Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Ich fange zunächst mit einem Zitat an, und zwar mit Artikel 12 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention:
„Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.“
Wir haben damit eine Regelung, die über die Beteiligungsrechte von jungen Menschen in unserem Land schon einiges aussagt. Es ist ein völkerrechtlicher Vertrag auf der Ebene der Vereinten Nationen, der rechtskräftig und einklagbar ist. Wir haben daneben die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. In Artikel 24 Abs. 1 und 2 heißt es:
„Kinder haben den Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Sie können ihre Meinung frei äußern. Ihre Meinung wird in den Angelegenheiten, die sie betreffen, in einer ihrem Alter und ihrem Reifegrad entsprechenden Weise berücksichtigt. Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffent
Auch auf nationaler Ebene gibt es entsprechende Regelungen. § 8 Kinder- und Jugendhilfegesetz sagt aus:
„Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen.“
Wem das an rechtlichen Normen noch nicht reicht, dem kann man sagen, dass wir hier im Land Brandenburg, nämlich in § 17a Ausführungsgesetz zum KJHG, eine entsprechende Regelung finden:
„Kinder und Jugendliche sollen in geeigneter Form ihrem Entwicklungsstand entsprechend an wichtigen sie betreffenden Entscheidungen und Maßnahmen beteiligt werden.“
Man könnte jetzt also auf die Idee kommen: Es ist alles geregelt. Es ist alles wunderbar, und wir haben hier eine Grundlage, damit Kinder und Jugendliche bei uns im Land Brandenburg entsprechend beteiligt werden können. Der Punkt ist aber, dass ich mir - und unsere Fraktion und die SPD-Fraktion - gar nicht so sicher bin, ob das tatsächlich auch so umgesetzt wird und wie es da aussieht.
Man findet in der Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage ein Zitat, das ich Ihnen an dieser Stelle ebenfalls nicht vorenthalten möchte und das diesen Eindruck stützt. Es ist ein Zitat aus der Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums zur Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Dort heißt es, dass nach wie vor eine enorme Kluft zwischen Anspruch und politischen Absichtserklärungen einerseits und der Partizipationswirklichkeit andererseits vorherrsche. Genau das ist der Punkt, warum wir gesagt haben: Wir wollen mit dieser Großen Anfrage einmal erheben, wie es mit der Jugendbeteiligung und mit der Partizipation von Kindern und jungen Menschen hier bei uns im Land Brandenburg aussieht.
Die Antwort auf die Große Anfrage, die Ihnen allen vorliegt, ist sehr umfangreich. Die Antwort bietet eine ganze Menge an Anknüpfungspunkten. Man kann zum Beispiel festhalten, dass wir 1 300 Jugendeinrichtungen im Land Brandenburg haben, von denen 1 000 Einrichtungen selbstverwaltet sind. In diesen haben Kinder und Jugendliche die Verwaltung selbst in der Hand, tragen die Gestaltung mit, und in ihnen werden Öffnungszeiten, Angebote und Ähnliches selbstverwaltet. Wir haben 19 Jugendbeiräte bzw. Jugendparlamente im Land Brandenburg. Wir haben 17 Kinder- und Jugendbeauftragte in den Kommunen.
In den Kindertagesstätten finden Bildungstage statt. Dort stand im August 2004 das Thema „Beteiligung von Kindern - Schlüssel zur Bildung und Demokratie“ auf der Tagesordnung. Wir haben Projekte wie eines in Eberswalde, das ich herausgreifen möchte: „Demokratie leben in Kindergarten und Schule“. Wir haben diverse Broschüren wie „Kinderrechte machen Schule“, die wir im November 2009 in einer Auflage von 3 000 Stück an alle Grundschulen ausgegeben haben. Wir haben in der Broschüre „Kita-Debatte“ mehrfach das Thema behandelt.
Brandenburg hat im Rahmen der Bund-Länder-Kommissionen die Materialien „Hands for Kids“ und „Hands across the campus“ miterstellt. Wir haben eine ganze Reihe auf diesem Gebiet ge
tan. Wir haben in Nebenbereichen, die man dazu zählen könnte, 113 Schülerfirmen in unserem Land. Wir haben Modellschulen mit dem Schwerpunkt Partizipation. Wir haben Schülerklubs für junge Menschen, die für ihre eigenen Interessen und Motivationen eintreten. Wir haben Projekte zur Streitschlichtung. Wir haben in der Bund-Länder-Kommission im Programm „Demokratie leben und lernen“ Demokratieberaterinnen und Demokratieberater ausgebildet, die jetzt im BUSS-System dafür verantwortlich sind, diese Gedanken und Ansätze unseren Lehrkörpern zu vermitteln.
