Protokoll der Sitzung vom 23.06.2011

Frau Abgeordnete Ludwig, Sie haben die Möglichkeit, zu reagieren, wenn Sie Bedarf anmelden.

(Frau Dr. Ludwig [CDU]: Nein!)

Dann fahren wir in der Rednerliste fort. Der Abgeordnete Günther spricht für die SPD-Fraktion.

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon der Antrag zur Aktuellen Stunde spricht Bände - über den Antragsteller. Vor allem spricht er bezüglich dessen Bände, was in diesem Antrag alles nicht erwähnt worden ist: dass es

nämlich um gemeinsames Aufwachsen und damit auch um gemeinsames Lernen möglichst aller Kinder geht. Das kommt bei Ihnen nicht vor.

Und nach der Rede von Frau Dr. Ludwig wundert mich auch nicht, dass es bei Ihnen nicht vorkommt. Während jetzt bei der Bundes-CDU nach Jahrzehnten interessanterweise doch ein Schimmer der Erkenntnis zu reifen scheint - sicher bin ich mir da aber auch noch nicht, da man jetzt bei der Bundes-CDU über die Abschaffung der Hauptschule nachdenkt -, propagiert die CDU in Brandenburg offensichtlich noch immer Separation, das Gegenteil von Inklusion, nämlich Exklusion, Ausgrenzung, um es ganz klar und deutlich zu sagen.

(Beifall SPD, DIE LINKE und GRÜNE/B90)

Sie, meine Damen und Herren von der CDU, nutzen diese Aktuelle Stunde, um Ängste und Vorbehalte, die bei dem Thema zweifellos da sind, nicht etwa abzubauen, sondern um sie zu schüren, um sie gezielt auszunutzen, wie zum Beispiel das alte, nicht auszurottende und auch sehr deutsche Vorurteil, dass schneller und besser lernende Schüler unter den nicht so schnell lernenden Schülern leiden würden. Schauen Sie nur einmal auf diesen Punkt. Natürlich erwähnen Sie zumindest in Ihrem Antrag nicht, in der Rede sehr wohl, dass längeres gemeinsames Lernen in vielen Ländern Europas - unter anderem in Finnland und Italien - heute selbstverständlich ist und sie diese Grundsatzfrage, ob das für alle Kinder gut ist, schon längst positiv beantwortet haben.

Und auch wir in Brandenburg sind - und das meist recht unbemerkt von der Öffentlichkeit - mittlerweile deutschlandweit an der Spitze, was die Integration von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf angeht. Fast 40 % davon befinden sich nämlich bereits in sogenanntem gemeinsamem Unterricht, und genau darum - genau darum und nichts anderes - geht es: dieses gemeinsame Lernen auszubauen, dem das Schulgesetz übrigens schon jetzt den Vorrang einräumt. Deshalb ist Inklusion - dieser fürchterlich sperrige Begriff - auch nicht ein unbekanntes Flugobjekt, das jetzt mit einem Mal Kurs auf Brandenburg nähme. Es ist auch kein neuer Modellversuch, den sich da mal wieder jemand im Bildungsministerium ausgedacht hätte, nein, es geht einfach und ergreifend um die Fortführung eines bereits seit vielen Jahren in Brandenburg eingeschlagenen Weges. Und ich nenne einmal einen mittlerweile schon alten und allen bekannten Schritt in diese Richtung „gemeinsames Lernen“, das ist die Flexible Eingangsphase, die schon an rund 140 Grundschulen Brandenburgs Lebenswirklichkeit ist.

Die jetzige Diskussion, die gut und notwendig ist, fördert auch zutage, was viel zu lange im Verborgenen in Brandenburg geschlummert hat, nämlich dass sich bereits jetzt - unter den Bedingungen des immer ach so schlimmen Brandenburger Schulsystems - nicht wenige Schulen von sich aus, ohne Aufforderung, ohne Anstoß auf den Weg hin zu inklusiver Bildung gemacht haben. Sie haben sich mit allen an Schule Beteiligten zusammengesetzt. Sie haben sich gemeinsam fortgebildet, haben sich vom Frontalunterricht längst verabschiedet, und sie fördern selbstverständlich alle Kinder so individuell wie irgend möglich. Und alle, die sich auf den Weg gemacht haben, sagen heute übereinstimmend, dass die Zusammenarbeit der Lehrer und Sozialpädagogen dadurch viel intensiver geworden ist und dass damit auch das gegenseitige Verständnis gewachsen ist. Und alle sagen unisono, dass das gemeinsame Lernen für die

Schüler heute eine Selbstverständlichkeit geworden ist und dass die durch diesen Weg gemeinsam erlangten sozialen Kompetenzen auch den Lernerfolg leichter gemacht haben.

