Protokoll der Sitzung vom 23.06.2011

Drucksache 5/1881

Zwischenbericht des Hauptausschusses

Drucksache 5/3393

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag des Vorsitzenden des zuständigen Ausschusses. Herr Abgeordneter Holzschuher, bitte.

Holzschuher (Vorsitzender des Hauptausschusses):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Es geht heute um einen Zwischenbericht zu einer sehr wichtigen und wesentlichen Diskussion in unserem Parlament. Die Gesetzentwürfe der FDP-Fraktion zur Änderung der Verfassung und des Kommunalwahlgesetzes sind im Landtag im September 2010 erstmals beraten und dann - federführend - an den Hauptausschuss sowie an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport, an den Innenausschuss sowie an den Rechtsausschuss überwiesen worden.

Es hat nach verschiedenen Beratungen eine gemeinsame Anhörung im März dieses Jahres stattgefunden. Der Hauptausschuss hat nach Beratung im Ausschuss darauf verzichtet, eine eigene Anhörung durchzuführen. Die Anhörung am 31. März 2011 hat Anlass zu intensiven Beratungen in den Fraktionen gegeben. Es liegen bis zum heutigen Tage keine abschließenden Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse vor, sodass auch der Hauptausschuss als federführender Ausschuss dem Landtag bis heute keine abschließende Empfehlung geben konnte. Dies ist erst einmal der Verfahrensstand.

Gestatten Sie mir einige wenige allgemeine Bemerkungen dazu. Es geht um eine doch sehr wesentliche Verfassungsänderung. Die FDP-Fraktion schlägt vor, das Wahlalter bei Kommunalwahlen auf 16 Jahre herabzusetzen. Ich weiß nicht nur aus der eigenen Fraktion - der SPD-Fraktion -, sondern auch aus den Kontakten zu anderen Fraktionen, dass darüber hinaus noch weitergehende Änderungen beraten werden. Es geht dabei um die Frage, ob auch bei Landtagswahlen das Wahlalter herabgesetzt werden soll. Wenn dies umgesetzt würde, wären wir das erste Flächenland in Deutschland mit einer derartigen Regelung. Zudem geht es um die Frage: Kann 16-Jährigen das passive Wahlrecht eingeräumt werden? Wenn ja: Unter welchen Umständen und auf welcher Ebene? - Diese grundlegenden Fragen verlangen es, dass sich alle Beteiligten in Ruhe und sehr fundiert mit dieser Materie auseinandersetzen, was legitim und nachvollziehbar ist.

Die SPD-Fraktion wird sich in der nächsten Woche zum wiederholten Male grundlegend mit dieser Thematik befassen und danach möglicherweise eine eindeutige Position zu allen damit zusammenhängenden Fragen haben. Erst dann wäre der

Anlass gegeben, mit den anderen beteiligten Fraktionen in Kontakt zu treten, und zwar nicht nur mit unserem Koalitionspartner. Schließlich geht es um eine Verfassungsänderung. Insofern wären wir gut beraten, wenn wir diesbezüglich idealerweise eine sehr breite Mehrheit über die verfassungsrechtlich vorgegebene Zweidrittelmehrheit hinaus finden könnten, um eine solch wesentliche Änderung grundlegend, fundiert und unterstützt von möglichst allen in diesem Haus darbieten zu können.

Dies wird nachvollziehbarerweise Zeit in Anspruch nehmen. Meines Erachtens gibt es keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass alle beteiligten Fraktionen das sehr ernsthaft verfolgen. Für meine Fraktion kann ich sagen, dass wir das Ziel haben, nach der Sommerpause konkret voranzukommen, um endlich ein Ergebnis zu präsentieren. Diese Zeit dürfen und müssen wir uns nehmen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und bei der Fraktion DIE LINKE)

Ich danke dem Vorsitzenden des Hauptausschusses, Herrn Abgeordneten Holzschuher. - Die Debatte wird mit dem Beitrag der FDP-Fraktion fortgesetzt. Frau Abgeordnete Teuteberg erhält das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Vorneweg: Das ist kein Beitrag, der sich jetzt mit der Frage auseinandersetzen sollte und auseinandersetzt, ob eine Mehrheit dieses Hauses bereit ist, jungen Menschen im Alter von 16 Jahren das Recht zuzusprechen, zumindest die kommunalen Vertreter zu wählen. Insofern bitte ich auch die Kollegen von der CDU, die da noch eine andere eigenständige Position vertreten, um Nachsicht.