Wir haben in Potsdam das Modell der Kinderstadtpläne gehabt, bei dem junge Menschen in ihren einzelnen Stadtquartieren und Bezirken aufgerufen waren, diese Pläne zu erstellen. Wir haben das Projekt „Kinderrechte“ vom Amt Biesenthal im Kreis Barnim gehabt. Und wir haben in meiner Heimatstadt Lychen, um ein ganz konkretes Beispiel aus meiner eigenen Region zu nennen, jetzt ganz konkret vor wenigen Tagen zum Weltkindertag Kinderrechte in der Freizeiteinrichtung thematisiert. Auch in Templin - gleich um die Ecke - gibt es seit einigen Wochen einen Jugendbeirat. Es gibt also eine ganze Reihe, was auf diesem Feld passiert, wo sich junge Menschen mit ihren eigenen Interessen einbringen und Gemeinschaft mitgestalten können.
Der Punkt ist aber, dass bei all dem keine Struktur vorherrscht, dass wir keine Nachhaltigkeit haben, dass es keinen gesamtstrategischen Ansatz in diesem Bereich gibt. Da wir das Thema Beteiligung auf die Tagesordnung bringen wollten, haben wir auch mit den Experten im Land über diese Frage diskutiert. Wir haben deswegen im Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport am 8. September ein Expertengespräch durchgeführt, bei dem der Landesjugendring als Interessenvertretung aller Jugendverbände im Land Brandenburg, aber auch die Jugendbeteiligungsstelle unter anderem vertreten waren. Dort wurde uns auch bestätigt, dass es eine große Spannbreite an Partizipationsmöglichkeiten bei uns im Land gibt, dass es ein steigendes Interesse sowohl von kommunaler Seite als auch von den Jugendlichen an diesem Thema gibt, dass es mehr Anfragen zur Beratung deswegen und vor diesem Hintergrund bei der Jugendbeteiligungsstelle gibt, dass es eine Vielzahl guter Einzelprojekte gibt und dass auch unsere Rahmenlehrpläne zur Vermittlung von Demokratie sehr vorbildlich sind.
Es gab aber auch eine ganze Reihe von Kritikpunkten, die uns die Experten in dieser Gesprächsrunde ins Buch geschrieben haben. Sie halten fest, was ich gerade schon angesprochen habe: Wir haben keine Struktur. Es gibt keinen strategischen Ansatz bei uns im Land Brandenburg, wie wir diesen Bereich der Partizipation vorwärtsbringen. Wir haben keine Nachhaltigkeit in dieser Struktur. Das heißt: Wir haben hier und da Initiativen, die entstehen, wenn Menschen sich für ein Thema begeistern und sich einbringen. Ein Jugendparlament entsteht, in dem man sich mit Kinderrechten zum Beispiel auseinandersetzt. Wenn aber die Personen zum Zweck der Ausbildung oder des Studiums nach zwei oder drei Jahren weggehen, bricht es wieder zusammen. Dann geht es ein. Dann passiert hinterher nichts mehr.
Es gibt auch, so wurde uns gesagt, ganz große Differenzen im Verständnis, was Beteiligung von Kindern und Jugendlichen meint. Das sieht der Bürgermeister im Ort A ganz anders als der Amtsdirektor in C und der ganz anders als die Stadtverordneten in D oder F. Wir müssen zu einer einheitlichen Grund
lage in der Frage kommen: Was meinen wir eigentlich, wenn wir über Kinder- und Jugendbeteiligung sprechen?
Ein ganz anderer Punkt ist folgender: Auf der einen Seite werben Kinder und Jugendliche diese Beteiligung für sich ein. Auf der anderen Seite finden sie aber ganz oft gar keinen Ansprechpartner in den Kommunen, oder regionale Unterstützungsstrukturen fehlen. Wir können also davon ausgehen, dass wir viele gute Initiativen haben, die auf persönliches Engagement zurückgehen. Es gibt aber keine verlässliche Grundlage für Kinder- und Jugendbeteiligung bei uns im Land Brandenburg.