Da das alles tagtäglich in Brandenburg passiert, gilt für mich der bekannte Satz von Regine Hildebrandt, die da sagte: „Erzählt mir doch nich, dasset nich jeht!“

(Beifall SPD sowie vereinzelt DIE LINKE)

Es geht - auch in Brandenburg: Aber es geht nicht von heute auf morgen, und das muss es auch nicht. Mir ist nämlich lieber, es dauert ein paar Jahre länger, und dafür ist die Überzeugung, mit der man sich ans Werk macht, dann umso größer. Es wird natürlich dauern, bis die guten Beispiele, die andere angesteckt haben, bis sich alle Lehrer an einer Schule weitergebildet haben, bis die Sonderpädagogen von der Uni Potsdam, die wir 2013 ausbilden werden, überall im Lande sind.

Da es aber ein so schwieriger und so langer Prozess wird, ist es gut, erst einmal mit den Schülern anzufangen, die beim Lernen und bei der emotionalen und sozialen Entwicklung Förderbedarf haben. Mir kann bis heute immer noch niemand schlüssig erklären, warum der attestierte Förderbedarf in Brandenburg in diesen Bereichen doppelt so hoch ist wie in westdeutschen Bundesländern.

(Einzelbeifall DIE LINKE)

Das nährt zumindest bei mir die Annahme, dass dann schon einige oder viele dieser Kinder auf einer Regelschule die Chance hätten, einen anerkannten Schulabschluss zu machen. Diese Chance hat jedes Kind verdient.

(Beifall SPD und DIE LINKE sowie des Abgeordneten Büttner [FDP])

Wenn uns die Inklusion gelingt, dann - davon bin ich überzeugt wird es einfacher, zu überzeugen, dass auch geistig und körperlich Behinderte mit in die normale Klasse gehören, so, wie sie auch mitten in unsere Gesellschaft gehören. Darüber diskutiert im Übrigen mittlerweile Gott sei Dank niemand mehr.

Die dafür immer noch notwendige Überzeugungsarbeit zu leisten bleibt eine Daueraufgabe. Die Regionalkonferenzen waren zwar viel kritisiert - dafür ein guter Anfang. Sie sollten allerdings eine Fortsetzung finden - keine Fortsetzung in der gehabten Form, sondern sie sollten darin münden, nach individuellen Lösungen zu suchen, für jede Region einzeln, am besten für jeden einzelnen Schulstandort. Diese Mühe sollten und müssen wir uns machen.

Das dafür notwendige Konzept ist bereits im vergangenen Jahr durch den Landtag in Auftrag gegeben worden. Die Landesregierung sollte sich deshalb nicht mehr lange Zeit lassen, uns dieses vorzulegen; es wird zu Recht in jeder Diskussion eingefordert. Bestandteil muss natürlich dann auch die berühmte Ressourcenfrage sein; denn gegen das Bild der Verunsicherung diese Verunsicherung zeichnen die Gegner sehr gern und sehr intensiv - müssen wir, alle, die es wollen, ein klares Bild davon setzen, was die Schule, die konkrete Schritte geht, auf dem Weg zu inklusiver Bildung zu erwarten hat. Trotzdem sage ich: Es wird für jede Schule ein schwerer, ein langwieriger, ein anstrengender und manchmal auch ein frustrierender Weg. Oder

kurz gesagt -: Es wäre einfacher, nichts zu tun. Aber all die Schulen, die bereits auf einem erfolgreichen Weg zum gemeinsamen Lernen sind, möchten heute nicht mehr zurück.

Ich wünsche mir, dass besonders Eltern diese Modelle auch bei den Schulen nachfragen bzw. sie als Grund für ihre Schulwahl angeben. Damit sorgen sie ganz entscheidend dafür, dass der ich nenne es mal - Virus des gemeinsamen Lernens, den Sie fürchten, den ich aber gern haben möchte, überall in Brandenburg um sich greift und dass in nicht mehr allzu ferner Zukunft jede Schule eine Förderschule im besten Sinne ist. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Zu diesem Beitrag hat Frau Blechinger eine Kurzintervention angemeldet.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter Günther, da Sie auf der Veranstaltung in Groß Köris dabei waren, als der Bildungsausschuss des Kreistages Dahme-Spreewald die Landtagsabgeordneten zu diesem Thema eingeladen hatte, muss ich Ihnen unterstellen, dass Sie wider besseres Wissen reden; denn wer dort war, hat mitgenommen, welche massiven Vorbehalte es in der Praxis und welche negativen Erfahrungen es mit dem jetzt praktizierten Modell gegeben hat.

