Protokoll der Sitzung vom 18.05.2011

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Stark. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der FDP-Fraktion fort. Der Abgeordnete Goetz hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrte Frau Stark, Sie haben gerade erklärt, dieser Gesetzentwurf sei ein Quantensprung. Ich wollte, Sie hätten Recht. Der Quantensprung kommt aus der Atomphysik. Ein Quant ist das kleinste überhaupt noch messbare Teilchen, und der Quantensprung ist die kleinste noch messbare Bewegung, die wir noch haben.

(Zuruf des Abgeordneten Vogel [GRÜNE/B90])

Leider ist es nicht so. Der Schaden, der durch diesen Gesetzentwurf angerichtet wird, ist sehr viel größer. Es wird damit argumentiert, dass mit diesem Gesetz die Polizei bürgerfreundlicher und kundenorientierter würde; das genaue Gegenteil ist der Fall.

Wenn der Polizeibeamte zu einem Einsatz fährt, dann weiß er im Regelfall nicht, was ihn erwartet. Kommt er zur Wirtshausschlägerei, stellt sich auch der Wirtshausschläger nicht vor. Er sagt nicht: Hallo, ich heiße Herr Müller und hau' dir jetzt in die Fresse! - Er steht dort und tut genau das, und damit müssen sich unsere Polizeibeamten auseinandersetzen.

Wen betrifft denn überhaupt diese neue Namenskennzeichnung? Einsatzhundertschaften und geschlossene Einheiten sind ausgenommen. Die Kripo in Zivil wird ausgenommen. Verdeckte Ermittler werden selbstverständlich ausgenommen, sonst macht verdeckte Ermittlung keinen Sinn. Revierpolizisten sind ohnehin bekannt - mit Foto und Namen im Internet. Die Betroffenen sind die Beamten in Streifenfahrzeugen mit typischer Streifenwagenbesatzung: mit Glück zwei Leute, manchmal nur noch einer. Und wenn es besonders gut läuft, können sie bei Schwierigkeiten ein weiteres Fahrzeug hinzurufen; dann sind es vielleicht vier Beamte. Die stehen dort in ganz normaler Uniform, nicht in schwerer Montur, nicht mit Schild oder Helm. Die sind sichtbar, erkennbar, und von denen wird verlangt, dass sie Namensschilder tragen. Die wissen aber bei Antritt einer Schicht nicht, was sie in deren Verlauf erwartet. Wenn sie am Freitagabend losgehen, wissen sie nicht, ob sie zu einer Schlägerei in der Diskothek oder zu einem Ehestreit, wo ein besoffener Ehemann auf seine Frau einprügelt, gerufen werden. Sie wissen nicht, was auf sie zukommt. Das Problem ist, dass sie nicht wissen, welchem Konfliktpotenzial sie begegnen, welchen Gefahren sie sich aussetzen und inwieweit es zu Nachstellungen kommt.

In Brandenburg gibt es keinen einzigen Fall, in dem ein Polizeibeamter nach einem Einsatz nicht identifiziert werden konnte. Die typische Streifenwagenbesatzung wird vom Einsatzbearbeiter in der Leitstelle oder in der Wache geführt. Der weiß genau, welches Fahrzeug er wohin geschickt hat und wer in

diesem Fahrzeug sitzt. Insofern ist die Identifizierung des Beamten kein Problem; das ist bisher in jedem Fall gelungen. Es gibt zwölf Fälle, in denen das möglicherweise erleichtert worden sein könnte, wenn ein Namensschild getragen worden wäre. Das ist aber auch alles, was dazu vorliegt.

Statt Namen sollen nun auch Nummern getragen werden. Auch das ist eine Möglichkeit, eine Alternative - das kam als Antrag von den Grünen -, nur konterkariert die Nummerierung das Argument der Bürgerfreundlichkeit. Wenn es heißt, der Bürger solle den Beamten ansprechen können, dann wird er nicht sagen: Obermeister 4711. - Das passiert nicht. Die Nummer dient der Identifizierung und macht das Misstrauen deutlich, mit dem den Beamten mit diesem Antrag begegnet wird.