Deswegen sollten wir zu einer Entscheidung finden, wie wir mit dieser Thematik umgehen wollen und was wir eigentlich wollen. Für mich und meine Fraktion ist das ganz klar. Auch in Erinnerung an die gesetzlichen Normen, die es dazu gibt, müsste diese Entscheidung relativ einfach zu fällen sein.
Ich glaube, dass wir die Chancen, die mit der Partizipation von Kindern und Jugendlichen verbunden sind, nutzen sollten. Kinder und Jugendliche sind die Experten ihres eigenen Lebensraumes. Sie wissen ganz genau, welche Themen sie vor Ort beschäftigen. Sie wissen ganz genau, wie man dieses Problem lösen könnte, und sie wissen eben auch, wie es nicht gehen soll. Also ganz konkret gesprochen: Kinder gehen auf dem Schulweg da über die Straße, wo es ihnen beliebt, wo sie den kürzesten Weg sehen, und es wäre zum Beispiel sinnvoll, wenn die Stadtplanung darauf Rücksicht nimmt und den Zebrastreifen oder die Fußgängerampel dorthin setzt, wo die Kids die Straße wechseln, und nicht hundert Meter weiter, weil das in irgendeiner Verwaltungsvorschrift, mathematisch berechnet, so geregelt ist. Ich denke, dass wir das Wissen und die Kompetenzen, die Kinder und Jugendliche haben, an dieser Stelle einbinden und nutzen sollten.
Wir können über die Partizipation auch Konflikte in den Kommunen und im Gemeinwesen früh erkennen und diese durch die Beteiligung ausräumen. Wir würden Legitimationen und Akzeptanz für Entscheidungen, die wir bei uns in den Kommunen fällen, erhöhen, weil alle Akteure eingebunden wären. Wir hätten einen Dialog im Gemeinwesen befördert. Das sind natürlich Punkte, die sich nicht nur auf die Partizipation von Kindern und Jugendlichen richten, sondern generell für Beteiligung sprechen, und wir hätten eine Stärkung des demokratischen Gemeinwesens.
- Mannometer! - Deshalb muss ich jetzt viele Karten beiseite legen und komme zum Schluss. Wir müssen eine Entscheidung darüber fällen, ob wir Kinder- und Jugendbeteiligung wollen, und rege an, dass wir uns gemeinsam zu Leitlinien und Empfehlungen einer gelingenden Kinder- und Jugendbeteiligung verständigen, über Strukturen sprechen und die...
... Idee, die von der Landesregierung in der Antwort auf die Große Anfrage aufgegriffen wurde, Kinderrechte ins Grundgesetz zu schreiben, miteinander befürworten.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Krause. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der FDP-Fraktion fort. Herr Abgeordneter Büttner hat das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Krause, ich denke, das Allermeiste von dem, was Sie gesagt haben, kann ich unterschreiben, da ich es genauso sehe. Zu einigen Themen sollten wir uns noch einmal unterhalten, denn so einfach, wie Sie es dargestellt haben, funktioniert Bauplanung mit Kinderbeteiligung nicht. Aber ich bin den beiden Regierungsfraktionen für die Große Anfrage ausdrücklich dankbar, weil sie eine gute Grundlage dafür ist, wie wir im Land Brandenburg in der Kinder- und Jugendbeteiligung künftig weiterkommen.
Sie haben es bereits angesprochen: Die UN-Kinderrechtskonvention ist seit 1989 ratifiziert, sie ist 1992 in Kraft getreten. Ich möchte aus Ihrer Großen Anfrage einen Satz zitieren:
„Zu diesem Zweck“ - also zum Zweck der besseren Partizipation - „wird dem Kind insbesondere Gelegenheit gegeben, in allen das Kind berührenden Gerichts- und Verwaltungsfragen entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gehört zu werden.“
1992 ist diese UN-Konvention in Kraft getreten, und wir müssen ernsthaft anmahnen: Wenn die Bundesrepublik Deutschland UN-Konventionen ratifiziert und sie damit auch in ihr Recht übernimmt, dann müssen sie auch umgesetzt werden oder man darf sie nicht ratifizieren. Wenn wir Kinder als unsere Zukunft sehen, dann müssen wir sie auch an ihrer Zukunft mitwirken lassen, denn nur wenn Kinder und Jugendliche ihre Zukunft selbst mitgestalten, werden sie sie auch annehmen.
