Protokoll der Sitzung vom 19.11.2009

Wir wissen, dass das Land Brandenburg - obwohl wir ja immer für „die Brandenburger“ antreten - von einer Menge Brandenburger verlassen wird. Die Steuermindereinnahmen, die sich

aus der Relation der Neugeborenen, der Verstorbenen und der Weggezogenen ergibt, betragen jährlich 26 Millionen Euro. Der Anspruch auf Versorgungsleistungen für die im öffentlichen Dienst Beschäftigten nimmt dramatisch zu; im Jahr 2010 wird die Summe fast 100 Millionen Euro und im Jahr 2020 - bei einer mittleren Projektion - etwa 470 Millionen Euro betragen. Das heißt, der Haushaltsspielraum ist exorbitant eng, und deswegen schlägt jede Veränderung, jede vom Bund angeregte Steuerreduzierung - diesbezüglich ist es mir egal, ob sie von Schwarz-Gelb oder sonst wem kommt - für das Land Brandenburg negativ zu Buche.

(Beifall DIE LINKE sowie des Abgeordneten Bischoff [SPD] und der Abgeordneten Lehmann [SPD])

Das heißt, das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, was ich als jemand, der „Elektrische Antriebe“ studiert hat, lieber als „Motorabwürgungsgesetz“ bezeichnen würde,

(Beifall DIE LINKE)

schlägt in Brandenburg im Jahr 2010 mit etwa 55 Millionen und im Jahr 2011 mit 81 Millionen Euro zu Buche. Und da sagen Sie, das sind keine großen Größen? Sie wissen, wie klein die realen Spielräume in den Haushalten sind; denn ein Großteil der Ausgaben ist gesetzlich gebunden. Das ist ja auch in Ordnung so. Wenn Sie glauben, dass die Steuersenkungen Wirtschaftswachstum akquirieren - ich will Ihnen von Ihrem Glauben nichts nehmen, denn Glauben heißt ja nichts wissen -, dann sage ich Ihnen: Um diese Steuerausfälle zu kompensieren, bräuchten wir ein jährliches Wachstum von 5 %. Ich bitte Sie vollkommen emotionslos: Schauen Sie in die Statistiken des Landes Brandenburg und in die Statistiken der Bundesrepublik Deutschland und sagen Sie mir, wann wir das letzte Mal ein Wachstum von 5 % gehabt haben! Das gehört zur wirtschaftsund steuerpolitischen Ehrlichkeit dazu.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Unser Land - das ist Aufgabe der neuen Regierung bzw. des Finanzministers - muss diesen Spagat zustande bringen. Das heißt, wir müssen die sinkenden Steuereinnahmen plus die zusätzlich absehbaren Mindereinnahmen - wenn alle Pläne der schwarz-gelben Koalition umgesetzt werden, wird sich das mit zusätzlichen 300 Millionen Euro auf den Landeshaushalt niederschlagen - irgendwie kompensieren. Wir können natürlich sagen: Wir stellen die Staatstätigkeit ein. Dann würden wir wahrscheinlich sehr nah bei der FPD sein, die den Staat ja sowieso als überflüssig erachtet. Ich glaube nur, sie hat auch wirtschaftspolitisch einiges nicht begriffen. Ein Staat hat volkswirtschaftlich und ein Unternehmen hat betriebswirtschaftlich zu denken. Sie argumentieren immer, als müsste der Staat betriebswirtschaftlich denken. Gründen Sie Unternehmen, dann können Sie betriebswirtschaftliche Überlegungen anstellen und danach handeln, aber lassen Sie den Staat in Ruhe!

(Beifall DIE LINKE, SPD und GRÜNE/B90)

Eine solche Denkweise führt natürlich zusätzlich - ich weiß, ich überziehe meine Redezeit gnadenlos, und das ist schlimm, weil die anderen Fraktionen dann noch einmal reden dürfen, aber für Sie von der Opposition ist das ja gut …

(Heiterkeit bei der Fraktion DIE LINKE - Senftleben [CDU]: Sie reden nur nicht zum Thema Haushalt!)

- Ich rede die ganze Zeit zum Haushalt; das haben Sie anscheinend nur nicht mitbekommen.

