Protokoll der Sitzung vom 10.11.2011

Aber diese Sorge verfliegt sofort, wenn man sich die Details des Ansinnens der CDU genauer ansieht. Dann wird sehr schnell deutlich, dass es sich um eine Mogelpackung handelt. Interessant ist, dass der Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt beklagt, dass hierbei wohl der Meinung der Bevölkerung nachgegeben werde. Es wäre ja schön, wenn es so wäre, aber auch das ist nur eine Nebelkerze.

Was die CDU einführen will, ist nicht das, was die Mehrzahl der Bevölkerung will, nämlich einen bundesweiten einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn, der vom Bundestag verbindlich beschlossen wird.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Die CDU möchte Vereinbarungen mit den Tarifvertragsparteien, die dann als Lohnuntergrenzen in den Bereichen zur Geltung kommen sollen, in denen sich die Tarifvertragsparteien bisher nicht auf eine Lohnuntergrenze einigen konnten. Wie weltfremd ist das eigentlich angesichts der Tatsache, dass in Brandenburg nur ca. 30 % der Betriebe tarifgebunden sind?

(Zuruf von der CDU: Warum ist das so?)

Wie, Frau Schier, wollen Sie die anderen 70 % der Betriebe dazu bewegen oder zwingen, solche Tarifverträge abzuschließen?

Das Ansinnen der CDU ist ein bloßer Appell an die Tarifvertragsparteien ohne jegliche Verbindlichkeit.

(Bischoff [SPD]: Ja!)

Skandalös ist auch, dass erneut in Ost und West unterteilt werden soll, so jedenfalls die Diskussion in den Medien. Danach könnten die Lohnuntergrenzen aus den Tarifverträgen der Zeitarbeitsbranche der Maßstab sein. Sie betragen im Westen 7,79 Euro und im Osten 6,89 Euro.

Allerdings hat die Bundeskanzlerin diese Aussage durch Ihren Generalsekretär Hermann Gröhe am Dienstag dementieren lassen. Die Lohnuntergrenze könnte also noch tiefer sein, was ich nach Ihrer soeben geführten Argumentation, Frau Schier, befürchte. Vielleicht erfahren wir das genauer nach dem CDUParteitag.

Jedem, der es wirklich wissen will, ist inzwischen klar, dass mindestens 8 Euro bis 8,50 Euro erforderlich sind, um von seiner Arbeit leben zu können, um nicht von zusätzlichen Leistungen des Staates abhängig zu sein.

Nicht ersparen können wir uns die Feststellung, dass mit den Hartz-IV-Reformen der Druck auf die Arbeitslosen erhöht wurde, auch schlecht bezahlte Jobs anzunehmen, wobei der Kündigungsschutz maßgeblich gelockert wurde und die Ausweitung der Leiharbeit und der Minijobs ihren Teil zur Unterlaufung von Tarifverträgen geleistet hat.

Die Tatsache, dass eine Bezahlung von 30 % unter Tarif noch zumutbar ist, und die anderen arbeitsmarktpolitischen Fehlleistungen haben zu einer wesentlichen Ausweitung des Billiglohnsektors in Deutschland geführt und die Tarifverhandlungen der Sozialpartner maßgeblich negativ beeinflusst.

Laut Aussage des Instituts für Arbeit und Qualifikation ist der Niedriglohnsektor im letzten Jahrzehnt um 2,3 Millionen auf mehr als sechseinhalb Millionen Beschäftigte angewachsen. Die Bertelsmann Stiftung hat festgestellt, dass in Deutschland die Einkommensarmut in den letzten zwei Jahren deutlich zugenommen hat und die Ungleichverteilung der Einkommen so stark ist wie in keinem anderen OECD-Mitgliedsstaat.

Im Gegenzug haben die Steuerzahler - mein Kollege Baer hat bereits darauf hingewiesen - seit dem Jahr 2005 Niedriglöhne mit mehr als 50 Milliarden Euro finanziert. Die jährlichen Ausgaben zur Aufstockung von Niedriglöhnen sind von 8 Milliarden Euro im Jahr 2005 kontinuierlich auf über 11 Milliarden Euro im Jahr 2009 angestiegen. Die Zahl der Leiharbeiter stieg allein von Sommer 2010 bis Anfang 2011 von 700 000 auf über 1 Million Leiharbeiter. Im Juni 2010 gab der Bund 40 Millionen Euro aus, um zu niedrige Leiharbeitsgehälter aufzustocken. Das waren 70 % mehr als im Vorjahresmonat.

Das heißt, die Ausbreitung von Armutslöhnen wird staatlich gefördert, und das auf Kosten der Allgemeinheit. Genau das soll mit einem bundesweiten einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn beendet werden.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat ausrechnen lassen, wie sich solche Mindestlöhne auf die öffentlichen Haushalte und auf die Sozialkassen positiv auswirken würden. Nach einer Studie der Prognos AG würde ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro 2,67 Milliarden Euro mehr Einkommenssteuer in den Staatshaushalt und 2,68 Milliarden Euro zusätzlich für die Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung bringen. Bei 10 Euro wären es sogar 5,3 Milliarden Euro mehr für den Staatshaushalt.

Mindestens 5 Millionen Beschäftigte würden ein höheres Arbeitsentgelt erhalten, und der Sozialstaat müsste 1,7 Milliarden Euro weniger an Arbeitslosengeld II, an Wohngeld, an Sozialhilfe und an Kindergeldzuschlag zahlen.

