Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir begrüßen ausdrücklich die heutige Aktuelle Stunde. Die Diskussion, so unangenehm sie auch für einige hier im Hause sein mag, ist vor allem eines: überfällig.
Stasi-Spitzel in der Polizei, Stasi-Spitzel in der Richterschaft, Stasi-Spitzel in der Staatsanwaltschaft, Stasi-Spitzel in der Rechtsanwaltschaft und Stasi-Spitzel jetzt auch in der Stadt Potsdam, das sind die Fakten, und, Herr Kuhnert, Sie tun so, als wäre da nichts gewesen. Wie müssen sich jetzt wohl diejenigen fühlen, die 1989 auf die Straße gegangen sind? Oder diejenigen, die damals die Stasi-Zentralen gestürmt haben.
All diese Fälle zeigen doch eines: In Brandenburg ist etwas schiefgelaufen. Es gibt deshalb weiteren Aufklärungs- und Handlungsbedarf bei der Aufarbeitung von Stasi-Verstrickungen im öffentlichen Dienst.
Transparenz und Aufklärung sind das Gebot der Stunde, nicht aber Verschweigen und Vertuschen. Nein, bei der Aufarbeitung darf es kein „Schwamm drüber!“ geben. Das sind wir auch
Das Thema der heutigen Aktuellen Stunde lautet „Politische Konsequenzen aus der aktuellen Stasi-Debatte ziehen!“, und Sie, Herr Kuhnert, haben mit Ihren Ausführungen deutlich gemacht, dass die SPD jetzt in trauter Einigkeit mit der Linken bei der Justiz den Teppich des Vergessens ausbreiten will.
Das geschieht, obwohl der Justizminister selbst nicht ausschließen kann, dass weitere Stasi-Spitzel in den Justizbehörden des Landes Brandenburg tätig sind. Wer hätte es denn für möglich gehalten, dass eine stasibelastete Richterin noch vor Kurzem für die Entschädigung nach dem SED-Opferentschädigungsgesetz zuständig war? - Das ist doch ein Schlag ins Gesicht der Opfer des SED-Unrechtsregimes. Da kann man doch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.
Im Rechtsausschuss musste der Justizminister einräumen, dass nicht 82, sondern - nach den neuesten Erkenntnissen - 152 Mitarbeiter der Justizbehörden stasibelastet sind, darunter 13 Richter und ein Staatsanwalt. Selbst der Generalstaatsanwalt war über diese hohe Zahl erstaunt, weil, wie er sagte:
Herr Minister, wir haben damals Ihre Entschuldigung akzeptiert. Bloß was ist diese wert, wenn Ihre Staatssekretärin im gleichen Atemzug sagt, dass die CDU „Jagd auf Richterinnen und Richter“ betreibe? Das ist ungeheuerlich und völlig inakzeptabel. Das können wir so nicht akzeptieren.
Mittlerweile übernehmen selbst der Ministerpräsident und die SPD das Vokabular der Linkspartei. Mit den Worten „Generalverdacht“, „Verstoß gegen die Verhältnismäßigkeit“, „Nichteinhaltung des rechtsstaatlichen Verfahrens“ hatte schon der PDS-Parteivorstand im Jahr 2003 eine Stasi-Überprüfung nach Bekanntgabe der Rosenholz-Dateien abgelehnt. Es ist bedauerlich, dass sich nunmehr auch die SPD vom Geist des StasiUnterlagen-Gesetzes verabschiedet. Sie von der SPD stellen sich damit gegen Aufklärung, Transparenz und Offenlegung der historischen Wahrheit.
(Beifall CDU, FDP und GRÜNE/B90 - Jürgens [DIE LINKE]: Die Zeiten, in denen es nur eine historische Wahrheit gab, sind vorbei!)
Ich frage Sie: Ist es etwa nicht rechtsstaatlich, wenn wir einfordern, dass ein gültiges, verfassungsgemäßes Bundesgesetz das Stasi-Unterlagen-Gesetz -, das im Bundestag mit Zweidrittelmehrheit, auch mit den Stimmen der SPD-Bundestagsfraktion, angenommen worden ist, in Brandenburg Anwendung findet? Stehen Sie denn jetzt über dem Gesetz?
Ganz bewusst stellen Sie hier auch falsche rechtliche Behauptungen auf. Erst verneinen Sie, dass eine Regelüberprüfung von Richtern nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz möglich sei, und jetzt legen Sie das Gesetz auch noch falsch aus. Der Justizminister sagte im Rechtsausschuss, dass eine Überprüfung von Richtern nur dann in Betracht komme, wenn neue Verdachtsmomente vorlägen. Diese nicht vertretbare Rechtsauffassung wird jetzt auch ständig wiederholt, mal vom Ministerpräsidenten, mal von der Staatssekretärin oder von Herrn Kuhnert.
Das entspricht aber nicht der gültigen Rechtslage. Ich weiß auch nicht, auf welche Rechtsgrundlage Sie sich dabei berufen vielleicht auf den ersten Gesetzentwurf zum Siebenten Änderungsgesetz des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Doch dieser Gesetzentwurf kam 2006 im Bundestag nicht zur Abstimmung. Im Bundestag angenommen wurde vielmehr die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien. Aus der Gesetzesbegründung geht eindeutig hervor, dass für die Regelüberprüfung, unter anderem von Richtern, weder neue Tatsachen noch ein konkreter Verdacht erforderlich sind. Herr Ministerpräsident, ich erwarte von Ihnen, dass Sie das für die Landesregierung richtigstellen.
Sie können doch auch niemandem erklären, dass der Innenminister auf der Grundlage einer umstrittenen rechtlichen Regelung im Stasi-Unterlagen-Gesetz die Schutzbereichsleiter und die Wachenleiter bei der Polizei überprüfen lassen will, aber der Justizminister auf der Grundlage einer rechtlich einwandfreien Regelung die Überprüfung der Richter ablehnt.
Nein, für die CDU-Fraktion ist ganz klar: Wir haben aus der Mitarbeit für das Ministerium für Staatssicherheit nie ein strafrechtliches Kriterium gemacht. Wir sind auch immer für differenzierte Bewertungen eingetreten. Deshalb geht es uns auch nicht um die Überprüfung zum Beispiel des Wach- und des Reinigungspersonals. Wer aber im öffentlichen Dienst in herausgehobener Position tätig ist, der muss auch geeignet sein, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten, der muss die Gewähr für Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit bieten.
Deshalb benötigen wir eine Regelüberprüfung der Brandenburger Richter. Das dient übrigens auch der Stärkung des Vertrauens in den Rechtsstaat. Wenn jemand ein öffentliches Richteramt ausübt, muss er - wie Abgeordnete und kommunale Mandatsträger - erdulden, dass seine Biografie auf eine Stasi-Tätigkeit überprüft wird.
Gerade die Justiz ist ein hochsensibler Bereich. Hier wird über Menschenschicksale entschieden. Richterinnen und Richter sind unabhängig und nicht weisungsgebunden; deshalb müssen für sie auch besondere Maßstäbe gelten. Sie verkörpern den Rechtsstaat und müssen frei von Stasi-Belastung sein. Oder, wie es Wolfgang Thierse einmal ausdrückte:
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Diejenigen, die als Richterin bzw. Richter oder Staatsanwältin bzw. Staatsanwalt in den Dienst des Landes Brandenburg übernommen werden wollten, wurden vor ihrer „Ernennung auf Probe“ auf Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS geprüft - neben der umfangreichen Analyse ihrer Beteiligung an Strafverfahren jeglicher Art. Die Richterwahlausschüsse und die Staatsanwaltsberufungsausschüsse erhielten all diese Materialien, so wie es die Volkskammer noch entschieden hatte.
Im Lichte dieser Analysen konnte jeder Betreffende mit Zweidrittelentscheidung des Gremiums übernommen werden. Als es um die Übernahme auf Lebenszeit ging, erhielt der Richterwahlausschuss nach dem geltenden Landesrecht Brandenburgs auch die neuen Überprüfungsergebnisse. Also nicht nur die 1990 verfügbaren, sondern auch die späteren Daten waren Entscheidungsgrundlage. Wollte jemand befördert werden, gab es eine weitere Prüfung. Selbst die Rosenholz-Dateien wären bei Relevanz einbezogen worden; denn die Birthler-Behörde war nach gültigem Stasi-Unterlagen-Gesetz bis zum 28. Dezember 2006 gehalten, auch ohne Anfrage dem Land etwaige Erkenntnisse mitzuteilen.
An der diktatorischen Vergangenheit der DDR, insbesondere an der Arbeit des und für das MfS, gibt es nichts schönzureden. Das waren Menschenrechtsverletzungen und Vertrauensmissbrauch.
Der Weg zurück in die Gesellschaft und der Weg hinein in demokratisch verfasste Politik führt allein über Offenheit, selbstkritischen Umgang und praktisches, nacherlebbares Engagement für Demokratie, Freiheit und soziale Gerechtigkeit.
Einen anderen Weg hinein in die Demokratie, quasi eine politische oder sonstige öffentliche Karriere unter Vortäuschung falscher Tatsachen, gibt es nicht; sonst würde das Vertrauen der Menschen in die demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen geschädigt werden. Wer es anders versucht, gehört nicht in demokratische und rechtsstaatliche Verantwortung. Insofern hatten die umfassenden Überprüfungen der 90er Jahre einen Sinn. Und: Wer jetzt ertappt wird, muss gehen. Dafür trägt er die Verantwortung.
Diese Grundsätze hat die PDS für sich - in Aufarbeitung ihrer eigenen SED-Vergangenheit - aufgestellt. Die Linke hat sie übernommen. Die Linke in Brandenburg hat bewiesen, dass sie diesen Grundsätzen folgt - im Landesverband der Partei und in der Landtagsfraktion.
Auch der von ihr unterzeichnete Koalitionsvertrag lässt daran durch klare Sprache keinen Zweifel. Diejenigen, die Repression vor 1990 hier erlebten, müssen im Mittelpunkt aller Bemühungen stehen. Sie bleiben sensibel dafür, ob Menschen, die an Rechtsverletzungen beteiligt waren, heute wieder Repressionsmaßnahmen einleiten könnten. Sie bleiben sensibel dafür, ob wir es ernst meinen mit dem Neuanfang 1990 im Land. Sie dürfen auch nach 20 Jahren kritische Fragen stellen; wir schul
den ihnen Respekt. Ihre Sensibilität werden wir nicht geringschätzen. Sie haben zuallererst Anspruch auf Aufarbeitung aber eben Aufarbeitung.
Wird hier über Aufarbeitung geredet? In den Debatten der letzten Monate und auch in den heutigen Redebeiträgen der Opposition, in den Äußerungen des neuen Chefs der Aktenbehörde? Mein Eindruck ist: Nein. Hier werden keine Hintergründe, Zusammenhänge, Wirkungsmechanismen, keine ideologische Verbrämung, keine falsche Sicherheitsdoktrin aufgearbeitet. Hier werden Namen gesucht und zur Schau gestellt, Taten aus dem Zusammenhang gerissen, manchmal sogar der Wehrersatzdienst beim Wachregiment, wie soeben passiert, zur hauptamtlichen Mitarbeit umgedeutet. Daher kommen wir mit der öffentlichen Debatte nicht weiter. Es wird nichts Neues geleistet, es bleibt bei alten Verhaltensmustern, Kollege Eichelbaum.
Der zuerst eingereichte Entschließungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist so offensichtlich rechtswidrig, dass ich nicht in alle Einzelheiten gehen möchte. Nichts davon wäre vom geltenden Recht gedeckt. Schauen Sie doch einfach in das Stasi-Unterlagen-Gesetz hinein!
Wenn der Justizminister eine Regelanfrage starten würde, blieben die Unterlagen bei ihm als Dienstherren. Er dürfte sie, selbst wenn er es noch so wollte, niemandem zugänglich machen, schon gar nicht einer Kommission, die für einen ganz anderen Zweck eingesetzt wurde. Nichts davon wäre durch Bundesrecht gedeckt.
Genau vor solch politisch motiviertem Handeln schützt uns alle der demokratische Rechtsstaat. Wir würden ihn aushöhlen, wenn wir das so, wie von den GRÜNEN beantragt, beschließen würden. Daher müssen wir den Entschließungsantrag ablehnen, wenn die Grünen ihn nicht doch noch zurückziehen.
Die CDU regierte hier in Brandenburg zehn Jahre lang. Kollege Eichelbaum, gab es damals eigentlich keine eigenen Erkenntnisse? Genau beide jetzt ins Scheinwerferlicht gezerrte Personalkörper - die Angehörigen der brandenburgischen Polizei und die der Justiz - hatten als Ressortminister jeweils CDUPolitiker.