Der Ministerpräsident hat heute früh in der Stasi-Debatte gesagt: Wenn über Generalverdacht gesprochen werde, dann tue derjenige, der behauptete, keinen Generalverdacht zu hegen, genau das. - Ich will ihm nicht in allem zustimmen, aber möglicherweise hat er in diesem Punkt Recht, und möglicherweise, meine Damen und Herren Koalitionspartner, können Sie sich das zu Herzen nehmen.

Am 27. Januar gab es im Innenausschuss eine Anhörung. Daran nahm unter anderem Polizeipräsident Glietsch aus Berlin teil, bekanntermaßen ein Befürworter von Namensbeschilderung. Er hat dort - wörtlich - erklärt:

„Wie bereits eben verdeutlicht, war es sehr wichtig, dass wir Gelegenheit hatten, jahrelang dafür zu werben, darüber zu diskutieren, die Führungskräfte mitzunehmen und auch möglichst viele Mitarbeiter davon zu überzeugen, dass dies eine Regelung ist, die ihnen nicht schadet und der Polizei insgesamt nützt.“

„Die Akzeptanz in Berlin hängt wesentlich von der Alternative anonymisierter Fassungen ab.“

Und fortgesetzt hat er:

„Unabdingbare Voraussetzung für eine Akzeptanz ist, dass die Behörde hinsichtlich Eigensicherung und Schutz alles getan hat, was ihr möglich ist.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, da ist viel zu tun für das Land Brandenburg. Und solange diese Akzeptanz fehlt, können wir auch diese Namensschilder nicht oktroyieren. Es gibt immer mehr Gewalt gegen Beamte, es werden mehr persönliche Nachstellungen befürchtet, und es gibt Belege, Beispiele und Erfahrungen von Polizeibeamten für Gewalt gegen Polizeibeamte und für diese Nachstellungen.

Die Berliner CDU, meine Damen und Herren von der Brandenburger CDU, hat sich in der Drucksache 16/3746 vom 19.01.2011 mit dem Thema befasst und dort gesagt: Die individuelle Kennzeichnung ist nachteilig und sogar gefährlich für die Polizeivollzugsbeamten. Individuelle Kennzeichnungen führen zwangsläufig zu einer erheblichen Steigerung taktischer, im Zweifel verleumderischer Anzeigen.

Ich wollte, meine Damen und Herren von der Brandenburger CDU, Sie würden die Auffassung der dortigen Kollegen teilen und sich insoweit abstimmen.

Sie - die CDU Berlin - setzt fort:

„Der Senat gefährdet durch die Kennzeichnung Beamte, für die er doch zur Fürsorge verpflichtet ist.“

In der Anhörung im Innenausschuss haben wir in seltener Einigkeit erlebt, dass alle drei Gewerkschaften, die Interessenvertreter der Polizei, diese Namenskennzeichnung abgelehnt haben. Die sind sich sonst oft nicht einig; wir erleben dort sehr viel; dass die sich einig sind, ist selten. Wir sollten diese Einigkeit ernst nehmen und uns daran orientieren. Mit dem Oktroyieren von Namensschildern schaffen Sie zusätzliche Demotivation für die Brandenburger Beamten, die durch die Polizeistrukturreform ohnehin genug gebeutelt sind. Sie schütten mit diesem Antrag das Kind mit dem Bade aus. Wir lehnen diesen Antrag ab. - Ich danke Ihnen.

(Vereinzelt Beifall FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Goetz. - Ich bitte die Rednerinnen und Redner, sich an die Redezeit zu halten; Sie liegen hier alle etwas drüber. - Für die Linke spricht Herr Abgeordneter Dr. Scharfenberg.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Beschlussfassung macht der Landtag den Weg für die gesetzliche Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Polizeivollzugsbedienstete frei. Wir hatten uns als Oppositionspartei schon lange für eine solche Regelung ausgesprochen, ohne eine Chance auf Realisierung gehabt zu haben. Als wir dieses Vorhaben in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen haben, konnte niemand ahnen, welchen Zuspruch und welche Dynamik das im parlamentarischen Raum finden würde. Dass ausgerechnet die CDU daraus ganz schnell einen Gesetzentwurf gemacht hat, übertraf meine kühnsten Erwartungen, denn das stand im diametralen Gegensatz zum bisherigen Handeln dieser Partei.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE und SPD)

Auch wenn ich mich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass das Ausdruck einer gewissen Beliebigkeit von Herrn Petke ist, möchte ich der CDU dafür danken - das meine ich ernst -, dass sie über ihren Schatten gesprungen ist.

