Wenn wir diese Probleme nicht in den Griff bekommen, werden wir auch ein inklusives Bildungssystem nicht hinbekommen. Wir müssen an den Problemen im Regelschulsystem arbeiten, bevor wir in ein inklusives Bildungssystem einsteigen. Das schließt nicht aus, dass man Probeschulen einrichtet und dass man auch weiterhin in Grundschulen Inklusion stattfinden lässt.
Man braucht in dieser Frage auch eine Einbindung der Kommunen; denn man bekommt am Ende ein inklusionspädagogisches Konzept nur dann hin, wenn man es mit dem Schulträger zusammen erstellt. Ich verstehe zum Beispiel überhaupt nicht, warum man, wenn man heute Schulen umbaut oder neu baut, nicht auf die Idee kommt, diese zu Inklusionsschulen umzubauen oder neu zu bauen. Das passiert an vielen Schulen überhaupt nicht. In meinem eigenen Wahlkreis in Prenzlau geschieht es nicht. Insofern gehört das natürlich auch zum Gesamtkonzept.
Dem Antrag der CDU stimmen wir zu, weil darin dieses Anliegen aufgegriffen und gesagt wird: Wir müssen erst das Regelschulsystem ändern und die Situation in den Regelschulen so herstellen, damit wir uns auf den Weg in ein inklusives Schulsystem machen können. Insofern ist das richtig. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Büttner. - Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE fort. Frau Abgeordnete Wöllert wird sprechen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Büttner, das Zusammenlegen einer Grundschule und einer Förderschule geht eben auch nicht von heute auf morgen; auch das muss wachsen, und dieser Prozess braucht Zeit. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU: Im ersten Absatz Ihres Antrags nennen Sie durchaus richtige Sachen, diesen ersten Absatz tragen wir inhaltlich durchaus mit. Darüber hinaus freut uns, dass in Ihrem Antrag auch der Gedanke der Inklusion aufgegriffen wird, der im von Ihnen aufgeführten Artikel 24 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen als inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen im lebenslangen Lernen beschrieben wird. Dabei haben Sie Ihre Ausführungen aber leider auf zwei Ziele der UN-Konvention reduziert und das dritte, wichtige Ziel der Befähigung zu einer wirklichen Teilhabe an einer freien Gesellschaft völlig unberücksichtigt gelassen.
Gerade dieses Ziel darf nicht unterschlagen werden, wenn man den Paradigmenwechsel der Konvention, nämlich die Abkehr vom Defizitverständnis von Behinderung und vom Fürsorgeprinzip zur Hinwendung zu einem sozialen Verständnis und zum Selbstbestimmungsgedanken ernst nimmt. Deswegen bin ich über das „Aber“, Herr Büttner - ich weiß, Sie bekennen sich zur Inklusion sonst ohne Wenn und Aber -, schon sehr erstaunt.
Selbstverständlich hat die Umsetzung der Konvention einen Prozesscharakter, gilt es doch nicht nur, sichtbare, hörbare oder fühlbare Barrieren abzubauen oder Gesetze zu ändern, nein, ich glaube, viel schwerer abzubauen sind die Barrieren, die noch immer in den Köpfen sind.
Frau Abgeordnete, ist Ihnen bekannt, dass es in der UN-Konvention auch „Nichts ohne uns und nichts gegen uns“ heißt und dass sich gerade die Betroffenen bei den Regionalkonferenzen darüber beklagt haben, dass die Situation an ihren Schulen eben nicht so ist, wie offiziell beschrieben wird, und dass schon jetzt ein Drittel der Schüler mit dem sonderpädagogischen Schwerpunkt „Lernen“ in Regelschulen geht, ohne dass dort die entsprechenden Voraussetzungen dafür existieren?
Wenn Sie noch etwas Geduld gehabt hätten, hätten Sie auf diese Frage im Laufe meiner Rede eine Antwort erhalten, Frau
Blechinger. Natürlich kenne ich das Prinzip „Nichts ohne uns und nichts gegen uns“. Das ist ein selbstverständliches Prinzip; ich komme gleich darauf zurück. - Es gibt einen grundsätzlichen Dissens zwischen der Bildungspolitik und dem Umgang mit dem Thema inklusive Bildung. Sie von der CDU verfolgen den bildungspolitischen Ansatz der Gliederung eines Schulsystems in verschiedene Schulformen, denen die Kinder zugeordnet werden, und das meist möglichst frühzeitig. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist bei allen formulierten guten Absichten genau das Gegenteil von Inklusion. Wir werden - das haben wir vor gut einem Jahr hier schon einmal diskutiert - nicht das Ziel verfolgen, zwei Schulsysteme nebeneinander anzubieten: ein inklusives, in dem alle Kinder enthalten sind, und ein gegliedertes, denn das ist ein Widerspruch in sich.
