Protokoll der Sitzung vom 13.04.2011

Dass die Initiatoren der Volksinitiative sich veranlasst sahen, den Text so dehnbar und allgemein zu formulieren, ist den restriktiven Regelungen in Brandenburg zur Volksgesetzgebung geschuldet. Sobald eine Volksinitiative direkt oder indirekt Auswirkungen auf den Haushalt hat - welches relevante Thema hätte keine Haushaltsauswirkungen? -, riskiert sie, wegen Haushaltsrelevanz für unzulässig erklärt zu werden. Dieses Risiko wollten die Initiatoren nicht eingehen. So sind Forderungen zum Stellenabbau und zu Polizeiwachen vermieden worden. Die Gewerkschaftsvertreter und die kommunalen Verantwortungsvertreter haben zwar immer die Definitionen mitgeliefert, welche Kriterien sie an eine leistungs- und handlungsfähige sowie wahrnehmbare Polizei in allen Regionen anlegen, aber formulieren durften sie das nicht. Die Bürger haben diese mitgelieferten Interpretationen auch immer im Kopf gehabt, als sie unterschrieben. Aber dokumentiert werden konnte das nicht.

So haben wir jetzt eine geradezu absurde Situation: Der Landtag nimmt einstimmig eine Volksinitiative an, obwohl allen klar ist, dass das, was die Mehrheit dieses Landtages durchsetzen will, gerade nicht mit dem Willen dieser 100 000 Bürger, die unterschrieben haben, zusammengeht.

Vermutlich wird die Annahme der Volksinitiative noch als Sieg der direkten Demokratie vermarktet: Seht her, der Landtag hat die Volksinitiative einstimmig unverändert angenommen. Welche Verhöhnung! Diese Volksinitiative zeigt erneut, wie dringend unsere Volksgesetzgebung reformiert werden muss.

(Beifall GRÜNE/B90 und vereinzelt CDU)

Der strikte Haushaltsvorbehalt muss fallen, und die Hürden für Volksbegehren müssen gesenkt werden. Der Wille der Bürgerinnen und Bürger muss ernst genommen werden.

Zugleich mit der Befassung der Volksinitiative liegt nun seit dem 1. April der bitterernste Bericht der Aufbaustäbe vor. Wer auf Kurskorrekturen unter der Ägide von Dr. Woidke gehofft hatte, sieht sich enttäuscht. Das Stellenabbauprogramm von Rainer Speer - Zielzahl 7 000 und 15+x - schreitet voran. Standortschließungen, Minimalreviere, erhebliche Löcher in der Fläche zwischen einzelnen Inspektionen, bedenklicher Abbau bei der Kriminalpolizei, größere Städte wie Frankfurt (Oder) , Eberswalde und Falkensee mit Revieren ohne Rundum-die-Uhr-Besetzung - diese Vorschläge sind mit dem Anliegen der Volksinitiative nun wirklich nicht vereinbar.

„Der Landtag bewertet die Volksinitiative anhand ihres Wortlautes als eine Befassungsinitiative“, heißt es in der Stellungnahme des Innenausschusses, die auch der Beschlussfassung des Hauptausschusses zugrunde liegt. Wir wollen noch einmal darauf hinweisen, dass im Wortlaut der Volksinitiative auch von „Überprüfung“ und „Korrektur“ die Rede ist. Auf Initiative der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wurde die Annahme der Volksinitiative mit einer neuerlichen Befassung vor der Sommerpause verknüpft. Nur unter dieser Prämisse ist die Beschlussempfehlung für uns überhaupt zustimmungsfähig. Ursprünglich war eine Befassung im I. Quartal 2012 vorgesehen; dann wären aber wirklich alle Messen gesungen gewesen. Wenn uns der Minister Ende Mai definitiv erklären

wird, welche Schlüsse er aus den Vorschlägen der Aufbaustäbe zu ziehen gedenkt, ist die allerletzte Gelegenheit, korrigierend im Sinne der Volksinitiative einzugreifen. Diese ist nämlich vorwiegend als Korrekturinitiative gedacht gewesen. - Danke.

