Protokoll der Sitzung vom 14.12.2011

Manchmal hat man den Eindruck, die Landesregierung könne die Kürzung bei den Schulen in freier Trägerschaft vielleicht sogar deshalb eingefädelt haben, damit die Diskussion von der allgemeinen Bildungsmisere abgelenkt wird. Warum jedenfalls die Landesregierung zu einem solchen Schlag gegen die Schulen in freier Trägerschaft ausholt, habe ich nie verstanden. Aus Sicht von uns Bündnisgrünen sprechen mehrere Gründe dagegen. Die wichtigsten will ich hier nennen.

Erstens. Freie Schulen tragen zur Vielfalt pädagogischer Konzepte bei und bereichern die Schullandschaft.

Zweitens. Die Einsparargumente sind billige Attrappe: Es kostet die öffentliche Hand nämlich mehr Geld, wenn die Kinder im staatlichen Schulsystem sind, auch wenn diese Mehrkosten nicht auf das Land entfallen, sondern vielmehr auf die Kommunen. Alle gegenteiligen Behauptungen sind undurchsichtig, wobei die beharrliche Weigerung des Landes, die Vollkosten berechnen zu lassen, wie eine zusätzliche Bestätigung der Absurdität des Spararguments wirkt. Des Weiteren hieß es anfangs, alle müssten sparen - so auch die freien Schulen. De facto werden jetzt aber die Personalreserven und die freien Schulen geschröpft. Das ist schlichtweg ungerecht.

(Beifall GRÜNE/B90 sowie der Abgeordneten Richstein [CDU])

Drittens: Das Engagement, das von Eltern, Lehrkräften und den Organisatoren der freien Schulen an den Tag gelegt wird inklusive der damit oft verbundenen finanziellen Verpflichtungen beim Aufbau dieser Schulen -, sucht Seinesgleichen. Eine solche Beteiligung am Gemeinwesen gehört aus unserer Sicht mit zu dem wertvollsten, was ein Land überhaupt haben kann. Wir sollten es hegen und pflegen, anstatt es mit Füßen zu treten.

(Beifall GRÜNE/B90 sowie der Abgeordneten Blechin- ger [CDU])

Das größte Defizit im Bildungswesen finden wir aber wohl weniger bei den Schulen in freier Trägerschaft. Auch ich bin der Meinung, dass die wichtigste Herausforderung die Kinder sind, deren Eltern nicht für die Schulsituation ihrer Kinder auf die Straße gehen. Das sind die Bildungsverlierer, denen unsere größte Sorge gelten muss.

(Beifall der Abgeordneten Große [DIE LINKE])

Hier werden Kinder ihrer Zukunftschancen beraubt, und volkswirtschaftliches Potenzial wird verschleudert. Wer in den letzten Monaten hingehört hat, dem müsste nun klar sein, dass entgegen der landläufigen Meinung das Argument, Schulen in freier Trägerschaft seien etwas für Besserverdienende, nicht stimmt. Diese Schulen, insbesondere die konfessionell gebun

denen Schulen, haben oft einen ausgesprochen sozialen Anspruch und setzen diesen hervorragend um. Damit dieser Anspruch noch mehr Wirksamkeit entfalten kann, sollten diese Schulen nicht stranguliert, sondern unterstützt und gefördert werden.

(Beifall GRÜNE/B90)

Ergo: Das von Finanzminister Dr. Markov geäußerte Argument, das größte Augenmerk müsse den staatlichen Schulen gelten, ist nicht völlig falsch. Bloß dadurch, dass wir den Schulen in freier Trägerschaft etwas wegnehmen, machen wir die Schulen in staatlicher Trägerschaft keinen Deut besser.

(Beifall GRÜNE/B90, CDU sowie FDP)

Nach den Monaten der Debatte um die freien Schulen bleibt für mich ein großes Fragezeichen. Das Einsparargument ist in meinen Augen verpufft oder zumindest in der Größenordnung irrelevant. Was bleibt, ist ein kaum wiedergutzumachender Affront gegenüber Zigtausenden engagierten Bürgern, Ärger bei den großen Kirchen und Verunsicherung bei den Kommunen.

Warum, meine Damen und Herren aus den Koalitionsfraktionen, tun Sie sich das eigentlich an - und nicht nur sich, sondern auch diesem Land? Warum passiert das eigentlich? Die paar Millionen, die Sie sparen wollen und die die Kritiker für Fehlkalkulationen halten, können doch nicht der Grund dafür sein, sich diesen Unmut ins bzw. vor das Haus zu holen.

Worum geht es hier eigentlich? Natürlich sehe ich das hässliche, dumme Argument wieder vor mir: Die Quote sei erfüllt, jetzt dürfe Schluss sein mit den freien Schulen. - Geht es am Ende doch nur um Etatismus? Ich habe jedenfalls bis heute nicht verstanden, warum das sein musste und warum wir die anderen wichtigen Punkte im Bildungssystem von der Tagesordnung kippen mussten.

Zum Schluss noch das Lieblingsthema Inklusion. Ich freue mich über die Schritte, die Frau Ministerin Münch jetzt geht. Die zusätzlichen Mittel für die Fortbildung sowie die Ressourcen, die in die Errichtung der Pilotschulen investiert werden, sind ausgesprochen begrüßenswert. Die Haushaltsmittel für die maximal 90 Pilotschulen werden in den nächsten Jahren anwachsen. Das Vorhaben bietet die große Chance, exemplarisch den Umbau des Schulsystems anzugehen und damit Vorzeigeprojekte zu schaffen, deren Ausstrahlung andere mitzieht. Diese Saat zu päppeln, die Vorbehalte und Unwägbarkeiten mit aus dem Weg zu räumen, dafür wollen wir Bündnisgrüne in den nächsten Jahren gern unseren Beitrag leisten.

(Beifall GRÜNE/B90, DIE LINKE sowie SPD)

Inklusion, der Weg zu einem Schulsystem, das alle angemessen fördert, in dem nicht die Kinder zur Schule passen müssen, sondern die Schule zu den Kindern, wird wahrscheinlich über viele Jahre die größte Herausforderung für unser Bildungssystem und gleichzeitig die beste Antwort darauf sein, wie es gelingen kann, die Bildungschancen gerechter zu verteilen. Natürlich hätten wir uns mit unseren Anträgen zur Fortbildung und zu Modellprojekten eine noch bessere Ausstattung gewünscht. Wir haben auch vorgerechnet, wie das ohne neue Schulden umsetzbar ist. Aber an der Zusage, dieses Pro

jekt kritisch, treibend und konstruktiv zu begleiten, halten wir fest.

(Beifall GRÜNE/B90 sowie vereinzelt DIE LINKE)

Mal gleich ein wenig konstruktive Kritik. Erstens: Wir müssen auch bei den Haushaltsplanungen dafür Sorge tragen, dass das Modell der Pilotschulen kein Exotenprogramm bleibt, sondern auf Ausbreitung auf alle Schulen angelegt ist. Zweitens halte ich es für einen Fehler, erst einmal nur an die Förderschwerpunkte LES zu denken. Das sind immerhin Förderarten, die es international gar nicht gibt. Drittens müssten wir frühzeitig kalkulieren, dass konsequente Inklusion bedeutet, dass die Zielmarke kein mehrgliedriges Schulsystem mehr sein kann.

(Beifall GRÜNE/B90, DIE LINKE sowie vereinzelt SPD)

Was bleibt als Fazit? Bildung soll Priorität haben. Das haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, nicht umgesetzt. Wer Priorität ehrlich meint, der muss auch über Posteriorität entscheiden. Davor haben Sie sich gedrückt, egal, ob Tierkörperbeseitigungsgesetz oder bessere Kooperationen mit Berlin zur Vermeidung unsinniger Kosten bei Justizvollzugsanstalten. Minister Rupprecht wollte noch die Zahl derer halbieren, die die Schule ohne einen Abschluss verlassen. Jetzt ist bald Halbzeit und wenig gewonnen.

(Frau Muhß [SPD]: Na, so schnell geht’s auch nicht!)

Die Verbesserung des Kitabetreuungsschlüssels hat uns im Ländervergleich von Platz 16 auf Platz 16 katapultiert. Geht man in die Kitas, sagen die Leiterinnen, so richtig merken würden sie das eigentlich auch nicht.

Es ist sicher ein Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit, aber knapp unter der Wahrnehmbarkeitsgrenze. Gleiches gilt für das hochgelobte Schüler-BAföG. Es ist zwar noch etwas Zeit bis zur Halbzeitbilanz, aber die Sache mit dem Schwerpunkt Bildung können wir getrost vergessen, und die Zukunftsvisionen könnten auch ein wenig mehr sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Rot, damit komme ich zuletzt noch zu einem Punkt, der mich ganz besonders ärgert: Auf kommunaler Ebene werden allerorten Resolutionen beschlossen, meistens mit den Stimmen von SPD und Linke, die vom Landtag eine bessere Ausstattung des Bildungswesens fordern. Die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung zum Beispiel hat unlängst auch mit rot-roten Stimmen ihren Oberbürgermeister aufgefordert, einen Brief an die Landtagsabgeordneten zu schreiben. Das ist doch der Gipfel der Absurdität. Da werde ich - notabene vom SPD-Oberbürgermeister - aufgefordert, mich für bessere Bildungspolitik im Landtag einzusetzen,

(Beifall GRÜNE/B90, CDU sowie FDP)

und dann auch noch gefragt, mit welchen Mitteln ich denn das zu tun gedenke.

(Frau Geywitz [SPD]: Das habt ihr doch beantragt!)

- Sie haben aber mitgestimmt. - Meine Damen und Herren von der Landesregierung, wenn Sie es schon nicht schaffen, den

Ansprüchen Ihrer eigenen Partei Genüge zu tun, dann erklären Sie ihren Mitgliedern bitte wenigstens, warum das so ist.

(Beifall GRÜNE/B90, CDU sowie FDP)

Der Abgeordnete Günther setzt für die SPD-Fraktion fort.

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alljährlich zur Diskussion des Bildungshaushalts kommt mir die Aufgabe zu, auf das halbgefüllte Glas hinzuweisen - ich habe es gerade eingeschenkt -, weil: Wir hatten auch schon bei den beiden Vorrednerinnen genau diese Diskussion: Ist es nun halbvoll oder halbleer? Meine Aufgabe war also, auf den vollen Teil hinzuweisen - eine, wie ich finde, durchaus wichtige Aufgabe, damit man eine realistische Einschätzung vom Füllstand des Glases bekommen kann.

Man muss aber auch bereit und willens sein, zur Kenntnis zu nehmen, dass zum einen, wie Frau Große richtig gesagt hat, das Volumen des Bildungshaushalts insgesamt gestiegen ist und dass zum anderen im Gegensatz zu anderen Bereichen – auch der Kontrast ist wichtig - auch die Schulen in freier Trägerschaft im kommenden Jahr mehr Geld als in diesem erhalten.

Die allgemein verbreiteten Forderungen allgemeiner Art nach Geld für Bildung – wir haben sie heute wieder draußen, vor dem Haus gehört, aber auch oft im politischen Raum - gehen Bildungspolitikern natürlich erst einmal runter wie Öl, ohne Frage. Die, die das aber im politischen Raum fordern, gehören ganz oft Parteien an, die gleichzeitig die Schuldenbremse beschlossen haben und immer noch mehr Steuersenkungen auf der Agenda haben. Manche von denen fordern sogar ein noch flotteres Auslaufen des Solis. Also: Geld wegnehmen und gleichzeitig mehr Ausgaben fordern funktioniert nicht; ich werde auch nicht müde, auf diesen Widerspruch hinzuweisen. Aber: Die nächsten Bundestagswahlen sind schon in Sicht. Ich habe große Hoffnung, dass sich da etwas zum Positiven ändern wird.