Selbstverständlich entsteht ein inklusives System, wie die UNKonvention verlangt; sie spricht nämlich vom Recht aller Kinder auf Regelbildung - das Recht haben wir umzusetzen -, und zwar nicht dadurch, dass einfach Förderschulen geschlossen werden - da sind wir uns doch völlig einig - und sich sonst nichts ändert. Mit anderen Worten: Erst müssen die Voraussetzungen für inklusive Bildung da sein, dann kann eine Förderschule schließen - auch da sind wir uns einig. Das aber geht nicht in ein oder zwei Jahren - nirgendwo in Deutschland. Ich bin allerdings der festen Überzeugung: Wir sind hier im Land schon viel weiter als Sie mit Ihrem Antrag.
Jetzt komme ich auf Ihre Frage: In der Antwort auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Jürgen Maresch aus meiner Fraktion, wie die Landesregierung die Ziele formuliert, die sie mit inklusiver Bildung erreichen will, heißt es:
„Inklusive Bildung wird über die Umgestaltung der allgemeinen Schule zur barrierefreien Schule erreicht. Barrierefreie Schule beinhaltet sowohl die materiell sächlichen und die personellen Rahmenbedingungen der Zugänglichkeit von Schulen für eine gleichberechtigte Teilhabe als auch die Barrierefreiheit in den Köpfen aller Beteiligten.“
Meine Damen und Herren von der CDU, Sie versuchen jetzt Ihr Süppchen daraus zu kochen und vermischen die falschen Zutaten. In den letzten Monaten haben diese Diskussionen zur Schließung von Förderschulen geführt; Sie haben es heute thematisiert. Herr Büttner, Sie haben bei der Antwort einfach nicht zugehört; das ist ein völlig anderer Sachverhalt. In der Förderschule Guben sind es zu wenige Kinder; es hat nichts mit Inklusion zu tun.
Zum anderen möchte ich Ihnen noch sagen, dass es fünf Regionalkonferenzen gab - alle Beteiligten sind dabei gewesen - und eine Schlussfolgerung, weil nichts gegen die Menschen mit Behinderungen, sondern nur mit ihnen stattfindet, ist: Das Bildungsministerium veranstaltet noch weitere Regionalkonferenzen im Sommer, um dieses Prinzip durchzusetzen. Wir haben einen Maßnahmenkatalog beschlossen, in dem all das steht. Wenn Sie das gelesen hätten, hätten Sie bemerkt, dass das ein völlig überflüssiger Antrag ist. - Danke!
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Wöllert. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort. Frau Abgeordnete von Halem hat das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn Sie gerade etwas anderes im Kopf haben: Förderschulen brauchen natürlich eine Perspektive - wie wir alle. Wenn wir morgens aufstehen, wollen wir wissen, wohin der nächste Schritt führt. Perspektive muss aber nicht Fortführung auf gleichem Niveau, sondern kann auch einen schrittweisen Rückbau bedeuten. Wenn wir auch einen Großteil des Antrags der CDU 1:1 unterschreiben können, fehlt uns doch ein eindeutiges Bekenntnis zum schrittweisen Umbau unseres Bildungssystems hin zu weniger Förderschulen und mehr Inklusion.
Warum brauchen wir eigentlich eine inklusive Schule? Erstens: Förderschulen fördern zu wenig. Insbesondere die Untersuchungen von Prof. Wocken belegen eindeutig, dass die Intelligenz und Leistungswerte eines Kindes sinken, je länger es eine Förderschule besucht. Das liegt nota bene nicht an den mangelnden Qualitäten des Personals, sondern an der abwechslungsarmen Umgebung.
Zweitens besteht wissenschaftlicher Konsens darüber, dass Kinder ohne speziellen Förderbedarf bei inklusiver Beschulung und entsprechend individualisiertem Unterricht genauso gute Lernerfolge und gleichzeitig erheblich bessere soziale Kompetenzen erzielen.
Drittens leuchtet mir ein, was mir ein skandinavischer Unternehmer einmal sagte: Natürlich würde er Menschen mit Behinderungen viel eher einstellen als jemanden, der den Umgang mit solchen Menschen nie als selbstverständlich erlebt hat.
Bei einer Untersuchung der Inklusionsquoten in 29 europäischen Ländern steht Deutschland auf Platz 28. Weniger als 20 % der Kinder mit Förderbedarfen werden inklusiv beschult. Der europaweite Anteil liegt bei 85 %. Brandenburg liegt unter dem deutschen Mittelwert, wobei der Inklusionsanteil in der Kita erheblich höher ist als in der Sekundarstufe.
Damit kommen wir zum Kern des Problems: In Brandenburg erreichen 95 bzw. 96 % der Förderschüler keinen Hauptschulabschluss. Das sind diejenigen, die einen erheblichen Anteil der 11 % ausmachen, die in Brandenburg die Schule ohne Abschluss verlassen. Sie sind die Verlierer der Brandenburger Bildungspolitik, die unsere Unterstützung am nötigsten hätten. Und sie bräuchten weniger die im Antrag geforderte bundesweite Anerkennung von Förderschulabschlüssen, sondern vielmehr einen Hauptschulabschluss bzw. die Berufsbildungsreife; darum geht es.
