Wir arbeiten weiter an den genannten offenen, auch strukturellen Fragen. Wenn es auch ganz normal ist, dass jede Fraktion im Übrigen auch jede regierende Fraktion - in einer Debatte und bei Haushaltsentscheidungen Kompromisse eingeht, und wenn auch ganz klar ist, dass die Fraktion DIE LINKE bei bestimmten Interessen und Aushandlungsprozessen ihrer Koalitionspartnerin selbstverständlich unterlegen ist, so müssen wir damit umgehen. Dann sage ich: Wir waren nicht überzeugend genug, nicht stark genug. Wir hätten uns auch an verschiedenen Stellen, bei der Kofinanzierung von Bundesmitteln, bei der Wirtschaftsförderung, beim Umfang und vor allem bei der Art und Weise der sogenannten Formellösung in Bezug auf die Kürzungen bei den freien Schulen, vielleicht eine andere Variante gewünscht.
Solche Kompromisse sind von uns jetzt zu verantworten. Es gibt die gemeinsame Richtung und die gemeinsame Substanz der Politik der Koalition. Wir werden in diese Richtung weiterarbeiten, und zwar gemeinsam und auf dem Niveau, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, das - so wünschte ich es mir - im gesamten Landtag wieder Einzug halten sollte, einer sachlichen Auseinandersetzung, in der das Argument zählt und man nicht Personen angreift, Nebelbomben wirft oder Finanzgags und Zauberei vollführt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der strukturelle Wandel von Gesellschaft, Ökonomie, Ökologie, des Sozialsystems und der kulturelle Umbruch sind zentrale Herausforderungen, die wir nicht nur in Brandenburg, sondern in Deutschland, Europa und der Welt zu betrachten haben. Wenn es in den letzten Jahren um die Gewährleistung der Handlungsfähigkeit des Staates und der Kommunen ging, ist immer wieder ein Begriff in der finanzpolitischen Debatte gewesen: Austerität. Mit diesem Schlagwort ist schon fast ein Drohpotenzial verbunden. Es steht nämlich für strengste Beschränkung der Ausgaben auf das Notwendige. Das Notwendige - was also mögliche Not abwendet. In diesem abstrakten Sinn weist es auf etwas Richtiges hin. Was aber das Notwendige ist, das erstreiten wir im Parlament. Daran scheiden sich die Geister - übrigens nicht nur zwischen Regierung und Opposition -; deshalb streiten wir ja.
Frau Ludwig hat eingefordert, aus der Geschichte zu lernen. Ich bin sehr dafür, aber es sei freundlich angemerkt, dass die Geschichte weiter zurückreicht als bis zur Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik. Was die Austerität betrifft, reicht sie bis auf das Jahr 1929, in dem der Schwarze Freitag heraufbeschworen worden ist, zurück. Das war ein schlim
mer Fall in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands. Der klassische Fall von Austeritätspolitik in Deutschland ist die Politik des damaligen Reichskanzlers Brüning Anfang der 30er-Jahre. Deren Ergebnis war eine dramatische soziale Desintegration, und auch sie gehörte zum Nährboden für die dramatische politische Radikalisierung mit verhängnisvollsten Folgen für Deutschland und die Welt.
Zum Glück gab es im Jahr 2008 nach dem Zusammenbruch der Bank Lehman Brothers den internationalen Konsens, dass man solch ein politisches Versagen wie im Zusammenhang mit dem Schwarzen Freitag weltweit eben nicht noch einmal zulassen will. Der soziale Zusammenhang der Gesellschaften sollte ein wesentliches Ziel von Politik sein. Dieses Ziel bleibt bestehen, und ich hoffe, der Konsens besteht auch in der Zeit der Staatsschuldenkrise in Brandenburg. Deshalb beunruhigen mich die schrillen Töne der CDU einerseits und die populistischen Forderungen andererseits. Solch eine Politik ist nicht mehr konstruktiv - leider. Ich weiß nicht, inwiefern Sie überhaupt diese Fragen stellen. Während der ganzen Haushaltsdebatte frage ich mich: Wie soll das gehen? Sie stellen immer zwei Fragen. Die erste ist: Warum wird die Nettoneuverschuldung nicht sofort auf null reduziert? Ihre Ansage dazu: Das geht. Sofort auf null. - Dann fragen Sie: Warum wird nicht mehr Geld für alle wichtigen Bereiche eingestellt: freie Schulen, Polizei, Personal, Verbraucherschutz, Wirtschaftsförderung?
- Wir haben Prioritäten gesetzt. Sie sagen: die falschen. Wir sagen: die, die wir verantworten können.
Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Sie haben im Haushalt nicht einmal finanzpolitische Manövriermasse gefunden. Allein beim Programm „Arbeit für Brandenburg“ haben Sie sich bedient. Insofern erinnere ich Sie daran - die Kollegin Ludwig hat mir das Stichwort „Kurzzeitgedächtnis“ gegeben -, wie sportlich Sie mit einer Nettoneuverschuldung in den Jahren, in denen Sie regiert haben, umgegangen sind.
Weihnachten ist eine Zeit der Rückbesinnung. Allein in den Jahren 2000 bis 2006 wurden unter der Regierungsverantwortung der CDU 5,17 Milliarden Euro über Kredite finanziert. Dagegen stehen 343,1 Millionen Euro Nettokreditaufnahme 2010 geplante. Die CDU dagegen hatte fast das doppelte an Nettokreditaufnahme zu verantworten wie Rot-Rot im Jahr 2010, und das mitten in einer Weltwirtschaftskrise.
Ich kann Ihnen nur sagen: Ein Blick in die Protokolle unseres Landtages genügt, um so wunderbare Sätze zu lesen wie:
„Deshalb sage ich deutlich: Der vorliegende Doppelhaushalt ist ein Haushalt der Vernunft und ein Haushalt der Verantwortung für Brandenburg.“
- Ihr früherer Fraktionsvorsitzender, 2005; ich denke, Sie werden sich erinnern. Damals war Frau Funck - die heutige Frau
Ludwig - die Finanzpolitikerin, in einer Zeit - Kunststück! -, in der man ohne wirkliche Einschnitte ausgekommen ist.
Herr Lunacek sagte damals weiter: Wir werden uns an diese Haushaltsdebatte als eine sehr friedliche Haushaltsdebatte erinnern.
Kunststück! sage ich, denn es ging damals um den Doppelhaushalt 2005. Da hatte man bei einem Haushalt von 9,9 Milliarden Euro eine Nettoneuverschuldung von 971 Millionen Euro geplant. Herzlichen Glückwunsch!
Bei einem Haushaltsvolumen 2006 von 10 Milliarden Euro ist man auf 826 Millionen Euro Nettoneuverschuldung gegangen. Insofern kann ich Ihnen nur sagen: Ihre sportliche Haltung von damals wünschte ich mir heute manchmal.
Und ich wünsche Ihnen, dass Sie sowohl das eine - das Einsparen - als auch das andere - das Ausgeben - ins richtige Verhältnis setzen. Deshalb ist das Thema Meinungsstreit hier auch wichtig, weil: Mit formalen Ritualen kommen wir nicht weiter, wenn jeden Tag in der Woche die Landesregierung wechselnd kritisiert wird, dass sie zu wenig oder zu viel spart, und Sie hier den Aufstand der Gerechten proben.
Demonstrationen gab es immer, und ich schätze jeden Demonstranten, weil: Es ist ein wichtiges Gut in dieser Gesellschaft, was ich auch selbst genutzt habe, das sage ich Ihnen ganz deutlich.
Aber so zu tun, als ginge es hier nicht um das Aushandeln verschiedener Interessen, ist einfach verlogen. Und ich sage Ihnen: Es bringt uns wirklich nicht weiter, hier mit solchen Ritualen von Angstmache auch noch mit Schülerinnen und Schülern mitunter - ich nenne es ruhig so - zu spielen. Diese Bedrohungsszenarien kann ich nicht nachvollziehen.
An dieser Stelle schließt sich für mich auch der Kreis zu Inhalten und Debattenkultur, wo eben das Argument zählt. Wir brauchen für diesen und alle nachfolgenden Landeshaushalte eine ernsthafte, sachliche Debatte darüber, was die oben genannte Austerität bedeuten kann, bedeuten darf. Wir brauchen durchaus eine Debatte darüber, wo Ausgaben gekürzt, und auch darüber, wo Ausgaben getätigt werden müssen.
Einen interessanten Anstoß zu dieser Debatte liefert das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung mit einem Papier von Streeck und Mertens, das „Politik im Defizit“ heißt. Es enthält eine unmissverständliche Warnung vor der Politik einseitiger Ausgabenkürzung, per Schuldenbremse. Ich zitiere:
„In Deutschland hat das fiskalische Austeritätsregime mittlerweile Verfassungsrang und ist auf dem Weg, die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes praktisch zu suspendieren.“
Da bin ich bei Ihrem Sozialstaat, den diese Koalition angeblich ablehnt. Das ist blanker Unfug. Die Art und Weise der Finanzpolitik stellt den Sozialstaat infrage.
„Der... Defizit- und Schuldendiskurs“, sagen die Autoren, „wird Staat, Politik und soziale Demokratie auf Dauer als Problem statt als Lösung definieren...“
Und das tut er nach Meinung der Autoren, obwohl und gerade weil sich in der heutigen Weltwirtschaftskrise am Ende des neoliberalen Zeitalters erneut erwiesen hat, dass die öffentliche Gewalt für die Funktionsfähigkeit der privatkapitalistischen Wirtschaft eben unentbehrlich ist. Und da sind wir wieder bei der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen. Ich sage es noch einmal: Die öffentliche Gewalt ist für die Funktionsfähigkeit der privatkapitalistischen Wirtschaft unentbehrlich. Und ich sage Ihnen: Sie haben Ihren Sozialstaat nicht verstanden.
Die Autoren der Studie warnen davor, dass eine Politik, welche die Besitzstände schont und auf Einnahmen verzichtet und einseitig auf strengste Ausgabenkürzung setzt, nicht nur Politik und Staat die Wirkungsmacht nimmt, sondern vor allem deren Grundlage dem demokratischen System den Boden entzieht.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über diese Tendenz, über diese Gefahr, dass also einseitige strengste Ausgabenkürzung dem demokratischen System den Boden entzieht, muss man sich doch im Klaren sein. Und die Koalition ist sich darüber im Klaren, wenn wir einen Haushalt für so ein kleines Bundesland aufstellen und beschließen. Deswegen sprechen wir schon seit langem von einer Finanzpolitik mit Courage und Augenmaß, und zwar mit Blick auf Ausgabenkürzungen wie auch auf Aufgabenfinanzierungen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch vor dem bundesweiten Hintergrund erschreckender Neonaziverbrechen, die jetzt jeden Tag neu transparent werden, muss man an der Stelle sagen - das ist auch ein Versagen von Politik gewesen -: Auch angesichts dieser Nachrichten müssen wir der Gefahr der Erosion von Demokratie konsequent begegnen.
Insofern genügt es eben nicht, uns hier auf die provinzielle Sicht, Frau Ludwig, auf den brandenburgischen „Globus“ zu beschränken. Der Verweis auf den Bund ist eben keine Ausrede, sondern geradezu unsere Pflicht, und wir werden nicht davon ablassen, weiterhin eine gerechte, eine nachhaltige, eine andere Finanz- und Steuerpolitik auf der Bundesebene einzufordern.
In diesem Haushalt, den unser Landtag heute beschließen wird, spiegeln sich all diese Abwägungen wider. Man mag über das eine oder andere Ergebnis streiten, man mag aus den Auseinandersetzungen im und vor dem Parlament Schlussfolgerungen für den nächsten Haushalt ziehen - das ist sogar geboten, und wir werden das auch tun. Was aber nicht geht, ist der Rückfall in neue Einseitigkeiten, in die Ersetzung von notwendigen Abwägungen durch Polemik und Polarisierung. - Ich danke Ihnen.
Danke, Frau Abgeordnete Kaiser. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der FDP-Fraktion fort. Der Abgeordnete Büttner wird zu uns sprechen.
Kollegin Muhß, das liegt ganz an Ihnen und an den beiden Regierungsfraktionen, ob es laut wird oder nicht.