Protokoll der Sitzung vom 09.11.2011

Die Pirouette, Herr Scharfenberg, müssen Sie uns einmal erklären. Angesichts dieser Pirouetten würde ich anregen: Schließen wir einen Dynamo an, das löst gleichzeitig noch die polnischen Energieprobleme!

(Lachen bei der Fraktion DIE LINKE)

So kann nun wirklich nicht vorgegangen werden. Die Leute merken das auch. Wie gesagt, ich lasse Ihnen das auf dem Pult liegen.

Inhalt des Antrags ist zunächst Verweisung an den Innenausschuss. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube nicht, dass der vorgelegte Antrag auf Verstetigung durch fortlaufende Beratung im Innenausschuss wirklich besser werden wird, aber natürlich werden wir die Beratung im Innenausschuss nicht boykottieren, nicht verhindern. Deswegen werden wir uns zum Antrag auf Überweisung heute enthalten. Für das Gesetz selbst können Sie von uns nur wenig Sympathie erwarten. - Ich danke Ihnen.

(Beifall FDP und GRÜNE/B90)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Goetz. - Wir setzen mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE fort. Herr Abgeordneter Dr. Scharfenberg hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es ja regelrecht rührend, welche Gedanken sich die Oppositionsfraktionen um die Glaubwürdigkeit der Linken machen. Die Gedanken machen wir uns schon selbst. Wir sorgen für uns selbst, davon können Sie ausgehen.

2006 sind gegen die Stimmen der damaligen PDS-Fraktion neue Eingriffsbefugnisse in das Brandenburgische Polizeigesetz aufgenommen worden. Das Mittel der Handyortung und die automatische Kennzeichenfahndung waren heftig umstritten, da sie mit einem erheblichen Eingriff in Grundrechte der Bürger verbunden sind. Deshalb ist damals eine Befristung auf zwei Jahre festgeschrieben worden.

2008 ist die Anwendung dieser polizeilichen Mittel - wieder gegen die Stimmen der oppositionellen PDS - für weitere drei Jahre freigegeben worden, allerdings unter der Voraussetzung einer unabhängigen wissenschaftlichen Begleitung und Evaluierung.

Das entsprechende Gutachten, angefertigt vom Max-PlanckInstitut, liegt seit Mai dieses Jahres vor. Es bildet die Grundlage für den von der Landesregierung eingebrachten Gesetzentwurf. Die Landesregierung empfiehlt darin, Verkehrsdatenabfrage, Handyortung und automatische Kennzeichenfahndung, die Ende dieses Jahres auslaufen würden, unbefristet im Gesetz zu belassen. Dabei stützt sie sich auf die im Gutachten zusammenfassend getroffene Einschätzung, dass das Land Brandenburg bisher sehr verantwortungsbewusst und maßvoll mit diesen Eingriffsbefugnissen umgegangen ist. Aus dem im Gutachten enthaltenen Ländervergleich geht hervor, dass im Unterschied zu 2006 und 2008 mittlerweile fast alle Bundesländer solche Regelungen in ihren Polizeigesetzen haben. 2006 war Brandenburg dagegen in einer fragewürdigen Vorreiterrolle.

Der Gutachter schlägt vor, die Anwendungsmöglichkeiten für Handyortung und automatische Kennzeichenfahndung deutlich zu erweitern. Praktisch würde das zu einer Verschärfung des Polizeigesetzes führen. Dazu sage ich ganz klar, dass das mit der Linken nicht zu machen ist. Diesen Standpunkt haben wir auch schon im Vorfeld innerhalb der Koalition vertreten, und wir hatten damit Erfolg.