(Beifall GRÜNE/B90 und vereinzelt FDP)

Da wir nicht über die Polizeireform, sondern über die Volksinitiative auf Beschlussempfehlung des Hauptausschusses befinden, hat die Landesregierung Redeverzicht angezeigt, und wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Hauptausschusses in der Drucksache 5/3053. Wer ihr Folge leisten möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen oder Enthaltungen? - Beides ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Ich schließe Tagesordnungspunkt 9 und rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Deutschlandabitur schafft Transparenz, Vergleichbarkeit und Mobilität

Antrag der Fraktion der CDU

Drucksache 5/3038

Der Abgeordnete Hoffmann eröffnet die Debatte für die CDUFraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann mir gut vorstellen, dass der eine oder andere die Augen gerollt hat, als er unseren Antrag gesehen hat. Aber, meine Damen und Herren, in gut drei Wochen beginnen in Brandenburg und Berlin die schriftlichen Abiturprüfungen, und damit ist dieses Thema aktueller denn je. Ich will an dieser Stelle deutlich machen, dass wir auch zukünftig nicht lockerlassen werden. Ja, wir haben in diesem Hause die Forderung bereits vorgebracht, und Sie haben sie abgelehnt. Aber das hat nichts an unserer Überzeugung und der Notwendigkeit, sich mit diesem Thema zu befassen, geändert.

Wir wollen ein Deutschlandabitur schaffen, damit in Deutschland Transparenz und Vergleichbarkeit der Bildungsergebnisse herrschen. Wir wollen, dass Schüler und Eltern selbstbestimmt mobil sein können und gleichermaßen die Gewissheit haben, dass das erlangte Abitur überall gleichwertig ist. Ich muss sagen: Wir betrachten es mit Sorge, dass in anderen Bundesländern Prozesse angestoßen werden, sich mehr und mehr Bundesländer der Initiative anschließen, aber Brandenburg und Berlin sich dieser Zielsetzung bislang verweigern. Mittlerweile verfolgen schon acht Bundesländer gemeinsam dieses Ziel und bereiten entsprechende Maßnahmen vor. Der Initiative von Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern haben sich nun auch Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen angeschlossen. Damit sind es insgesamt schon acht Länder. Die Zielsetzung, ein

Deutschlandabitur zu schaffen, ist Konsens unter den bildungspolitischen Sprechern der Unionsfraktionen.

(Günther [SPD]: Was?)

Wir haben ein einheitliches Deutschlandabitur beschlossen Sie können es in der Schulpolitischen Erklärung nachlesen, Herr Günther -, und auch, dass wir Anträge wie diesen überall in den jeweiligen Landtag einbringen werden, um unserer Forderung Nachdruck zu verleihen.

(Günther [SPD]: Ach deshalb!)

So wird in den kommenden Tagen auch in Bremen und Berlin ein Antrag zum Deutschlandabitur eingebracht. Wir wollen, dass sich Brandenburg dieser Initiative, in der mittlerweile acht Länder versammelt sind, anschließt. Wir wollen, dass unsere Landesregierung Einfluss auf die Berliner nimmt und sie dazu bewegt, diesem Aufruf ebenfalls zu folgen.

Wir haben das gemeinsame Abitur mit Berlin; damit gibt es gute Erfahrungen. Wir sollten unsere Kompetenzen und Vorstellungen frühzeitig in den begonnenen Prozess einbringen, denn wenn wir bei der Initiative der acht Bundesländer nicht von Anfang an dabei sind, wird es später umso schwieriger für uns. Es kann nicht sein, dass wir in Brandenburg und Berlin weiter allein vor uns hinwurschteln und einen Weg gehen, an dessen Ende wir dann wieder isoliert sind.

Herr Günther, ich hoffe, ich kann Sie dieses Mal beim Wort nehmen. In der letzten Debatte haben Sie dazu gesagt:

„Gutes Anliegen, völlig unrealistische Zeitschiene.“

Dann sagten Sie auch noch:

„Wenn es in Deutschland eine realistische Chance für die Einführung eines gemeinsamen Abiturs gibt, dann - da können Sie sich sicher sein - wird Brandenburg dabei sein, diese Chance beim Schopfe zu packen.“

Das haben Sie in der letzten Debatte gesagt, Herr Günther. Die Menschen im Land warten darauf, dass wir die Schulabschlüsse endlich transparent und vergleichbar gestalten. Ich kann Sie nur auffordern, die sich jetzt bietende Gelegenheit so, wie Sie es angekündigt haben, beim Schopfe zu packen und unserem Antrag zuzustimmen. - Danke schön.

(Beifall CDU)

Der Abgeordnete Günther spricht für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hoffmann, ich habe nicht die Augen gerollt, als ich Ihren Antrag gesehen habe, mir ist das Gesicht runtergefallen. Ich dachte erst, Sie müssten eigene Anträge recyceln, weil Ihnen nichts mehr einfällt, aber Sie haben ja nun den Hintergrund genannt: Alle CDU-Fraktionen stellen einen solchen Antrag; da müssen Sie auch dabei sein. Das ist natürlich eine starke inhaltliche Begründung.

Ich bin sehr überrascht. Sie haben es so dargestellt, als gäbe es in puncto Deutschlandabitur - zu dem Begriff komme ich noch spannende Neuigkeiten. Die gibt es aber schlicht und ergreifend nicht. Ihr Antrag ist bis auf wenige Details fast genauso aufgestellt wie der vom September vergangenen Jahres. Insofern hatte ich schon überlegt, Ihnen keinen Redebeitrag zu liefern, sondern einfach zu sagen: Im Protokoll über die Sitzung vom 9. September 2010 auf Seite 1 535 finden Sie alle weiteren Ausführungen. - Aber nachdem Sie gesprochen haben und mehrmals den Begriff „Deutschlandabitur“ verwandt haben, muss ich klarstellen: Der Begriff ist eine Luftnummer. Den bilden Sie sich ein.

(Beifall SPD und GRÜNE/B90)

In der Tat arbeitet die Kultusministerkonferenz an gemeinsamen Standards für die Abiturprüfungen, und auch der Aufgabenpool, den Ihr Antrag beinhaltet, ist eine gute und vernünftige Sache, aber den Namen „Deutschlandabitur“ verdient das alles, was derzeit passiert, bei Weitem nicht.

Dazu müssten Sie es schaffen, gemeinsame Lehrpläne in allen 16 Bundesländern zu installieren. Sie bräuchten auch gemeinsame und zeitgleiche Abiturprüfungen in allen 16 Bundesländern. Ich kenne jedoch niemanden, der ernst zu nehmen wäre, der das vorschlägt und auf diesem Weg ist. Insofern machen Sie den Leuten hier ein X für ein U vor.

Wir haben in Brandenburg - da sind wir schon wesentlich weiter gemeinsame Lehrpläne mit Berlin. Wir haben gemeinsame Abiturprüfungen mit Berlin. Insofern ist Ihr Antrag für die Bildungsregion Berlin-Brandenburg kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt. Deshalb gibt es gute Gründe, ihn mit gutem Gewissen abzulehnen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Der Abgeordnete Büttner spricht für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU! In den letzten sieben Monaten hat sich die Auffassung der FDP-Fraktion nicht verändert. Statt Deutschlandabitur müsste man korrekterweise „nationales Zentralabitur“ sagen. Ein solches „nationales Zentralabitur“ lehnen wir als FDP-Fraktion jedoch ab.

Wir glauben auch nicht, dass das die eigentliche Fragestellung, die wir in der Bildungspolitik haben, ändern oder verbessern würde. Es gibt eine klare Aufgabe, nämlich die Transparenz und die Vergleichbarkeit sowie die Mobilität herzustellen. Die liegt in der Kultusministerkonferenz. Ich hätte Ihrem Antrag aber zugestimmt, wenn er weiter gegangen wäre. Man hätte dann dazu kommen müssen, dass wir diese Kultusministerkonferenz nicht mehr brauchen. Die hat nämlich in den letzten Jahrzehnten alles behindert. Dabei handelt es sich um ein nicht demokratisch legitimiertes Gremium. Wenn wir die Kultusministerkonferenz abschafften, wäre das zu begrüßen. Einmünden müsste das in einen Bildungsvertrag zwischen den Bundesländern.

Das „nationale Zentralabitur“ befindet sich seit langer Zeit in der Diskussion. Das wird auch innerhalb unserer Partei disku

tiert. Auf den Parteitagen ist das aber immer mehrheitlich abgelehnt worden. Das führt nämlich nur zu einem oberflächlichen Unterricht. Schülerinnen und Schüler lernen dann nur noch das, was sie für die Prüfungen benötigen. Verständnisorientiertes Lernen würde so untergehen.

Bereits im September hatte ich gesagt, dass die Bildungsforscher in der TIMS-Studie nachgewiesen haben, dass Schüler, die im Unterricht nicht so gut mithalten, bei einem Zentralabitur noch schlechtere Leistungen erbringen könnten, während gute Schüler nicht automatisch besser würden. Das geht also am Ende zulasten der Lernschwachen.

(Beifall DIE LINKE)

Die Frage der praktischen Umsetzung ist mir zudem völlig unklar. Schließlich müssten alle Schüler in Deutschland zur gleichen Zeit die Prüfungen schreiben. Das ist bei den unterschiedlichen Ferienregelungen in den Ländern nicht zu schaffen. Neue und alternative Formen von Leistungsnachweisen würden künftig entfallen; denn mit einem Zentralabitur entfällt letztendlich auch der Anreiz für diese Innovation. Schließlich ist am Ende alles geregelt.

Wir glauben auch nicht, dass es richtig ist, jetzt alle Länder zu vereinheitlichen. Deutschland lebt auch vom Wettbewerbsföderalismus. Dafür stehen wir ausdrücklich. Wenn sich die Bundesländer auf den Weg machen, gemeinsam in der Bildung etwas angehen zu wollen, dann ist das in Ordnung. Brandenburg macht das mit Berlin. Der Kollege Günther hat völlig zu Recht darauf hingewiesen. Ich bin selber manchmal überrascht, welche Einigkeit man bei bestimmten Themen erzielen kann. Der Bildungswettbewerb unter den Bundesländern ist eine wichtige Errungenschaft, die nicht durch ein vereinheitlichtes Abitur infrage gestellt werden darf.

Ich glaube, dass die Debatte über die Zuständigkeit in der Bildung längst überholt ist. Bildung ist maßgeblicher und unersetzlicher Bestandteil der Länderverantwortung, und so muss es auch bleiben. Vielmehr brauchen wir eine neue Kooperationskultur zwischen den Bundesländern. Mit der starren und unflexiblen Kultusministerkonferenz stehen sich die Bundesländer selbst im Weg. Diese muss deshalb in der bestehenden Form abgeschafft werden.

Mit einem Bildungsvertrag zwischen den Ländern können wir die Geschwindigkeit bei der Umsetzung von Bildungsstandards erhöhen, den Umzug von Schülern und Lehrern zwischen den Bundesländern und die Anerkennung von Leistungen erleichtern und somit für mehr Bildungsmobilität in Deutschland sorgen. Ein „nationales Zentralabitur“ oder - wie Sie es euphemistisch nennen - ein Deutschlandabitur führt uns in der Bildung keinen einzigen Schritt weiter. Deswegen lehnen wir diesen Antrag ab. Vielen Dank.

(Beifall FDP, GRÜNE/B90 und DIE LINKE)

Die Abgeordnete Große spricht für die Linksfraktion.