Unter den gegebenen Rahmenbedingungen für Bildung in Brandenburg wird es immer noch wertvoller, dass die Koalitionsfraktionen zugunsten der Bildung Geld bewegt haben - und das in einem Umfang, wenn ich mich recht erinnere, wie in kaum einem Jahr zuvor. Das war kein leichtes Unterfangen, da wir seriöse Deckungsquellen aufspüren mussten. Anders als die Oppositionsfraktionen

(Oh! bei den Grünen)

stand für uns nicht zur Debatte, rechtswidrig Mittel für das Schüler-BAföG zugunsten der eigenen Änderungsanträge „aufzufressen“. Egal, wie man zu dem Mittel Schüler-BAföG in der Sache steht, es handelt sich hierbei um einen existierenden, verbrieften Leistungsanspruch, bezüglich dessen man nicht einfach sagen kann: Ja, der Anspruch ist zwar da, tut uns aber leid, wir haben kein Geld in den Haushalt eingestellt. – So einfach können und wollen wir es uns auch nicht machen.

(Beifall SPD)

Im Gegenteil! Für uns stand die Frage: Wo ist denn mehr Geld besonders - nicht überall, sondern besonders - nötig? Welche Projekte stehen in den nächsten Jahren ganz besonders im Mittelpunkt? - Da gibt es als Erstes das riesige Thema mit dem so spröde klingenden Titel „Inklusion“. Das wird nach unserem Willen kein neues Modellprojekt der rot-roten Regierung, sondern es wird die Art unseres Lernens komplett, insgesamt verändern. Wenn wir - in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft erfolgreich sind, wird es unser gesamtes Denken und unser Handeln verändern. Auch wenn wir uns auf dem Weg dahin nicht unter Zeitdruck setzen lassen sollten, werden wir doch den ersten, einen erkennbaren Schritt im kommenden Haushaltsjahr gehen, dem weitere folgen müssen.

Schon zum kommenden Schuljahr werden Pilotschulen an den Start gehen, die gemeinsames Lernen von Klasse 1 an vorleben sollen. Jeder und jede kann sich das anschauen. Niemand wird mehr behaupten, es ginge nicht, sondern das Land muss darüber diskutieren, wie es geht, gemeinsam zu lernen. Dafür werden wir als Koalitionsfraktionen zusätzlich 2 Millionen Euro bereitstellen und eine weitere Million Euro, weil großer Fortbildungsbedarf entsteht, wenn man das Bildungssystem so grundsätzlich umsteuert.

Inzwischen sollte sich herumgesprochen haben, dass wir die Lehramtsausbildung so umstellen, dass künftig jede neue junge Lehrerin und jeder neue junge Lehrer mindestens sonderpädagogische Grundkenntnisse besitzt. Die Universität Potsdam erhält wieder einen eigenen Studiengang Sonderpädagogik.

(Vereinzelt Beifall SPD und des Abgeordneten Krause [DIE LINKE])

Das alles sind Investitionen in die Zukunft, von denen auch in den kommenden Jahren noch viel zu hören sein wird.

Aber damit nicht genug. Auf den Anfang kommt es an. Das ist fast schon ein geflügeltes Wort geworden. Die Koalitionsfraktionen werden mehr investieren, um die Sprachförderung in unseren Kitas auf eine breitere Basis zu stellen. Frau Große hat das hier sehr ausführlich erläutert. Außerdem werden wir gezielt die Kitas unterstützen, die besondere Anstrengungen unternehmen, um berufsbegleitend Erzieherinnen und Erzieher - Nachwuchs, den wir so dringend brauchen - ausbilden.

Nicht zu guter Letzt, aber am Schluss meiner Aufzählung will ich sagen: Wir wollen morgen nicht nur die Verfassung ändern und das Wahlrecht mit 16 Jahren für Kommunalwahlen und Landtagswahlen

(Zuruf)

- wir schon - und Abstimmungen einführen. Nein, uns ist klar, dass es nicht damit getan sein kann, die Verfassung zu ändern. Wir müssen den 16- und 17-Jährigen gleichzeitig vor Augen führen, welche Rechte sie ganz praktisch haben werden und warum es nützlich ist und warum es Spaß machen kann, genau diese Rechte zu nutzen. Dafür brauchen wir eine Informationskampagne mit langem Atem, wofür wir ebenfalls zusätzliches Geld bereitstellen werden. Das alles sollte man bedenken bei der Frage, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Man sollte es zumindest einmal zur Kenntnis nehmen.