Ich will zum Verfahren und zu anderem einige Anmerkungen machen. Wir sind uns hier mit großer Mehrheit einig, dass zumindest bei Kommunalwahlen junge Menschen ab 16 Jahren dabei sein sollten. Und insofern ist dann das, was hier seit fast einem Jahr als Gesetzentwurf vorliegt, ja durchaus der Minimalkonsens, der erkennbar war, und zwar durch öffentliche Äußerungen aus vier von fünf Fraktionen dieses Hauses; und deshalb zur Frage einer breiten Mehrheit für eine Verfassungsänderung - die haben wir immer so vertreten und betont. Wenn man dieses Argument ernst nimmt, verwundert es mich doch, einfach weitere Forderungen draufzusatteln.

(Holzschuher [SPD]: Welche Forderungen?)

Da wird man den Eindruck nicht los, dass das vermeintlich Bessere der Feind des Guten ist;

(Beifall FDP)

denn das, was vorliegt, ist nach öffentlichen Bekundungen von vier der fünf Fraktionen gut. Warum kann man das dann nicht beschließen? - Wenn wir es dann dennoch nicht schaffen, dafür die Weichen zu stellen, dass in diesem Herbst junge Menschen an Bürgermeisterwahlen teilnehmen können, dann ist irgendetwas falsch gelaufen. Und das einfach abzustreiten wäre töricht und auch nicht zu vermitteln.

Ich will mich gar nicht weiter damit beschäftigen, wo dafür die Verantwortung liegt. Es ist einfach schade, und es hilft auch wenig weiter, da Schuldzuweisungen zu machen. Gerade, wenn die Frage von Verfassungsänderungen so wesentlich, so grundlegend ist - das teilen wir -, dann muss man es aber nicht so eilig haben mit öffentlichen Äußerungen wie im Februar, dass man ja noch viel weiter gehen möchte, um sich jetzt noch nicht einmal intern darüber einig zu sein, was man vertritt.

Aber vielleicht hilft dabei ja die grundsätzliche Frage, wie wir miteinander umgehen. In dieser Angelegenheit ging dann offenbar Taktik über die Sache, weil man sich viel schneller öffentlich äußern muss, als man sich über seine Position im Klaren ist. Nun können Sie sagen, daran hätten wir auch unseren Anteil, weil wir als Liberale so dreist waren, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Aber auch das wäre eigentlich ein bisschen billig.

Wir haben hier einige neue Fraktionen im Landtag und auch ein paar neue Abgeordnete. Ich glaube, man sollte insgesamt besser lernen, entspannt miteinander umzugehen - vielleicht auch zwischen Regierung und Opposition. In anderen Zusammenhängen ob im Rechtsausschuss oder in der Enquetekommission - haben wir übrigens auch darüber gesprochen, und da habe ich durchaus auch gesagt, man sollte verbal abrüsten. Auch hier hätte man das machen können bzw. sollte man es tun.

Sie mögen jetzt vielleicht verhindert haben, dass mal ein Oppositionsantrag so beschlossen wird; das mag dann für Sie ein Erfolg sein. Ich finde, es ist eher kein Erfolg, und zwar für uns alle nicht, auch für die Demokratie nicht. Wir jedenfalls werden uns im weiteren, jetzt leider verzögerten Verfahren weiter dafür einsetzen, dass es zu dem vorgeschlagenen sinnvollen Anliegen kommt. - Danke.

(Beifall FDP und GRÜNE/B90)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Teuteberg. - Die Aussprache wird nun mit dem Beitrag der Fraktion GRÜNE/B90 fortgesetzt. Die Abgeordnete Nonnemacher erhält das Wort.