Worauf müssen wir bei Inklusion achten? - Erstens ist es das A und O: Es darf kein Absenken der Förderqualität geben; das ist
das Allerwichtigste. Das bezieht sich auf die personelle wie auf die sächliche Ausstattung und hat wahrscheinlich zur Folge, dass die Siebenmeilenstiefel erst einmal im Schrank bleiben.
Frau Abgeordnete, woraus leitet sich Ihre Überzeugung ab, dass Schüler mit Lernbehinderungen an der Regelschule eher einen Hauptschulabschluss erreichen als an einer Förderschule, die sie individuell fördert?
Damit Integration gelingt, brauchen wir in ausreichendem Maße Sonderpädagogen an Regelschulen, und wir müssen schon während der Ausbildung alle künftigen Lehrkräfte mit sonderpädagogischem Grundwissen ausstatten und allen anderen Lehrkräften Weiterbildung im laufenden Verfahren ermöglichen.
Zweitens: Es geht nicht nur darum, wie von der CDU gefordert, dass die Landesregierung mit den Schulträgern die Perspektiven der Förderschulen aufzeigt, nein, es müssen alle Betroffenen einbezogen werden: Schülerinnen und Schüler, Eltern, pädagogisches Personal, Vereine und Verbände. „Nichts über uns ohne uns“ - so lautet die Maxime. Aus diesen beiden zentralen Grundbedingungen ergibt sich drittens, dass Förderschulen - zumindest vorerst - unverzichtbar sind. Denn vergessen wir nicht: Artikel 24 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verpflichtet uns mitnichten zur Abschaffung der Förderschulen, sondern vielmehr dazu, für Menschen mit Behinderungen innerhalb des allgemeinen Bildungssystems die notwendige Unterstützung bereitzuhalten, um ihnen Bildungserfolge zu ermöglichen.
Ja, den Satz noch zu Ende: Der Wunsch der Betroffenen bzw. der sie dabei vertretenden Eltern hat höchste Priorität. Begreifen wir diese Konvention als Chance nicht nur für Menschen mit Behinderungen, sondern für uns alle! - Frau Wöllert.
Frau von Halem, stimmen Sie mir zu, dass die Landesregierung mit der Absicht - das ist schon beschlossen -, wieder Sonderpädagogen im Land Brandenburg auszubilden, auf dem richtigen Weg ist, um auch die personellen Voraussetzungen für Inklusion zu schaffen?
Ich bin durchaus der Meinung, dass wir bei der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern, und zwar aller Couleur, besser mit Berlin zusammenarbeiten sollten, und dass die Grundsatzfrage, warum das nicht gelingt, nicht unbedingt und ausschließlich damit zu beantworten ist, dass wir das in Brandenburg unbedingt auch machen.
Der letzte Punkt: Was darf auf keinen Fall passieren? Psychotherapeuten fragen ihre Klienten manchmal, was sie denn tun müssten, damit sie ihr Ziel auf keinen Fall erreichen. Das nennt sich eine paradoxe Intervention. Übertragen auf die vorliegende Fragestellung ist die Antwort Folgende: Wenn Kinder mit besonderem Förderbedarf schon heute gemeinsam mit anderen unterrichtet werden, dann stehen ihnen zusätzliche Lehrkräftewochenstunden zu. Damit wird im Rahmen des sonderpädagogischen Förderbedarfs der notwendige Unterricht in Kleingruppen bzw. per Einzelförderung abgedeckt. Wenn - wie vielerorts in Brandenburg immer wieder berichtet wird - diese spezielle Förderung der Deckung von Vertretungsbedarf zum Opfer fällt, dann braucht sich niemand zu wundern, wenn die Angst vor inklusiver Beschulung unter den Betroffenen wächst.
Da nimmt das Ministerium sehenden Auges in Kauf, dass diejenigen, die der Unterstützung am meisten bedürften, wieder mal am kürzesten Hebel sitzen.
Minister Rupprecht hatte zu Anfang der Legislaturperiode zur Chefsache erklärt, die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss reduzieren zu wollen. Genau das täte man mit guter inklusiver Beschulung. Passiert ist wenig, und jetzt geht sogar wohl der Anspruch unter der allradgetriebenen Macht der Sparbeschlüsse unter. Wir sind gespannt, mit wie viel PS die neue Ministerin das Thema fährt. Allerdings muss ich ehrlich sagen: Die Antwort auf die heute früh gestellte Frage nach der Zukunft der Förderschule in Guben, wo die Möglichkeit inklusiver Beschulung überhaupt nicht einbezogen wurde, hat mir nicht sehr viel Mut gegeben.