(Zuruf von der CDU)

Herr Abgeordneter Dr. Scharfenberg, lassen Sie eine Frage von Herrn Abgeordneten Bretz zu?

Bitte, Herr Abgeordneter Bretz.

Herr Dr. Scharfenberg, Sie wiederholen, dass Sie als Oppositionsfraktion Aktivitäten entwickelt hätten, die zur nament

lichen Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte hätten führen sollen. Können Sie einmal sagen, wann und wo Sie solche Aktivitäten gestartet haben? Ich habe recherchiert und konnte nichts dazu finden.

Bitte, Herr Abgeordneter Scharfenberg.

Das können Sie nicht wissen, das reicht nämlich schon weit zurück, Herr Bretz. Das reicht bis in die 1. Legislaturperiode zurück, in der wir darauf aufmerksam gemacht haben.

(Petke [CDU]: 88!)

- Herr Petke, Sie wissen, was ich meine. - Das reicht, wie gesagt, in die Zeit zurück, als es noch das erste Polizeigesetz gab, das als letztes DDR-Gesetz verabschiedet worden war, und das beinhaltete eine Kennzeichnungspflicht, die allerdings nicht realisiert wurde. Das können Sie gern noch einmal recherchieren, Herr Bretz.

Dieser Dienst an der Sache - ich komme noch einmal zu dem Thema -, wie immer er auch von der CDU gemeint war, hat die Diskussion erheblich erleichtert, denn sehr schnell ist eine große Mehrheit im Landtag sichtbar geworden. Ich bin mir auch sicher, dass dieses fast revolutionäre Verhalten bundesweit viel Aufsehen erregt und Parteien anderer Landesverbände in Zugzwang bringt. Zur allseitigen Verbreitung dieser Pionierrolle der hiesigen CDU wollen wir gern unseren Beitrag leisten. Ich hätte mir allerdings nie träumen lassen - da beziehe ich mich auf die Diskussion im Innenausschuss -, dass die CDU dabei völlig über die massiven Bedenken der Polizei hinweggeht und auf die Tube drückt, mit der Folge, dass wir auf eine angemessene Berücksichtigung der Belange der Polizei drängen müssen.

Wir streben mit der Kennzeichnung ein Mehr an Transparenz und Bürgernähe von Polizeiarbeit an - das haben meine Vorredner deutlich gemacht. Wir lassen uns dabei von der Einschätzung leiten - da widerspreche ich ausdrücklich Herrn Goetz -, dass mit der namentlichen Kennzeichnung zur ohnehin für jeden Polizeibeamten gegebenen Gefährdung kein zusätzliches Gefährdungspotenzial entsteht; das hat nicht zuletzt die Anhörung von Experten im Innenausschuss gezeigt.

Wir stehen auch zu unserer Festlegung in der Koalitionsvereinbarung, dass eine solche Kennzeichnungspflicht in Abstimmung mit den Gewerkschaften eingeführt wird. Bekanntlich sprechen sich GdP, DPolG und BDK für eine freiwillige Regelung, also für die Beibehaltung des gegenwärtigen Zustands aus. Insofern war von vornherein klar, dass ein Konsens mit den Gewerkschaften nicht zu erreichen ist. Aber es muss uns sehr wohl darum gehen, Bedenken aus der Polizei so weit wie möglich aufzugreifen, um die notwendige Akzeptanz einer solchen Vorgabe in den Reihen der Polizei zu fördern. Das haben wir mit der heute vorliegenden Fassung der Gesetzesnovelle getan. So wird die Kennzeichnungspflicht ausdrücklich auf die Dienstkleidung bezogen, um zum Beispiel die besonderen Umstände kriminalistischer Arbeit nicht zu gefährden. Wir haben zudem aufgenommen, dass die namentliche Kennzeichnungspflicht nicht gilt, wenn überwiegende schutzwürdige Belange

der Polizeibeamten dagegen sprechen. Das wiederum ist in der vom Innenminister zu erarbeitenden Verwaltungsvorschrift zu konkretisieren.