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! In der 20. Plenarsitzung am 8. September 2010 wurden die beiden Gesetzentwürfe der FDP-Fraktion zum Wahlalter 16 auf kommunaler Ebene einstimmig, ohne Enthaltung, an den Hauptausschuss, den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport, den Innenausschuss und den Rechtsausschuss überwiesen. Allein die CDU-Fraktion äußerte in der 1. Lesung ihre Ablehnung. Alle anderen Fraktionen signalisierten Zustimmung zu den Anträgen und Gesetzentwürfen.

Ich zitiere den Abgeordneten Krause von der Fraktion DIE LINKE:

„Werte Kollegen von der FDP, mit der Forderung nach Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre rennen Sie bei uns keine offenen Türen ein, sondern stehen bei uns schon längst auf dem Hof.“

(Krause [DIE LINKE]: Genau!)

Im Koalitionsvertrag aus dem November 2009 findet sich der klare Prüfauftrag, „ob junge Menschen früher mitentscheiden und daher schon mit 16 Jahren an Kommunalwahlen teilnehmen dürfen“.

Trotz der offensichtlich breiten Zustimmung dauerte es recht lange, bis für den 31. März 2011 die Anhörung zu den Gesetzentwürfen anberaumt wurde. Am 11. Februar überraschten uns die Innen- und Rechtspolitiker der Koalitionsfraktionen nach einer Klausur mit der Ankündigung, neben dem Kommunalwahlalter auch das Landeswahlalter und das Abstimmungsalter bei Volksabstimmungen auf 16 Jahre abzusenken.

(Schippel [SPD]: So sind wir!)

Die sehr ausgedehnte Anhörung Ende März zum Wahlalter 16 stand dann auch spürbar unter dem Eindruck dieser Ansage. Neben dem Kommunalwahlalter wurden von allen Experten und in ausgiebigen Fragerunden auch das Wahlalter 16 auf Landesebene sowie Fragen des passiven Wahlalters behandelt und diskutiert.

Wer nach diesem Schub, den überwiegend positiven Stellungnahmen zum aktiven Wahlalter 16 auf allen Ebenen und in Anbetracht von ausreichenden verfassungsändernden Mehrheiten nun auf rasche Umsetzung gehofft hatte, sah sich bitter enttäuscht. Seit mehreren Wochen erleben wir in allen befassten Ausschüssen das Gleiche. Mit fadenscheinigen, zum Teil hanebüchenen Begründungen wird das Thema immer wieder von der Tagesordnung genommen. Einmal muss eine Ausschussreise zu einem völlig anderen Thema herhalten, ein anderes Mal wird weiterer Beratungsbedarf oder auch die Tatsache angeführt, dass die SPD-Fraktion vier Monate nach Ankündigung des Wahlalters 16 auf allen Ebenen noch keinen Fraktionsbeschluss zum Thema hinbekommen habe. In anderen Argumentationsketten haben die Bremer Jugendlichen nicht die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt, weil sie sich im Mai nicht in größerem Umfang an den Wahlen zur Bremer Bürgerschaft beteiligt haben.

Gemäß § 75 der Geschäftsordnung des Landtags sind die Ausschüsse zur baldigen Erledigung der überwiesenen Beratungsgegenstände verpflichtet. Spätestens nach sechs Monaten muss auf Antrag Bericht erstattet werden, warum das Thema noch nicht abgearbeitet werden konnte. Diesen Antrag haben die Fraktionen von FDP und GRÜNE/B90 jetzt gestellt.

Wir haben diesen Antrag gestellt, weil uns die Absenkung des Wahlalters zumindest auf kommunaler Ebene ein langes gemeinsames Anliegen ist. Wir haben diesen Antrag auch gestellt, weil wir die lapidare Erklärung, es bestehe noch Beratungsbedarf, ärgerlich finden. Wir müssen uns als kleine Fraktion nach 15-jähriger Abstinenz zu jedem Plenartag eine Meinung zu einer Unzahl schwieriger Themen bilden. Sollen wir mit dem Hinweis auf die lange Unterbrechung unserer parlamentarischen Tätigkeit Erschwerniszulage fordern oder

(Beifall GRÜNE/B90)

pro Jahr außerparlamentarischer Opposition einen Monat zusätzliche Bedenkzeit?

(Holzschuher [SPD]: Ja, gibt es!)

Die Haltung der SPD-Fraktion, bei einem wichtigen Thema, das sie selbst noch auf den Präsentierteller gehoben hat, die Entscheidung zu verweigern, ist nicht akzeptabel.

(Beifall GRÜNE/B90)

Wenn Sie keine Absenkung des Wahlalters auf 16 in der Kommune oder im Land wollen, meine Damen und Herren, dann sagen Sie es, bitte schön, klar und deutlich, und hören Sie auf, die Würde des Parlaments durch absurde Verschleppungsstrategien zu beschädigen.

(Beifall GRÜNE/B90 sowie vereinzelt FDP)

Zum Beitrag der Abgeordneten Nonnemacher hat der Abgeordnete Krause eine Kurzintervention angemeldet.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Nonnemacher, Sie haben mich absolut korrekt zitiert. Ich stehe zu diesem Zitat, und ich teile Ihre Enttäuschung, Verwunderung und Ihr Bedauern über die Länge des Verfahrens, mit dem wir uns hier konfrontiert sehen. Ich glaube aber, für mich feststellen zu können - nach den Informationen, die ich habe -, dass wir zu dieser Entscheidung, einem Wahlrecht ab 16, und vielleicht auch noch zu mehr kommen werden. - Vielen Dank.

Wir setzen die Aussprache nunmehr mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE fort. Herr Abgeordneter Dr. Scharfenberg wird für die Koalitionsfraktionen sprechen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will hier erstens betonen: Es geht nicht darum, etwas zu verhindern oder zu verschleppen. Zweitens möchte ich hier ganz offen sagen: Es macht sich immer einfacher, wenn eine Fraktion für sich entscheidet und handlungsfähig ist. Es ist wesentlich schwieriger, wenn sich zwei Fraktionen abstimmen müssen; das ist doch ganz normal. Ein solcher Meinungsbildungsprozess hat natürlich einen höheren Anspruch. Ich weiß, wovon ich rede, denn wir haben ja beides erlebt.

Die Koalition hat sich in ihrer Koalitionsvereinbarung für das Wahlalter 16 ausgesprochen; das ist hier schon mehrfach gesagt worden. Das ist der Ausgangspunkt für diese Legislaturperiode gewesen. Die FDP hat die Gunst der Stunde genutzt und einen Gesetzentwurf eingebracht, das Kommunalwahlalter auf 16 Jahre zu senken. Das ist sehr verdienstvoll, und dieses Verdienst will Ihnen niemand nehmen. Das wird Ihnen bleiben. Sie haben diesen Gesetzentwurf eingebracht, und mit diesem Gesetzentwurf befassen wir uns.

Aber dieser Gesetzentwurf ist inkonsequent: Es hat frühzeitig eine Verständigung zwischen den Koalitionsfraktionen gegeben; Frau Nonnemacher hat das hier noch einmal ganz klar dargestellt. Diese Verständigung hat ergeben, dass wir eben nicht nur für die Kommunalwahl, sondern auch für die Landtagswahl das Wahlalter auf 16 Jahre absenken möchten. Das ist deutlich mehr, als die FDP hier vorgeschlagen hat. Wir wollen

auch, dass 16-Jährige an Abstimmungen teilnehmen können. Es gibt sogar Diskussionen und Überlegungen - mehr ist es bisher jedoch nicht -, ob wir nicht auch das passive Wahlalter infrage stellen sollten. Wie dies ausgehen wird, ist allerdings noch offen.

Das alles zeigt: Wir wollen deutlich mehr, als im Gesetzentwurf der FDP vorgesehen ist. Zu dem, was bis jetzt seitens der Koalitionspartner öffentlich gesagt worden ist, stehen wir. Es besteht nicht die Gefahr, dass wir von diesen klaren Ansagen abrücken werden. Frau Nonnemacher, Sie müssen hier also keine Sorge haben.