Die Binnennachfrage würde durch 14,5 Milliarden Euro mehr Einkommen gestärkt, wobei durch eine geringe Preissteigerung wegen der erhöhten Nachfrage 11,4 Milliarden Euro real erhöhtes Einkommen zur Verfügung stehen würden.

(Zuruf von der CDU: 11,5!)

Diese Nachfrage könnte wiederum ca. 78 000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, so die Prognos AG.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Damit sind wir beim wichtigsten Argument der Gegner eines gesetzlichen Mindestlohnes, dass dieser Arbeitsplätze vernichten würde.

Auch hierzu muss ich Sie mit den Ergebnissen einer Studie quälen. Über 16 Jahre haben drei Forscher der US-Eliteuniversität Berkeley die Entwicklung der Mindestlöhne in den Bundesstaaten der USA beobachtet. Neben den positiven Erfahrungen aus Großbritannien und der Bauindustrie in Deutschland hört, hört! - kommen Sie zu dem Ergebnis: Höhere Mindestlöhne haben tatsächlich die gewünschte sozialpolitische Wirkung. Wenn ein Bundesstaat den Mindestlohn erhöhte, stiegen danach auch die Einkommen der betroffenen Beschäftigten in den anderen Bereichen. Entlassungen wurden wegen der Erhöhung der Lohnkosten nicht vorgenommen.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: So ist es!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zusammenfassen und angesichts Ihrer Aussage, Frau Schier, dass es keine absolute Wahrheit gebe - darin stimme ich Ihnen zu - sagen, dass es aber soziale Standards gibt. Diese will ich in meiner Zusammenfassung nennen.

20 von 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union - das haben wir schon gehört - haben gesetzliche Mindestlöhne. Warum brauchen auch wir welche? Mindestlöhne verhindern Lohnarmut. Sie stellen sicher, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können und keine weitere Unterstützung vom Staat benötigen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Mindestlöhne sorgen vor. „Niedriglohn heute“ heißt „Altersarmut morgen“. Mindestlöhne entlasten den Staatshaushalt. Es ist zuerst Aufgabe der Unternehmen, nicht des Staates, für existenzsichernde Einkommen zu sorgen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Jeder kennt den Satz im Grundgesetz: „Eigentum verpflichtet.“

Mindestlöhne schaffen würdige Arbeitsbedingungen. Existenzsichernde Einkommen sind ein Zeichen des Respekts für getane Arbeit.

Mindestlöhne schaffen fairen Wettbewerb. Lohndumping ist ein unfairer Wettbewerbsvorteil zulasten der abhängig Beschäftigten.

Mindestlöhne sorgen für Gerechtigkeit. Mindestlöhne stoppen die Abwärtsspirale der Löhne, unter der immer häufiger auch mein Kollege Baer hat Zahlen genannt - Beschäftigte mit Berufsausbildung oder Studium leiden.

Mindestlöhne sorgen für Gleichberechtigung. Sie befreien Frauen, die besonders von Niedriglöhnen betroffen sind, von Lohnarmut und Abhängigkeit.

Mindestlöhne kurbeln die Binnenwirtschaft an. Sie sorgen für mehr Nachfrage und wirken sich positiv auf die Konjunktur aus.

Mindestlöhne stärken die soziale Seite der EU, da sie die Angst vor dem Wegfall der Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit und vor Dumpinglöhnen nehmen.

Mindestlöhne schaffen Klarheit, sodass Beschäftigte wissen, welcher Lohn ihnen zusteht. Damit werden sie nicht in Unwissenheit gelassen und müssen nicht unterhalb des Existenzminimums arbeiten. - Ich danke Ihnen.

(Beifall DIE LINKE, SPD und GRÜNE/B90)

Der Abgeordnete Büttner spricht für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es gleich vorweg zu sagen: Die Freien Demokraten sind gegen einen flächendeckenden allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn in unserer Republik. Es wird in dieser Frage auch keine Änderung unserer Position geben.

(Beifall FDP - Holzschuher [SPD]: Das sehen 3 % aller Bundesbürger genauso!)

- Bleiben Sie doch einfach ruhig! Ehrlich gesagt ist mir völlig egal, was Sie, Herr Holzschuher, dazu sagen, wie viel Prozent angeblich irgendetwas sehen.

Meine Damen und Herren! Ich wundere mich schon, wozu die Regierungsfraktionen in letzter Zeit die Aktuellen Stunden nutzen. Im Oktober hat uns Frau Kaiser in einem PhilosophieGrundseminar 15 Minuten lang Fragen gestellt, aber keine Antworten gegeben.

(Beifall FDP und CDU)

Jetzt benutzt die SPD schon einen Antrag auf dem CDUBundesparteitag - der Antrag ist noch nicht einmal beschlossen worden; selbst der Parteitag hat noch nicht stattgefunden -, um hier über einen Mindestlohn zu diskutieren.

(Frau Lehmann [SPD]: Aktueller geht es ja gar nicht!)

Sie sind schon so ideenlos, meine Damen und Herren von der Koalition, dass sie einen Antrag, der auf dem CDU-Bundesparteitag behandelt werden soll, zum Anlass für eine Aktuelle Stunde hier im Landtag nehmen.

(Beifall FDP und CDU)

Sei's drum - dann diskutieren wir halt wieder über Mindestlöhne.

Herr Kollege Baer, Sie haben hier genau eine einzige Sache richtig gesagt: