Protokoll der Sitzung vom 04.12.2009

Ziel ist die historische und politische Aufarbeitung, Frau Dr. Ludwig, und nicht die mediale Hinrichtung von Abgeordneten dieses Hohen Hauses.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Wir wollen nicht, dass die Geschichte die Zukunft unseres Landes dominiert. Deshalb wird diese Koalition hart arbeiten. In den nächsten Plenarsitzungen werden wir eine Reihe von Anträgen behandeln. In den nächsten Wochen wird eine Reihe von Gesetzen behandelt werden, mit denen wir das umsetzen werden, was wir versprochen haben: Wir werden uns um mehr soziale Gerechtigkeit kümmern. Wir werden uns für mehr sozialen Aufstieg einsetzen, und wir werden um jeden Arbeitsplatz in diesem Land kämpfen. Das ist unser Auftrag. Genau das werden wir tun. Wir werden eine offene und ehrliche Debatte über die DDR-Geschichte führen. - Herzlichen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der FDP-Fraktion fort, für die der Abgeordnete Goetz spricht.

„Ein Sumpf zieht am Gebirge hin, Verpestet alles schon Errungene;“

(Zuruf von der SPD: Der muss es ja wissen!)

„Den faulen Pfuhl auch abzuziehn, Das letzte wär das Höchsterrungene.

Eröffn‘ ich Räume vielen Millionen, Nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu wohnen.“

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Platzeck, genau das ist Ihre Aufgabe. Es ist Ihre Aufgabe, Räume und Chancen für die 2,5 Millionen Einwohner Brandenburgs zu eröffnen. Voraussetzung dafür ist, den faulen Pfuhl auch abzuziehn. Sie haben in der Vergangenheit des Öfteren darüber gesprochen, dass die vergangenen fünf Jahre die erfolgreichsten der Geschichte des Landes Brandenburg gewesen seien. Ich bin vorsichtig mit Superlativen, aber wenn man saldiert, kann man durchaus zu dem Ergebnis kommen, dass unter dem Strich die vergangenen fünf Jahre für Brandenburg positiv verlaufen sind. Das ist anzuerkennen.

Im Koalitionsvertrag schreiben Sie jetzt, dass erfolgreich auf bisher Erreichtem aufgebaut werden soll, dass Verantwortung für das ganze Land getragen wird, dass offen und kritisch mit früheren Fehlern umgegangen wird und - nochmals -: dass Verantwortung übernommen werden soll.

Derzeit erleben wir das genaue Gegenteil davon. Wir erleben keinen verantwortungsvollen Umgang mit der Verantwortung und eben keinen offenen und kritischen Umgang mit früheren Fehlern. Wir erleben auch keine Aufarbeitung. Wir erleben derzeit die Kernschmelze dieser Regierungskoalition und dieser Regierung. Es ist der größte anzunehmende Unfall, der im Land Brandenburg passieren konnte,

(Beifall FDP und CDU)

nicht nur für die Regierung, nicht nur für die Regierungskoalition, sondern für das Land insgesamt, auch für uns in der Opposition. Wir hätten eine gute und handlungsfähige Regierung bitter nötig. Herr Präsident, ich entschuldige mich im Voraus:

Wir in Brandenburg haben im Moment wirklich den Arsch voll Probleme. Wir haben die größte Wirtschafts- und Finanzkrise in der Geschichte der Bundesrepublik. Wir erwarten über 560 Millionen Euro Steuerausfälle allein in diesem Jahr. Viele kleine und mittelständische Unternehmen wissen noch nicht, ob sie das nächste Jahr überstehen werden.

(Bischoff [SPD]: Ihr habt ja alle Regeln abgeschafft!)

Es gibt in Brandenburg eine durch erheblichen Unterrichtsausfall gekennzeichnete Bildungsmisere, und zwar derart, dass in zwölf Schuljahren ein gesamtes Schuljahr ausfällt.

Das sind Themen, die hier anstehen. Wir erleben nach wie vor, dass die Kormorane die Fischerei gefährden. Wir erleben Ärztemangel in der Prignitz wie in der Uckermark

(Vereinzelt Lachen bei der SPD)

- so ist es -, und wir stehen in Kleinmachnow nach wie vor vor dem Schleusenausbau, einem der größten Umweltdelikte, das in der nächsten Zeit geschehen wird. Wir erleben Demotivation im öffentlichen Dienst durch angekündigten Stellenabbau. Wir erleben Einschränkungen der inneren Sicherheit. Wir laufen immer wieder Gefahr, dass versucht wird, diesen Einschränkungen der inneren Sicherheit, diesem Stellenabbau bei der Polizei mit mehr Technik, mit mehr Kameras zu begegnen und dadurch weiter in Grund- und Bürgerrechte einzugreifen. Das sind Themen, mit denen sich diese Regierung zu befassen hätte.

Tatsächlich passiert das nicht. Die Regierung ist kaum noch handlungsfähig. Es fehlt an Führung. Hinzu kommt der enorme Rufschaden, den unser Land gegenwärtig, weit über Brandenburg hinaus, bis hin zur Bambi-Verleihung nimmt. Die Ursachen liegen in den Versäumnissen der letzten 20 Jahre. Es ist eben so, Herr Ministerpräsident, dass Ihr Amtsvorgänger trotz Vorwürfen im Amt blieb, angesichts derer jeder Hausmeister einer Kita hätte gehen müssen. Das ist ein Problem, das bisher nicht aufgearbeitet wurde und mit dem wir uns weiter auseinandersetzen müssen.

Aufarbeitung fand nicht statt, ist aber die Voraussetzung für Versöhnung. Im Grunde stehen wir ganz am Anfang. Richtig ist: Schuld ist immer individuell. Deswegen ist jeder Fall einzeln zu betrachten.

Als ich vorgestern den Namen eines Abgeordneten gehört habe, der im Wachregiment diente, habe ich mich erst einmal gefragt, was er da gemacht hat. War er Koch in der Kantine? War er vielleicht in der Schautruppe, die irgendwo Unter den Linden marschiert ist, mehr als Dekoration für die Neue Wache? War er vielleicht Sanitäter? Auch das kann ja der Fall gewesen sein. Oder war er vielleicht in der Eingreiftruppe, die die Aufgabe hatte, Regimekritiker zu verhaften und zu internieren, wenn es eng werden sollte?

Es gibt erste Aufklärungen dazu, aber so unterschiedlich ist eben Geschichte und so unterschiedlich sind einzelne Schicksale. Deswegen bedarf es einzelner Betrachtungen; das ist keine Frage. Zwar ist es richtig, dass viel Aufregung in die Debatte der vergangenen Tage und Wochen gekommen ist, was ihr nicht guttut, jedoch liegen die Ursachen dafür ganz allein bei der Linkspartei und eben nicht, Herr Ministerpräsident, wie

Sie sagen, in denunziatorischer Art Einzelner, mit diesem Thema umzugehen.

Wenn von einem ehemaligen Mitglied des Wachregiments gesagt wird - ich will ihn auf keinen Fall von vornherein verdammen -, es sei eine antimilitaristische Grundhaltung gewesen, die dazu geführt habe, nicht zur NVA zu gehen, sondern dorthin, dann wird es wirklich absurd. Das ist ähnlich absurd wie der Vorwurf, die Birthler-Behörde sei jetzt schuld an dem, was dort in den Akten steht. Auch das ist nicht so.

(Beifall FDP und CDU - Zuruf von der SPD: Ich war drei Jahre bei der NVA!)

Jeder Mensch hat sein eigenes Bild. Das Bild des Einzelnen muss aufgearbeitet werden. Das ist so. Es geht um damaliges Verhalten ebenso wie um den heutigen Umgang mit diesem Verhalten. Das sind die Themen, mit denen sich diese Regierung befassen muss.