Die stärkere Einbindung von jungen Menschen ist ein zentraler Bestandteil der demokratischen Ordnung und Kultur. Die Partizipation soll gestärkt werden, damit auch Politikverdrossenheit vorgebeugt und das Verständnis für demokratische Prozesse und Abläufe des Staatswesens gestärkt werden kann, Stichwort Demokratieerziehung. Wenn wir den Kindern keine Einflussmöglichkeiten geben, wenn sie fernab von Politik und Wahlen sind, dann stärken wir das Gefühl der Machtlosigkeit und des Unverständnisses gegenüber demokratischen Prozessen. Deshalb ist eine aktive Beteiligung von Kindern und Jugendlichen gleichzeitig der beste Schutz gegen extremistisches Gedankengut, egal ob von Links oder von Rechts. Zudem werden junge Menschen gefordert und können Dinge, die sie betreffen, aktiv mitgestalten und fühlen sich ernst genommen.
Dabei reicht eine bloße Beteiligung in Form von Anhörungen oder bei öffentlichen Gremiensitzungen nicht aus. Es gibt in
Brandenburg einige Modelle wie Jugendparlamente und Jugendbeiräte - Kollege Krause hat es angesprochen -, die erfolgreich sind. Aber diese Form der Partizipation muss in Brandenburg weitaus stärker und flächendeckender eingeführt werden. Das hat eine hohe Bindungswirkung für die Kinder und Jugendlichen an ihre Gemeinden und ihr Wohnumfeld und kann ein - ich betone: ein - Punkt sein, um einer Abwanderung junger und engagierter Menschen entgegenzuwirken. Deswegen sollen Kinder und Jugendliche den Gestaltungsprozess aktiv begleiten und Verantwortung übernehmen.
Unter anderem darum, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Linken, haben wir Liberalen den Gesetzentwurf zur Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre bei Kommunalwahlen vorgelegt, dessen Beschlussfassung seit Monaten von den Regierungsfraktionen verschleppt wird - mit Ausnahme des Bildungsausschusses, in dem diese Anträge auch mit den Stimmen der Regierungsfraktionen angenommen worden sind.
Ich kann Sie nur auffordern, diese Verschleppungs- und Verzögerungstaktik zu beenden und den Anträgen der FDP-Fraktion zuzustimmen,
Partizipation setzt jedoch auch rechtzeitige Information der Jugendlichen sowie die Aufklärung über ihre Beteiligungsrechte voraus, wie sie sich engagieren können. Deshalb ist es notwendig, nicht nur zu warten, bis die Jugendlichen von allein kommen, sondern alle kommunalen Mandatsträger sind aufgefordert, offensiv auf die Jugendlichen zuzugehen, mit ihnen zu sprechen und ihnen ihre Beteiligungsrechte zu erklären. Dies muss unter anderem in der Schule geschehen. Das entspricht auch dem Rahmenlehrplan für politische Bildung, in dem es heißt:
„Die Erziehung zur Selbstständigkeit und Mündigkeit erfordert, dass sich die Schülerinnen und Schüler altersgemäß mit wissenschaftlichen, technischen, medialen, rechtlichen, politischen, sozialen und ökonomischen Entwicklungen auseinandersetzen, deren Möglichkeiten nutzen sowie Handlungsspielräume, Perspektiven und Folgen beurteilen. Indem sie Meinungsbildungsprozesse und Entscheidungen zunehmend mitgestalten, eröffnen sie sich vielfältige Handlungsalternativen.“
Die Landesstelle für Demokratische Jugendbeteiligung Brandenburg sieht aber noch Nachholbedarf. In ihrem Positionspapier wird festgestellt, dass die im Bereich der Demokratieerziehung bereits zukunftsweisend formulierten Rahmenlehrpläne des Landes Brandenburg mit praxisnäheren Bezügen zur Gesellschaft realisiert und in den Unterricht integriert werden.
- Ich habe es gesehen. - Es gilt, hier im Lande noch deutlich mehr für eine bessere Kinder- und Jugendbeteiligung zu tun. Die Große Anfrage darf nicht nur zur Kenntnis genommen werden, sondern sie soll Grundlage für weiteres Arbeiten sein. Ein Gremium, welches dies hervorragend kann, ist der Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport. - Vielen Dank.