Was die Kommunalfinanzen und den kommunalen Finanzausgleich angeht, so trifft es zu, dass die Kommunen in den letzten Jahren mehr Einnahmen hatten. Das ist positiv, darüber freuen wir uns. In diesem Bereich hat Politik etwas Positives bewirkt. Das habe ich extra gesagt. Ich gehöre nicht zu denen, die alles verteufeln. Aber die Kommunen haben im Jahr 2009 mit einem Steuerrückgang von 115 Millionen Euro und im Jahr 2010 mit einem Rückgang von 45 Millionen Euro zu rechnen. Wenn das Land weniger Steuern einnimmt, erhalten auch die Kommunen über die Steuerverbundquote weniger. Das ist enorm. Die Menschen in ihren Dörfern werden die Auswirkungen spüren. Es macht überhaupt keinen Sinn, ein Konjunkturinvestitionsprogramm aufzulegen, wenn gleichzeitig die Möglichkeit, zusätzliche Gelder zu akquirieren durch eine falsche Steuerreform zunichte gemacht wird. Das ist vollkommen kontraproduktiv. Ich weiß, dass es diesbezüglich unterschiedliche Auffassungen gibt; das müssen Sie mir verzeihen.

Ich meine, dass man gegen die sogenannte Schuldenbremse es ist ja keine „Schuldenbremse“, sondern besagt ja nur, dass wir keine Nettokreditaufnahme mehr tätigen dürfen - schon aus rein demokratierechtlichen Gründen vorgehen sollte. Das hat mit Finanzen nur zweitrangig zu tun. Darf die Bundesrepublik Deutschland derart in die Finanzhoheit der Länder eingreifen? Das würde ich gern klären lassen.

(Petke [CDU]: Sie haben doch zugestimmt! Das müssen Sie Ihrem Ministerpräsidenten sagen!)

- Das brauchen Sie mir nicht zu sagen. Ich habe extra vorweggeschickt, dass man zu bestimmten Dingen unterschiedlicher Auffassung sein kann.

Ich glaube, dass man das aus demokratietechnischen Gründen überprüfen sollte. Ob sich das Land Brandenburg da an die Spitze stellt, ist eine andere Sache. Das können die Koalitionspartner miteinander bereden. Es wird schon von anderer Seite vorbereitet; deswegen müssen wir jetzt nicht unmittelbar ins Obligo gehen.

Damit ich Ihnen zum Abschluss etwas Gutes tue: Ich glaube an die Kanzlerin,

(Zuruf von der CDU: Glauben ist nicht Wissen!)

und zwar nicht nur deswegen, weil sie eine Ostdeutsche bzw. hier aufgewachsen ist - geboren wurde sie anderswo - und ich der Auffassung bin, dass es einem Staat guttut, wenn eine Frau an der Spitze steht - für die Bayern ist es sicherlich ziemlich schwierig, eine nichtkatholische Frau mit einer Biografie, die nicht so recht ins eigene Familienbild passt, als Bundeskanzlerin zu haben -, sondern auch, weil die Bundeskanzlerin auf der diesjährigen Hauptversammlung des Deutschen Städtetages in Bochum die verbindliche Zusage gegeben hat, die Gewerbesteuer trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht anzutasten. Das hat sie zugesagt. Daran werden wir die Bundeskanzlerin messen; denn das ist die Voraussetzung für halbwegs stabile Steuereinnahmen der Kommunen, selbst wenn das im Land Brandenburg sehr unterschiedlich aufgeteilt ist - das weiß ich sehr wohl.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Zu den anderen Punkten zu sprechen, die die CDU für das Haushaltssicherungsgesetz eingebracht hat, spare ich mir. Das ist heute Nachmittag noch einmal an der Reihe. Glauben Sie mir: Das, was in der Koalitionsvereinbarung steht, wird diese Koalition umsetzen, dafür sind die Mittel da. Das haben wir gestern in der Regierungserklärung gehört,

(Zuruf von der CDU: Das haben wir nicht gehört!)

aber wahrscheinlich haben Sie da auch die Augen zugehabt.

Wir werden diesen Weg gehen, und wir werden ihn gut gehen. Ich sage Ihnen voraus: Sie werden sich wundern, was diese Regierung alles auf die Reihe schiebt. - Danke schön.

(Starker Beifall DIE LINKE und SPD)

Das Wort erhält Abgeordneter Woidke, der für die SPD-Fraktion spricht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Brandenburg hat zwei Jahre ohne Neuverschuldung hinter sich. Es war ein hartes Stück Arbeit, aber alle, die hier sitzen, wissen auch, dass die Wirtschafts- und Finanzkrise - das hat in Ihren Darstellung gefehlt - keine Naturkatastrophe war. Sie war das Ergebnis neoliberaler Politik.