(Holzschuher [SPD]: Schüren Sie doch keine Ängste!)

Da hat eine Förderschullehrerin in ergreifender Weise geschildert, mit welchen Schülern sie es zu tun hat und wie groß ihre Sorge ist, dass diese Kinder, wenn die Bedingungen nicht angemessen sind, hinten runterfallen.

(Zuruf des Abgeordneten Bischoff [SPD])

Sie waren mit in Finnland und wissen, dass es dort an jeder Schule eine Gesundheitsfürsorgerin, Schulpsychologen, Sozialarbeiter gibt und die Kinder dort auch bis hin zum Einzelunterricht gefördert werden. Wo sind die Ressourcen, die Sie für dieses Modell zur Verfügung stellen? Darauf gibt es bis jetzt keine Antwort.

(Beifall CDU sowie der Abgeordneten Vogdt [FDP])

In dem Konzept ist nicht klar ausgewiesen, wie viel zusätzliche Lehrerstellen den Schulen zugewiesen werden. Diesbezüglich hat eine Lehrerin dargestellt, dass sie zwei Stunden - in der Verordnung steht: bis zu 2,6 Stunden, eine Gummiformulierung zusätzlich bekommt, wenn sie ein Kind mit Lernbehinderung in der Klasse hat, und sie hat auch die Folgen geschildert. Verweigern Sie sich nicht der Realität und unterstellen Sie uns nicht, wir würden nicht im Interesse der Kinder handeln!

(Beifall CDU sowie Einzelbeifall FDP)

Herr Abgeordneter Günther hat die Absicht, zu reagieren. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Blechinger, in der Tat: Wir waren auf derselben Veranstaltung. Ich habe die Vorbehalte gehört, ich habe sie auch in meiner Rede erwähnt. Ich habe aber auch gehört, dass dort viele Schulen gesagt haben: Wir sind schon auf dem Weg des gemeinsamen Lernens, wir haben diese und jene Erfahrungen gemacht,

(Beifall SPD sowie vereinzelt DIE LINKE)

wir finden es grundsätzlich positiv, wir wollen auf diesem Weg gern weitergehen. - Genau das sollten Sie tun, nämlich diesen Weg unterstützen! Fordern Sie ruhig die Ressourcen ein. Sie sprechen aber über die Vorbehalte.

(Zuruf des Abgeordneten Senftleben [CDU])

Sie sprechen nicht darüber, was alles gehen kann. Darüber wurde sehr intensiv auf dieser Veranstaltung gesprochen. Also, fordern Sie uns als Landesregierung weiter auf dem Weg, reden Sie aber nicht über die Vorbehalte, denn es geht in Brandenburg, und es wird praktiziert! Das sollten Sie mitnehmen.

(Beifall SPD und DIE LINKE - Frau Dr. Ludwig [CDU]: Worum geht es denn?)

Der Abgeordnete Büttner setzt die Debatte für die FDP-Fraktion fort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Schönen guten Morgen! Ich bin der CDU dankbar, dass sie das Thema Bildung zum Thema der Aktuellen Stunde gemacht hat. Ich will gleich auf etwas Bezug nehmen, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Günther: Inklusion geht! Ihr Zitat. Ja, Inklusion geht, das sehe ich auch so.

(Günther [SPD]: Jetzt kein Aber!)

Ja, wir wollen auch Ängste abbauen. Das Problem ist aber - natürlich kommt das Problem -, dass gerade diese Ängste aufgebaut wurden

(Zuruf: Von wem denn?)

durch die Ankündigung der Ministerin, Teile der Förderschulen bis 2019 zu schließen. Das ist das Problem.

(Zuruf von der CDU: Teilweise von den Pädagogen selber - habe ich erlebt!)

Wir wollen einen Weg, der eine inklusive Bildungsgesellschaft möglich macht.

(Zuruf des Abgeordneten Bischoff [SPD])

- Ach, lieber Kollege Bischoff, wenn Sie die bildungspolitischen Debatten der vergangenen Monate verfolgt hätten, müssten Sie wissen, dass wir diesen Weg mitgestalten wollen.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE)