Protokoll der Sitzung vom 04.12.2009

Sie gelten nicht bloß für die SPD. Ich erkenne ausdrücklich an, dass den Vertretern der Brandenburger Linkspartei diese Passage im Koalitionsvertrag nicht etwa mühsam abgerungen werden musste. Nein, über diese Sätze bestand von Anfang an Konsens.

Am 2. Dezember 2000 - also fast auf den Tag genau vor neun Jahren - kam der Brandenburger PDS-Vordenker Prof. Michael Schumann bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben. Prof. Schumann hatte seiner Partei schon im Dezember 1989 das Folgende ins Stammbuch geschrieben:

„Die in die Zukunft weisenden Konsequenzen aus der stalinistischen Vergangenheit der SED“ müssten „ihren Niederschlag finden... in einem neuen kritischen Umgang mit unserer eigenen Geschichte, der frei ist von Apologetik, von Schönfärberei, einem Umgang, der nichts aus dieser Geschichte ausspart.“

Es war ebenfalls Michael Schumann, der als Mitglied dieses Landtages 1991 für seine Partei, die PDS, erklärte:

„Wenn jemand Informationen über Personen, die ihm im Vertrauen mitgeteilt wurden, an die Staatssicherheit überliefert hat, hat er Vertrauensbruch begangen.“

Seit 1991 gilt daher in der PDS bzw. in der Linkspartei der offizielle Beschluss, dass Mandatsträger verpflichtet sind, eine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit offenzulegen, um Transparenz, Offenheit und einen klaren Umgang mit der eigenen Vergangenheit herzustellen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Koalition unter meiner Führung soll durch ihre Arbeit auch zur Versöhnung der Menschen im Land beitragen, die einander, wie wir es heute noch oft genug erleben, mit verbissener Härte begegnen. Ich bin gefragt worden: Was meinen Sie, Herr Platzeck, wenn Sie von Versöhnung sprechen? - Die Versöhnung, die ich meine, ist der Prozess, in dem wir Brandenburgerinnen und Brandenburger miteinander ins Reine kommen, damit wir unsere Kraft und unsere Debatten endlich darauf konzentrieren können, wie wir gemeinsam die Zukunft in unserem Land bewältigen und gestalten können.

Ich sage ganz klar: Zu diesem Prozess gehört auch - nur dann kann er überhaupt anlaufen -, dass man sich zu eigenem Fehlverhalten bekennt, dass man sich erklärt und tätige Reue an den Tag legt. Sonst funktioniert so etwas von Anfang an nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Dieser Prozess ist heute notwendiger denn je. Er ist auch deshalb so notwendig, weil wir in Deutschland gerade zwischen

Ost und West immer noch große Probleme damit haben, wirklich zueinander zu finden. Eben dieser Verständigungsprozess hat in den letzten Wochen erheblich Schaden genommen.

„Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung.“ An dieses viel zitierte jüdische Sprichwort haben sich jedenfalls die Führungsgremien der Brandenburger Linkspartei gehalten, auch bei schmerzhaften Konsequenzen bis hin zu dem eingeleiteten Ausschluss von Herrn Hoffmann, der heute Morgen seinen Austritt aus der Fraktion erklärt hat.

In vielen Gesprächen mit Vertretern der Linkspartei in den vergangenen Jahren, auch in den Koalitionsverhandlungen nach der Landtagswahl habe ich immer wieder aufrichtiges und selbstkritisches Nachdenken über eigene biografische Irrwege, über eigene politische Fehlurteile und individuelle Vergehen erlebt. Nur auf dieser Grundlage rigoroser Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte konnte die Koalition von SPD und Linkspartei in Brandenburg überhaupt zustande kommen. Allerdings muss ich nach den Ereignissen der letzten Wochen feststellen: Die innerhalb der PDS bereits vor zwei Jahrzehnten begonnene Aufarbeitung eigenen Fehlverhaltens zu Zeiten der DDR reichte in den Tiefen der Partei offensichtlich nicht so weit, wie ich selber optimistisch, vielleicht zu optimistisch, gemeint und gehofft hatte. Ich kann gut nachvollziehen, dass es Menschen gibt, die hinter dem Versagen der fraglichen Abgeordneten ein umfassenderes Versagen vermuten, nämlich das vermeintliche Versagen einer ganzen Partei, mit ihrer diktatorischen Vergangenheit ins Reine zu kommen.

Ich sage hier ganz klar: Mein Eindruck ist ein anderer. Hintergangen, getäuscht und geprellt sehe ich mich nicht von der Brandenburger Linkspartei, sondern von den hier genannten Abgeordneten, die diese Regeln so verletzt haben, dass großer Schaden angerichtet wurde. Ernüchtert, meine Damen und Herren, bin ich aber auch aus einem anderen Grund. Außerordentlich dürftig erscheint mir in Teilen das Niveau der politischen Auseinandersetzung in den vergangenen Wochen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Es ist meine tiefe Überzeugung, dass Menschen, die Verantwortung in der DDR getragen haben, die systemnah waren, die persönliche Schuld auf sich geladen haben, wie auch immer, das selbstverständliche Recht haben müssen, sich unter den Bedingungen der freiheitlichen Demokratie neu zu bewähren und Schuld abzutragen. Genau das macht unsere Gesellschaft überhaupt erst freiheitlich, dass Menschen die Chance haben, frühere Fehler wettzumachen, dass sie eine zweite Chance bekommen. Unabdingbare Voraussetzung - ich sage es noch einmal, weil es bei diesem Thema schnell zu Missverständnissen kommt - sind dabei wiederum Einsicht, Selbsterkenntnis und tätige Reue. Voraussetzung sind Offenheit und Bewährung. Entscheidend sind immer die konkreten Fälle.

Meine Damen und Herren! Wir haben hier in diesem Landtag vor einiger Zeit schon einmal darüber gesprochen. Ich akzeptiere nicht, dass diese zweite Chance, das Umdenken, das Neudenken, das Sichbewähren an bestimmte Parteimitgliedschaften gebunden ist, dass es einem Herrn Junghanns, der im August 1989 noch als hoher Funktionär der Bauernpartei die Mauer verteidigt hat, zugestanden wird, dass wir ganz selbstverständlich - und ich tue das - Herrn Goetz zugestehen, dass er umgedacht hat, nachdem er bis 1989 in der SED war, aber anderen nicht. Dieses Umdenken darf nicht an Parteimitglied

schaften gebunden werden. Nicht, weil man in der CDU ist, ist man ein besserer Mensch, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Solche persönlichen Weiterentwicklungen verdienen hohen Respekt. Solche Entwicklungen müssen möglich sein, auch innerhalb einer demokratischen Linkspartei; denn nochmals: Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung. Deshalb sage ich mit aller Klarheit: Eine Atmosphäre, in der beispielsweise ein Bürger heute kein Landtagsabgeordneter sein könnte, nur weil er wie Zehntausende andere vor drei Jahrzehnten seinen Wehrdienst im Wachregiment „Dzierzynski“ abgeleistet hat, ein solches gesellschaftliches Klima will ich nicht, ein solches Klima lehne ich ab, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Völlig zu Recht hat der Theologe Richard Schröder schon vor etlichen Jahren erklärt:

„Wenn die Mitgliedschaft Jugendlicher im Wachregiment diese auch 13 Jahre später noch diskreditiert, wenn das schon Systemnähe ist, dann werden alle Katzen grau, dann können sich die Großen hinter den Kleinen verstecken.“

Soweit Richard Schröder, und Recht hat er.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Ich sage heute aus tiefer Überzeugung: Mir sind diejenigen Menschen, die sich zur Einsicht, zum Dazulernen, zur kritischen Selbstreflexion fähig erweisen, allemal lieber als die ganz fix, ganz schnell Gewendeten. Sie sind mir lieber, weil sie jedenfalls aufrichtiger sind. Aufrichtiger als diejenigen, die bis zum Schluss brav in der SED waren, dann mit dem Untergang der DDR ganz plötzlich den verbrecherischen Charakter des Regimes erkannt haben, bruchlos zum Beispiel die Ideologie des Neoliberalismus an die Stelle der Ideologie des Kommunismus setzten und heute unverfroren daherreden, als seien sie erst nach dem 9. November 1989 zur Welt gekommen. So geht Geschichtsbetrachtung nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD und DIE LINKE - Zuruf von der CDU)

- Sie brauchen sich noch nicht aufzuregen, Sie kriegen während meiner Rede noch genug Grund, sich aufzuregen.

Wir haben gerade erst monatelang und mit gutem Grund das 20. Jubiläum unserer Freiheitsrevolution vom Herbst 1989 gefeiert. Ich will Ihnen bei dieser Gelegenheit gerne zur Kenntnis bringen, was der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, einer der gründlichsten Kenner dieser friedlichen Revolution, in knappen Sätzen zur Rolle der Ost-CDU in dieser Revolution von 1989 geschrieben hat:

„Die CDU hatte keine Führungskraft, die sich öffentlich profilierte. Später staunte aber die Öffentlichkeit, wie viele Reformkräfte sich dort geschickt getarnt hatten.“

(Beifall und Lachen bei SPD und DIE LINKE)