Zugleich empfiehlt die Landesregierung in ihrem Entwurf, die Verkehrsdatenabfrage unter Richtervorbehalt zu stellen, was schon seit 2010 durch Anweisung des Ministers praktiziert wird, jetzt aber ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen werden soll. Außerdem sind die in der automatischen Kennzeichenfahndung erfassten, nicht übereinstimmenden Daten nach der Änderung in § 36a Abs. 2 künftig sofort zu löschen. Diese Änderungen unterstützen wir ausdrücklich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Diskussion um die Eingriffsbefugnisse der Polizei steht immer unter dem Vorzeichen, inwiefern die Polizei zur Gewährleistung der öffentlichen Si

cherheit und zum Schutz der Bürger ausreichend handlungsfähig ist, zugleich aber, dass sie nur soweit in die Rechte der Bürger eingreifen kann, wie dies zwingend erforderlich ist. Es ist also nicht ganz so einfach, wie Sie es hier gesagt haben, Herr Lakenmacher, Sie sehen immer nur die eine Seite.

Diese Abwägung der Verhältnismäßigkeit ist gerade bei den heutigen technischen Möglichkeiten ein schwieriger Prozess. Der Staat muss sich selbst Grenzen setzen. Nicht alles, was aus Sicht der Polizei wünschenswert ist, darf hier eingeräumt werden. Das gilt auch und gerade für das Mittel der Handyortung, das bei unbegrenzter Nutzung eine komplette Überwachung ermöglichen würde. Die konkreten Anwendungsbeispiele aus Brandenburg zeigen aber, dass Handyortung fast ausschließlich genutzt wurde, um hilflose und gefährdete Personen aufzufinden. Dagegen lässt sich schwerlich etwas einwenden, und in Berlin konzentriert sich die gesetzliche Regelung nur auf solche Fälle. Wir sollten überlegen, ob wir in Brandenburg auch eine solche Eingrenzung vornehmen.

Bezüglich der automatischen Kennzeichenfahndung regte der Gutachter an, die Kraftfahrzeugdiebstähle ins Polizeigesetz aufzunehmen. Das lehnen wir ab, denn damit würden sozusagen die Schleusen für eine flächendeckende Anwendung geöffnet werden. Auch das kann letztlich zu geschlossenen Bewegungsbildern führen, die nicht gewollt sein können.

Damit ist, denke ich, deutlich geworden, dass die Linke diesen Eingriffsbefugnissen nach wie vor kritisch gegenübersteht. Wir nehmen sehr wohl zur Kenntnis, dass die brandenburgische Polizei bei der bisherigen Anwendung - so der Gutachter - streng auf die Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen achtet. Aber: Wir werden auch in Zukunft den konkreten Einsatz der polizeilichen Mittel kontrollieren; das ist unsere Verantwortung als Parlament. Ob dafür eine weitere Befristung das richtige Mittel ist oder jährliche Berichte des Innenministeriums ausreichen, sollten wir im Innenausschuss weiter diskutieren. - Danke schön.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Scharfenberg. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN fort. Frau Abgeordnete Nonnemacher hat das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Maßnahmen der automatischen Kennzeichenfahndung und der Ortung von Mobiltelefonen wurden 2006 von SPD und CDU eingeführt. Dies wurde damals mit der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität begründet. Dabei wurde auf die dringende Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person abgestellt.

Nun frage ich mich: Wofür wurden die Maßnahmen letztlich eingesetzt? Die vom Max-Planck-Institut durchgeführte Evaluierung gibt Auskunft: Die Handyortung sei ausschließlich bei Suizidabsichten, Unfall- oder Gewaltsituationen eingesetzt worden. – So wünschenswert diese Einsätze sein mögen, den oben genannten Gesetzeszielen, nämlich Bekämpfung des inter

nationalen Terrorismus und der organisierten Kriminalität, entsprechen sie nicht.

Bei der automatischen Kennzeichenfahndung hat die Abwehr von Gefahr für Leib und Leben eines Menschen nur eine nachrangige Rolle gespielt. Sie war nur in 5 % der Fälle unmittelbarer Anlass der Maßnahme. Auch das Spektrum schwerer Straftaten erscheint sehr begrenzt. Die automatische Kennzeichenfahndung wird quasi nur zur Fahndung nach gestohlenen Autos benutzt. Das ist zweifellos eine wichtige Aufgabe, bei der die Polizei eingreifen sollte. Allerdings ist dieser Bereich der Strafverfolgung zuzuordnen und dort geregelt. Dafür brauchen wir keine Befugnisse im Polizeigesetz.

Dies alles bringt mich auf die generelle Frage, ob wir diese polizeilichen Maßnahmen überhaupt benötigen. Bereits 2006 wurde in der Anhörung die Notwendigkeit bezweifelt. Ich darf die Datenschutzbeauftragte, Frau Hartge, zitieren:

„Zum anderen ist mir aufgefallen, dass sich in der Begründung zu dem Gesetzentwurf zumindest für mich keine überzeugenden, stichhaltigen Gründe für eine so herausragende Kriminalität in Brandenburg finden lassen, die es rechtfertigen, tiefgreifende Eingriffe, präventive Eingriffe in diesem Bereich gesetzlich zu regeln.“

Konsequenterweise empfiehlt sie, auf die automatische Kennzeichenfahndung völlig zu verzichten. Auch in der 2008 durchgeführten Anhörung zur Verlängerung der Maßnahme erhielt sie ihre Kritik aufrecht:

„Ob und inwieweit solche Befugnisse zur Gefahrenabwehr in Brandenburg tatsächlich erforderlich sind, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden.“

Unterstützt wurde sie damals von anderen Sachverständigen, die auch klare Zweifel an den Regelungen äußerten und empfahlen, sie komplett zu streichen. Auch der Gutachter Prof. Battis stellte klar, dass der Staat diese Maßnahmen einführen könne, aber nicht müsse.

Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund bitte ich Sie zu überlegen, wofür wir diese Maßnahmen benötigen. Womit können wir solch weitreichende Eingriffe wie die automatische Kennzeichenfahndung in die Grundrechte der - zum großen Teil unbescholtenen - Bürger rechtfertigen? Mittlerweile wird die automatische Kennzeichenfahndung fast täglich eingesetzt. Ist dies bei einer Trefferquote von 2,6 % gerechtfertigt?

Einige Bundesländer - wie Bremen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz - haben die automatische Kennzeichenfahndung abgeschafft. Einige - wie Berlin, Nordrhein-Westfalen und Sachsen - hatten sie nie, und das Saarland wird sie demnächst streichen. Diese Länder scheinen auch ohne gut auszukommen. Insofern würde ich gern statt der Erhebungspraxis und des Anwendungsproblems evaluieren lassen, ob diese Maßnahmen geeignet, erforderlich und angemessen sind.

(Beifall GRÜNE/B90)

Denn wenn man solche Maßnahmen anbietet, besteht leider auch immer Missbrauchsgefahr.

Wenn man sich die Regelung in § 33b mit seinen zehn bzw.

neu - elf Absätzen anschaut, in denen es von Querverweisen und Verweisen mit seinen neuen Absätzen nur so wimmelt, frage ich mich, welcher Bürger und welcher Polizist da noch durchsieht. Auch das Innenministerium scheint nicht immer den Überblick zu haben. So mussten im Oktober Angaben zur Anwendung der Maßnahmen berichtigt werden.

Gestatten Sie mir, auch noch auf einen Vorfall in unserem Nachbarland Sachsen einzugehen. Dort wurde im Februar dieses Jahres anlässlich eines Neonaziaufmarschs mit entsprechend großer Gegendemonstration ein Vorfall öffentlich bekannt, der unter dem Namen „Handygate“ Furore gemacht hat. Sächsische Ermittlungsbehörden sammelten im Zusammenhang mit dieser Demonstration mehr als eine Million Datensätze von Handynutzern. Die Presse mutmaßte, dass offenbar ganz Dresden überwacht worden sei.

Ich muss zum Ende kommen. - Sie sehen, ich habe trotz der positiven Evaluierung durch das Max-Planck-Institut große Bauchschmerzen, was diese polizeilichen Maßnahmen angeht. Das Auffinden hilfloser Vermisster mittels Handyortung ist sicherlich sinnvoll, aber für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der organisierten Kriminalität scheinen mir diese eingriffsintensiven Maßnahmen nicht notwendig zu sein.

