vor den politischen Wendehälsen ist doch nicht erst gestern, sondern im November vor 20 Jahren ausgesprochen worden. Allerdings haben wir heute erlebt, dass sie vielleicht auch

aktuell ist. Es gibt ja auch Landtagswahlprogramme von ehemals Regierenden, die die Opposition zur eigenen Regierungspolitik festgeschrieben hatten. Aber sei's drum.

Meine Damen und Herren! Es weiß doch jeder von uns, dass die Linke nicht deshalb in die Landesregierung eintritt, um die SPD in eine Zwangsvereinigung zu drängen und ein neues Blockflötenorchester zu dirigieren. Die Linke will weder VEBStrukturen noch Alu-Chips wieder einführen. Wie gesagt, das weiß jeder.

Einige grundlegende Erkenntnisse teilen wir ja denn doch. Das heißt, Sie wissen, dass wir wissen, und wir wissen, dass Sie wissen. Erstens - das sage ich nicht zum ersten Mal in diesem Landtag -: Die DDR ist an ihren diktatorischen Strukturen, an fehlenden demokratischen und Bürgerrechten gescheitert. Sie scheiterte an der Unterdrückung von Wahrheit,

(Dombrowski [CDU]: An Ihnen ist sie gescheitert!)

an ihrer wirtschaftlichen Ineffizienz und auch an ihrer Ignoranz gegenüber ökologischen Problemen.

Ich denke, dass der Koalitionsvertrag diese Schlussfolgerung durchaus aufnimmt.

Zweitens: Wir sitzen alle hier in diesem Landtag, weil wir solche Verhältnisse eben nicht wieder wollen, weil wir auf dem Weg von Demokratie und Meinungsfreiheit, von sozialer und ökologischer Marktwirtschaft die Gegenwart gestalten und die Zukunft erreichen wollen. Dafür wurden wir hier alle gewählt. Zum Glück sitzen in diesem Landtag nur demokratische Parteien.

(Beifall DIE LINKE)

Drittens: Nur in diesem Sinne haben wir einen klaren Schlussstrich gezogen, nur in diesem Sinne sind wir die große Schlussstrichkoalition, die Sie so oft kritisieren - Sie und wir gemeinsam. Diesen kritischen, ungeschönten Blick auf die Vergangenheit sowie Respekt und Unterstützung für die Opfer müssen und wollen wir uns erhalten. Dieser Blick aber, meine Damen und Herren, darf nicht durch leichtfertige Gleichsetzung des rot-rot regierten Brandenburgs mit Honeckers DDR verstellt werden oder - ich weiß nicht, was schlimmer ist - durch den unfassbaren Vergleich des Ministerpräsidenten mit Paul von Hindenburg. Das ist schon böse und ehrabschneidend.