Es ist richtig, Herr Ministerpräsident: Wir von der FDP wollten Rot-Rot nicht, das ist ganz klar, und wir wollen Rot-Rot bis heute nicht. Aber was Sie erreicht haben, ist: Sie haben mit dieser Regierungskoalition unsere schlimmsten Befürchtungen übertroffen. Wir von der FDP wollen den Erfolg unseres Landes. Ich glaube Ihnen, dass auch Sie diesen Erfolg wollen. Daran habe ich keinen Zweifel. Ich glaube Ihnen auch, dass Sie persönlich von Mitgliedern Ihrer Regierungskoalition enttäuscht sind; das ist keine Frage. Aber die Frage ist, welche Konsequenzen jetzt daraus gezogen werden. Von Ihnen kommen Wiederholungen aus der Regierungserklärung vom 18. November 2009. Sie attestieren der Linken ernsthafte Aufarbeitung und untypische Einzelfälle. Wie viele Einzelfälle müssen es denn noch werden? Es sind eben nicht bedauerliche einzelne Unfälle, es liegt an Ihrem Partner insgesamt: Aus früherer Ausbildung heraus, meine Damen und Herren von der Linkspartei: Es ist eben so, dass angehäufte Quantität irgendwann auch einmal in neue Qualität umschlagen kann, und genau da ist diese Qualität erreicht.

Einen Weg aus der Krise haben Sie auch heute nicht gezeigt. Es kommt die Hoffnung zum Ausdruck, dass nach schönen Worten heute alles irgendwie im Sande verläuft. So funktioniert das aber nicht. Geschichte holt einen immer wieder ein. Rot-Rot ist in Brandenburg kein Beitrag zur Versöhnung oder Aufarbeitung,

(Bischoff [SPD]: Da muss ich Ihnen mal Recht geben!)

es ist ein Fehler. Herr Ministerpräsident, diesen Fehler haben Sie gemacht. Sicher fällt es schwer, Fehler einzugestehen; das ist keine Frage. Das geht den damaligen IMs genauso wie jedem anderen, der einen Fehler gemacht hat. Es ist immer schwierig, über eigene Fehler zu reden und diese einzugestehen. Aber: Sie haben einen Amtseid geleistet. Sie haben geschworen, Ihre ganze Kraft dem Wohle der Menschen des Landes Brandenburg zu widmen, ihren Nutzen zu mehren und Schaden von ihnen zu wenden. Ich erwarte nicht viel von Ihnen, Herr Ministerpräsident, nur eines: Halten Sie sich daran!

(Beifall FDP und CDU)

Das Wort erhält Frau Kaiser, die für die Fraktion DIE LINKE spricht.

Herr Präsident Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Wir alle haben uns den Start dieser Koalition anders vorgestellt. Wir wussten, dass diese Koalition umstritten ist, dass der politische Streit innerhalb und außerhalb dieses Parlaments nicht leicht würde, aber diesen Gang der Dinge konnte sich wohl niemand vorstellen, schon gar nicht hat ihn sich jemand gewünscht - hoffe ich.

Was ich für die Fraktion DIE LINKE hier heute tun möchte, ist erstens, Verantwortung festzustellen, zweitens den Hintergrund dieser Debatte aus meiner Sicht auszuleuchten und drittens einige Fragen aufzuwerfen, zu denen wir uns künftig auch hier im Parlament verhalten müssen.

Ausdrücklich stimme ich dem Ministerpräsidenten zu: Wir haben keine Regierungskrise, wir haben keine Krise der Koalition. Allerdings haben zwei bisherige Mitglieder meiner Fraktion die rot-rote Koalition und dieses Parlament einer harten Belastungsprobe ausgesetzt. Die Verantwortung dafür liegt also bei der Linken. Den damit verursachten Vertrauensverlust der Öffentlichkeit, den Wählerinnen und Wählern und dem Koalitionspartner gegenüber bedauere ich zutiefst.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Gerd-Rüdiger Hoffmann und Renate Adolph haben ihre frühere Zusammenarbeit mit dem DDR-Ministerium für Staatssicherheit ganz oder teilweise verschwiegen. Sie haben bei ihren Wählerinnen und Wählern um Vertrauen geworben, ohne dies vor der Wahl selbst durch Vertrauen zu rechtfertigen und die Wählerinnen und Wähler über ihre gesamte Biografie in Kenntnis zu setzen. Sie haben nicht zuletzt ihre eigene Fraktion und auch ihre Partei getäuscht und das, obwohl es für uns - bei der Fraktion DIE LINKE wie vormals bei der PDS - seit Beginn der 90er-Jahre klare Maßstäbe gibt. Wir haben die vollständige Offenlegung der politischen Biografie einer und eines jeden zur Bedingung dafür gemacht, politische Ämter und Mandate im Namen und mit Unterstützung der Partei anzustreben. Selbstverständlich galt dieser Maßstab auch vor den Wahlen im September dieses Jahres. Der Grund dafür war und ist unsere spezifische Verantwortung als Nachfolgepartei der SED, unsere Verantwortung für das Scheitern des real gewesenen Sozialismus als Partei und individuell nicht zu verdrängen. Die Offenlegung der politischen Biografie ist für uns deshalb keine Formalie und auch kein Ablasshandel.

Die Entschuldigung gegenüber den Opfern der stalinistischen Diktatur, Frau Prof. Wanka, und gegenüber dem Volk der DDR vor fast genau 20 Jahren von Prof. Michael Schumann auf dem Sonderparteitag der SED/PDS formuliert - zählt heute wie damals.

(Frau Prof. Dr. Wanka [CDU]: Damit ist alles geklärt?)

- Damit ist nicht alles geklärt, sondern das war in unserer Partei der Beginn einer Klärung, die bis heute anhält, Frau Prof. Wanka.

(Beifall DIE LINKE)

Ihnen ganz persönlich sage ich an dieser Stelle, jetzt wirklich mit der Legende Schluss zu machen, ich sei 1994 enttarnt worden. Ich weiß nicht, wer Sie über den Verlauf des Parteitages

der PDS im Jahre 1991 informiert hat. Ich habe dort Stellung bezogen, Sie können das heute in der Presse nachvollziehen, zum Beispiel ist es in der „Berliner Morgenpost“ nachzulesen. Ich habe zu meiner Biografie vor der Wende gegenüber den Betroffenen Stellung bezogen, und ich habe es nach der Wende getan, seit Mitte 1991 parteiintern und öffentlich. Wenn Sie das leugnen, dann heißt das, Sie nehmen es einfach nicht zur Kenntnis. Ich weiß, dass Sie es aus einem persönlichen Gespräch zwischen uns vor etwa zwei Jahren besser wissen, aber ich nehme zur Kenntnis, dass offenbar immer noch dasselbe Schema, wie Sie es hier beschreiben, in Ihrem Kopf ist.

Meine Damen und Herren! Diese Auseinandersetzung mit individueller Schuld, politischer Verantwortung und den Machtstrukturen in der DDR ist die entscheidende Voraussetzung dafür, in der heutigen demokratischen Gesellschaft glaubwürdig für unsere politischen Ziele eintreten zu können. Ohne dies wäre es überhaupt nicht verständlich, warum soziale Gerechtigkeit und individuelle Freiheitsrechte für uns untrennbar zusammengehören.

Eine linke, eine demokratisch-sozialistische Partei kann und wird also undemokratische, diktatorische, ja totalitäre Herrschaft niemals akzeptieren, verherrlichen oder verharmlosen.

(Burkardt [CDU]: Hat sie doch!)

Hier liegt für meine Seite, für die Seite meiner Fraktion der Grund für den Konsens im Koalitionsvertrag: Keinen Schlussstrich! Wir versichern, diese politische Grundlage unseres Handelns ist nicht infrage gestellt, weil Einzelne glaubten, sie umgehen zu können. Und ich bitte Sie, zu differenzieren. Was Frau Stobrawa betrifft, wissen Sie es besser. Seit gestern liegt nun auch der Bericht der damaligen Kommission, wieder aus den Archiven gefischt, allen zur Einsicht vor. Sie können es nachlesen. Es gibt darüber Veröffentlichungen, und ich kann Ihnen auch versichern: Die Anträge meiner Fraktion bei der Birthler-Behörde liegen vor,

(Frau Prof. Dr. Wanka [CDU]: Alle, Frau Kaiser? Diese Frage würde mich interessieren!)

die Anträge all derer, die ihre Akten noch nicht kennen oder angefordert hatten und die vor 1989 älter als 18 Jahre waren.