Der Überweisung stimmen wir gern zu; mit einer dauerhaften Übernahme dieser Maßnahmen können wir uns nicht einverstanden erklären.

(Beifall GRÜNE/B90 sowie des Abgeordneten Goetz [FDP])

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Nonnemacher. - Das Wort würde jetzt noch einmal die Landesregierung erhalten. Herr Dr. Woidke, möchten Sie noch einmal sprechen? - Er möchte nicht.

Damit sind wir am Ende der Aussprache angelangt. Wir kommen zur Abstimmung. Das Präsidium empfiehlt die Überweisung des Achten Gesetzes zur Änderung des Brandenburgischen Polizeigesetzes in Drucksache 5/4163, eingebracht von der Landesregierung, an den Ausschuss für Inneres. Wer dem Überweisungsantrag Folge leisten möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist dieser Antrag überwiesen worden.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 4 und rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:

Erstes Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg - Beteiligung von Kindern und Jugendlichen

Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 5/4166

1. Lesung

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der einbringenden Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Frau Abgeordnete von Halem hat das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die alte Weisheit „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ kennen wir alle, aber sie stimmt nicht mehr so richtig. Erstens suggeriert sie, dass es mit dem Lernen einmal ein Ende habe ganz selbstverständlich, gottgegeben, als Lauf der Dinge -, und zwar in dem Moment, in dem aus Hänschen ein Hans wird. Aber wir wissen, dass die Welt sich schneller dreht und wir alle uns nicht mehr darauf berufen können, uns zurücklehnen können, weil wir den Status des Hans erreicht haben. Nein, von uns allen wird erwartet, dass wir die Drehung der Welt genau beobachten und die Maxime unseres Handelns immer wieder neu überprüfen. Wer sich dem unter Bezugnahme darauf verweigert, jahrzehntelange Wiederholung desselben belege den Reifegrad, wird heute eher belächelt.

Zweitens aber wissen wir auch mehr darüber, wie Hänschen und auch Gretchen überhaupt lernen. Ihre Hirne und Verhaltensmuster werden schon im Windelalter geprägt - früher, als man lange Zeit vermutete. Wenn wir aus unseren Kindern mündige Demokraten machen wollen, die nicht nur ausreichend ausgebildet sind, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, sondern darüber hinaus Zeit und Energie aufwenden, sich an den demokratischen Prozessen zu beteiligen - wie schwierig und kraftraubend das oftmals ist, wissen wir alle -, müssen wir ihnen frühzeitig zeigen, dass Engagement sich lohnt.

Wer schon im Kindesalter mit seinen Wünschen ernst genommen wird, die oder der lernt früh, dass es auf jeden ankommt, dass jeder gestalten kann und jede Stimme zählt. Dabei geht es um den familiären Kontext, es geht in ganz erheblichem Maße um Kindertagesstätten und auch um Schule.

Die wichtigste Rolle spielt dabei aber nicht die richtige Anordnung des richtigen Unterrichtsstoffs zur demokratischen Grundbildung, sondern sehr viel mehr die lebensweltliche Erfahrung. In demokratischen Aushandlungsprozessen selbst gestalten zu können, mit Gleichgesinnten und Widerständlern tatsächlich Einfluss auf das eigene Umfeld nehmen zu können, das ist die beste Schule der Demokratie - vielleicht dabei sogar Fehler der Erwachsenen zu korrigieren, die sich vielleicht nicht mehr so genau erinnern, wie denn eine Skaterbahn gut konstruiert ist. Das spart Geld und erhöht die Akzeptanz.

Dass diese Prozesse aber auf kommunaler Ebene trotz viel guten Willens oft so holprig sind, hat vor allem zwei Gründe. Erstens: Kinder und Jugendliche leben schneller. Ein Freizeitgelände zu planen wird sie nicht begeistern, wenn es erst nach ihrem Berufsabschluss fertig ist. Zweitens wird es sie nicht begeistern, wenn ihr in anstrengenden Diskussionsrunden ausgehandeltes Ergebnis nur im Papierkorb der kommunalen Entscheidungsträger landet.