(Beifall SPD und DIE LINKE - Oh! bei der CDU)

Das Schlimme, das derzeit zu beobachten ist: Sie haben versäumt - Sie versäumen es weiterhin -, die Ursachen für die nächste Krise zu beseitigen. Andersherum gesagt: Sie ziehen schon heute die nächste Krise groß. Ich sage Ihnen noch etwas dazu.

(Zuruf von der CDU: Wer regiert denn hier?)

- Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat ihren Ausgangspunkt nicht in Brandenburg genommen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Auch das sollte Ihnen bewusst sein. Ich freue mich übrigens sehr, dass gerade von der FDP der Mensch in den Mittelpunkt gestellt wird.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Das ist ganz neu!)

Bisher habe ich eher davon gehört, dass der Leistungsträger oder der Besserverdienende im Mittelpunkt steht. Bezüglich dieser Entwicklung hoffe ich, dass sich das nicht nur in Worten erschöpfen wird. Wir werden euch, auch hier im Landtag, an den Taten messen.

(Vereinzelt Beifall SPD und DIE LINKE)

Frau Vogdt, wenn Arbeitsmarktpolitik für Sie Prestigepolitik ist, dann spricht das nicht dafür, dass Sie den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Auch diese Anmerkung sei mir hier gestattet.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise sind auch in Brandenburg zu spüren. Ich frage: Warum haben wir die Wirtschafts- und Finanzkrise in Deutschland relativ gut bewältigen können? Haben Sie sich einmal diese Frage gestellt? Die Frage sollten Sie sich einmal stellen. Wir hatten nach elf Jahren sozialdemokratischer Finanzminister eine gute Finanzlage in diesem Land.

(Zuruf von der CDU: Sie widersprechen sich!)

Daran legen Sie derzeit auch die Axt. Wir sind in diesem Land einig - ich bin Herrn Markov für seinen vehementen Vortrag sehr dankbar -: Wir wollen so wenig neue Schulden wie möglich machen. Jeder weiß, vor welchen Herausforderungen das Land steht. Jeden Euro, den wir bei den Banken aufnehmen, müssen wir am Ende doppelt und dreifach zurückzahlen. Deshalb wird die nötige Verschuldung nur so hoch wie nötig sein.

Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir in diesem Land auch gestalten müssen. Das ist der Auftrag an diese Landesregierung. Da geht es am Ende auch ums Geld. Wenn Sie von der CDU einen konkreten Zeitplan fordern, dann frage ich zurück: Wie stellen Sie sich das Ganze bitte vor? Im Bund streiten Sie sich mit der FDP über Steuersenkungen und Steuerreformen. Herr Schäuble erklärt heute dieses, morgen dezidiert etwas anderes. Es meldet sich dann meist Frau Homburger von der FDP zu Wort und fordert Vertragstreue ein.

„Wir haben alles im Koalitionsvertrag beschlossen, was da zu beschließen ist.“

Die derzeitige Finanzpolitik wird bald zu vielen Befürchtungen führen. Frau Roth, Oberbürgermeisterin von Frankfurt am Main und Präsidentin des Deutschen Städtetages, spricht von einer Demontage der kommunalen Selbstverwaltung durch Ihre Politik; da bin ich mit ihr einig.

(Vereinzelt Beifall SPD)

Glauben Sie Frau Roth - sie hat das Parteibuch der CDU und weiß diesbezüglich sicherlich Bescheid -, glauben Sie den Ministerpräsidenten, die Verantwortung tragen und in der CDU sind, denen es genauso vor den Steuerplänen aus Berlin graust wie vielen, die hier sitzen, und handeln Sie nach dem, was der Finanzexperte der CDU-Bundestagsfraktion allen anempfohlen hat: Taschenrechner anstellen, Realität betrachten und gucken, was geht! - Das ist ein Ratschlag auch an die CDU-Fraktion im Land Brandenburg.

(Beifall SPD und Die LINKE)

Damit kann ich meine Rede beenden und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. - Danke schön.

Die Landesregierung hat ihre Redezeit um acht Minuten überzogen, sodass wir bei fünf Fraktionen auf 40 Minuten plus kommen. Ob sie das in voller Länge in Anspruch nehmen wollen, weiß ich nicht. Der Liste nach wäre die CDU-Fraktion an der Reihe. Frau Dr. Ludwig, Sie können jetzt noch einmal acht Minuten in Anspruch nehmen.

Herr Präsident! Wir freuen uns, wenn die Landesregierung überzieht. Das gibt uns immer noch die Möglichkeit, ein paar Worte zu sagen.