„Davon war im Herbst 1989 allerdings nichts zu spüren, war nichts zu hören. Ost-CDU und SED waren sich zum Verwechseln ähnlich.“

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Wir sollten uns, deshalb zitiere ich das hier, vor denen hüten, die heute ihr vergangenes Handeln und Nichthandeln verdrängen oder leugnen. Wir müssen uns aber ebenso in Acht nehmen vor denen, die heute Geschichte, biografische Brüche und biografische Fehlleistungen instrumentalisieren, nur um kurzfristig parteipolitisch Punkte zu machen. Kurzum: Wir sollten uns hüten vor Vereinfachern und Vereinfachungen. Das wird gesellschaftlichem Dasein nie gerecht, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Zur Sicherheit noch einmal: Ich bin weit davon entfernt, in der gegenwärtigen Auseinandersetzung Ursache und Wirkung zu verwechseln. Anlass für die Kontroverse, die wir heute hier miteinander führen, war das eklatante und nicht zu entschuldigende Fehlverhalten von Abgeordneten der Linkspartei. Aber was ebenfalls nicht geht, weil es unwürdig ist und den Ernst und die Komplexität der historischen Sachverhalte komplett verfehlt, ist eine Politik der Beliebigkeit einiger Mitglieder dieses Hauses, die die Linkspartei mal zum geläuterten demokratischen Partner erklären und dann wieder möglichst im Häftlingsanzug in Grund und Boden verdammen. So geht Auseinandersetzung nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Es war Herr Dombrowski - er will dieses Zitat heute nicht mehr hören -, der 2006 dem „Tagesspiegel“ gesagt hat:

„Die PDS ist nicht mehr die SED. Die Bürger nehmen heute die PDS als normale Partei wahr, die mit anderen im Wettbewerb steht. Es bringt nichts mehr, ständig auf die Vergangenheit, die SED-Vergangenheit, zu verweisen...“

Nach dieser Aussage wurde er gefragt, ob er sich ein Bündnis zwischen CDU und PDS auf Landesebene vorstellen könne. Daraufhin sagte Herr Dombrowski:

„Das ist für mich im Moment nicht vorstellbar - allerdings nicht wegen der SED-Vergangenheit, sondern wegen Unterschieden in zentralen Fragen.“

Das nenne ich Philistertum, das ist Pharisäertum, das ist Scheinheiligkeit, wie sie im Buche steht.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Da werden Dinge verwendet, wie man sie braucht und nur, wenn man sie braucht. Ich finde es unerhört, dass Sie so tun, als hätten Sie das nicht gesagt.

(Zuruf von der CDU)

Diese Partei wurde vor drei Jahren von denselben Menschen geführt und hatte dieselben Menschen in der Verantwortung wie heute. Sie haben das Zitat damals gebracht, ich weiß es. Es ging um die Oberbürgermeisterwahl in Cottbus. Sie haben sich

dafür gerechtfertigt, dass Sie mit einem gemeinsamen Kandidaten von der CDU und der PDS angetreten sind. Das meine ich mit Beliebigkeit in der politischen Argumentation, die uns bei der Aufarbeitung der Geschichte nicht voranbringt. Ganz im Gegenteil, sie schadet der Aufarbeitung, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Frau Wanka, wenn Sie sagen, jeder weitere Fall sei ein PlatzeckFall, dann sage ich: Ja! - Ich weiß, Sie haben es perfider gemeint. Aber ich sage ja, weil ich will, dass alle Fälle auf den Tisch kommen. Sie können gerne sagen: Das ist ein PlatzeckFall. - Ich will, dass alle Fälle, die es eventuell gibt, wirklich auf den Tisch kommen. Ich bin gespannt, wie Sie reagieren, falls es ein Fall sein sollte, der nicht in der linken Hälfte des Hauses verortet ist. Ich nehme das trotzdem an, weil ich möchte, dass wir ein Parlament haben, in dem sich die Abgeordneten in die Augen schauen können. Wir haben das in den vergangenen Legislaturen versäumt und müssen es nun nachholen. Das ist schmerzhaft, aber nötig.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Wenn ich Ihre Argumentation höre, wenn Sie über Charakter reden, Herr Dombrowski, dann sprechen Sie anderen Menschen ab, dass sie sich ändern können. Das ist für Sie eine Charakterfrage. Ich habe in den Zeiten der Krise vor anderthalb Jahren über Ihren Charakter von ihren Parteimitgliedern gehört, und zwar von hochrangigen. Meine bürgerliche Erziehung verbietet mir, das hier zu gebrauchen. Wir haben uns damals übrigens sehr zurückgehalten, weil wir durchaus noch Anstand haben.