Mit dem vorliegenden Entschließungsantrag bitten wir den Innenminister, über die Beteiligung des Hauptpersonalrats hinaus die Gewerkschaften unmittelbar in die Erarbeitung der Verwaltungsvorschrift einzubeziehen, um besondere Gefährdungsmomente möglichst konkret erfassen zu können. Dazu gehört auch eine Beteiligung bei Fragen der technischen Umsetzung der Kennzeichnung, denn wir wollen keine anfälligen Provisorien, sondern eine Lösung, die für die Polizisten möglichst praktikabel ist.

Im Innenausschuss wurde nachvollziehbar dargestellt, dass auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten - zum Beispiel beim Rhythmus des Uniformtausches - diese Regelung getroffen werden sollte. Das braucht seine Zeit. Deshalb schlagen wir Ihnen vor, dass die neue Regelung am 1. Januar 2013 in Kraft tritt. Bis dahin gilt sozusagen eine Freiwilligkeitsphase Herr Goetz, so sollten Sie es vielleicht werten -, die allerdings auch nach Bereitstellung entsprechender Uniformen durch Dienstanweisung des Innenministers verkürzt werden kann.

In einem zweiten Punkt der Entschließung fordern wir die Landesregierung auf, nach Ablauf von zwei Jahren über die Erfahrungen und Ergebnisse bei der Einführung der Kennzeichnungspflicht zu berichten. Diese Evaluierung soll Grundlage für das weitere Vorgehen sein. Schließlich betreten wir Neuland, denn Brandenburg - Kollegin Stark hat es gesagt - wird das erste Land sein, das die namentliche Kennzeichnungspflicht mit einer gesetzlichen Regelung einführt.

Auch ich werbe für Zustimmung zum Gesetzentwurf und zur Entschließung. - Danke schön.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Scharfenberg. - Wir setzen die Aussprache nunmehr mit dem Beitrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort. Die Abgeordnete Nonnemacher hat das Wort.

Werte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Was lange währt, wird endlich gut, weiß der Volksmund zu berichten. Dies trifft für den vorliegenden Gesetzentwurf zur Kennzeichnungspflicht für Polizeibedienstete insofern zu, als es erfreulich ist, dass er nach fast einem Jahr endlich zur Entscheidungsreife gelangt ist. Positiv ist auch, dass es im Land Brandenburg überhaupt eine gesetzliche Regelung zur Kennzeichnungspflicht geben wird, was ganz im Sinne von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist.

Weniger erfreulich finden wir, dass durch die Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen im Innenausschuss vom 05.05.2011, denen auch die Beschlussempfehlung zugrunde liegt, die Intention des Gesetzentwurfs unnötig aufgeweicht wurde. In der Anhörung des Innenausschusses vom 27. Januar dieses Jahres gab es sehr breite Zustimmung zur Kennzeichnungspflicht durch die Experten aus Wissenschaft, Polizei, Justiz und den

Menschenrechtsorganisationen. Ablehnung wurde allein von den drei Polizeigewerkschaften Brandenburgs unisono vorgetragen. Auch ich möchte - wie Herr Goetz, allerdings mit anderer Intention - aus der Stellungnahme des Berliner Polizeipräsidenten Glietsch zitieren:

„Polizeibeamtinnen und -beamte müssen akzeptieren, dass im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat jeder, der von polizeilichen Maßnahmen betroffen ist, grundsätzlich einen Anspruch darauf hat, zu wissen, wer in seine Rechte eingreift. Gefahren, denen Polizistinnen und Polizisten durch Rechtsbrecher ausgesetzt sind, erhöhen sich nicht dadurch, dass sie einen Namen an der Uniform tragen. Für den, der das trotzdem befürchtet, ist es gut, wenn er zwischen Namen und Dienstnummer wählen kann.“